In China und Japan ist es zwei Teams gelungen, unabhängig voneinander ein neues Teilchen zu entdecken. Ja, auch wenn man es manchmal nicht glauben mag: Nicht alle Entdeckungen in der Teilchenphysik werden am Großbeschleuniger beim CERN gemacht. Der ist zuständig, wenn es um richtig große Energien geht. Die beiden Beschleuniger in Japan und China arbeiten bei etwa einem Tausendstel der Energie des LHC – aber dafür arbeiten sie wesentlich “sauberer”.
Am LHC ballert man ja Protonen aufeinander – Teilchen, die nicht elementar sind, sondern sich aus jeweils drei Bausteinen, den Quarks, zusammensetzen (zusätzlich enthalten sie auch noch jede Menge Bindungsteilchen, die Gluonen, und auch noch “virtuelle” Quarks). Protonen haben eine große Masse, und das ist vorteilhaft, weil man massive Teilchen besser auf Kreisbahnen beschleunigen kann. Deswegen kann man die Protonen auf sehr große Energien beschleunigen (dicht an der Lichtgeschwindigkeit bringt ja Beschleunigung nahezu keinen Zuwachs an Geschwindigkeit mehr mit sich, wohl aber an Bewegungsenergie). Damit kann man die Protonen dann so stark beschleunigen, dass beim Zusammenprall auch sehr schwere Teilchen entstehen können wie beispielsweise das Higgs.
Aber so ein Protonenzusammenprall ist eine ziemlich unsaubere Angelegenheit. Man weiß ja nie, welches Quark im einen Proton mit welchem im anderen mit welcher Geschwindigkeit zusammengestoßen ist (Protonen bestehen aus zwei up- und einem down-Quark, die unterschiedliche Eigenschaften haben, und die bewegen sich ja auch im Proton hin und her) und muss deshalb mühsam versuchen, zu rekonstruieren, was nun eigentlich beim Zusammenprall passiert ist.
Wesentlich sauberer ist es, wenn man Elektronen auf Positronen schießt. Die sind nämlich jeweils Antiteilchen zueinander – wenn ein Elektron frontal auf ein Positron trifft, dann haben beide in der Summe keine Ladung, keine Geschwindigkeit, und auch sonst netto eigentlich keine Eigenschaften – das ist so ungefähr die beste Annäherung an den von einem bekannten Vulkanier vielzitierten Zustand “reiner Energie”. Wenn man also die Analyse möglichst einfach und präzise haben will, dann schießt man am besten Elektronen auf Positronen. Weil die sehr leicht sind, strahlen sie allerdings viel elektromagnetische Strahlung ab, wenn man sie auf eine Kreisbahn zwingt (was man in Beschleunigern ja meist tut, weil die sonst sehr lang werden müssten), und das begrenzt die Energiemenge.
Bei den beiden Experimenten KEK in Japan (mit dem Belle-Detektor) und am Beijing Electron Positron Collider (mit dem Detektor BESIII) hat man den Energiebereich von etwa 4 GeV untersucht. GeV=Gigaelektronenvolt ist eine handliche Energieeinheit in der Elementarteilchenphysik; wegen der Beziehung E=mc² kann man auch Massen als Energien (also in GeV) ausdrücken. Ein Proton hat beispielsweise eine Masse von 0,938GeV, das Elektron von nur 0,000511GeV. Massen von 4GeV sind in der heutigen E-Teilchen-Physik (ja, so kürzt man Elementarteilchen ab, jedenfalls alle Physikerinnen, die ich kenne) nicht so wahnsinnig groß – schon in den 80ern hate man die W- und Z-Teilchen mit Massen von 80 und mehr GeV entdeckt. Eigentlich sollte man also denken, dieser Massenbereich sei gut untersucht – ist er auch.
Wenn man aber genau hinsieht, dann kann man vielleicht doch etwas Neues entdecken: Denn was passiert, wenn ein Elektron und ein Positron aufeinandertreffen, hängt auch immer vom Zufall ab – es können ganz unterschiedliche Teilchenkombinationen entstehen. (Das liegt natürlich daran, dass hier Quantenprozesse im Spiel sind, die haben ja (fast) immer eine Zufallskomponente.) Entsprechend lohnt es sich also, auch diese Energiebereiche detaillierter zu untersuchen um zu sehen, ob sich nicht etwas interessantes finden lässt.
