Zur Zeit debattieren wir ja mal wieder heftig über die geschlechtergerechte Sprache und die Frage, ob unsere Sprache sexistisch ist. Jürgen hat sich dazu die letzten Tage fleißig geäußert. Ich habe hier zumindest auf der Meta-Ebene geantwortet. Aber nachdem ich nun dank der heftigen Debatte etwas klarer sehe, will ich hier doch noch einmal etwas ausführlicher schreiben.
Auch wenn einiges schon vorher in den Kommentaren diskutiert wurde, konzentriere ich mich hier vor allem auf Jürgens letzten Text zum Thema, der das wichtigste auf den Punkt bringt.
Der Text trägt den Titel “Die unsichtbare Diskriminierung”. Jürgen beginnt damit, dass es bei einer geschlechtsneutralen Sprache (den Unterschied zwischen geschlechtergerecht und geschlechtsneutral erkläre ich gleich noch im Detail) um folgendes gehe:
sie beruht auf dem Ansatz, dass das Objekt der Diskriminierung nicht wahrnehmbar sein soll.
Dieser Satz ist leider schon falsch, und das ist der Kern der Meinungsverschiedenheit. Eine geschlechtsneutrale Sprache beruht auf dem Ansatz, dass das Geschlecht einer Person nicht wahrnehmbarer sein soll als andere Unterscheidungsmerkmale auch. Ich hatte das mit einem Beispiel aus Star Trek illustriert. Dort ist es so, dass in der Sternenflotte grundsätzlich nur männliche Formen verwendet werden, es heißt also “der Admiral” und auch “er”, auch wenn es sich um den weiblichen Admiral Nechayev handelt (Jürgens Schreibweise des Namens ist mein Fehler, ich hatte den Namen so geschrieben). Mir ging es darum, dass das Geschlecht einer Person egal sein sollte, jedenfalls nicht wichtiger als die Hautfarbe, das Alter oder ein anderes Merkmal. Jürgen schreibt dazu
Ja, warum eigentlich? Vielleicht, weil es Admiral Nedjejev (ich habe keine Ahnung, wer das ist, und finde den Namen auch nicht im Internet) wichtig ist? Wer sagt, dass es einer Frau nichts bedeutet, eine Frau zu sein?
Niemand. Aber wer sagt denn, dass es ihr für Ihre Arbeit wichtig ist? Oder dass es ihr überhaupt wichtig ist? Mit dem gleichen Recht könnte man fragen: “Ist es Präsident Obama nicht sehr wichtig, dass er ein Farbiger ist?” Sollte man deswegen gleich die Bezeichnung Presidentroon (Dank an Douglas Hofstadter – wenn ihr diesen Text noch nicht gelesen habt, dann tut es bitte jetzt) einführen? Oder ist es nicht so, dass wir dann, wenn wir der Ansicht sind, die Hautfarbe sei irgendwie wichtig, sagen können “Obama ist ein schwarzer Präsident”, und wenn sie im Zusammenhang unwichtig ist, sagen wir das nicht, dann ist er einfach “der Präsident”? Jürgen schreibt weiter
Es gibt viele Formen von Identität – ich selbst beispielsweise falle in die Gruppen männlich, Senioren (über 50), deutschsprachig, grauhaarig, Journalist, Nichtraucher, Atheist, Vater, Universitätsdozent etc. Welche dieser Identitäten für mich wichtig sind oder nicht, sollte niemand außer mir entscheiden dürfen. Warum ist sexuelle Identität so wichtig, wichtiger als Haarfarbe oder Einkommen? Weil wir nun mal sexuelle Wesen sind.
Bis zum vorletzten Satz unterschreibe ich das von ganzem Herzen. Ja, wir sind sexuelle Wesen, wir sind auch Wesen mit einem Alter oder mit einer Hautfarbe. Warum das Geschlecht wichtiger ist als andere Merkmale, so dass es einer sprachlichen Sonderrolle bedarf, das sagt Jürgen leider nicht. Wir sagen eben nicht “Presidentroon” zu einem Schwarzen Präsidenten oder Greisenpräsident, sobald ein Präsident über 80 Jahre alt ist. Ob wir es wichtig finden, das Lter, die Hautfarbe oder das Geschlecht zu erwähnen oder nicht, sollten wir selbst entscheiden. Und eben nicht die Grammatik der Sprache die wir verwenden.
