Über fünf Teile dieser Serie haben wir jetzt den Weg eines Teilchens von A nach B verfolgt und dabei immer mehr Komplikationen eingebaut, bis schließlich sogar der ominöse Higgs-Mechanismus ins Spiel kam. Anscheinend ist es gar nicht so einfach, mal eben von A nach B zu fliegen, wie man denkt. In diesem letzten Teil der Serie möchte ich mir noch ein paar allgemeine Gedanken zu den vielen Modellen machen, mit denen wir es zu tun hatten. (Ihr könnt diesen Teil übrigens auch dann lesen, wenn euch die anderen zu kompliziert und abgefahren waren…)

Zwei Dinge sind meiner Ansicht nach an diesem einfachen Beispiel bemerkenswert. Das erste ist ziemlich offensichtlich, aber dennoch immer wieder ein Anlass zum Staunen: Man kann eins der simpelsten Phänomene der Welt betrachten und landet am Ende bei den fundamentalsten Gesetzen. Ein Beleg dafür, dass in der Naturwissenschaft alles mit allem verknüpft ist (während EsoterikerInnen und andere ja die Wissenschaft gern als eine Art Buffet betrachten, wo sie sich mit den Ergebnissen bedienen, die ihnen schmecken, und die anderen liegen lassen). Egal welches simple Phänomen ihr anguckt – guckt ihr genau genug hin, dann findet ihr überall faszinierende Wissenschaft und landet bei den letzten Fragen.

Noch etwas anderes ist bemerkenswert, und vielleicht viel weniger offensichtlich: Jede unserer Überlegungen und Beschreibungen, egal ob in der klassischen Physik, der Quantenmechanik oder der Quantenfeldtheorie, war in sich schlüssig und gab eine sinnvolle Beschreibung des Wegs von A nach B; aber je weiter wir kamen, desto mehr Effekte wurden berücksichtigt. Für die meisten praktischen Zwecke können wir makroskopische Teilchen mit den Mitteln der klassischen Physik beschreiben und Elektronen, die sich nicht zu schnell bewegen, mit den Mitteln der Quantenmechanik. Welche Beschreibung angemessen ist, ist vor allem eine Frage dessen, was wir eigentlich mit unserer Beschreibung erreichen wollen. Alle Beschreibungen sind Modelle – sie haben unterschiedliche Reichweite und Anwendungsbereiche, aber jede Beschreibung hat ihren Daseinszweck, und es wäre ziemlich unsinnig, einen Ball, der von A nach B rollt, mit der vollen Maschinerie der QFT berechnen zu wollen. Über diese Kunst des Denkens in Modellen habe ich auch schon mal ausführlich nachgedacht. 

Ist es eigentlich selbstverständlich, dass das so ist, dass wir also für einfache Fragestellungen auch einfache Modelle finden, die von der zu Grunde liegenden Komplexität nichts merken?

Einerseits ist es natürlich plausibel, dass wir Quanteneffekte eben nur dann bemerken, wenn wir Phänomene betrachten, bei denen die relevanten physikalischen Größen von der Größenordnung des Planckschen Wirkungsquantums sind, und dass sich auf einer größeren Skala eine andere physikalische Theorie ergibt. (Im dritten Teil hatten wir ja genau das mit Hilfe des Pfadintegrals gesehen: Bei hinreichend großen Teilchen ergibt sich gerade das Prinzip der kleinsten Wirkung.) Eine solche Theorie, die sich aus einer grundlegenden Theorie als Grenzfall ergibt, nennt man auch eine effektive Theorie. Auch unser aktuelles Standardmodell ist vermutlich so eine effektive Theorie, die sich aus einer fundamentaleren Theorie ergibt, in der die Gravitation einbezogen ist. (Einige Leute glauben ja, dass eine solche Theorie mit Strings zu tun hat.)

Dass es effektive Theorien gibt, erscheint auf den ersten Blick nicht besonders verwunderlich: Wenn man in den mathematischen Formeln, die eine fundamentale Theorie beschreiben, einige Konstanten sehr klein oder sehr groß werden lässt, dann werden einige Terme in den Formeln eben klein gegenüber anderen und können vernachlässigt werden. Dadurch ergeben sich näherungsweise andere Formeln, die eben zur effektiven Theorie gehören. Unsere klassische Physik ist also deswegen so einfach, weil wir sehr viele Effekte einfach nicht berücksichtigt haben und die entsprechende effektive Theorie deswegen einfach ist.

Ich bin mir aber nicht sicher, ob das wirklich zwingend so ist. Es gibt nämlich auch mindestens eine physikalische Theorie, die diese Eigenschaft nicht hat: Die Strömungsmechanik. (Achtung: Ich bin kein Strömungsmechanik-Experte – sollte ich hier also Unsinn schreiben, hinterlasst bitte einen Kommentar.)

Reale Flüssigkeiten und Gase haben eine Zähigkeit, die Viskosität. Die beruht auf der Wechselwirkung der Moleküle miteinander und sorgt für eine innere Reibung. Moleküle, die sich bewegen, zerren an benachbarten Molekülen, so dass diese ebenfalls anfangen, sich zu bewegen. Aus dem Alltag wissen wir, dass zähe Flüssigkeiten wie Honig eher langsam fließen und dass es ziemlich schwierig ist, Wirbel im Honig zu erzeugen. Honig hat eine sehr große Viskosität, so dass das Fließen von Honig von Effekten der inneren Reibung dominiert wird. Die Energie, die wir beim Umrühren von Honig aufwenden, wird sehr schnell durch Reibung in Wärme umgewandelt, so dass wir den Honig nicht dazu bekommen, schnell zu fließen. Mit Wasser gelingt das Verwirbeln schon leichter, wie ihr im Abfluss eures Waschbeckens sehen könnt – beim Abfließen bildet das Wasser einen Wirbel. In Luft lassen sich Wirbel noch leichter erzeugen – deswegen kann Gandalf ja auch so schöne Rauchringe pusten. Je kleiner also die Viskosität einer Flüssigkeit, desto leichter lässt sie sich verwirbeln. Macht man die Viskosität winzig klein, gibt es entsprechend sehr starke Turbulenz und Verwirbelungen.

