Gewisse Bedürfnisse haben ja so ziemlich alle Tiere. Wie sie damit umgehen, ist aber sehr unterschiedlich – Vögel lassen meist alles einfach da fallen, wo sie gerade fliegen, Hunde setzen ihre Häufchen auch ein, um ihr Revier zu markieren, Menschen ziehen sich meist in ein stilles Kämmerlein zurück. Viele heutige Säugetiere, die in Herden leben, verwenden bestimmte Stellen, an die sie gehen, um dort ihr Geschäft zu erledigen, beispielsweise Elefanten, Waschbären, Antilopen oder Pferde. Seit kurzem kennen wir auch ein Beispiel dafür aus der fernen Erdvergangenheit.
Erst einmal stellt sich natürlich die Frage, warum Tiere überhaupt gemeinsame Stellen für diesen Zweck (als “Latrinen” bezeichnet) haben. Wikipedia kennt einige Gründe, beispielsweise der Schutz vor Krankheitserregern, weil große Pflanzenfresser wie Antilopen Gefahr laufen würden, Darmbakterien von anderen aufzunehmen, wenn jede Antilope einfach auf der Grasfläche da hinmacht, wo sie gerade steht. Das paper, um das es hier geht, nennt noch einige weitere Gründe, beispielsweise den Schutz vor Raubtieren (vermutlich, um keine Spuren zu hinterlassen?) oder die Fortpflanzung. (Das ist mir jetzt nicht so klar, es wird eine Arbeit zitiert, in der es um den Riesenbeutelmarder Dasyurus maculatus geht. Die Arbeit trägt den titel “Socio-seasonal changes in scent-marking habits in the carnivorous marsupial Dasyurus maculatus at communal latrines”, anscheinend geht es also um Duftmarken, die dann wohl zur Fortpflanzungszeit an den Latrinen hinterlassen werden.)
Die Hinterlassenschaften von Tieren können natürlich auch versteinern – solche fossilen Exkremente nennt man Koprolithen. Man kennt sie von vielen Tierarten, beispielsweise von Säugetieren oder Dinosauriern. Fossile Hinweise auf gemeinschaftlich genutzte Latrinen sind aber eher selten und stammen alle aus der Erdneuzeit. Man kennt sie beispielsweise von urzeitlichen Hyänen, aber diese Fossilien stammen aus dem späten Miozän und sind damit weniger als 20 Millionen Jahre alt.
Doch ein neuer Fossilienfund schiebt nun die Zeitgrenze für tierische Latrinen massiv in die Vergangenheit, nämlich in die Triaszeit vor etwa 235 Millionen Jahren. Falls ihr – als efrige LeserInnen dieses Blogs – jetzt erwartet, dass sie von Dinosauriern stammen, dann muss ich euch enttäuschen. Man hat die Koprolithen zwar in der argenitinischen Ischigualasto-Formation gefunden, die auch für die Funde sehr urtümlicher Dinos bekannte ist (beispielsweise Herrerasaurus oder Eoraptor – mehr über die ersten Dinos findet ihr auch hier.) Damals waren die Dinos aber noch fleischfressende “Zwerge” und dominierten die ökosysteme noch längst nicht so, wie sie es später taten.
Die gefundenen Koprolithen jedenfalls sind viel zu groß, als dass sie von einem der damals lebenden Dinos hätten stammen können – die größten von ihnen haben einen Durchmesser von mehr als 30 Zentimetern. Allerdings waren auch sehr kleine dabei, die weniger als einen Zentimeter groß sind. Insgesamt hat man mehrere 10000 solcher Koprolithen gefunden, die sich auf 8 Fundstellen verteilen. Die einzelnen Fundstellen hatten Flächen von 400 bis 900 Quadratmetern und zum Teil lagen bis zu 90 Koprolithen auf einem Quadratmeter. Damit ist wohl ziemlich sicher ausgeschlossen, dass all diese Häufchen von einem einzigen Tier gemacht wurden – es muss schon eine Herde gewesen sein. Die stark unterschiedliche Größe der Koprolithen spricht dafür, dass ausgewachsene und Jungtiere gemeinsam in der Herde unterwegs waren.
Hier eine kleine Auswahl:
Ja, ich sehe da auch nur runde Steine, aber ich bin ja auch kein Experte für das Finden solcher (oder irgendwelcher) Fossilien.
