Rentiere leben ja bekanntlich ziemlich weit im Norden, da wo es kalt ist (noch kälter als hier, brrrr…) und im Winter dunkel. Um im Dunkeln trotzdem gut sehen zu können, haben Rentiere rote leuchtende Nasen …äääh …große Augen, große Pupillen und eine Netzhaut mit einem “schaltbaren” Reflektor.
Eine reflektierende Schicht hinten im Augen haben ja viele Säugetiere – Katzen zum Beispiel oder Waschbären wie hier im Bild:
Von Carey Carpenter – Eigenes Werk, CC BY-SA 3.0, Link
Licht das auf die Netzhaut fällt, aber von den Stäbchen (den Sinneszellen, die für’s Dunkelsehen zuständig sind) nicht absorbiert wird, kann von dieser Schicht reflektiert werden und hat dann auf dem Rückweg noch eine Chance, von den Sinneszellen eingefangen zu werden. Das erhöht die Lichtausbeute und macht das Dunkelsehen einfacher. Viele Säugetiere haben deswegen so ein “tapetum lucidum” (kurz TL), wie die Schicht offiziell heißt.
Auch Rentiere haben so eine Schicht, aber mit einem Extra-Trick. Im Sommer ist das TL (oder die TL?) golden, so wie bei anderen Säugetieren auch. Im Winter aber ändert es seine Farbe und wird eher Dunkelblau. Das nachfolgende Bild zeigt herauspräparierte Augen von Rentieren, einmal im Sommer und einmal im Winter. (Ja, für diese Forschung wurden rentiere getötet. Einige in der üblichen Schlacht-Saison, aber einige auch extra für diese Forschung. Natürlich wurden die entsprechenden Ethik-Bestimmungen eingehalten und die notwendigen Genehmigungen eingeholt.)
Aus Stokkan et al., s.u.
Betrachtet man das Bild, so sieht man, dass das TL nicht nur seine Farbe ändert, sondern auch noch weniger hell ist, also anscheinend weniger Licht zurückwirft. Da stellt man sich doch gleich zwei Fragen: 1. Was passiert da im Auge? Und 2. Wozu ist das gut?
Was da im Auge passiert, wurde in der Arbeit mit Hilfe eines Elektronenmikroskops herausgeknobelt: Das TL besteht aus Kollagenfasern (dem üblichen Material, aus dem Bindegewebe besteht und das wir auch in unserer Haut oder den Knochen und Sehnen haben, also quasi das Defaultmaterial des Körpers). Diese Kollagenfasern rücken im Winter enger zusammen und ändern dadurch ihre Reflektivität. Und wie das in der Forschung so ist – kaum ist eine Frage beantwortet, stellt sich schon die nächste: Warum ändert sich der Abstand der Fasern?
Das wiederum hängt vermutlich mit dem Augeninnendruck zusammen. Der ist bei Rentieren im Winter nämlich deutlich höher als im Sommer, und das beeinflusst anscheinend die Struktur der Kollagenfaseranordnung. Und schon wieder eine neue Frage: Warum ist der Augeninnendruck im Winter größer? Das wiederum liegt vermutlich daran, dass es im Winter dunkel ist. Bei Dunkelheit sind die Pupillen ja weit geöffnet und das beeinträchtigt die kleinen Kanäle vorn am Auge, durch die Flüssigkeit aus dem Auge ablaufen kann. (Bei Menschen mit zu hohem Augeninnendruck gibt man dagegen Augentropfen, weil sonst die Netzhaut geschädigt wird und sich ein Glaukom bilden kann.)
Die weit geöffneten Pupillen führen also dazu, dass sich die Struktur des TL verändert und so die Reflektivität ändert. (Allerdings zeigt sich, dass das TL sich nicht golden färbt, wenn man den Augendruck absenkt oder das TL aus dem Auge herauspräpariert. Die Veränderung passiert also anscheinend nur, wenn der Druck über eine längere Zeit wirkt oder sie hat noch eine zusätzliche Ursache.)
Damit ist auch klar, dass die zweite Frage so vielleicht gar nicht richtig gestellt ist, denn die Änderung der Reflektivität könnte ja auch ein Nachteil sein, der aber durch den Vorteil der ständig geweiteten Pupille kompensiert wird.
Und wenn man sich die Reflektivität anguckt, dann stellt man tatsächlich fest, dass sie im Sommer (grau) größer ist als im Winter (schwarz):
Aus Stokkan et al., s.u.
Man sieht, dass im Sommer in allen Wellenlängenbereich mehr Licht reflektiert wird als im Winter. Ist die blaue Färbung also möglicherweise doch ein Nachteil?
Dazu wurde direkt die Reaktion der Rentiere auf Licht gemessen. Da man das nicht machen kann, indem man die Rentiere (wie bei menschlichen Gesichtsfelduntersuchungen) Knöpfe drücken lässt, wenn sie was sehen, hat man den Tieren (unter Betäubung) Sensoren angebracht, die direkt die Reaktion der Netzhaut messen (ein Elektroretinogramm). Und unter schwachem Licht, wie es im Polarwinter vorherrscht (mit hohem Blauanteil, weil blaues Licht in der Atmosphäre stärker gestreut wird), ist die Reaktion der Winter-Augen (rechts) deutlich stärker als die der Sommer-Augen (links).
Aus Stokkan et al., s.u.
Im Bild nimmt die Signalstärke von oben nach unten zu, man erkennt deutlich, dass die Winter-Augen stärker reagieren.
Fragt sich nur noch, warum das so ist. Eindeutig herausbekommen haben die ForscherInnen das nicht, aber sie haben zumindest ein plausibles Modell gefunden: Die Winter-Augen reflektieren das einfallende Licht nicht direkt, sondern streuen es innerhalb des Auges, etwa so:
Aus Stokkan et al., s.u.
Dadurch würde zwar die Ortsauflösung abnehmen, aber die Sensitivität gegen Lichtveränderungen würde zunehmen – genau das, was ihr braucht, wenn ihr ein Rentier im Polarwinter seid und wissen wollt, ob irgendwo ein hungriger Wolf rumschleicht.
Die veränderte Struktur wird also zwar durch die dauerhaft erweiterte Pupille hervorgerufen, hat aber anscheinend auch echte Vorteile. Bleibt noch zu klären, ob hier eine echte evolutionäre Anpassung oder eher ein Glücksfall vorliegt. Für die Anpassung spricht, dass ein Absenken des Augendrucks allein ja nicht ausreicht, um die Struktur wieder zu verändern, insofern passiert da möglicherweise noch mehr im Rentierauge.
Auf jeden Fall könnt ihr nächstes Jahr zu Weihnachten ja mal prüfen, ob Rudolf im Winter goldene oder blaue Augen hat.
Karl-Arne Stokkan, Lars Folkow, Juliet Dukes, Magella Neveu, Chris Hogg, Sandra Siefken, Steven C. Dakin and Glen Jeffery
Shifting mirrors: adaptive changes in retinal reflections to winter darkness in Arctic reindeer
Proc. R. Soc. B 2013 280, 20132451
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