Interessanter Weise ist gerade das Recht auf eine sexuelle Identität ein Gut, das durch den Kampf gegen Diskriminierung errungen werden soll. Wer’s nicht glaubt: Einfach mal LGBT googeln und anfangen zu lesen.
Natürlich. Niemand will irgendwem absprechen, seine sexuelle Identität so zu offenbaren, wie er oder sie es für richtig hält. Wer das tun will, der kann es ja tun. Aber gerade das “T” im Kürzel LGBT sollte zu denken geben – für Transsexuelle ist es eben nicht so einfach, sich als “er” oder “sie” zu identifizieren. (Ein Beispiel dafür findet man hier.) Ist ein Mann, der sich als Frau fühlt, nun ein “er” oder eine “sie”? Muss ich das wissen, wenn ich über diese Person rede – und es beispielsweise darum geht, dass sie brillant Snooker spielt oder geniale Mucke fabriziert?
Davon abgesehen, dass gerade das Gendern von Dienstgraden im Deutschen eine Forderung für Gleichberechtigung ist und mehr als eine “Amtfrau” bisher dabei nichr rauskam,
Das ist richtig. Momentan ist das Bestreben der meisten Leitfäden zur geschlechtergerechten Sprache (und davon habe ich einige gelesen), Frauen sichtbar zu machen. (Und – damit mich keiner missversteht – das ist gut so.) Ein Beispiel dafür ist diese Broschüre. Dort heißt es sehr treffend und das Problem gut auf den Punkt bringend: “Männer werden immer richtig eingeordnet, Frauen fast nie, denn in unserer Sprache gilt die Regel: 99 Sängerinnen und 1 Sänger sind zusammen 100 Sänger.” Als Beispiel wird in der Broschüre ein Text über die Funktion eines Bürgermeisters zitiert (unter Verwendung des generischen Maskulinums), und dann wird gesagt: “Eigentlich wissen Lesende, dass zum Beispiel ein Text wie der obige über den Bürgermeister auch für Frauen gelten soll. Dieses theoretische Wissen reicht aber nicht, um beim Lesen die Vorstellung von einer Frau als Bürgermeisterin ebenso zu aktivieren wie die Vorstellung eines Mannes. Es reicht ebenso wenig, um Frauen zur Identifizierung mit solchen Funktionen zu motivieren. Da maskuline Formulierungen nicht eindeutig sind, liegen Frauen auch nicht immer richtig, wenn sie sich „mitgemeint“ fühlen…”
Dem stimme ich natürlich vollkommen zu – und die Debatte zwischen Jürgen und mir nahm ja genau damit ihren Anfang, dass ich einen Text zur Frage geschrieben habe, ob das generische Maskulinum zu einer sexistischen Sprache führt. Dort habe ich etwas sehr ähnliches (wenn auch etwas drastischer) gesagt: “Personenbezeichnungen mit maskulinem Geschlecht erzeugen in unseren Köpfen anscheinend sofort das Bild eines Mannes – der “Default-Wert” für einen Menschen ist ein Mann.” Einen Überblick über verschiedene Forschungsergebnisse, die belegen, dass Frauen seltener mitgedacht werden, wenn man das generische Maskulinum verwendet (meine etwas überspitzte Formulierung, die nahelegt, dass der Default-Mensch immer ein Mann ist, ist aber wohl so nicht haltbar), findet man auch in diesem Artikel.
In der Broschüre wird dann erläutert, dass es zwei Möglichkeiten gibt, mit dem Problem umzugehen: Feminisierung (das explizite Mitnennen von weiblichen Formen) und Neutralisierung (die Unsichtbarmachung des Geschlechts, beispielsweise mit Worten wie “das Ratsmitglied”). Es wird darauf hingewiesen, dass die zweite Form “nicht immer vor männlichen Assoziationen schützt”. Ein Text soll dann so formuliert werden, dass zumindest am Anfang die weibliche Form explizit genannt wird, danach dürfen dann “Neutralformen als Entlastungsstrategien eingesetzt werden.”