Und das lässt es tatsächlich. Es ist zwar kein neues wirklich elementares Teilchen (wie etwa das Higgs oder die W’s und Z’s), aber es ist ein Teilchen, das sich sehr ungewöhnlich verhält.
Um es zu finden, muss man allerdings eine ziemlich komplizierte Datenauswertung machen. Wie schon erklärt, entstehen bei der Kollision von Elektron und Positron ja alle möglichen Teilchen. Man kann jetzt die einzelnen Prozesse jeweils analysieren und schauen, welche Teilchen herausgekommen sind. Meist wird das irgend etwas langweiliges sein, was man schon kennt. Manchmal aber findet man auch ungewöhnliche Endprodukte.
Ein solches eher ungewöhnliches Endprodukt besteht aus drei Teilchen – zwei sind ziemlich gewöhnliche, nämlich Pionen (ein seit langem bekanntes Teilchen, dass sich aus einem up-Quark und einem Down-Antiquark oder umgekehrt zusammensetzt – je nachdem hat man ein positives oder negatives Pion). Das andere Teilchen ist das J/Ψ, ein Teilchen, das aus einem Charm-Quark und einem Charm-Antiquark besteht. (Es ist das einzige Teilchen, das einen Doppelnamen trägt – es wurde in den 70er Jahren von zwei Gruppen nahezu gleichzeitig entdeckt, die eine wollte es J nennen, die andere ψ; um niemandem auf die Füße zu treten, hat man sich dann auf den Doppelnamen geeinigt.)
Das J/Ψ ist deswegen ein wichtiges Teilchen, weil es aus einem Quark und seinem Antiquark besteht – es war seinerzeit der Beweis dafür, dass es ein viertes Quark, nämlich eben das Charm-Quark, geben muss. (Neben dem up- und down kannte man schon das strange-Quark. Inzwischen kennen wir noch das Top- und das Bottom-Quark.)
Man sortiert jetzt aus allen denkbaren Zerfällen nur diejenigen heraus, bei denen zwei Pionen (ein positives und ein negatives) und ein J/Ψ entstanden sind. (Diese Teilchen erkennt man daran, dass sie auf charakteristische Weise weiter zerfallen, was man dann in den Detektoren feststellen kann, aber über Detektoren schreibe ich jetzt nichts, sonst kommen wir nie zum “Tetra-Pak”. Der Begriff “Endprodukt” oben ist aber deswegen mit etwas Vorsicht zu genießen, weil die teilchen ja nicht stabil bleiben.) Man beschränkt sich also auf den Prozess
Elektron + Positron → π+ + π– + J/Ψ
Dieser Prozess sollte mit einer bestimmten Häufigkeit stattfinden – er ist ja einer von vielen möglichen Prozessen, und weil man die beteiligten Teilchen gut kennt, kann man ziemlich gut berechnen, wie oft man diesen Prozess bei unterschiedlichen Energien finden sollte.
Diese beiden Plots hier zeigen das Ergebnis, einmal das aus Japan und einmal das aus China. Aufgetragen ist jeweils die Wahrscheinlichkeit für den Prozess (geeignet normiert) gegen die Energie.
Lasst euch nicht verwirren – wichtig sind für uns nur zwei Kurven: Die blauen Kurven (einmal gestrichelt, einmal nicht) geben an, was man erwarten würde, die Datenpunkte mit den Fehlerbalken zeigen das, was man tatsächlich findet und die roten Kurven sind ein Fit durch diese Datenpunkte. (Ob sich die Teams beim Erstellen der Bilder abgesprochen haben und deshalb genau dasselbe farbschema verwenden oder ob das daran liegt, dass sie dieselbe Software haben, weiß ich nicht.)