Anmerkung: Etwas genauer sollte ich die Reynolds-Zahl betrachten, die angibt, wie stark die Verwirbelung einer Flüssigkeit ist. Sie ist definiert als Dichte der Flüssigkeit (oder des Gases, StrömungsmechanikerInnen sprechen meist von “Fluid”, wenn sie sich nicht festlegen wollen) multipliziert mit einer “typischen Länge” (also beispielsweise der Größe eines Tragflügels) und einer “typischen Geschwindigkeit” (beispielsweise die Geschwindigkeit, mit der sich der Flügel bewegt), geteilt durch die Viskosität. Haben zwei Strömungen dieselbe Reynolds-Zahl, dann haben sie auch dieselbe Neigung zur Verwirbelung; deswegen kann man zum Beispiel im Maßstab verkleinerte Modelle eines Schiffs bauen, bei denen man dann statt Wasser ein anderes Fluid mit niedrigerer Reynoldszahl nimmt. (Auch Kryo-Windkanäle benutzen das Prinzip – bei niedrigen Temperaturen sinkt die Viskosität der Luft und ihre Dichte steigt, dafür kann man dann die “typische Länge” veringern.) Eigentlich spielt das aber für unsere Betrachtungen hier keine Rolle – wahrscheinlich wollte ich nur mal wieder den Blogeintrag länger machen…

Also: Je kleiner die Viskosität, desto stärker die Verwirbelung. Man sollte also eigentlich meinen, dass man im Grenzfall verschwindender Viskosität quasi unendlich starke Verwirbelungen bekommt. Doch wenn die Viskosität vollkommen verschwindet, dann gibt es überhaupt keine Reibung innerhalb der Flüssigkeit und es können auch keine Wirbel entstehen, weil sich bewegende Moleküle keine Energie auf ihre Nachbarn übertragen können. (Das Modell des Wassers, bei dem die Viskosität ignoriert wird, heißt in den Feynman Lectures – nach einer Idee von John von Neumann – “trockenes Wasser”.)

Eine simple Theorie, die die Viskosität ignoriert, entsteht also nicht ohne weiteres aus einer Theorie, bei der die Viskosität einfach gegen Null geht, aber auch nicht aus einer, bei der sie gegen unendlich geht (denn dann ist der Fluss jeder Flüssigkeit unendlich langsam und die Bewegung wird von Reibungskräften dominiert.)  Natürlich ist das in der Strömungsmechanik überhaupt kein Problem; die Leute, die sich damit beschäftigen, wissen ganz genau, wann sie die Viskosität einfach ignorieren dürfen und wann nicht.

Aber wenn wir uns vorstellen, dass sich zum Beispiel die Relativitätstheorie so verhalten würde, dann wäre die Sache ziemlich knifflig. In unserer Welt ist es so, dass relativistische Effekte verschwinden, wenn das Verhältnis der Geschwindigkeit eines Teilchens zur Lichtgeschwindigkeit sehr klein ist. Je kleiner die Geschwindigkeit, desto weniger merken wir von den Effekten der SRT, und in einem Flugzeug müssen wir schon sehr genaue Uhren verenden, um bei diesen Geschwindigkeiten einen Effekt zu sehen. Wären die Verhältnisse aber so wie bei der Viskosität, dann würden wir die einfache Newtonsche Theorie nicht einfach dadurch bekommen, dass wir sehr kleine Terme in den Gleichungen vernachlässigen – so wie wir eben nicht die Eigenschaften von “trockenem Wasser” bekommen, wenn wir eine Flüssigkeit mit sehr kleiner Viskosität beobachten.

Es ist also nicht unbedingt zwingend, dass sich im Grenzfall einer Theorie ein sauberer Übergang zu einer einfacheren Theorie ergibt.

Auch ansonsten erscheint es gar nicht so abwegig, dass eine fundamentale Theorie so komplex ist, dass sich eben keine wirklich gute effektive Theorie daraus ableiten lässt. Ein Beispiel dafür liefert wieder die Strömungsmechanik: Die Grundgleichungen der Strömungsmechanik, die Navier-Stokes-Gleichungen, sind für sich genommen gar nicht so sehr komplex, aber sie führen zu sehr komplexen Phänomenen wie eben der Turbulenz. Bisher ist es nicht wirklich gelungen, eine effektive Theorie zu finden, mit der sich Turbulenzphänomene zum Beispiel um ein Flugzeug herum gut beschreiben lassen, ohne dass man die Navier-Stokes-Gleichungen auf sehr kleiner Längenskala löst. Es gibt jede Menge Turbulenzmodelle, mit denen man in einigermaßen guter Näherung rechnen kann, aber weder sind diese Modelle besonders einfach noch gibt es eins, dass immer passt. Was wäre, wenn die fundamentalen Gesetze der Physik genauso wären? (Diese Idee ist übrigens nicht von mir, sondern von dem Mathematiker Achi Brandt, mit dem ich darüber vor ewig langer Zeit mal diskutiert habe.)

PhysikerInnen gehen meist davon aus, dass die fundamentalen Gesetze in irgendeiner Weise “einfach” sind (wobei man sich natürlich schon streiten kann, ob so etwas wie die QFT einfach im eigentlichen Sinne ist). Aber selbst wenn das stimmt, warum sollten sich dann aus so einer Theorie auch “einfache” effektive Theorien ergeben?

