Bettwanzen sind unangenehme Gesellen und eigentlich möchte man seinen Schlafplatz nicht mit ihnen teilen. Natürlich kann man ihnen mit allerlei Schädlingsbekämpfungsmitteln zu Leibe rücken (und zu der Zeit, als man noch großzügig DDT in die Welt verteilt hat, hat man das auch bedenkenlos getan), aber so richtig gern möchte man in insektizidgetränkter Bettwäsche auch nicht schlafen. (Inzwischen gibt es auch genügend Wanzen, die gegen gängige Bekämpfungsmittel immun sind – Evolution in Aktion…) Es gibt aber auch andere Möglichkeiten.

Die Bewohner der Balkanregionen kennen schon seit Jahrhunderten den Trick, Bohnenblätter um die Betten herum auszustreuen. Wenn die Wanzen herumkrabbeln, bleiben sie an diesen Blättern hängen und können sich nicht mehr befreien. Der Grund dafür sind winzige Häkchen an den Blättern, die sich in die Wanzenbeine bohren und die Wanzen festhalten:

bedbug1

Aus Szyndler et al. s.u.

Links seht ihr eine Wanze, rechts seht ihr, wie sie festgehalten wird. Schaut man das ganze bei stärkerer Vergrößerung an, sieht man, dass sich die kleinen Häkchen auf der Blattoberfläche in die Füße der Wanzen regelrecht hineinbohren:

bedbug2

Aus Szyndler et al. s.u.

(Leider wird in der Arbeit nicht erklärt, wie die Farben in den Bildern zu Stande kommen (es sei denn, ich hab’s überlesen) – ich vermute, dass die Bilder einfach nachträglich eingefärbt wurden, das sollte man aber eigentlich schon deutlich dazusagen.) In grün seht ihr die Haare (Trichomen) auf dem Blatt, das gelbliche ist das Bein der Wanze.

Man streut also abends Bohnenblätter um das Bett und kann diese dann am nächsten Morgen zusammen mit den gefangenen Wanzen einfach verbrennen.

Nun ist das Bereithalten von frischen Bohnenblättern natürlich in großem Maßstab keine optimale Lösung. Könnte man sich den Trick der Bohnenblätter vielleicht abgucken und ihn technisch kopieren? Das wäre ein schönes Beispiel für Biomimetik, also das Nachahmen biologischer Strukturen durch die Technik. (Star-Trek-Fans denken jetzt natürlich an biomimetisches Gel, aber das ist was anderes…)

Leider fällt es unserer Technik immer noch schwer, sehr kleine Strukturen gezielt herzustellen (das liegt letztlich wohl daran, dass unsere Maschinen meist größer sind als die Dinge, die sie herstellen – die Natur macht es umgekehrt und stellt große Dinge mit kleinen Maschinen her). Mikrometerfeine Härchen sind technisch nicht ohne weiteres zu bauen. Das Forschungsteam hat deshalb ganz direkt von der Natur geklaut und einfach natürliche Bohnenblätter genommen, um von ihnen einen Abdruck anzufertigen, der dann als Form dient. In diese Form wird dann ein Polymer (hier wurden verschiedene Harze ausprobiert) eingefüllt, das das künstliche Blatt bildet:

bedbug3

Aus Szyndler et al. s.u.

Vergleicht man die künstliche mit der natürlichen Struktur, dann sieht man, dass das Verfahren gut funktioniert:

bedbug4

Aus Szyndler et al. s.u.

Oben seht ihr das natürliche Blatt, unten die Kopie.

Entscheidend ist natürlich die Frage, ob die Wanzen durch die künstlichen Blätter auch gefangen und festgehalten werden. Leider ist das so nicht der Fall; die künstlichen Haken sind nicht in der Lage, die Füße der Wanzen wirkungsvoll zu durchbohren und festzuhalten.

Trotzdem verfingen sich manchmal Wanzen dauerhaft an den künstlichen Blättern. Das lag daran, dass bei der Herstellung des Abdrucks manchmal die natürlichen Spitzen der Haare auf den Blättern im Abdruck blieben – das künstliche Blatt bekam so dann Haarspitzen aus dem natürlichen Pflanzenmaterial. Allerdings waren diese Hybrid-Haare weit weniger effizient im Wanzenfangen als die natürlichen Bohnenblätter; die Wanzen verfingen sich zwar in ihnen, wurden aber nicht an den Füßen durchbohrt.