Bei einer Energie von etwa 3,9GeV findet man also eine deutlich höhere Wahrscheinlichkeit für den oben hingeschriebenen Prozess, als man eigentlich erwarten würde. So etwas passiert immer dann, wenn sich ein zusammengesetztes Teilchen bilden kann – auch andere Elementarteilchen (wie etwa das Higgs) hat man genau durch solche erhöhte Wahrscheinlichkeiten nachgewiesen. (Leicht vereinfacht kann man sich das so erklären, dass ein zusätzliches Teilchen eben auch eine zusätzliche Möglichkeit für einen Prozess liefert, so dass die Wahrscheinlichkeit insgesamt größer wird.)
Alles spricht also dafür, dass bei dieser Energie ein neues Teilchen gebildet wird – das als Zc(3900) bezeichnet wird – dabei steht der Index c dafür, dass hier Charm-Quarks im Spiel sind, die 3900 gibt die Energie an (3900 Mega-eV, entsprechend 3,9GeV).
Jetzt fragt man sich natürlich, was für ein Teilchen es sein könnte. Unsere Reaktion sieht jetzt so aus:
Elektron + Positron → π+/- + Zc(3900)-/+ → π+ + π– + J/Ψ
Als Zwiaschenprodukt entsteht ein Pion und unser neues Zc-Teilchen, wobei die beiden entgegengesetzt geladen sein müssen (damit die gesamte elektrische Ladung Null ist).
Das Zc zerfällt seinerseits in ein Pion und in ein J/Ψ, also in zwei Teilchen, die insgesamt aus 4 Quarks bestehen. Und das zeigt die Möglichkeit auf, dass das Zc selbst auch aus 4 Quarks besteht – und das ist hier das entscheidende.
Quarks treten nie allein auf, sondern immer nur im Verbund (das hängt mit den Merkwürdigkeiten ihrer Anziehungskraft zusammen). Man kennt bisher Teilchen, die sich aus einem Quark und einem Anti-Quark zusammensetzen (so wie das Pion oder das J/Ψ) und solche, die aus drei Quarks bestehen wie das Proton. (Entsprechend gibt es auch die zugehörigen Antiprotonen aus drei Antiquarks.)
Zumindest theoretisch kann man sich aber auch größere Verbünde vorstellen – es könnte Pentaquarks geben, also einen Verbund aus 5 Quarks (4 Quarks und ein Anti-Quark, um genau zu sein). Und es könnte auch Tetraquarks geben – also einen Verbund aus 4 Quarks; zwei davon “anti”. Und genau so einen Verbund hat man hier möglicherweise gefunden.
Man muss allerdings fairerweise dazusagen, dass es noch nicht sicher ist, dass der neue Zustand wirklich ein solches Tetraquark ist. Es könnte auch ein ungewöhnlicher Bindungszustand zwischen zwei Mesonen sein, das lässt sich nicht völlig ausschließen, auch wenn die Daten eher dagegen sprechen.
Tetraquarks sind auch deswegen interessant, weil es sie möglicherweise kurz nach dem Urknall in großer Zahl gab, als das Universum noch sehr heiß war und für solche ungewöhnlichen Teilchen viel Energie zur Verfügung stand. Wenn sich die Entdeckung bestätigt, dann liefert sie also vielleicht auch neue Einblicke in die Frühzeit unseres Universums.
Amüsant (und ein wenig seltsam) ist übrigens, dass in den beiden papern das Wort “Tetraquark” gar nicht auftaucht. Das dichteste, das an diese Aussage herankommt, ist noch der Satz ” It is also noted that model-dependent calculations exist…” Zugegeben, jemand, der extrem fit in Teilchenphysik ist, hätte das aus den Daten herauslesen können, ohne sich viel Mühe zu geben, aber ohne den entsprechenden Artikel in nature diese Woche hätte ich von dieser Entdeckung wohl kaum etwas bemerkt oder beim Lesen der Artikel verstehen können, worum es geht.
[1] Study of e+/e–>J/Psi and Observation of a Charged Charmoniumlike State at Belle Phys Rev Lett 110, 252002 (2013)
[2] Observation of a Charged Charmoniumlike Structure… Phys Rev Lett 110, 252001 (2013)
Quark quartet opens fresh vista on matter, Nature, VO L 4 9 8 | 2 0 J U N E 2 0 1 3
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