Der Text ist voll von Formulierungshilfen (und wesentlich besser als der, den ich hatte, als ich neulich das Vergnügen hatte, eine lange Betriebsanweisung zu schreiben, bei der ich gern geschlechtergerecht schreiben wollte und das auch weitgehend hinbekommen habe). Er zeigt sicher, dass – mit etwas Mühe und Geschick – geschlechtergerechte Formulierungen möglich sind. Dass dazu Mühe erforderlich ist, erlebt man auch des öfteren auf Gremiensitzungen an der Uni – dort werden erst Texte im generischen Maskulinum geschrieben, danach heißt es “wir müssen den Text noch gendern”. Man kann natürlich hoffen, dass sich eines Tages die geschlechtergerechte Denkweise soweit durchsetzt, dass allen die richtigen Formulierungen gleich in die Tastatur fließen (so wie ein ungeübter Schreiber so wie jemand, der ungeübt im Schreiben ist, vielleicht auch nachträglich alle Tempusfehler korrigieren muss; das allein wäre auch kein Grund, die Zeitformen abzuschaffen).
Ich habe ja in den letzten Tagen wiederholt erklärt, dass solche geschlechtergerechten Formulierungen zwar möglich sind, dass sie die Möglichkeiten, sich auszudrücken, aber einschränken. Was ist zum Beispiel, wenn ich über eine konkrete Person reden will, deren Geschlecht für das, was ich sage, irrelevant ist? Wenn ich zum Beispiel – wie gern in der Vorlesung – sage “Da gehen Sie zur freundlichen Mathematikerin um die Ecke, die kann ihnen das beweisen.” Oder sollte ich doch “zum freundlichen Mathematiker” sagen? Oder, wie eben, “jemand, der Mathematik treibt”? Jürgen sagte dazu (in einem Kommentar)
Oder diese mathematischen Nachbarn sind reine Kunstfiguren, die Du lediglich als Stilmittel erfunden hast – dann kannst, nein musst Du Dich halt entscheiden, ob Mann oder Frau.
Und da genau ist mein Problem. Ich muss mich nicht entscheiden, ob diese mathematikbetreibende Person schwarz ist oder weiß oder alt oder jung, ob Professor oder Doktorand, vollkommen egal, all das kann ich der Fantasie meiner Studis überlassen. Nur beim Geschlecht ist es anders, das muss ich laut Jürgen spezifizieren. Mir wäre eine neutrale Formulierungsmöglichkeit (die weniger geschwollen ist als “mathematiktreibende Person”) lieber. (Gestern in der Vorlesung habe ich es mit “Da gehen Sie rüber ins Mechanik-Institut, klopfen an eine Tür und fragen die Person die da sitzt..” versucht. Geht auch, ist aber nicht wirklich schön. ) Und noch viel lieber wäre es mir, wenn die Sprache mich nicht zwingen würde, darüber auch nur nachzudenken – so wie ich über das Alter und die Hautfarbe der Person, die dort sitzt, nicht nachdenken muss, wenn ich nicht will.
Jürgen sagt zu solchen neutralen Formulierungen (wie “der Admiral” auch als Bezeichnung für eine Frau):
Aber das ist nicht der Kernpunkt: das Problem bei dieser Form der “Gleichberechtigung” ist, dass es die Frauen unsichtbar machen soll. Wirklich, ist das so? Ja. Es ist eine Form des “Don’t ask, don’t tell”.
Und was ist das? Nichts anderes als die Forderung an die anders Seienden, ihr Anderssein doch bitteschön für sich zu behalten, uns also nicht zu zwingen, uns damit auseinander zu setzen.
Auf den ersten Blick drückt das scheinbar genau das aus, was ich eben sagte – ich muss mich nicht mit dem Geschlecht auseinandersetzen, wenn ich nicht will. Ist es nur mein privilegiertes Denken, das hier zum Ausdruck kommt, so wie manche Leute sagen “I don’t see color”, wenn es um Rassenfragen geht? Nur auf den ersten Blick.