Auf diese Frage fallen mir im Moment vier mögliche Antworten ein.

1. Glück Es gibt keinen besonderen Grund, warum das so ist – wir haben einfach Glück gehabt, dass wir in einem Universum leben, wo die effektiven Theorien hinreichend einfach sind.

2. Das anthropische Prinzip Vielleicht ist Leben (und insbesondere intelligentes Leben) nur in einem solchen Universum möglich, in dem die effektiven Theorien einfach sind. Intelligente Lebewesen müssen ja das verhalten ihrer Umwelt einigermaßen gut vorhersagen können – in einem Universum, in dem die effektive Theorie unglaublich komplex ist, wäre dann vielleicht entweder die Entwicklung von Intelligenz gar nicht möglich (weil gezielte Vorhersagen so schwierig sind, dass es keinen evolutionären Weg gibt, unter dem sich ein Wesen entwickeln könnte, das dazu fähig ist), oder Leben selbst wäre nicht möglich, weil einfache Reiz-Reaktions-Mechanismen in einer solchen Welt nicht funktionieren könnten.

3. Evolutionäre Erkenntnistheorie Man kann das Argument des anthropischen Prinzips aber auch umdrehen: Ob etwas “einfach” ist, ist ja keine objektiv entscheidbare Frage. Vielleicht würde einem Lebewesen, das in einer turbulenten Gaswolke wohnt, unsere effektive klassische Physik mit starren Objekten und Massepunkten als unglaublich wirr oder kompliziert erscheinen. Würden wir uns ständig  mit relativistischen Geschwindigkeiten bewegen, fänden wir vermutlich die spezielle RT ganz anschaulich und die Newtonsche Physik seltsam und kompliziert. (“Man soll Objekte immer weiter beschleunigen können, zu beliebigen Geschwindigkeiten? Wie absurd!”) Dass uns die klassische Physik anschaulich und einleuchtend erscheint, liegt eben daran, dass wir als Kinder eine naive Physikvorstellung entwickeln, die eben genau zu dieser effektiven Theorie passt.

Die letzten beiden Antworten sind allerdings auch nicht wirklich zufriedenstellend – sie liefern zwar jeweils ein Argument dafür, warum die klassische Physik einfach sein muss; warum es aber zwischen der klassischen Physik und z.B. dem Standardmodell noch durchaus sinnvolle Zwischenstufen (wie zum Beispiel die Quantenmechanik) gibt, die einfacher sind und die man verstehen kann, ohne die zu Grunde liegende Theorie zu kennen, ist nicht klar.

Wenn man etwas wissenschaftskritisch ist, dann mag einem noch eine vierte Antwort einfallen:

4. Unsere Theorien haben mit der Realität wenig zu tun. Das ist ein etwas postmoderner Gedanke: Physikalische Theorien sind menschliche Konstrukte, und die bauen wir so, wie es uns passt und stülpen sie dann der Welt quasi über. Wir passen zwar die Details unserer Theorien an die Messergebnisse an, aber die grundlegenden Konzepte, die wir verwenden, stammen von uns selbst und haben mit der Realität nichts zu tun. Für sehr plausibel halte ich diese Idee allerdings nicht, dafür ist die Übereinstimmung zwischen Theorie und Experiment schon erstaunlich gut. Es wäre schon seltsam, wenn man z.B. die makroskopische klassische Physik mit einer Vielzahl von ganz unterschiedlichen Konzepten beschreiben könnte. Man kann sich natürlich wieder Wesen aus Gas oder so vorstellen, deren klassische Physik keine Punktteilchen als fundamentale Objekte verwendet, sondern Strömungen oder Felder; aber auch wenn deren Formeln und Konzepte dann etwas anders aussehen würden, würden sie letztlich wohl doch zumindest mathematisch äquivalente Gleichungen verwenden müssen, um Strömungen oder Planetenbewegungen zu beschreiben. Und es ist schwer vorstellbar, dass man die klassische Physik sinnvoll ohne Konzepte wie “Energie” oder “Impuls” beschreiben kann; dazu sind die einfach zu tief in der Physik verankert.

Natürlich sind auch kombinierte Begründungen denkbar: Beliebig kompliziert können die effektiven Theorien nicht sein, weil es dann kein intelligentes Leben gibt, die moderat komplizierten effektiven Theorien führen dann zu einer Form von Intelligenz, der solche Theorien einfach erscheinen, und wie genau die Theorie dann ausgestaltet wird, unterliegt einer gewissen Willkür. Vielleicht gibt es auch noch andere Möglichkeiten, an die ich nicht gedacht habe?

Auf jeden Fall zeigt sich: Dass wir in dieser Serie eine schöne Hierarchie von Modellen für den Weg von A nach B verfolgen konnten, bei der auf jeder Stufe immer brav eine Komplikation hinzukam und sich jedes Mal ein einigermaßen schlüssiges Bild ergab, ist gar nicht so selbstverständlich, wie man vielleicht denkt. Warum die Natur es uns ermöglicht, sie mit einer solchen Hierarchie zu beschreiben, bleibt erst einmal ein Geheimnis.

Kommentare (23)

  1. #1 nihil jie
    30. Januar 2014

    Und ein mal wieder vielen Dank für die spannende und informative Serie 🙂

  2. #2 volker
    Waakirchen
    31. Januar 2014

    Ich möchte mich erst einmal dem Dank meines Vor-Kommentators für die tiefgründige Analyse von physikalischen Theorien anschließen.