Warum die künstlichen Haare weniger gut im Wanzenfangen sind als die natürlichen ist unklar – man hat einen großen Bereich an Materialien ausprobiert, deren Eigenschaften die der natürlichen Bohnenhaare eigentlich einschließen. Vielleicht liegt es daran, dass die Bohnenhaare innen hohl sind, die künstlichen dagegen massiv. Entsprechend sind die künstlichen Haare vielleicht etwas weniger biegsam und können schlechter an den Füßen der Wanzen entlanggleiten, bis sie eine Stelle erreichen, an der sie den Panzer durchbohren können. Zukünftige Forschungen sollen sich jetzt darauf konzentrieren, die genauen Eigenschaften der Bohnenhaare herauszufinden und das künstliche Material entsprechend anzupassen. Vielleicht kann man das Wanzenproblem dann eines Tages doch in den Griif bekommen.

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Kommentare (22)

  1. #1 Chemiker
    1. Mai 2013

    Da fühle ich mich persönlch betroffen, weil mich in Indien einmal eine heimat­lose Bett­wanzen-Familie adoptiert hat — die zogen in meinen Ruck­sack ein und erfreuten mich später mit vielen blutigen Dramas.

    Laut Artikel handelt es sich um Phaseolus vulgaris, also die amerikanische Bohne. Die wächst auch in Indien, aber der Trick scheint hier nicht bekannt zu sein. Stattdessen setzt man auf Cholin­esterase-Hemmer.

    Nächstes Mal weiß ich was ich zu tun habe. Frische Blätter, wer hätte das gedacht…

  2. #2 Quacki
    1. Mai 2013

    Ich hab das auch in den (Nature?-)News gesehen. Wir hatten bei uns in der AG letztes Jahr den Fall, dass bei einer Tagungsreise von einigen Kollegen in einem Hotel (in den USA!) die Bettwanzen waren. Das war eine ziemlich traumatische Reise.

    Sagen die was davon, ob das auch mit getrockneten Blättern geht?

    PS: Wieder eine schöne Themen-Auswahl 😉

  3. #3 werner
    1. Mai 2013

    Die Original-Härchen der Bohnen bestehen vereinfacht aus Silikaten (Kieselsäure, so wie die Brennhaare der Brennessel), sie sind also glasartig und relativ starr (siehe auch Originalartikel, Seite 7, Figure 6 und EDS-Analyse). Die Replika wurden alle aus organischen Polymeren gegossen und diese sind relativ weich und flexibel. Es ist daher nicht verwunderlich, dass sie als “Nadeln” nicht so wirksam sind.

  4. #4 MartinB
    1. Mai 2013

    @werner
    Das verwirrt mich jetzt, denn im paper steht
    “Various epoxies and glues with different hardening rates and resin : hardener ratios were used in order to generate artificial trichomes with mechanical properties that span the largely uncharacterized properties of natural trichomes. ”
    Danach sollten die Materialeigenschaften also passen.

  5. #5 BreitSide
    1. Mai 2013

    Sehr interessant. Ich bin da mal ganz naiv und hoffnungsfroh und denke, innerhalb weniger Monate haben die das gelöst.

    Getrocknete Blätter? Warum nicht? Die Silikate sollten beim Trocknen nicht leiden.

  6. #6 MartinB
    1. Mai 2013

    @BreitSide
    Mit dem Trocknen wäre ich nicht so sicher – die Silikate müssen ja im Blatt haften bleiben, und das Blatt leidet beim Trocknen sicher schon.

  7. #7 HT
    1. Mai 2013

    @ MartinB
    “Danach sollten die Materialeigenschaften also passen.”

    Anscheinend hat das synthetische Polymer-Gewebe eine geringere Steifigkeit (“For example, epoxies have
    Young’s moduli (tensile) in the range 0.8– 4.2 GPa [28 –32]
    compared with 0.1–70 GPa for plant cell walls [33 –37].”). Der Epoxy-Elastizitätsmodul (“Young’s Modulus”) befindet sich im unteren Intervall des E-Moduls des Zellengewebes.

    Interessant wäre nicht nur zu wissen, welche Materialeigenschaften und welche Geometrie die Haken im allgemeinen haben, sondern welche Eigenschaften speziell die Haken mit den Wanzen haben (haben speziell diese einen hohen E-Modul? Usw…).

    Damit man ein Gefühl fuer den E-Modul bekommt: Die 0.1-0.8 GPa entsprechen in etwa der Steifigkeit von Gummi, wahrend man mit 70 GPa in der Groessenordnung von Aluminium liegt.

  8. #8 roel
    *****
    1. Mai 2013

    @MartinB Bohnenblätter, guter Trick.

    “(Leider wird in der Arbeit nicht erklärt, wie die Farben in den Bildern zu Stande kommen (es sei denn, ich hab’s überlesen) – ich vermute, dass die Bilder einfach nachträglich eingefärbt wurden”

    Vermutung richtig.

    Ganzer Text u.a. hier: https://rsif.royalsocietypublishing.org/content/10/83/20130174.full und daraus:

    “Figure 4.
    Underside of a bed bug tarsus showing a dangling broken trichome (highlighted in green) as evidence of piercing. Note that the trichome stalk is hollow.”

