Unsere Sonne schickt ja Licht mit unterschiedlichen Frequenzen zur Erde. Trägt man die Intensität des Lichts gegen die Wellenlänge auf, dann sieht man, dass das Maximum bei einer Lichtwellenlänge von etwa 500 Nanometern (also ein 2000tel Millimeter) liegt. Ziemlich genau in diesem Bereich liegt auch die maximale Empfindlichkeit unserer Augen. Es liegt also nahe, anzunehmen, dass diese beiden Dinge etwas miteinander zu tun haben – unsere Augen haben sich ja im Laufe der Evolution angepasst. Leider entspricht diese – weit verbreitete – Idee nicht der Wahrheit.
Bevor ich erkläre, warum das so ist, muss ich erst mal ein Geständnis loswerden: Bis vor kurzem stand das auch in einem meiner Vorlesungsskripte genau so wie oben erzählt. Klingt ja auch plausibel, warum sollte man es also nicht für korrekt halten?
Bevor ich erkläre, wo das Problem steckt, hier erst einmal ein Bild des Sonnenspektrums (Bild von Robert A. Rohde, aus Wikipedia):
R.A. Rohde, CC BY-SA 3.0, LinkIn gelb seht ihr das Spektrum der Sonne an der Oberkante der Atmosphäre, in rot das, was unten ankommt. Die einzelnen markierten Moleküle sind die, die in der Atmosphäre einiges vom Licht absorbieren. Die blaue Linie gibt schließlich das theoretische Strahlungsspektrum eines idealen Körpers an, der eine Temperatur von 5250°C hat. Die Detail sind für uns aber gar nicht so wichtig, wichtig ist, dass ihr erst einmal seht, dass es ein klares Maximum bei etwa 500 Nanometern (1Nanometer=1 Millardstel Meter) gibt. Für das was kommt, können wir die Feinheiten der Absorption erst einmal ignorieren.
Ebenfalls eingezeichnet ist der Bereich des sichtbaren Lichts.
Hier als nächstes ein Bild der Lichtempfindlichkeit unserer Augen:
Maxim Razin , CC BY-SA 3.0, Link
Eingezeichnet ist die Empfindlichkeit der Augen für die drei Grundfarben sowie die Lichtempfindlichkeit der Stäbchen, die für’s Sehen bei wenig Licht zuständig sind. (Wenn ihr mehr über unser Farbsehen wissen wollt, klickt hier.) Auch hier sind die Details nicht so wichtig, aber dass insbesondere die Stäbchen ihr Empfindlichkeitsmaximum ziemlich genau in dem Bereich habe, wo auch das Maximum des Sonnenspektrums oben liegt, ist hoffentlich gut zu erkennen.
Wo also steckt das Problem? Dazu muss man sich angucken, was die Kurve des Sonnenspektrums, die ich oben gezeigt habe, eigentlich genau bedeutet. Dargestellt ist ja die Lichtintensität als Funktion der Wellenlänge. Die Einheit für die Intensität ist Watt pro Quadratmeter pro Nanometer. Watt ist die Einheit der Leistung (also der Energie pro Zeiteinheit), und die wird auf einen Quadratmeter normiert, weil – na klar – auf eine größere Fläche auch mehr Sonnenlicht fällt. (Deswegen kann man mit einer Lupe ja auch kokeln: Man sammelt das Licht, das auf einen großen Bereich fällt und fokussiert es auf einen kleinen Punkt.)
Und warum wird die Strahlungsleistung in Watt pro Quadratmeter noch einmal durch einen Wert in Nanometern geteilt? Nun, wir wollen ja wissen, wieviel Licht bei einer bestimmten Wellenlänge ausgesandt wird. Die Wellenlänge ist aber eine reelle Zahl; man kann sie prinzipiell mit sehr hoher Genauigkeit angeben. Es ergibt nicht so schrecklich viel Sinn, sich zu fragen, wieviel Licht bei einer Wellenlänge von 502,65387245617 Nanometern ausgesandt wird. Also muss man die Lichtleistung irgendwie passend normieren. In der Grafik ist entsprechend angeguckt, wie groß die Strahlungsleistung pro Nanometer ist – ihr könnt euch also vorstellen, dass man erst alles Licht misst, das eine Wellenlänge zwischen 500 und 501nm hat, dann alles zwischen 501 und 502 usw. Ganz ähnlich würde man es auch machen, wenn man zum Beispiel die Körpergröße von Menschen statistisch angibt – dann könnte man sagen, in Deutschland leben (rein geraten) 1,34 Millionen Menschen mit einer Größe zwischen 172 und 173cm, 1,41Millionen mit einer Größe zwischen 173 und 174cm und so weiter.