    Mein nicht physikalisch normierter Kopf neigt eher zur Antwort 4.
    Mit unseren menschlichen Sinnen haben wir zuerst nachvollziehbare Regelmäßigkeiten in der Natur entdeckt, und diese Erkenntnisse mit Messinstrumenten wie Fernrohr Mikroskop etc. erweitert. Mit der Mathematik haben wir dann diese Erkenntnisse in Gesetzmäßigkeiten formuliert, die immer komplexer wurden, wobei die Mathematik gelegentlich an den Rand der “Vergewaltigung” geriet.
    Ich vermute und befürchte, dass wir mit unseren praktikablen Modellen, so gut sie auch funktionieren mögen, noch weit von der “wirklichen” Wirklichkeit entfernt sind.
    Übrigens: Die in den Flugzeugen verendenden Uhren sind ein netter Dreckfuhler. Man darf doch auch mal albern sein, war Einstein übrigens auch oft, ohne mich simplizissimus mit ihm vergleichen zu wollen.
    Danke nochmlas an Martin für die viele Arbeit

  3. #3 Alderamin
    31. Januar 2014

    @MartinB

    Ist nicht am Ende alles eine Frage der Statistik? Der Zerfall eines radiokativen Atoms ist völlig unvorhersehbar, aber wenn man genügend davon hat, bekommt man eine ganz charakteristische Halbwertszeit mit einem ganz einfachen Zeitgesetz. Das Gewusel der Moleküle in einem Raum ist komplett chaotisch, dennoch verhalten sie sich in Summe im allgemeinen (eben bis auf die Turbulenz; aber mal mit Blick auf Druck, Ausbreitung, Erwärmung etc.) sehr gut beschreibbar durch die Gleichung für ideale Gase (gilt dann auch für die Hauptsätze der Thermodynamik und vielleicht den Zeitfluss insgesamt).

    Für ein einzelnes Teilchen mag es außerordentlich komplex sein, von einem Ort an einen anderen zu gelangen, aber ein makroskopischer Körper nimmt halt den Weg einer Überlagerung von zahllosen Teilchen, der sich am Ende herausmittelt.

    Bei der Turbulenz oder anderen chaotischen Prozessen wie gekoppelten Pendeln und dem n-Körper-Problem klappt die Mittelung nicht so gut, weil kleine Änderungen des Ausgangszustands hier schnell divergieren.

    Vermutlich ist ein Universum, in welchem kleinste Änderungen des Ausgangszustands stets zu divergierenden Ergebnissen führen, keines, das funktionieren könnte – wie sollten sich sonst Planeten auf ihrer Bahn um ihren Stern halten, wie sollten in Molekülen die Bindungen halten, wie die Elektronen ihre Orbitale um den Kern? Wie sollten sich überhaupt stabile Strukturen bilden können?

    Ich bin da auf jeden Fall Anhänger des schwachen anthropischen Prinzips: ich denke, es gibt unzählig viele Universen, die mit unterschiedlichen physikalischen Gesetzen aus der immerwährenden kosmischen Inflation hervorgehen, und ganz selten ist eines dabei, indem alles passt, um intelligentes Leben hervorzubringen, das sich darüber wundern kann, warum alles so wunderbar funktioniert. Fast immer kommt vielleicht nur ein chaotischer Strahlungsbrei heraus, den niemand beobachten kann. Das ist nahezu die einzige denkbare Möglichkeit, schlüssig unsere Existenz zu erklären.

  4. #4 MartinB
    31. Januar 2014

    @Volker
    “Ich vermute und befürchte, dass wir mit unseren praktikablen Modellen, so gut sie auch funktionieren mögen, noch weit von der “wirklichen” Wirklichkeit entfernt sind.”
    Was immer die “wirkliche” Wirklichkeit ist…
    Ich bin/wäre zufrieden, wenn ich ein schönes Modell habe, das alles erklären/beschreiben kann.

    @Alderamin
    Ist sicher denkbar – aber es bleibt auch dann überraschend, dass es sinnvolle Zwischenstufen wie die nicht-relativistische QM geben kann oder?

  5. #5 MartinB
    31. Januar 2014

    PS:
    Naja, halbwegs zufrieden. Merkwürdig finde ich es auf alle Fälle, dass sich teilchen an mathematische Gleichungen “halten” können.

  6. #6 volker
    31. Januar 2014

    @martin
    ” dass sich Teilchen an mathematische Gleichungen halten können”
    Ist das wirklich so? Ei oder Henne?
    ist es nicht so, dass die Teilchen sich schon immer so verhalten haben, wie es ihre physikalische Natur ihnen vorschreibt? Und dass wir unseren Erkenntnisstand mit der uns zugänglichen Logik, sprich Mathematik, nachzuvollziehen versuchen, um Gesetzmäßigkeiten zu erkennen, festzuhalten und gegebenenfalls logisch zu extrapolieren.
    Übrigens neige ich auch zu der Ansicht von Aldemarin bzgl. der Multiversen, frei nach Roger Penrose. Ich weiß, dass das (noch) nicht sehr populär ist.

  7. #7 Alderamin
    31. Januar 2014

    @MartinB

    aber es bleibt auch dann überraschend, dass es sinnvolle Zwischenstufen wie die nicht-relativistische QM geben kann oder?

    Es ist sicher auch ein Stabilitätskriterium, dass nicht alles auf alles andere mit gleicher Kraft wirken kann. Es ist sicher wichtig, dass die Gravitation viel kleiner als die anderen Grundkräfte ist, damit sie ihn ihrer Domäne Planeten bilden kann, aber im Mikrokosmos nicht alles destabilisiert, bzw. dass die Reichweite der Kernkräfte klein ist und die Materie im Schnitt elektrisch neutral. Deswegen spielt die ART im Quantenmaßstab keine große Rolle und umgekehrt die anderen Grundkräfte nicht im Makrokosmos (mal abgesehen von Magnetfeldern und elektromagnetischen Wellen).

