Das ist doch gar nicht so schlimm…
Die zweite wichtige Strategie ist das Bagatellisieren des Problems (hatten wir eben schon in ähnlicher Weise unter dem Punkt “eigentlich ist doch alles gut so”). Auch da gibt es verschiedene Varianten:
4. Wenn das so schlimm wäre, hätte man das längst geändert
Das ist letztlich eine Kombination aus den obigen Argumenten 1 und 3: Da sich das so lange gehalten hat, kann es ja so schlimm nicht sein – auch früher waren die Menschen ja klug und hätten etwas schlimmes ja nicht geduldet. Nun ja, die Römer haben auch viele Hundert Jahre Sklaven gehalten und die Azteken haben auch lange Zeit Menschen geopfert – und auch diese Dinge, obwohl hoffentlich unbestritten schlimm, hat man lange Zeit nicht geändert. (Und nein, das ist keine Gleichsetzung von Sprachregelungen mit Menschenopfern, sondern eine Erklärung, warum ein Argument der Struktur “wenn das so schlimm wäre” nicht funktioniert: Wenn’s selbst bei Menschenopfern nicht geklappt hat, warum dann bei harmloseren Dingen?)
5. Andere Dinge sind viel schlimmer
Meist kommt dieses Argument zusammen mit einem “Warum regt ihr euch denn ausgerechnet darüber auf?” Ihr setzt euch für arme Kinder in Deutschland ein? Aber anderswo haben Kinder nicht mal was zu essen und verhungern, das ist doch viel schlimmer. Das Dumme ist nur – es gibt immer etwas, das noch schlimmer ist. Und erstaunlicherweise sind die, die sagen “Kümmert euch doch lieber um X” selten die, die sich selbst um X kümmern.
6. Einige Betroffene sind aber auch zufrieden
In Debatten zum Thema Feminismus hören wir oft und gern das Argument (von Männern, logischerweise) “Meine Frau findet aber auch…” Ja, es gibt Frauen, die den Feminismus unnötig finden. Es gibt Beschnittene, die damit zufrieden sind (siehe oben). Es gab vermutlich sogar im 19. Jahrhundert in den USA Sklaven, die gegen eine Sklavenbefreiung waren. Wenn wir verlangen, dass erst sämtliche Angehörige der betroffenen Gruppe überzeugt werden müssen, bevor wir etwas ändern, dann können wir lange warten – aber das ist ja auch das Ziel des “Arguments”. Und gerade bei Debatten zum Thema Feminismus oder Rechte von Minderheiten schwingt hier immer die Annahme mit, dass natürlich alle X gleich sind (Frauen sind so, Schwarze sind so…).
Selbst wenn es ein Problem wäre, könnten wir es nicht lösen
Als dritte Generalstrategie kann man leugnen, dass sich überhaupt etwas ändern lässt. Dazu gibt’s zwei Varianten:
7. Der Vorschlag löst nicht alle Probleme, also löst er keine Probleme
Gut, vielleicht ist geschlechtergerechte Sprache ein (wenn auch kleines) Problem. Aber es gibt keine perfekte Lösung des Problems, weil wir immer eine Formulierung finden werden, die hinterher unschöner ist als vorher. Auch das ist ein beliebtes Argument – die vorgeschlagene Lösung muss bitte perfekt sein. Solange man noch einen Fall X konstruieren kann oder eine auch noch so kleine negative Auswirkung Y findet (in der Politik gern “das vernichtet Arbeitsplätze”, das passt ja fast immer, weil man immer irgendeine Branche findet, die unter einer Änderung leiden könnte), solange kann man die Lösung natürlich nicht durchsetzen.
8. Wir können das erst machen, wenn wir alle Details geklärt haben
Bei der Beschneidungsdebatte wurde z.B. gefragt, wie denn die Strafverfolgung aussehen soll und ob man vielleicht ein Melderegister für Juden einführen müsste. (Ja, auf dem Niveau wurde da argumentiert.) Natürlich kann man so etwas im Vorfeld nicht in allen Details klären (außer das mit dem Melderegister…) – das war ja ähnlich, als zum Beispiel die Prügelstrafe verboten wurde. Oder auch beim Thema Vergewaltigung in der Ehe, da wurde zunächst über eine “Versöhnungsklausel” nachgedacht, die wurde dann aber wieder fallen gelassen. Erst musste der Wille da sein, etwas zu ändern, dann konnte man die Details aushandeln. Die Umsetzung von Änderungen ist manchmal schwierig (wie ja auch bei der geschlechtergerechten Sprache, wo es durchaus unterschiedliche Ansätze gibt) – das ändert aber nichts an ihrer Notwendigkeit (wenn die denn gegeben ist).
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