Die Paläontologie ist ja eine historische Wissenschaft, bei der man die Vergangenheit (insbesondere natürlich Saurier, was sonst) erforscht. Manchmal wird solchen eher historischen Wissenschaften abgesprochen, streng wissenschaftlich zu sein, weil man über die Vergangenheit ja keine Vorhersagen machen kann. Zwei aktuelle Forschungsbeispiele zeigen, dass das ein Irrtum ist.

Vor gut zwei Jahren habe ich schon einmal über Mosasaurier geschrieben. Das sind nahe Verwandte der heutigen Warane und Schlangen (haben aber nur wenig mit Dinosauriern zu tun), die am Ende der Kreidezeit in den Meeren herumschwammen. Hier ein Bild aus dem Artikel:

Taniwhasaurus

(Bild von Dmitry Bogdanov, gemeinfrei)

In meinem Artikel ging es um eine Analyse der Schwanzknochen verschiedener Mosasaurier-Arten. Dabei zeigte sich, dass diese einen Knick hatten, der dafür sprach, dass der Schwanz der Mosasaurier in Wahrheit eine Schwanzflosse besaß. So etwa – so wurde spekuliert – könnten die Schwänze einiger Mosasaurusarten ausgesehen haben:

lindgren12tail

Aus Lindgren et al., s.u.

Zu beachten ist dabei, dass die Autoren aus der Krümmung der Schwänze auch daraus schlossen, dass es vermutlich eine geteilte Schwanzflosse gab, bei der ein teil nach oben zeigte, der nicht von Knochen gestützt wurde. Letztlich war das allerdings nur – gut begründete – Spekulation.

Doch das hat sich nun – naja, schon im September, aber da hatte ich keine Zeit zum Bloggen – geändert, denn eine neue Arbeit beschreibt einen Mosasaurier mit deutlich erhaltenen Abdrücken des Schwanzes und auch der Flossen. So sehen die Abdrücke des neuen Fundes von Prognathodon aus:

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Aus Lindgren et al., s.u.

Oben seht ihr die Schwanzflosse in unterschiedlicher Auflösung, unten eine erklärende Skizze, in der man auch sieht, dass die Schwanzflosse von Bindegewebe (in Teilbild d zu erkennen) gestützt wird. Vergleicht man den Fund mit den Skizzen oben, so muss man schon zugeben, dass die Vorhersage nicht eben schlecht war. Offensichtlich kann die Paläontologie also Vorhersagen machen.

Und um eine solche Vorhersage, die bisher noch nicht durch einen schönen Fund eines Abdrucks bestätigt wurde, geht es im zweiten Teil des heutigen Ausflugs in die Erdvergangenheit. Die Mosasaurier waren ja nicht die einzigen Meeressaurier – sie tauchten wie gesagt erst zum Ende der Kreidezeit auf, der größte Teil des Erdmittelalters musste ohne sie auskommen. Aber es gab ja noch die Fischsaurier (vornehm Ichthyosaurier), die ziemlich delfinartig aussahen und von denen man schon lange weiß, dass sie Schwanzflossen hatten, weil man hervorragenden Abdrücke z.B. in Holzmaden in Deutschland gefunden hat. Und dann gab es noch die Plesiosaurier.

Allgemein bekannt sind vor allem die langhalsigen Plesiosaurier wie dieser hier

800px-Plesiosaurus_3DB

(Bild von Dmitry Bogdanov, gemeinfrei, soweit ich sehen kann…)

Vermutlich sind die auch deswegen so gut bekannt, weil sie ein bisschen aussehen wie das berühmte Loch-Ness-Ungeheuer (von dem man ja dank Asterix jetzt weiß, dass es Fafnie heisst). Es gab aber auch viele kurzhalsige Plesiosaurier wie den Liopleurodon, der in der Fernsehserie “Walking with Dinosaurs” (die Folge hätte wohl eher “swiming with unrealistically humongous pliosaurs” heißen sollen) in einer Folge die Hauptrolle spielte, wobei er aber von etwa 12-15 Metern auf satte 25 Meter Körperlänge aufgeblasen wurde, warum auch immer…

Um einen solchen kurzhalsigen Plesiosaurier geht es hier auch, nämlich um Rhomaleosaurus zetlandicus. Hier ein Standard-Rekonstruktion

Rhomaleosaurus_BW

(Bild von  Nobo Tamura, Creative Commons Attribution-Share Alike 3.0 Unported license.)