  9. #9 MartinB
    1. Mai 2013

    @HT
    Ja, die Frage ist aber ja zum einen , was haben die natürlichen Härchen für Materialeigenschaften – die normalen Bulk-Eigenschaften von Silikaten müssen es ja nicht unbedingt sein. Zum anderen spielt natürlich eben rein, dass die Haare hohl sind. Und zum Durchstoßen der Kutikula ist vielleicht auch die Härte eine wichtige Eigenschaft. Fragen über Fragen…

    @roel
    Ja, das highlighted hatte ich auch gelesen, aber es wird nicht recht klar, ob das nur Bildbearbeitung ist oder ob da nicht doch ein anderer Trick dahinter steckt (zumindest denkbar, wenn man mehrere Bilder überlagert und z.B. unterschiedliche Elemente mapt).

  10. #10 roel
    *****
    1. Mai 2013

    @MartinB im normalen Sprachgebrauch deutet highlighted auf farbig unterlegt hin, aber manchmal tendieren Wissenschaftler dazu,sich nicht um den normalen Sprachgebrauch zu kümmern.

    Hier noch ein Link https://www.bio.uci.edu/wp-content/uploads/2013/04/OCR_Bedbug-study_4_2013.pdf zum gleichen Thema.

  11. #11 Frank Wappler
    https://to.boldly.span.what.has.been.largely.uncharacterized.so.far
    2. Mai 2013

    werner schrieb (#3, 1. Mai 2013):
    > Die Original-Härchen der Bohnen bestehen vereinfacht aus Silikaten (Kieselsäure, so wie die Brennhaare der Brennessel), sie sind also glasartig und relativ starr (siehe auch Originalartikel, Seite 7, Figure 6 und EDS-Analyse).

    Wie geeignet sind denn frische (oder getrocknete) Brennnesselblätter, anstatt Bohnenblättern, um Wanzen zu fangen (bzw. stärkeren/robusteren/agileren Wanzen einen Selektionsvorteil zu verschaffen)?

  12. #12 Zhar The Mad
    2. Mai 2013

    hm.. könnten in diesem maßstab nicht auch oberflächen-eigenschaften ud nicht nur steifigkeit eine bedeutung haben? ab einer bestimmten größe wirken doch die klassischen vorstellung von durchbohren oder zerschneiden nicht mehr ,oder?

  13. #13 MartinB
    3. Mai 2013

    @Zhar
    Ich glaube, das ist auf dieser Längenskala noch nicht so relevant; es sind ja imemr noch einige 10 Mikrometer. Richting ist aber sicher, dass man vorsichtig sein muss, wenn man annimmt, dass die Materialeigenschaften selbst auf dieser Skala vielleicht andere sind als für einen makroskopischen Block.
    Wahrscheinlich sollte man solche Haare mal im Mikromanipulator eines Elektronenmikroskops verformen und direkt die Biegesteifigkeit etc. messen, dann wüsste man mehr.

  14. #14 Chemiker
    3. Mai 2013

    Wie kann man denn ein solches Haar im Elektronen­mikroskop verbiegen? Ich dachte immer, Elektronen­mikroskopie funk­tioniert nur im Vakuum, aber getrock­nete Blätter sind doch zweifellos anders elastisch als frische.

  15. #15 MartinB
    3. Mai 2013
  16. #16 Chemiker
    5. Mai 2013

    Besten Dank für die Aufklärung. Ist offenbar ein Heidenaufwand, aber beeindruckend diese pressure-limiting apertures („druckbegrenzende Blenden?“).

  17. #17 Schlafkönig
    22. Mai 2013

    Bei dem Bericht über Bettwanzen kommt einen das Grausen. Das muss doch nicht so weit kommen. Ich besitze eine ordentliche Matratze mit einem Matratzenbezug. Diesen kann man bei hohen Temperaturen waschen. Auch unsere Daunendecken wasche ich regelmäßig.

  18. #18 Halloknut
    Ba-Wü
    14. Juni 2013

    Wo bekommt man solche Bohnenblätter, ich bin seit einiger Zeit betroffen und der Kammerjäger hat bisher nichts erreicht.

  19. #19 MartinB
    15. Juni 2013

    @Halloknut
    Soweit ich das verstanden habe, sind das ganz normale Blätter von Kidney-Bohnen. Im paper steht
    Kidney beans (Phaseolus vulgaris L.)

  20. #21 MartinB
    27. Oktober 2014

    @ImNetz
    Interessant – aber sicher eher eine Lösung für die Wohlhabenden.

  21. #22 Adam
    Mülheim-Kärlich
    6. Februar 2019

    Toller Beitrag. Man muss wiesen, dass eben Bettwanzen nicht so harmlos sind wie viele denken.