Dos Reis et al. beschränken sich aber nicht auf bissige Bemerkungen – das hätte höchstens für einen Leserbrief gereicht. Sie zitieren auch Arbeiten, die statistische Methoden verwenden, um abzuschätzen, wie lang eine “ghost lineage”erwartungsgemäß sein sollte, wenn man die Unvollständigkeit von Fossilien mit berücksichtigt. Sie kombinieren diese Modelle auch mit Analysen, die auf molekularen Untersuchungen der DNA heutiger Säugetiere beruhen und die ebenfalls ein Kladogramm ergeben. (Ich muss aber zugeben, dass ich die methodischen Erklärungen dazu nicht mal ansatzweise verstanden habe: “The substitution model was HKY+Γ4.” – Aha…)
Am Ende ergeben sich drei Szenarien – eins, das auf Daten von Wilkinson et al (Wer immer das nun wieder ist) beruht, eins, für das sie direkt die Daten aus dem paper von O’Leary verwendet haben, und ein drittes, das auf den molekularen Daten beruht, die dann mit Hilfe von bekannten Fossilien zeitlich geeicht wurden. (Auch hier bin ich mir nicht sicher, ob ich alles richtig verstanden habe, das paper ist im Methodenteil ziemlich heftig…)
Hier jedenfalls das Ergebnis der Analysen:
Aus dos Reis et al., s.u.
(a)-(c) zeigen die drei unterschiedlichen Szenarien, die dos Reis et al. angeguckt haben, (d) zeigt das Ergebnis aus dem paper von O’Leary.
Zumindest wenn man diesem paper folgen darf, sind die Plazentalier also nicht erst nach der Kreidezeit entstanden – das löst auch das Problem, wie sie sich so schnell über die damals schon deutlich getrennten Kontinente ausbreiten konnten.
Wer nun am Ende recht hat, kann ich nicht beurteilen – aber es ist beruhigend, dass meine Verwunderung beim Lesen des papers offensichtlich nicht völlig unbegründet war.
Oder ist das eher beunruhigend? Immerhin ist die Originalarbeit in Science erschienen, was eigentlich ein renommiertes Journal ist. Wenn die Methodik zur zeitlichen Kalibrierung von O’Leary et al. so mangelhaft ist und auf einem so simplen Fehler beruht, hätte das nicht einer der Gutachter der Zeitschrift merken müssen? Oder wurde gar ein Resultat trotz eher schwacher Methodik verwendet, weil es so schön eindrucksvoll war und eine spektakuläre Veröffentlichung ermöglichte? Beides erscheint mir schon etwas bedenklich, aber immerhin scheint trotz solcher Mängel die wissenschaftliche Methodik insgesamt zu funktionieren, wenn weniger als ein Jahr nach dem Original-Paper eine Gegenposition veröffentlicht werden kann.
Maureen A. O’Leary et al.
The Placental Mammal Ancestor and the Post–K-Pg Radiation of Placentals
SCIENCE, 8 FEBRUARY 2013, VOL 339
Mario dos Reis, Philip C. J. Donoghue and Ziheng Yang
Neither phylogenomic nor palaeontological data support a Palaeogene origin of placental mammals
Biol. Lett. 2014 10, 20131003, published 15 January 2014
Kommentare (7)