Es ist eine alte Frage der Evolutionstheorie: Was kommt zuerst – Form oder Funktion? Entwickeln Lebewesen zuerst ein Verhalten und dann schlägt die Selektion so zu, dass sich der Körper entsprechend anpasst, oder werden erst Organe modifiziert, und dann verändert sich das Verhalten der Tiere entsprechend? Beides scheint problematisch: Wenn ich keine Flügel habe, nützt es wenig, wenn ich mein Verhalten ändere und mit den Vorderbeinen rumfuchtele, wenn eine Population Flügel entwickelt, dann wären die vermutlich ziemlich hinderlich, wenn die Tiere damit nichts anzufangen wüssten. Im Großen, also für solche Evolutionsschritte wie eben die Entstehung der Flügel, lautet die Antwort in den meisten Fällen “Exaptation” – ursprünglich entwickelten sich die Organe für etwas anderes (die faltbaren Vorderbeine der Dinos dienten vermutlich zum besseren Beutegreifen und auch zum Brüten). Wie ist es aber mit kleinen Änderungen? Finden sie erst statt und dann nutzendie Tiere sie auch, oder ändern Tiere erst ihr Verhalten und erst dann folgt die Form der Funktion? Am Beispiel der Elefantenzähne hat man nun herausgefunden, dass die zweite Möglichkeit (zumindest in diesem Fall) vermutlich zutrifft.
Heutzutage gibt es ja nur noch drei Elefantenarten, zwei in Afrika (dass der Waldelefant eine eigene Spezies ist, weiß man noch gar nicht so lange) und eine in Indien. Aber vor einigen Milionen Jahren war das noch ganz anders und sehr viele unterschiedliche Elefantenarten tummelten sich auf der Welt und insbesondere in Afrika.
Vor etwa 10 Millionen Jahren änderte sich die Zusammensetzung der vegetation in Afrika ziemlich deutlich: Vorher gab es vor allem waldige Gegenden, danach dominierten zunehmend die Gräser, so wie auch heute noch. Die meisten der Elefantenarten folgten diesem Umschwung und stellten ihre Ernährung entsprechend um.
Woher man das weiß? Gräser und ihre Verwandten gehören zur Gruppe der sogenannten C4-Pflanzen, während die meisten anderen Pflanzen C3-Pflanzen sind. Die genaue Bedeutung dieser Kürzel habe ich schon mal ausführlich erklärt, deshalb belasse ich es hier im wesentlichen einfach bei diesen Bezeichungen. C3 und C4-Pflanzen unterscheiden sich in der genauen Art, wie die Photosynthese abläuft und auch in ihrer Effizienz bei unterschiedlichen Temperaturen (bei heißem trockenem Klima sind die C4-Pflanzen besser). Dieser Untrschied führt dazu, dass die beiden Pflanzenarten unterschiedliche Anteile von radioaktivem Kohlenstoff-Isotopen (nämlich des Isotops C¹³) einbauen – wie gesagt, Details habe ich in dem oben verlinkten Artikel erklärt.
Wenn nun Tiere diese Pflanzen fressen, dann bauen sie diesen Kohlenstoff natürlich in ihre Zähne ein (natürlich auch überall sonst, aber Zähne sind halt besonders haltbar), und wenn wir diese Zähne analysieren, dann können wir herausfinden, ob ein Tier eher C4 oder eher C3-Pflanzen gefuttert hat.
Tut man das für unterschiedliche Elefantenarten (genauer gesagt sind hier die Mitglieder der Gruppen der Deinotheiren, Gomphoterien und Elephantiden angeguckt worden, aber ich schreibe hier einfach mal “Elefanten”), dann stellt sich heraus, dass es vor etwa 8 Millionen Jahren einen deutlichen Umschwung gab – die meisten Arten schwenkten von C3 auf C4 um, fraßen also zunehmend mehr Gräser.