    Sobald Du aber Schwarze Löcher oder den Urknall analysieren willst, siehst Du Dich mit Feuerwänden (bezieht sich auf Hawkings Kommentar aus dieser Woche) und anderen Widersprüchen konfrontiert und beide Theorien sagen unterschiedliches voraus (wenn überhaupt). In diesen Bereich gelten für uns noch unbekannte Naturgesetze, die für die Entstehung des Weltalls, so wie wir es kennen, sicherlich absolut maßgeblich waren und möglicherweise keine Zwischenstufen erlauben.

  8. #8 MartinB
    31. Januar 2014

    @volker
    Natürlich verhalten sich Teilchen so, wie sie es tun. Aber wenn man dieses Verhalten eben perfekt mit mathematischen Gleichungen beschreiben kann, dann muss irgend etwas an der Natur ja mathematisch sein.

    @Alderamin
    “Es ist sicher auch ein Stabilitätskriterium, dass nicht alles auf alles andere mit gleicher Kraft wirken kann.”
    Das klingt sehr plausibel, aber ich bin bei solchen Argumenten immer etwas skeptisch, weil viele Dinge auf den ersten Blick plausibel aussehen, es aber in Wahrheit nur sind, weil wir es so ghewohnt sind. Vor 100 Jahren hätte man sicher argumentiert, dass es sehr plausibel ist, dass fundamentale Prozesse nicht zufällig sein können.

  9. #9 Alderamin
    31. Januar 2014

    @MartinB

    ich bin bei solchen Argumenten immer etwas skeptisch

    Wenn es um die Fundamente der Naturgesetze geht, wird man wohl für absehbare Zeit auf plausible Spekulationen beschränkt sein müssen (solange man diese nicht zur allegemeingültigen Wahrheit deklariert, ist das doch legitim; deswegen schreibe ich ja auch immer “ich denke” und “meiner Meinung nach”; ich bin mit meinen Laienkenntnissen der Letzte, der etwas darüber sagen könnte, wie die Welt wirklich beschaffen ist).

    Es sei denn, jemand fände einen zwingenden Grund, warum die Gesetze und Konstanten genau diese Werte haben müssten.

    Eine gewisse Skepsis ist immer die beste Einstellung. Dann kann man nur positiv überrascht werden, nie negativ.

  10. #10 rolak
    31. Januar 2014

    wenn man dieses Verhalten eben perfekt mit mathematischen Gleichungen beschreiben kann, dann muss irgend etwas an der Natur ja mathematisch sein

    Auch wenn es formal keine großartige Änderung darstellt, MartinB, würde ich eher zu der Variante

    ..dann muß irgend etwas an der Mathematik naturgemäß sein

    tendieren. In dem Sinne, daß sich die Mathematik an der Natur orientiert, höchstwahrscheinlich deswegen, weil sie von Elementen genau jener Natur ersonnen wurde.

  11. #11 MartinB
    31. Januar 2014

    @Alderamin
    “Wenn es um die Fundamente der Naturgesetze geht, wird man wohl für absehbare Zeit auf plausible Spekulationen beschränkt sein müssen”
    Sicher. Zum einen finde ich aber, wie gesagt, Argumente der Art “kann ich mir im Moment nicht anders vorstellen, deshalb…” sehr gefährlich, zum anderen schadet es auch gar nichts, wenn man es einfach spekulationsfrei bei einem “Wissen wir nicht” belässt.

    @rolak
    Das wäre dann die obige Erklärung 3, richtig?

  12. #12 volker
    31. Januar 2014

    @martin, @rolak

    “dann muss irgend etwas an der Mathematik naturgemäß sein”

    Darüber denke ich schon lange nach. Ich würde sogar dazu neigen, noch weiter zu gehen, allerdings sehr spekulativ:

    Die Mathematik ist ein Teil der Natur, im Sinne von Wirklichkeit, wörtlich genommen. Das heißt, sie ist so real, dass sie auf die von uns beobachtbare Natur direkt einwirkt, weil sie mit ihr untrennbar verbunden ist. Sie wird von uns intelligenten Wesen genau so entdeckt, weil sie immer schon da war, und ebenso weiterentwickelt wie die Physik (Naturbeobachtungen).
    Weit davon entfernt, bibelgläubig zu sein, gefällt mir der erste Satz der Bibel sehr gut: Im Anfang war der Logos. Wie wäre es, wenn Mathematik als bisher entdeckter Teil dieses Logos und alle Ausprägungen von Energieformen wie Strahlung, Wellen, Elektromagnetismus, Materie, Bindungsenergien, etc., etc auf eine einheitliche Ursprungs-form von Sein zurückgehen? Dann würde dieser Logos (die Mathematik) eben keine anderen Lösungen in der Natur zulassen, als wir sie in unserer Physik entdecken und festschreiben.

  13. #13 MartinB
    31. Januar 2014

    @volker
    “der erste Satz der Bibel ”
    Das ist der erste Satz des Johannes-Evangeliums.

    Ansonsten bist du mit dieser Idee nicht allein – Penrose glaubt ja auch an eine platonische Idealwelt. Und es gibt ja auch die Tegmark-Idee
    https://space.mit.edu/home/tegmark/mathematical.html
    (Buch habe ich nicht gelesen).

  14. #14 volker
    31. Januar 2014

    @martin
    Danke , ja natürlich.
    1. Damit habe ich mir und Du mir nur bewiesen, dass ich wirklich nicht bibelfest bin, und
    2. Ich kenne die Theorien von Penrose und Tegmark, zumindest in den grundlegenden Ideen. Die haben wir hier auch früher schon mal ansatzweise diskutiert.
    Ich befürchte aber, dass wir deren mögliche Relevanz beide nicht mehr erleben werden, dafür hat die Natur noch viel zu viele Tricks auf Lager, dennoch spannend. Wenn man Physik of the day und Vision sauber trennt, kann man für alles offen bleiben.