Schauen wir erst mal auf das “don’t ask, don’t tell”, also die Regel der US-Armee, dass Homosexuelle Soldaten nicht hinausgeworfen werden, solange sie sich nicht offen als homosexuell outen, dass sie aber auch nicht nach ihrer Orientierung gefragt werden. Diese Regel wurde zum Glück inzwischen aufgehoben – wie diskriminierend sie ist, kann man sich leicht ausmalen, wenn man sich z.B. vorstellt, Soldaten oder Soldatinnen erzählen vom Weihnachtsfest (und ein Mann sagt “Mein Partner”) oder wollen sich vom Partner oder der Partnerin zu einem Fest oder Ähnlichem begleiten lassen.
Eine geschlechtsneutrale Sprache ist aber gerade keine Form des “don’t ask, don’t tell”. Es ist umgekehrt: Die momentane Sprache zwingt uns, zum Geschlecht Farbe zu bekennen. SoldatInnen werden ja auch jetzt nicht gefragt, ob sie homosexuell sind – sie können es offenbaren, müssen es aber nicht. Stellt euch vor, ihr kommentiert irgendwo im Internet und gebt euch (mit Bedacht) einen Namen, dem man kein Geschlecht eindeutig zuordnen kann, vielleicht “Pat” oder “Chris”. (Dazu gibt es einen tollen Text von Douglas Hofstadter, in dem das Geschlecht der Beteiligten nicht genannt wird.) Und dann schreibt jemand anderes über euch und sagt “Pat sagt… Er …” (oder auch “sie”). Der (oder die) andere muss sich entweder entscheiden, oder eben sein Unwissen über euer Geschlecht explizit zum Ausdruck bringen und “er oder sie” schreiben. Auch das impliziert wieder sprachlich, dass das Geschlecht einer Person ein so wichtiges Merkmal ist, dass es einer Sonderkonstruktion bedarf, um auszudrücken, dass man es nicht kennt.
Hierzu eine Analogie: Vor 30 Jahren redete man Frauen ja noch – je nach Ehestand – mit “Frau” oder Fräulein” an. Ein Dialog bei einer Behörde konnte dann so aussehen: “Mein Name ist Cladia Müller.” “Frau oder Fräulein Müller?” Und wenn man über Frau Müller sprach und ihren Familienstand nicht kannte, dann sagte man eben explizit “Frau oder Fräulein Müller”, um zum Ausdruck zu bringen, dass diese extrem wichtige Information nicht zur Verfügung stand.
Und auch hier könnte man jetzt Jürgens Argumentation anführen: “Ueberall – und ganz besonders in der Wissenschaft – suchen wir nach Wegen, uns noch differenzierter auszudrücken…. nur in der Sprache, da müssen wir die Möglichkeit der Differenzierung abschaffen?”
Nein, ich will nicht die Möglichkeit der Differenzierung abschaffen, die gibt es nach wie vor. Ich will nicht das Geschlecht von Personen verbergen. Ich kann sagen “ich bin verheiratet, ich bin ein Mann”, wenn ich differenzieren will, ich kann sagen “der weibliche Admiral” wenn das Geschlecht wichtig ist. Die Sprache schafft aber nicht die Möglichkeit, sondern sie erzwingt die Differenzierung, ob wir sie wollen oder nicht. So als müsste man immer seine Hautfarbe mit-sagen (siehe den oben verlinkten Text von Hofstadter) oder sein Alter. Man könnte sich ja spaßeshalber eine Sprache vorstellen, die statt Pronomina das Alter benutzt, das wäre dann etwa so:
“MartinB (47) ist ein meist engagierter Blogger. 47s Texte werden von einigen Leuten gern gelesen. 47 arbeitet an einer Universität.”
Wäre auch eine tolle Differenzierungsmöglichkeit – aber eine, die vielen nicht schmecken dürfte (vielleicht wollt ihr nicht, dass irgendwer im Netz weiß, dass ihr erst 14 seid – dann müsstet ihr im Zweifelsfall eine falsche Zahl angeben.) Ich kann mein Alter angeben, ich muss es aber nicht tun.
