Das Erdmittelalter oder Mesozoikum gilt ja als das Zeitalter der Dinosaurier oder der Reptilien (auch wenn der Begriff “Reptilien” unter den Paläontologen etwas in Ungnade gefallen ist. Aber es gab damals auch noch andere faszinierende Lebewesen, sogar hier in Deutschland (das damals aber noch nicht “hier” lag, sondern weiter südlich).
Vor einiger Zeit habe ich schon über eins dieser Viecher erzählt, den Mastodonsaurus (und seine bewegte Rekonstruktionsgeschichte). Gleichzeitig mit dem mastodonsaurus lebte ein anderes seltsames Urtier, Gerrothorax pulcherissmimus. Hier ein Fossil von Gerrothorax (von Wikipedia, Nutzer Ghedoghedo):
Von Ghedoghedo – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link
Oben erkennt ihr den Schädel (der wird uns gleich noch im Detail beschäftigen), darunter die Rippen, die wohl für den Namen verantwortlich sind – Gerrothorax pulcherissimus heißt so viel wie “allerschönste Korbbrust”, wenn ich es richtig sehe (oder genauer “Korbbrustkorb”, aber das klingt blöd).
So etwa (Bild von Wikipedia, Nutzer Nobu Tamura, (https://spinops.blogspot.com) – der Link führt euch zu vielen schicken Bildern, hier beispielsweise eins von einem Microraptor, der einen Vogel jagt) könnte der lebende Gerrothorax ausgesehen haben:
By Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Own work, CC BY 3.0, Link
Wie ihr unschwer erkennt, sieht er aus wie eine etwas deformierte Kaulquappe – Gerrothorax gehört zu den Amphibien (zur Gruppe der Temnospondylen) und war ein wasserlebendes Tier, das (wie der heutige Axolotl) seine Kiemen auch als Erwachsener behielt. Gerrothorax konnte Längen von etwa einem meter erreichen, war also als Kaulquappe etwas überdimensioniert.
Die kurzen Beinchen und der eher stummelige Schwanz erwecken nicht gerade den Eindruck eines geschickten Jägers, der seiner Beute besonders aktiv nachstellt. Vermutlich lag Gerrothorax auf dem Boden von Seen oder Flüssen (zum Lebensraum kommen wir noch) herum und schnappte nach Beute, wenn die vorbeischwamm.
Das bringt natürlich ein problem mit sich: Wenn ihr euch vorstellt, ihr seid so ein Gerrothorax mit einem Hals, der etwa so lang ist wie der von Barney Geröllheimer, und ihr wollt nach einem vorbeischwimmenden Fisch schnappen, dann stellt sich eine knifflige Aufgabe: Wie zum Henker kriegt ihr das Maul auf? Denn unter euch ist der Boden, wenn ihr also den Unterkiefer aufklappen wollt, dann geht das nur, wenn ihr vorher ein Loch gegraben habt, aber wenn der Fisch nicht gerade freiwillig in dieses Loch reinschwimmt, dann nützt das auch nicht viel.
Man hatte deswegen schon lange vermutet, dass Gerrothorax nicht den Unterkiefer, sondern den Oberkiefer aufklappen konnte (das wiederum erinnert an Ernies guten Kumpel Bert aus der Sesamstraße, der ja auch den Kopf beim Sprechen bewegt und den Unterkiefer nicht). Eine genaue biomechanische Untersuchung im Jahr 2008 (an der auch Steve Gatesy beteiligt war, mit dem ich ja auch mal zusammengearbeitet habe – er hat mir freundlich das nicht frei verfügbare paper geschickt (mit dem etwas sarkastischen Kommentar “You’re probably bringing the number of interested readers up into the double digits!” (weia, der Klammerteufel hat mich wieder im Griff (oder ist das der Klammeraffe?))) – also, besagte biomechanische Untersuchung ergab, dass der erste Halswirbel (der Atlaswirbel) des Gerrothorax tatsächlich so angeordnet war, dass der Kopf nach oben klappen konnte. So etwa wird das im paper rekonstruiert:
Aus Jenkins et al., s.u.
Oben bei A seht ihr den Schädel im geschlossenen Zustand, unten den geöffneten, die beiden Teilbildchen B und D zeigen, wie der Atlas und der Schädel verbunden sind, damit der Kopf nach oben klappen konnte. Dieser Öffnungsmechanismus hat dem Gerrothorax den wenig schmeichelhaften Vergleich mit einem Klodeckel eingetragen – ähnlich wie man den hochklappt, hat Gerrothorax seinen Kopf aufgeklappt.
Freundlicherweise hat mir David Maas erlaubt, eins seiner Bilder hier zu präsentieren, das den Deckelmechanismus am lebenden Tier illustriert:
Eine spätere Untersuchung hat allerdings kleine Zweifel an diesem Öffnungsmechanismus aufgeworfen – nicht, dass der Gerrothorax den Deckelmechanismus nicht nutzen konnte, aber untersucht man die Muskeln und den hyobranchial-Apparat (HILFE! Ich habe keinen Schimmer, was hyobranchial apparatus auf Deutsch heißt – ich kürze das jetzt, um meine Ahnungslosigkeit zu vertuschen, mit HA ab) – das sind die oben im Bild hell eingezeichneten Streben unter dem Unterkiefer, die sich nicht verändern – dann ergibt sich ein ganz anderes Bild. Tatsächlich sah das ganze nämlich vermutlich eher so aus:
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