Nun sind Gräser zwar harmlose Pflanzen, aber so richtig toll finden sie es auch nicht, wenn sie gefressen werden. Deshalb schützen sie sich auf verschiedene Weise vor ihren Fressfeinden – ein Trick besteht darin, dass ihre Blätter unten am Boden die Wachstumszone haben, nicht außen am Rand (deswegen kann man Rasen mähen (wovor ich mich aber immer drücke) ohne dass der Rasen gleich komplett abstirbt). Ein anderer Trick ist die Einlagerung von kleinen harten Teilchen, beispielsweise aus Siliziumoxid (also Quarz). Tiere, die viel Gras fressen, brauchen deswegen stabile Zähne, weil das Gras ihre Zähne schnell abreibt und verschleißt. Deswegen haben zum Beispiel Pferde Zähne, die sehr hohe Kronen haben.
Ähnlich ist es auch bei den Elefanten, auch die haben hohe Zahnkronen, die dafür sorgen, dass genug Zahnmaterial vorhanden ist. (Zusätzlich haben Elefanten ein geniales Förderbandsystem für ihre Zähne – es sind immer nur in jedem Kieferviertel maximal zwei Zähne im Einsatz, die anderen rücken von hinten nach während die vordersten ausfallen. Sehr alte Elefante sterben deswegen auch meist daran, dass sie verhungern, weil ihre letzten Zähne abgenutzt sind.)
Vor 10 Millionen Jahren aber hatten die damals lebenden Elefantenarten noch keine hohen Zahnkronen – damals fraßen sie ja noch die leichter zu futternden C3-Pflanzen. Man kann jetzt also schauen, wann sich die Elefantenzähne umgestellt haben. Hier die entsprechende Grafik (zum Vergrößern anklicken):
Aus Lister et al., s.u.
Links seht ihr den Anteil an C¹³, also ein Maß dafür, ob die Tiere eher C3 oder C4-Pflanzen gefuttert haben, rechts seht ihr zwei unterschiedliche Maßzahlen für die “Hochkronigkeit” (Hypsodontie) der Zähne. Das Bild sagt eigentlich schon alles: Die Elefanten haben ihre Ernährung vor so etwa 8 Millionen Jahren umgestellt, aber erst einige Millionen Jahren später haben sich dann die dazu passenden Zähne entwickelt.
Es zeigt sich also ziemlich klar, dass sich zuerst das Verhalten änderte und erst danach die Form der Zähne angepasst wurde. Allerdings stellt sich natürlich die Frage, wie die Elefantenarten in der Zwischenzeit mit dem erhöhten Zahnverschleiß klarkamen. Hatten sie eine spezielle Strategie, um mit dem Zahnverschleiß fertig zu werden, beispielsweise, indem sie ihre Lebensdauer verkürzt haben und früher geschlechtsreif wurden?
Allerdings ist – wie so oft – das Bild nicht ganz so eindeutig, wie es scheint. Der hohe Zahnverschleiß bei Grasfressern kommt nämlich nicht nur durch die eingelagerten Teilchen im Gras zu Stande, sondern auch dadurch, dass Grasfresser beim Grasen mehr Teilchen vom Boden aufnehmen (jeder, dem schon mal schlecht gewaschener Salat zwischen den Zähnen knirschte, kennt das Phänomen). Es könnte sein, dass die Entwiclung besonders offener Grasländer und die zunehmende Trockenheit vor etwa 3,5 Millionen Jahren zu mehr Sand und Staub führten und dass erst diese erhöhte Menge dann die spezielle Anpassung der Zähne notwendig machte. Ein absolut sicheres Beispiel für die evolutionäre These “form follows function” (die Form entwickelt sich erst nach der Funktion) sind die Elefantenzähne also nicht, aber schon ein ziemlich guter Hinweis darauf.
Adrian M. Lister, The role of behaviour in adaptive morphological evolution of African proboscideans, doi:10.1038/nature12275
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