Also: Don’t ask – don’t tell verbietet es, die eigene homosexuelle Orientierung anzugeben. Was Jürgen und ich wohl beide für richtig halten ist, dass es jedem freigestellt ist, ob er sich “outen” will oder nicht. Was unsere Sprache aber in Sachen Geschlecht tut, ist etwas anderes: Sie zwingt uns dazu, uns zu “outen” oder – wenn wir das nicht wollen – spezielle Konstrukte zu verwenden. Die sprachliche Analogie zur Abschaffung von DADT wäre also, dass wir jetzt jedem Soldaten auf sein Namensschild ein Zeichen malen, das zeigt, ob er oder sie hetero- oder homosexuell ist. (Und wie bei der Sprache würde man weitere Abstufungen nicht zulassen, Pronomina für Transsexuelle haben wir ja nicht.)
In einem Kommentar schreibt Jürgen auch
Die Behauptung, dass nur das Geschlecht, aber nicht die ethnische Identität in der SPrache codiert wird, ist nicht nur unbewiesen, sondern nachweislich falsch. Ich gebe nur ein Beispiel: Namen. Es war ein Ausdruck von Stolz afrikanisch-amerikanischer Eltern, diese Identität auch in Namen auszudrücken
Das ist natürlich richtig. Aber Namen werden so gegeben, wie die Eltern es für richtig halten – und wer mit seinem Namen gar nicht zufrieden ist, der kann ihn auch ändern. Hier ist es nicht die Grammatik der Sprache, die die Zuordnung macht, sondern die Namensgebung der Eltern. Das macht natürlich einen Unterschied. Und natürlich ist auch eine Geschlechtszuordnung über den Namen unproblematisch , weil sie sich immer auf ein konkretes Individuum bezieht. (Wie gesagt, niemandes Geschlecht soll hier “unsichtbar” gemacht werden, es soll nur nicht sichtbarer sein als andere Merkmale, weil es nicht unbedingt wichtiger ist als andere.) Und auch hier ist es so, dass eine Person, die mit der Geschlechtszuordnung ihres Namens nicht einverstanden ist, diesen zur Not auch ändern kann (so wie es ja viele im Internet tun, dazu gleich noch mehr).
Jürgen schreibt weiter
Der Wunsch Martins, dass er doch bitteschön nicht darüber nachdenken mag, ob Admiral N. nun eine Frau oder ein Mann ist, ist einer, der ausschließlich durch seinen Sprachkomfort verursacht wird
Nein – es geht nicht um meine persönliche Variante von “I don’t see color”. Es geht um den Komfort der Betroffenen. Wer häufig bei den Freethoughtblogs liest (gerade zu Themen wie Feminismus), weiß, dass es dort viele KommentatorInnen gibt, die wert darauf legen, dass ihr Geschlecht nicht offenbar ist. Wie bezieht man sich auf diese Personen? Oft wird – evtl. fehlerhaft – angenommen, dass es ein Mann ist (meist weist dann jemand auf die falsche Annahme hin). Ansonsten sagt man “he or she” (siehe oben) es wird eine Konstruktion wie “xe- xir” verwendet. Wenn jemand sein Geschlecht offenbart, dann kann man ja auch “he” oder “she” sagen – warum nicht? Aber wenn jemand es nicht tut, dann wäre es schön, wir müssten hier keine Sonderkonstruktionen verwenden und umständlich “he or she” sagen, so als wäre die Unkenntnis des Geschlechts fürchterlich wichtig. (Eine Geschichte über jemanden im Netz, der sein Geschlecht schließlich offenbart, findet ihr auch hier.) Warum muss ich meinen Studis meine Idee zum Geschlecht mathematischer Nachbarn oktroyieren, wenn ich das mit anderen Eigenschaften auch nicht tun muss. Weil wir sexuelle Wesen sind? Spielt das wirklich eine Rolle, wenn ich die quadratische Konvergenz des Newton-Verfahrens bewiesen haben möchte?