Um etwas mehr herauszufinden, wurden die Koprolithen aufgeschnitten und ihr Inneres analysiert. Dabei findet man Spuren von Pflanzenfasern und Blättern, aber nicht von Knochen. Das spricht also dafür, dass sie von Pflanzenfressern stammen. (Das ist natürlich eh plausibel, weil eine so große Herde von großen Fleischfressern sehr ungewöhnlich wäre.) Einige Koprolithen enthielten auch Fossilien, die vermutlich von Muschelkrebsen stammen (kleine Krebsviecher, die man häufig als Fossilien findet) – das paper geht nicht näher darauf ein, aber da das sehr kleine Süßwasserkrebse sind, ist es wohl plausibel, dass die beim Fressen von Wasserpflanzen mitgefuttert wurden (in meinem Aquarium kann man auch keine Pflanze rausziehen, ohne dass man haufenweise Schnecken mitbekommt).
Gesucht ist also ein großes, häufig vorkommendes und in Herden lebendes Tier, das damals lebte. Und da kommt eigentlich nur eins in Frage, nämlich ein Dicynodont, und zwar einer der Species Dinodontosaurus. Hier ein Skelett
Von Sergio Kaminski – Sergio Kaminski, Gemeinfrei, Link
und hier eine Rekonstruktion, wie so ein Dinodontosaurus etwa ausgesehen hat.
Von Dmitry Bogdanov – Eigenes Werk, CC BY 3.0, Link
Auch wenn Dinodontosaurus vom Aussehen her (und auch dem Namen nach) wie ein Dinosaurier erscheinen mag, ist er keiner. Er gehört zu den Synapsiden und früher hätte man ihn als “säugetierähnliches Reptil” eingestuft, aber diese Bezeichnung ist ein bisschen in Ungnade gefallen (weil der Begriff “Reptil” für die biologische Klassifikation problematisch ist.) Meist spricht man deshalb von “Nicht-Säugetier-Synapsiden” (jedenfalls im Englischen, da heißen die “non-mammalian synapsids” – ich lese solche Sachen fast ausschließlich auf Englisch; die deutsche Wikipedia hilft leider auch nicht weiter und der Text zu den Synapsiden ist zumindest kladistisch gesehen problematisch – die Synapsiden erlebten ihre Blütezeit in Perm und Trias???). Dinodontosaurus und die andere Dicynodonten gehören also eher in unsere Vorfahrenlinie und sind sozusagen entfernte Ur-Ur…-Großonkel und -tanten. Sie konnten auch zimelich groß werden – einige Dicynodonten erreichten Massen von über 3 Tonnen. (Wenn ihr die Serie “Walking with dinosaurs” gesehen habt, dann kennt ihr vielleicht den Placerias aus dem ersten Teil, der gehört auch in diese Gruppe.)
Über die Ernährung der Dicynodonten gab es bisher kein wirklich gesichertes Wissen; man vermutete zwar, dass sie Pflanzenfresser waren, aber sicher war das nicht. Zumindest für Dinodontosaurus und seine Verwandten ist diese Frage damit aber wohl geklärt.
Noch etwas anderes ist an den Dicynodonten sehr bemerkenswert: Sie sehen ja ziemlich plump und unförmig aus und man könnte meinen, dass es sich wohl eher um eine ziemlich erfolglose Seitengruppe handelte. Das ist aber vollkommen falsch. Dicynodonten waren über die ganze Erde verbreitet und haben als eine von sehr wenigen Wirbeltiergruppen das Massensterben am Ende des Perm nahezu schadlos überstanden, während viele andere Arten untergingen. Anscheinend waren sie also robuster und anpassungsfähiger, als man auf den ersten Blick denkt.
Und wie die Funde der Latrinen zeigen, haben sie in Herden gelebt; damit war vermutlich auch ihr Sozialverhalten deutlich komplexer, als man es bei so “primitiven” Tieren vielleicht erwartet. (Wir lernen ja auch jetzt erst, dass auch Eidechsen oder Krokodile ein durchaus kompliziertes Sozialverhalten haben können und nicht bloß dumpfe Reiz-Reaktions-Maschinen sind. – Zum Sozialverhalten bei Eidechsen gibt es vielleicht demnächst noch mehr, ich habe da ein interessantes paper auf dem gigantischen virtuellen Stapel…) Welchen Zweck die Latrinen hatten, ist damit natürlich noch nicht klar, auch wenn es sicher plausibel ist anzunehmen, dass es um den Schutz vor Krankheitserregern geht, so wie bei vielen heutigen Großsäugern auch.
Lucas E. Fiorelli et al.
The oldest known communal latrines provide evidence of gregarism in Triassic megaherbivores
SCIENTIFIC REPORTS | 3 : 3348 | DOI: 10.1038/srep03348
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