  15. #15 rolak
    31. Januar 2014

    Das wäre dann die obige Erklärung 3, richtig?

    1.) muß ich um Entschuldigung bitten – da ich in den letzten Tagen, na sagen wir zwei Wochen unsäglich viel um die Ohren und als Kirsche obendrauf auch noch einen Kabelbruch (Tel, Keller→Wohnung) hatte, war ein Teil der zwischenzeitlich erschienenen posts nur in eine Merkliste als später (richtig, fertig) zu lesen eingetragen. So war der Kommentar eben nur Reaktion auf Deinen, MartinB.
    2.) muß ich jetzt erst mal oben nacharbeiten [Pause]
    3.) um dann mit einem entschiedenen ‘Jein’ zu antworten. ‘Ja’-Anteil, weil ich #3 für durchaus richtig halte, ‘nein’, weil ich es allerdings keineswegs für eine Antwort bzw Erklärung zu der Mathe-Natur-Korrelation halte. Selbstverständlich ist unsere Wahrnehmung der Welt evolutionär an die Umwelt, also die lokale Welt angepaßt, dürften Ergebnisse bzw Lösungsvorschläge der (preRT)klassischen Physik, die genau diesen Bereich betreffen von irgendeinem pattern-matcher im alten Hirn mit einem soliden ‘Genau! So muß das!’ attributiert werden. Doch nicht nur, daß bereits gewisse Resultate dieser Physik für viele unverständlich sind (Elektrosmog-Paranoia), es sind die Lösungen, die als adäquat eingestuft werden, nicht die Methoden.
    Denn es ging ja um die Übereinstimmung Mathe-Natur, die Tendenz ‘richtiger’ Beschreibungen zu Einfachheit und Eleganz. [alles imho:] Als nach Jahrzehntausenden Strichlisten und Jahrtausenden Lager-Verwaltung endlich losgelöst vom Zählen gerechnet wurde, ging es schon um die Beschreibung der Welt durch die Augen eines lokal optimierten Auswuches der Welt. Aufgrund des langen Zähltrainings galt Zahl=elegant. Die Ägypter bauten mit 3-4-5 um die Ecke (hätte ein Näherungsfehler sein können, wars aber nicht. Zumindest nicht auf der lokal doch ziemlich flachen Erde), Pythagoras intervallte Saiten ganzzahlig (das war insgesamt ein Näherungsfehler, wie sich herausstellte, nachdem das Piano endlich richtig aufgewärmt war). Insbesondere Fragen der Art ‘Ist das eigentlich immer so oder nur bei mir im Wohnzimmer’ führten immer wieder zum Bruch zwischen Vernunft und Verstand, ein grausliger Aspekt für Traditionalist*en; das vernunftgesteuertes Ausbrechen des Blickwinkels aus dem Gewohnten ermöglichte eine Erweiterung des Verständnisses. Es gibt also nicht den oben angeführten (ungültigen) Viskositätsschluß von einem allgemeinen Modell auf einen davon nicht erfaßten Spezialfall, sondern das Erkennen eines allgemeineren Modells hinter dem (bisher ausschließlich betrachteten) Spezialfall – und für dieses Schema ist ein glatter Grenzübergang nicht verwunderlich.
    Und die Eleganz? Wurde nicht vergessen: Auch wenn Stur-, Gewohn- und Begrenztheit des Gewohnheitstieres Mensch uns bisher nur einen Teil des Ganzen erkennen und verstehen ließen – letztendlich versucht die Natur sich selbst zu beschreiben mit den Mitteln die sie hat. Das ist derart nahe an id(), daß die Schön- und Einfachheit effektiver Beschreibungen nicht verwundern sollte.
    4.) Der von Dir beschriebene (bzw in den posts gewählte) Abstieg zum immer feineren Hinschauen erinnerte mich (durchaus angenehm) an den berühmten Artikel eines berühmten Mathematikers (dessen Name bei mir regelmäßig Lust auf Naschwerk auslöst).

    kein Strömungsmechanik-Experte

    Wie war das noch mit dem hochmögenden Fluiddynamiker, der aufgrund seiner irdischen Verdienste bei Betreten des Himmels vom Chef persönlich zwei Wünsche frei bekam? ‘Eine elegante Vereinigung von ART und QM — und noch ein wenig über Turbulenzen, wenn es geht’ 😉

  16. #16 nihil jie
    1. Februar 2014

    @Martin

    Unsere Theorien haben mit der Realität wenig zu tun. Das ist ein etwas postmoderner Gedanke: Physikalische Theorien sind menschliche Konstrukte, und die bauen wir so, wie es uns passt und stülpen sie dann der Welt quasi über. Wir passen zwar die Details unserer Theorien an die Messergebnisse an, aber die grundlegenden Konzepte, die wir verwenden, stammen von uns selbst und haben mit der Realität nichts zu tun.

    Auch das mag durchaus im Groben richtig sein. Die Theorien die entstehen sind ja auch von uns Menschen für uns Menschen gedacht. Sie sind unserer Fähigkeit zu Verstehen schon angepasst. Auch die anderen Punkte sind ja nicht außerirdisch sondern sind Menschliche Gedanken. In dem vorliegendem Fall Deine 😉

    Und ich denke nicht, dass sie so angepasst sind. Wären sie das, wären sie perfekt und sofort passen. Zumindest stelle ich mir das gerade so vor. Und weiter denke ich, dass sich das auch in der Wissenschaftsgeschichte spiegelt. Es wurden schon einige Theorien verworfen und einige nachgebessert. Manche befinden sich sogar dauerhaft in einem Prüfzustand. Von daher finde ich persönlich nicht unbedingt Falsch mal etwas über die Realität zu stülpen, was ich allerdings richtig finde ist die Fähigkeit es zu korrigieren oder gar zu verwerfen, falls sich etwas als falsch erweisen sollte.