Ein anderer Aspekt des Zitats von Jürgen oben stört mich aber weit mehr:
Nichts anderes als die Forderung an die anders Seienden, ihr Anderssein doch bitteschön für sich zu behalten, uns also nicht zu zwingen, uns damit auseinander zu setzen.
Wer ist hier so anders, dass sein Anderssein thematisiert werden muss? Frauen? Solange wir (siehe die 99 Sängerinnen) ein generisches Maskulinum verwenden, implizieren wir, dass Frauen anders sind. Und das ist wieder die Annahme des männlichen Default-Menschen, die letztlich dahinter steckt. “Andere”, wie Schwule, Transsexuelle, sollen das Recht haben, ihr “Anderssein” nicht zu verstecken, und aus dieser Logik folgt, dass auch Frauen sich sprachlich nicht “verstecken” sollen? Angesichts von etwa 50% Frauen auf der Welt halte ich das für eine zumindest unglückliche Formulierung. (Übrigens auch bezogen auf Homosexuelle etc. – dahinter steckt immer die Annahme, es gäbe einen “Normalzustand”, und wir sind so “tolerant”, jedem ein Abweichen zu erlauben und es sogar kund zu tun.) Unsere Sprache funktioniert eben so, das “wir müssen den Text erst gendern” eben bedeutet “wir müssen Frauen sichtbar machen”. Und das liegt daran, dass unsere Sprache keine einfache geschlechtsneutrale Bezeichnung für “Jemanden der singt” zur Verfügung stellt, sondern nur Hilfskonstruktionen erlaubt. Das Nicht-Verwenden des generischen Maskulinums hilft zwar, Frauen sichtbar zu machen (und ist deswegen auch lobenswert), aber es löst das Problem nicht wirklich – denn Frauen sind nicht “anders” und sollten sprachlich keiner speziellen “Sichtbarmachung” bedürfen.
Jürgen sagt weiter:
Gleichberechtigung heißt eben nicht, dass Frauen, Schwule, Schwarze etc. nicht als solche wahrgenommen werden, sondern dass sie sie selbst sein können, ohne dass es irgend einen Nachteil für sie bringt. Wenn sie ihre Identität nicht mehr unsichtbar machen müssen, sondern ungehindert Frauen, Schwule, Schwarze, Transgender oder was auch immer sein können.
Richtig. Aber Gleichberechtigung heißt eben auch nicht, dass wir Frauen (oder Schwule, Schwarze etc.) dazu zwingen müssen, in jedem Satz, der über sie gesagt wird, ihr Frau-, Schwul- usw.-Sein thematisieren zu lassen. (Das gleiche gilt logischerweise auch für Männer.) Schön wäre es, wir könnten ihnen und uns die Freiheit geben, selbst zu entscheiden, wann sie es ansprechen wollen (dann sagen wir eben “der weibliche Bundeskanzler”, “der schwarze Präsident”) und wann sie das nicht möchten oder wann es für den Kontext unwichtig ist. Und das erlaubt die (deutsche) Sprache bei allen Eigenschaften, mit Ausnahme des Geschlechts. (Bevor das jemand missversteht: ich trete nicht dafür ein, nur noch das generische Maskulinum zu verwenden – spätestens bei den zugehörigen eindeutig männlichen Artikeln und Pronomina merkt man, dass das nicht unproblematisch ist. Deswegen ist der Star Trek-Lösung auch nicht wirklich eine Lösung, es sei denn, wir schaffen alle weiblichen (oder alle männlichen) Formen konsequent ab.)
Ist die Sprache damit – wie ich mehrfach gesagt habe – sexistisch, weil sie diese Differenzierung beim Geschlecht erzwingt (aber eben nicht rassistisch, weil sie es bei der “Rasse” nicht tut)? Eine nicht geschlechtergerechte Sprache (also eine, die sich ohne viel Mühe des generischen Maskulinums bedient und die 99 Sängerinnen und den einen Kerl zu “100 Sänger” zusammenfasst) ist wohl auf jeden Fall sexistisch, weil sie Frauen unsichtbar macht. Aber – so ja das Argument – das ist eben ein falscher Gebrauch der Sprache, denn man kann sich ja geschlechtergerecht ausdrücken, auch wenn das manchmal etwa Mühe macht (nicht umsonst heißt einer vor Jürgens Texten ja “Die Mühe beim Sprechen). Wie ist es also mit der geschlechtergerechten Sprache?