Wie ihr seht, muss so ein armer Plesiosaurier anscheinend ohne Schwanzflosse auskommen. Oder vielleicht doch nicht? Adam Smith aus Nottingham hat sich den Schwanz des Rhomaleosaurus einmal etwas genauer angesehen. So sehen die Schwanzwirbel aus:

rhomaleo1

Aus Smith, s.u.

Oben seht ihr den Schwanz von der Seite, unten von unten.

Zwei Dinge sind dabei auffällig: Zum einen sind zwei Wirbel etwas knubbelig verkürzt (im Bild als “node”=Knotenpunkt bezeichnet), zum anderen sind die Wirbel am Schwanzende seitlich etwas abgeplattet. Smith hat jetzt diese Wirbel mit denen von Mosasauriern und anderen Meeressauriern verglichen – und bei denen ist so ein Bereich mit verkürzten Wirbeln und dahinter mit seitlich abgeplatteten Wirbeln ein Indiz für eine Schwanzflosse. (Es steht nicht explizit in der Arbeit, aber ich verstehe es so, dass der Knotenpunkt der Punkt ist, an dem die eigentliche Schwanzflosse beginnt, und die verkürzten Wirbel dienen dazu, hier eine Seitwärtsbewegung zu erleichtern.) Daraus schließt er, dass auch Rhomaleosaurus eine kleine Schwanzflosse gehabt haben sollte:

rhomaleo2

Aus Smith, s.u.

Ganz neu ist diese Idee übrigens nicht – schon Richard Owen hatte bei einem Plesiosaurier abgeplattete Schwanzwirbel bemerkt und spekuliert, dass diese eine Schwanzflosse gehabt haben könnten. Es gibt sogar ein Plesiosaurier-Fossil, bei dem man einen Abdruck einer Schwanzflosse erkennen kann, nämlich den Seeleyosaurus:

640px-SeeleysaurusDB

(Bild von Dmitry Bogdanov, Creative Commons License)

Ganz revolutionär ist die neue Untersuchung also nicht, aber sie zeigt, dass so eine Schwanzflosse bei Plesiosauriern vermutlich weit verbreitet war. Die anderen Plseiosaurier haben allerdings keinen solchen Knotenpunkt an ihren Schwanzwirbeln; insofern ist Rhomaleosaurus schon auch etwas besonderes.

Und mit etwas Glück findet man eines Tages auch ein Fossil, dass das direkt nachweist und das dann wieder bestätigt, dass auch die Paläontologie Vorhersagen machen kann.

PS: Als der Artikel fertig war, habe ich gesehen, dass Brian Switek auch über Plesiosaurier-Schwänze gebloggt hat.

                                    

Johan Lindgren, Hani F. Kaddumi & Michael J. Polcyn
Soft tissue preservation in a fossil marine lizard with a bilobed tail fin
NATURE COMMUNICATIONS | 4:2423 | DOI: 10.1038/ncomms3423

Adam S. Smith
MORPHOLOGY OF THE CAUDAL VERTEBRAE IN RHOMALEOSAURUS ZETLANDICUS AND A REVIEW OF THE EVIDENCE FOR A TAIL FIN IN PLESIOSAURIA
Paludicola 9(3):144-158 October 2013-10-03

Johan Lindgren, Michael W. Caldwell, Takuya Konishi, Luis M. Chiappe
Convergent Evolution in Aquatic Tetrapods: Insights from an Exceptional Fossil Mosasaur
PLoS ONE 5(8): e11998. doi:10.1371/journal.pone.0011998

Kommentare (2)

  1. #1 MJ
    14. Dezember 2013

    Das mit den Vorhersagen ist interessant. Wenn ich das richtig verstehe, war das angebliche Unvermoegen von (testbaren) Vorhersagen in der Palaeontologie schon Poppers Begruendung, warum er (zumindest lange Zeit) die Evolutionstheorie nicht wirklich als wissenschaftliche Theorie angesehen hat:

    https://ncse.com/cej/6/2/what-did-karl-popper-really-say-evolution

  2. #2 MartinB
    14. Dezember 2013

    @MJ
    Sehr interessant – immerhin hat Popper ja später eingesehen, dass er unrecht hat (und spätestens die Lenski-Experimente hätten ihn sicher überzeugt).

    Es gibt ja auch den berühmten spruch von Haldane, wie man die Evolution falsifizieren könnte: “Fossil rabbits in the precambrium”.
    https://en.wikipedia.org/wiki/Precambrian_rabbit