    Dass die experimentelle Beweissammlung doch ziemlich für sich spricht, bevorzuge ich für mich auch als ein gutes Argument. Obwohl so manch ein Experiment auch wieder einige weitere Türchen ins Unbekannte aufgestoßen hat.

    Rein gefühlt ?… Eine enorme Komplexität die auf einigen wenigen, scheinbar absolutistischen Gesetzen basiert. Und das ist eben das was es so schwierig macht, es zu beschreiben udn gänzlich zu verstehen. Es sind auch nicht alleine die Naturgesetze sondern die Anzahl der Wechselwirkungen die sie ermöglichen und auch produzieren. Und es wird schon schwierig einige wenige Methoden zu finden um sie alle zusammenfassend zu beschreiben. Vielleicht werden wir immer da zu verdammt sein die Komplexität nur Modular zu beschreiben. Praktisch Ausschnittsweise. Das sehe ich durchaus nicht als ausgeschlossen.

  17. #17 MartinB
    1. Februar 2014

    @volker
    “Wenn man Physik of the day und Vision sauber trennt, kann man für alles offen bleiben.”
    Das unterschreibe ich sofort.

    @rolak
    ” das Erkennen eines allgemeineren Modells hinter dem (bisher ausschließlich betrachteten) Spezialfall –”
    Aber der Knackpunkt ist doch grade die Frage, warum es diesen Spezialfall (in sich stimmig) überhaupt gibt.

    @nihil je
    “Vielleicht werden wir immer da zu verdammt sein die Komplexität nur Modular zu beschreiben. Praktisch Ausschnittsweise. Das sehe ich durchaus nicht als ausgeschlossen.”
    Möglich – aber die Frage, die ich hier stelle, ist ja warum das überhaupt geht. Warum ist die grundlegende Physik so gestrickt, dass man saubere Grenzübergänge c gegen unendlich, h gegen Null etc. machen kann?

  18. #18 nihil jie
    1. Februar 2014

    @MartinB

    Die Frage habe ich ja auch so verstanden. Ich habe sie nur geschickt umgangen 😉 Ich denke auch nicht, dass ich der richtige bin um sie wirklich zu beantworten, aber vielleicht deswegen nicht, weil wir eben die komplexe Welt im Moment noch sehr selektiv betrachten. Mit selektiv meine ich z.B. ein Gleichungssystem der ein Prozess beschreiben kann… aber eben nur diesen Prozess.

    es ist schwer das jetzt in ein Gleichnis zu packen. Aber es erinnert mich an ein Rätsel mit Streichhölzern. Man bekommt 6 Streichhölzer und soll daraus 4 Dreiecke bilden. Viel versuchen krampfhaft das Problem auf der Ebene zu lösen. Die Lösung liegt aber in dem man eine Dimension hin zu zieht und einen Tetraeder baut.

    Und das führt mich zu dem Gedanken, dass unsere physikalische Beschreibungen der Realität nicht grundsätzlich falsch sein müssen, wenn sie ansonsten bestimmte Prozesse korrekt beschreiben (auch experimentell bestätigt) und dennoch solche “unschöne Grenzfälle” aufweisen. Viellicht sind sie einfach nicht vollständig, und es gibt noch keine Erkenntnisse aus anderen Teilen der Physik oder Mathematik die da einfließen können.

    Aber was bleibt uns übrig ? Wenn man Technologie erschaffen will und auch einige andere Dinge dann akzeptiert man vorerst die Methoden aus Physik und Mathematik mit denen es sich planen lässt. Weil sie eben ziemlich gute vorhersagen liefern können und auch liefern.

    Aber diese Fragen sind eigentlich super 🙂 Und ich muss zugeben, dass es schon Spaß macht sich darüber den Kopf zu zerbrechen.

    So … jetzt habe ich viel geschrieben ohne etwas fundamental wichtiges zu sagen. Sei es drum… Ich fand die ganze Serie spannend 😉

  19. #19 MartinB
    1. Februar 2014

    @nihil je
    “So … jetzt habe ich viel geschrieben ohne etwas fundamental wichtiges zu sagen.”
    Willkommen in meiner Welt 😉

  20. #20 rolak
    2. Februar 2014

    Knackpunkt = warum es diesen Spezialfall (in sich stimmig) überhaupt gibt

    Nö, habe ich nicht so gesehen, reagierte ich doch auf Deinen Kommentar #8, MartinB, die erstaunliche Passung Mathe-Realität.
    Doch seis drum: Das vor der Erweiterung Betrachtete ist für mich kein Spezialfall des Allgemeinen, sondern ein Ausschnitt oder eine informationsreduzierende Projektion. Übrigens genauso wie die (wenn ich es recht sehe, hier nicht gemachte) Aussage “immer glatter Übergang” – schließlich gibt es zB beim Übergang in immer kleinere räumliche Abmessungen irgendwann einen krassen Verhaltenswechsel, eine Grauzone, die Quantenzustände und klassische Zustände trennt. Die Extrapolation “Abstand zum Schwarzen Loch geht gegen Null” aus Daten diesseits des Ereignishorizontes ist ebenfalls alles andere als zutreffend.

  21. #21 Alderamin
    3. Februar 2014

    Ich habe mich auch schon öfters gefragt, warum die Natur der Mathematik gehorcht. Ich denke, die Antwort liegt im wesentlichen darin begründet, dass sie aus reproduzierbaren Abläufen besteht (und wo sie, wie in der Quantenwelt, unvorhersehbare Zufallsereignisse produziert, da gehorcht sie zumindest einer gewissen Statistik). Wenn dies so ist, dann ist Mathematik am Ende nur eine flexible Sprache, die das Beobachtete zu bneschreiben erlaubt, egal wie abstrus es ist. Es muss halt nur reproduzierbar sein.