Sie ist insofern nicht sexistisch, als sie – richtig angewandt – Frauen nicht direkt diskriminiert. Nichtsdestotrotz lenkt sie unser Augenmerk immer auf das Geschlecht der Personen, um die es gerade geht (ist meine fiktive Person nun “der Mathematiker” oder “die Mathematikerin”?) und macht es schwierig (beispielsweise im Internet) das Geschlecht einer Person unklar zu lassen – dazu braucht es besondere Konstruktionen wie “er oder sie”, die dann wieder offenbaren, dass wir das Geschlecht nicht kennen. In diesem Sinne auch die geschlechtergerechte Sprache immer noch sexistisch – man könnte hier auch “geschlechtsfixiert” sagen, weil dieser Aspekt der Sprache nicht diskriminiert (und ganz besonders wirft sie natürlich Probleme für Menschen auf, die nicht in herkömmliche Geschlechtsschemata passen).
Hinzu kommt aber noch etwas weiteres: Die Sprache macht uns das geschlechtergerechte Formulieren auf Grund ihrer Struktur (Artikel und Personalpronomina) nicht immer einfach, das machte ja auch der oben zitierte Leitfaden deutlich, wenn er von “Entlastungsstrategien” spricht – eine geschlechtergerechte Sprache bürdet uns eine Last auf. Sie ist nicht so groß, dass man sie nicht tragen könnte, aber sie ist auch nicht verschwindend. Diese Mühe impliziert, dass Frauen (und es sind ja eben Frauen, nicht einfach beide Geschlechter gleichermaßen) eine sprachliche “Sonderbehandlung” brauchen – und genau wie jede andere Sonderbehandlung auf Grund des Geschlechts ist das letztlich immer noch sexistisch. Und weil diese Extra-Mühe etwas ist, das die Sprache uns aufzwingt, ist die Sprache selbst in diesem Sinne sexistisch.
Man kann das vielleicht mit einer Analogie ganz gut erklären. Nehmen wir das beliebte Betriebssystem Windows 95 (ja, ich bin ja schon älter – und in den Kommentaren bitte nicht über Betriebssysteme diskutieren). Es war dafür bekannt, sehr anfällig für Viren und andere Sicherheitsangriffe zu sein. Natürlich konnte man sich vor diesen Angriffen schützen – man konnte Virenscanner installieren, firewalls hochziehen, das automatische Verbinden von Netzlaufwerken im Intranet einschränken und viele andere Dinge tun (und das tat man auch besser, sonst gab es unerfreuliche Überraschungen). Jemand, der andere Betriebssysteme verwendet, die inhärent sicherer sind als Win95, konnte deshalb sagen “Windows 95 ist ein unsicheres Betriebssystem.” Ein Windows-Verfechter konnte dem natürlich entgegenhalten: “Nein, ist es nicht, man muss eben nur Virenscanner installieren, und firewalls, und natürlich die updates und service packs nicht vergessen, und ab und an schaut man auch bei der Microsofthomepage, ob es neue Sicherheitslücken gibt. Wenn man das tut, ist das System sicher.” “Mag sein”, so die Antwort, “aber es zwingt dich, ständig über Sicherheit nachzudenken. Ein gutes Betriebssystem sollte inhärent sicher sein, so dass du deinen Kopf für andere Sachen frei hast.”
Ganz genauso ist es mit unserer Sprache. Sie ist nicht inhärent geschlechtergerecht, man kann sie geschlechtergerecht einsetzen, aber die hierfür notwendige Mühe lenkt unser Augenmerk eben auch dann auf das Geschlecht, wenn dieses im Kontext vollkommen unwichtig ist, und sorgt dafür, dass wir Frauen sprachlich eine Sonderbehandlung zukommen lassen müssen, weil wir sie “sichtbar machen” müssen.