Ist daran irgendetwas auszusetzen? Erst einmal nicht, könnte man meinen. Doch Licht hat ja nicht nur eine Wellenlänge, sondern auch eine Frequenz – die Zahl der Schwingungen pro Sekunde. Diese beiden hängen miteinander zusammen: Das Produkt aus Wellenlänge und Frequenz ergibt gerade die Lichtgeschwindigkeit. Große Wellenlängen heißen also niedrige Frequenzen und umgekehrt. Wenn wir Licht mit einer Wellenlänge von 500 Nanometern ansehen, dann hat es eine Frequenz von 6 1014 Hertz (also Schwingungen pro Sekunde). Unser Wellenlängenintervall von 500 bis 501 Nanometer überstreicht dann den Frequenzbereich von 5,98 1014 Hertz (entsprechend 501 Nanometer) bis 6 1014 (entsprechend 500 Nanometer), also eine Breite von 2 1012 Hertz.
Schauen wir dagegen bei einer Wellenlänge von 800 Nanometern, dann entspricht dem Intervall von 800-801 Nanometern eine Frequenz zwischen 3,745 1014 und 3,75 1014 Hertz, hat also nur eine Breite von 5 1011 Hertz; es ist also deutlich kleiner geworden. (Wer’s mathematisch mag: Aus c=νλ folgt dν= -c dλ/λ².)
Wenn man also die Intensität des Lichts nicht auf die Wellenlänge, sondern auf die Frequenz normiert (zum Beispiel auf Intervalle mit einer Breite von 1014 Hertz), dann umfassen sie bei großen Wellenlängen einen größeren Bereich und enthalten somit mehr Licht. Diese beiden Grafiken (aus dem paper von Soffer und Lynch) zeigen das sehr deutlich. Hier erstmal das Standard-Bild:
Aus Soffer und Lynch, s.u.
Unten seht ihr die Skala für die Wellenlänge, so wie vorher, oben die für die Frequenz, an der schon deutlich wird, wie sich die Intervalle verschieben. Gleiche Wellenlängenintervalle sind offensichtlich nicht gleiche Frequenzintervalle. Unten im Bild ist nochmal die Effizienz unseres Auges aufgetragen und man sieht sehr schön, wie die Maxima nahezu perfekt zusammenpassen.
Schaut man sich dagegen den gleichen Plot für die Frequenz an, dann sieht das Bild so aus:
Aus Soffer und Lynch, s.u.
Und hier sieht man jetzt, dass in dieser Auftragung die beiden Maxima gar nicht mehr zusammenpassen – das Maximum des Sonnenspektrums liegt jetzt in einem Bereich, den wir nicht mehr wahrnehmen können (nämlich im Infraroten.)
Und welches Bild ist nun “richtig”? Letztlich sind beide gleich gut und gleich richtig – wir können die Intensität auf die Wellenlänge oder die Frequenz normieren (oder auf jede andere Variable, auch das Quadrat der Wellenlänge oder der Logarithmus wäre in Ordnung). Bei Dichteverteilungen gibt es immer unterschiedliche Möglichkeiten der Normierung, ob eine davon besser ist als eine andere, hängt von der Fragestellung ab. Für unseren konkreten Fall des Sonnenspektrums gibt es letztlich keine Darstellung, die besonders ausgezeichnet oder “besser” ist.
“Moment”, sagt jetzt vielleicht jemand, ” wie ist es denn mit der Empfindlichkeit unseres Auges? Müssten wir die nicht auch entsprechend umrechnen, so dass sich das Maximum auch verschiebt?” Nein, das müssen wir nicht. Man kann es schon daran sehen, dass wir offensichtlich nicht durch eine bloße Umrechnung infrarotes Licht wahrnehmen können. Wenn wir Licht detektieren, dann spielt es keine große Rolle, ob das Licht eine Wellenlänge von 500Nanometer oder 500.001 Nanometer hat – wir fragen uns einfach, wieviel Licht wir wahrnehmen (wie stark also die Reizung unserer Netzhaut ist), wenn eine bestimmte Energiemenge bei einer Wellenlänge von 500Nanometer einfällt – solange das einfallende Licht in hinreichend guter Näherung deine einzige Wellenlänge hat, spielt die genaue Breite des Wellenlängenintervalls keine Rolle, es kommt nur auf die Energiemenge an.