    Begründung:
    Mathematik besteht im wesentlichen aus Zählen und Schließen. Aus einfachen Axiomen wie denen von Peano und Definitionen wie die der rationalen und reellen Zahlen mit den Eigenschaften von Zahlkörpern lassen sich über elementare Schlussregeln alle möglichen Zusammenhänge ableiten. Man kann sich in der Mathematik so ziemlich alles definieren, was man möchte, solange man sich an die Schlussregeln hält. -1 hat keine Wurzel in den reellen Zahlen? Dann definieren wir uns eine Zahl i, deren Quadrat -1 sei und können darauf einen Zahlenkörper aufbauen. Wir können uns auch über Polynomen einen Körper aufbauen, wenn wir eine Division von Polynomen definieren. Usw. Mathematik ist da sehr flexibel.

    Nach den so getroffenen Definitionen kommt es dann auf die Schlussregeln an. Ich bin Informatiker, für uns ist die Aussagenlogik ein Studienschwerpunkt. Naturgesetze stellen Aussagen dar. Wenn bestimmte Voraussetzungen erfüllt sind, dann tritt etwas bestimmtes ein. Das ist eine einfache Folgerungsregel: Wenn A, dann B. Wie es genau abläuft, z.B. wie groß die Gravitationskraft zwischen zwei Massen in einer bestimmten Entfernung ist, hängt von deren genauen Werten ab, und das Gravitationsgesetz lässt sich in einer Formeln beschreiben, weil eben genau dann, wenn die gleichen Voraussetzungen vorliegen (gleiche Massen, gleiche Entfernung) das gleiche passiert. Im Prinzip könnte man ein großes Prolog-Programm schreiben, das alle Naturgesetze als Ausagen mit Zahlenwerten enthält, und es könnte dann ausrechnen, was passieren wird.

    Es wird jetzt der berechtigte Einwand kommen, dass der Laplacesche Dämon spätestens seit der Quantentheorie tot sei und z.B. schon beim Dreikörperproblem sei das Ergebnis nicht vorhersehbar. Hier liegt der spezielle Fall vor, dass sich kleine Störungen unterhalb der Messgenauigkeit schnell aufschaukeln, und genau deswegen hat die Mathematik ja auch ein Problem mit diesen Vorgängen, man kann sie nur näherungsweise und für beschränkte Zeiten vorausberechnen. Das ist genau der Punkt: wo sich die Natur bei (scheinbar) gleichen Voraussetzungen nicht gleich verhält, da tut sich die Mathematik schwer.

    Es kommt am Ende also darauf an, dass die Natur in einer reproduzierbaren Weise reagiert. Wenn sie das nicht tut, dann können wir mit der Mathematik nur begrenzt Aussagen machen (z.B. kann man die Gesamtenergie in einem n-Körper-Problem betrachten und daraus gewisse Aussagen ableiten, wenn ich mich recht entsinne, weil: Energie bleibt erhalten). Es gibt etwa keine Formel, die uns sagt, wann ein radioaktives Teilchen nach seiner Entstehung zerfällt. Keine Chance. Glücklicherweise gehorcht aber der radioaktive Zerfall einem einfachen Exponentialgesetz, so dass von einer sehr großen Menge von Teilchen in einem bestimmten Zeitintervall stets ein bestimmter Anteil zerfällt. Weil das so ist, lässt es sich mathematisch beschreiben. (Aber selbst wenn jedes Teilchen seine eigene Halbwertszeit hätte, könnte man über den zentralen Grenzwertsatz vermutlich gewisse Vorhersagen machen: man denke an Fehlerrechnung oder den Prozess des Rauschens).

    Mein Fazit wäre also: die Reproduzierbarkeit von Vorgängen sowie die Flexibilität der Mathematik erlauben es, die Mathematik auf die Natur anzuwenden, und aufgrund von Schlussregeln auch Dinge abzuleiten, die man dann im Experiment prüfen kann. Und wenn es im Extremfall einmal nicht passt – z.B. warum die Newtonsche Mechanik nicht die Periheldrehung von Merkur korrekt voraussagte – dann waren die Voraussetzungen nicht korrekt empirisch ermittelt worden. Ex falso quodlibet. Oder man ist nicht in der Lage, die Voraussetzungen hinreichend genau zu erfassen bz,w sie unterliegen zufälligen, nicht vorhersehbaren Einflüssen. Dann muss man sich mit Statistiken über das begnügen, was als Essenz erhalten bleibt.

    Damit sind wir dann auch wieder bei der eingangs von mir erwähnten, anscheinend notwendigen Stabilität. Wiederholbarkeit fällt sicherlich mit unter die Stabilitätskriterien.

    Das sind wieder nur meine Gedanken, ohne Anspruch auf Korrektheit oder tiefere Aussagekraft.

  22. #22 MartinB
    3. Februar 2014

    @Alderamin
    Das passt in vieler Hinsicht ja auch zu dem, was ich schon mal zum Thema geschrieben habe:
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2011/08/15/ist-die-natur-mathematisch/

  23. #23 stone1
    3. Februar 2014

    Bin erst heute dazugekommen, den Abschlussartikel dieser Serie zu lesen, und bin beeindruckt.

    Ich denke dass die Mathematik sehr viel mit der Realität zu tun hat, zumindest ist sie unsere einzige Möglichkeit, sie in unserem Universum unmissverständlich zu beschreiben. Dass eine ToE notwendigerweise elegant und relativ einfach sein muss, sehe ich nicht, dass wir sie eines Tages finden werden und sie sich als Alptraum jedes Mathestudenten entpuppt, schon eher.