Man kann sich das auch mit einer sehr naheliegenden Analogie veranschaulichen: In vielen gesellschaftlichen Bereichen (beispielsweise der Wissenschaft) sind Frauen ja unterrepräsentiert. Entsprechend gibt es Förderpläne und Richtlinie, die z.B. für eine bevorzugte Einstellung von Frauen bei gleicher Qualifikation sorgen und die Frauen auch ansonsten besonders unterstützen. Das ist – meiner Ansicht nach – auch gut und richtig so. Ziel dieser ganzen Fördermaßnahmen ist es aber natürlich letztendlich, sich selbst überflüssig zu machen, weil die Unterrepräsentation von Frauen eines Tages hoffentlich einfach nicht mehr existiert und das Geschlecht dann für die Frage, ob jemand brillant in Physik ist, eben gar keine Rolle mehr spielt, auch nicht in den Köpfen. Man kann hoffen, dass auch die geschlechtergerechte Sprache so funktioniert, dass uns die “gegenderte” Sprechweise eines Tages so in Fleisch und Blut übergegangen ist, dass es eben keiner Extra-Mühe mehr bedarf, sich geschlechtergerecht auszudrücken. Ich bezweifle aber, ob das ohne eine echte und auch grammatikalische Änderung der Sprache wirklich möglich ist – dazu sind Ausdrücke wie “der Mathematiker” oder auch “jemand, der” meiner Ansicht nach zu tief in unserer aktuellen Sprache verankert.
Fazit:
Ich gebe Jürgen recht, dass die Sprache geschlechtergerecht verwendet werden kann. Ich finde das nicht ganz so einfach wie er und ich sehe durchaus einen Unterschied darin, ob ich z.B. einen Satz im Singular oder Plural schreibe, oder ob ich “ein X” oder “wer X tut” oder “der X-ende” hinschreibe, und finde es zumindest unschön, wenn eine geschlechtergerechte Sprache mich zu sprachlichen Umwegen zwingt. (Es ist ja nicht nur die Mühe beim Sprechen, sondern eben auch beim Lesen – deswegen sprach der Leitfaden ja auch von Entlastungsstrategien; die sollen das Lesen leichter machen.) Eine geschlechtergerecht verwendete Sprache ist aber auf jeden Fall nicht in dem Sinne diskriminierend, wie es eine ist, die das generische Maskulinum verwendet, das ist richtig.
Auch eine geschlechtergerechte Sprache ist aber meiner Ansicht nach aus den genannten Gründen sexistisch – sie zwingt uns, uns ständig mit dem Geschlecht von Personen auseinanderzusetzen und bürdet uns eine Extra-Last auf, wenn wir gerecht sein wollen. Da die Extra-Last sich auf das Einbeziehen von Frauen bezieht, handelt es sich um eine eigentlich nicht wünschenswerte Sonderbehandlung.
Mein (im Deutschen im Moment wohl ohne weiteres nicht zu verwirklichendes) Ideal wäre eine geschlechtsneutrale Sprache, eine, in der das Geschlecht in der Grammatik zunächst genauso unsichtbar ist wie das Alter oder die Hautfarbe. Eine, in der “der Admiral” eben genausogut ein Mann wie eine Frau sein kann und in der das Geschlecht nur dann erwähnt werden muss, wenn es sinnvoll und wünschenswert ist.
Da es dieses Idealdeutsch nicht gibt, werde ich aber wohl weiter mit zumindest geschlechtergerechten Formulierungen experimentieren – sie sind auf jeden Fall besser als die generische Alternative.
Nachbemerkung:
Falls irgend jemand alte Texte von mir durchforstet, wird er oder sie (da ist es wieder…) merken, dass das, was ich hier schreibe, sich nicht zu 100% mit dem deckt, was ich letztes oder vorletztes Jahr geschrieben habe. Das ist mir bewusst – ich habe meine Meinung in den letzten Tagen etwas geändert, nachdem mir der Unterschied zwischen einer geschlechtergerechten Sprache, die Frauen explizit sichtbar macht, und einer (leider hypothetischen) geschlechtsneutralen Sprache klar geworden ist. Allein dafür haben sich zumindest für mich die Diskussionen gelohnt, auch wenn gelegentlich die virtuellen Fetzen flogen.
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