Ist unser Auge denn nun optimiert? Nicht besonders, muss man fairerweise zugeben. Insekten und Vögel können beispielsweise Bereiche des Spektrums sehen, die uns nicht zugänglich sind; das allein zeigt schon, dass es mit der Optimierung so weit nicht her sein kann. Licht mit Wellenlängen von weniger als etwa 320 Nanometer kommt auf der Erdoberfläche nahezu nicht an (wie ihr im obersten Bild sehen könnt) – da liegt also eine natürliche Untergrenze für das sichtbare Licht. Umgekehrt gibt es auch eine Obergrenze: Wäre unser Auge empfindlich für Licht mit Wellenlängen von mehr als 1400 Nanometern, dann würden wir auch dann etwas sehen, wenn wir die Augen zumachen, denn dann würde die Wärme innerhalb unseres Körpers ausreichen, die Sehzellen anzuregen.
Das verfügbare Spektrum hat also eine Breite zwischen 320 und 1400 nanometern. Davon sehen wir nur einen vergleichsweise kleinen Teil, der etwa 20 % der gesamten Strahlungsleistung ausmacht. Besonders optimal erscheint das nicht. Sollte die Evolution nicht besseres leisten?
Eine mögliche Antwort darauf (aus dem paper von Soffer und Lynch) ist die Absorption von Wasser. Das Sehen hat sich ja im Wasser entwickelt und entsprechend sollte man erwarten, dass das Auge vor allem in den Bereichen empfindlich ist, die nicht durch Wasser absorbiert werden können. Das Absorptionsspektrum von Wasser und die Empfindlichkeit unserer Augen passen einigermaßen gut zusammen. Ich halte diese Erklärung aber für etwas fragwürdig – immerhin hat sich die Empfindlichkeit der Augen (zumindest bei den Stäbchen) im Laufe der Evolution verschoben und andere Tiere haben andere Empfindlichkeitsbereiche; einige Frösche beispielsweise können bis in den Bereich von 330 Nanometern hinein sehen. Da Frösche genau wie wir von (denselben) Wassertieren abstammen, stellt sich die Frage, warum die Frösche diese Bereiche sehen können und wir nicht.
Eine mögliche Antwort, die mir dazu einfällt, ist die, dass wir uns ja aus Nachttieren entwickelt haben. Schaut man sich das Spektrum des Mondlichts an, das man auf dieser Seite findet, dann sieht man, dass Mondlicht weniger blaue und ultraviolette Anteile hat als Sonnenlicht. Dass wir in diesem Bereich nicht so gut sehen, könnte also daran liegen, dass wir uns mehr an das Licht bei nacht angepasst haben. (Achtung, diese Spekulation ist auf meinen eigenen Mist gewachsen und nicht irgendwie abgesichert.)
Ein anderes Problem, das die möglichen wahrnehmbaren Wellenlängen einschränken könnte, sind die Moleküle, die zur Lichtwahrnehmung zur Verfügung stehen. Je größer die Lichtwellenlänge, desto kleiner ist die Energie der Photonen, und das bedeutet auch, dass die Moleküle, die das Licht absorbieren sollen, immer größer werden müssen (das liegt an den Energieniveaus der Elektronen in den Molekülen, die bei langen Molekülen dichter zusammenrücken). Solche langen Moleküle tendieren dazu, instabil zu werden, so dass es vielleicht mit größerem Aufwand verbunden ist, sie im Körper herzustellen. (Diese Spekulation wiederum stammt direkt aus dem paper von Soffer und Lynch.)
Ob das Auge also in irgendeiner Weise für das Sonnenspektrum oder das Licht auf der Erde optimiert ist, ist nicht so klar (obwohl es natürlich daran angepasst ist, das ist keine Frage (ich sehe schon, wie dieser Text von irgendwelchen Kreationisten missbraucht wird – auch wenn die sich dann natürlich fragen lassen müssen, warum denn Gott – Verzeihung, der “intelligente Designer” – das Auge nicht optimiert hat)). Wie so oft zeigt sich, dass eine scheinbar einfache und überzeugende Idee am Ende leider doch nicht stimmt.
PS: Durch ein kleines Versehen (falschen Knopf geklickt) war kurzfristig ein Entwurf des textes freigeschaltet – alle die das verwirrt hat, bitte ich um Entschuldigung.
Some paradoxes, errors, and resolutions concerning the spectral optimization of human vision
B. H. Soffer, D.K. Lynch,
Am. J. Phys. 67 (11), November 1999
A better presentation of Planck’s radiation law
Jonathan M. Marr and Francis P. Wilkin
https://arxiv.org/abs/1109.3822v3
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