Im Dezember hat Peter Higgs ja – wie erwartet – seinen Nobelpreis bekommen und zwar “für die theoretische Entdeckung eines Mechanismus’, der zu unserem Verständnis der Masse subatomarer Teilchen beiträgt und der kürzlich durch die Entdeckung des vorhergesagten fundamentalen Teilchens durch die ATLAS und CMS-Experimente am LHC des CERN bestätigt wurde.” Im Oktober habe ich versucht, die Geschichte dieser Entdeckung nachzuerzählen und zu erklären, warum Higgs eben nicht das Higgsteilchen vorhergesagt hat. Inzwischen ist die Nobelpreis-Rede von Higgs veröffentlicht, und es lohnt sich vielleicht, noch einmal hineinzuschauen.
(Wie üblich habe ich mir nicht das Video angeschaut, sondern nur den Text gelesen… Die Rede von Englert gibt es übrigens noch nicht als Text – immerhin kann man aber seine Folien ansehen.) Falls ihr mehr über das Higgs wissen wollt, könnt ihr die tag-cloud rechts verwenden (und dabei sehen, dass ich beim vergeben von tags etwas schlampig bin…)
Erfreulicherweise zeigt sich, dass meine Erzählung vom Oktober in weiten Teilen korrekt war (ein bisschen war ich ja schon in Sorge). Tatsächlich ging es um Hadronen, also um schwere Teilchen wie Protonen und Neutronen (von denen wir heute wissen, dass sie aus drei Quarks bestehen). Protonen und Neutronen sind sich ja ziemlich ähnlich – sie sind sozusagen zwei leicht unterschiedliche Varianten derselben Sache, wie man sich damals vorstellte. (Man nannte das den “Isospin”, was eine extrem verwirrende Bezeichnung ist, weil es mit dem gewöhnlichen Spin – also der Tatsache, dass viele Teilchen sich so verhalten, als würden sie sich um ihre eigene Achse drehen – nicht viel zu tun hat. Ich glaube, ein oder zwei mal habe ich in diesem Blog schon erwähnt, das Bezeichnungen in der Physik oft sehr ungeschickt gewählt sind.)
Der Physiker Nambu versuchte, die Eigenschaften von Proton und Neutron über eine Symmetriebrechung zu erklären, also dadurch, dass zwar die Gleichungen der Physik vollkommen symmetrisch sind, aber unsymmetrische Lösungen haben können. Ein beliebtes Beispiel dafür ist ein Bleistift, der auf seiner Spitze steht und umfällt -am Anfang ist die Situation symmetrisch, weil sie von allen Seiten aus gleich aussieht, nach dem Umfallen aber nicht mehr.) Allerdings zeigte sich bald – im so genannten Nambu-Goldstone-Theorem – dass das so nicht funktioniert, weil bei einer solchen Symmetriebrechung immer auch ein masseloses teilchen entstehen würde, das es aber in der Realität nicht gab. Das einzige Teilchen, das halbwegs passte, war das Pion. (heute wissen wir, dass das Pion aus zwei Quarks besteht.) Pionen hatte der japanische Physiker Yukawa in den 30er Jahren “erfunden” (oder postuliert), weil sich damit die Wechselwirkung zwischen Protonen und Neutronen gut beschreiben ließ. Weil diese Wechselwirkung eine kurze Reichweite hat (über größere Entfernungen ziehen sich Protonen und Neutronen nicht an), ließ sie sich durch Teilchen mit einer Masse vermitteln, eben den Pionen. (Eine ausführliche Erklärung, wie Teilchen Kräfte vermitteln können und was die Reichweite mit einer Masse zu tun hat, findet ihr unter den Artikelserien bei der Quantenfeldtheorie.)
In den 40er Jahren wurde das Pion dann auch gefunden, und zwar ziemlich genau mit der vorhergesagten Masse. Nach Nambus Idee hätte also das Pion masselos sein müssen – das war es aber nicht.
Zurück zur Geschichte von Higgs und seinem Mechanismus. 1963 zeigte der Physiker Anderson, dass in Supraleitern ein ähnlicher Effekt auftrat, wie Nambu ihn für die Protonen und Neutronen postuliert hatte, dass dort aber das mit der Symmetriebrechung verbundene teilchen masselos war. Er erklärte allerdings nicht, wie der Mechanismus dahinter aussehen würde, insofern wurde diese Idee im wesentlichen ignoriert. Ein zweiter Versuch, das Nambu-Goldstone-Theorem zu umgehen, stammte von Klein und Lee – aber Wally Gilbert (späterer Nobelpreisträger in Chemie) zeigte, dass die Idee von Klein und Lee die Lorentzinvarianz verletzte, also Probleme mit der Relativitätstheorie bekam. Damit war Nambus Idee wieder am Ende.
Oder auch nicht. Denn Higgs überlegte, dass es in der Quantenfeldtheorie – obwohl sie perfekt mit der Relativitätstheorie vereinbar ist – auch andere Konzepte gibt, die scheinbar die RT verletzen. Basierend auf einer Arbeit von Schwinger fing Higgs an zu überlegen und brauchte nur ein Wochenende, um ein Modell zu entwickeln, wie man einem Teilchen, das bei einer spontanen Symmetriebrechung entsteht, eine Masse verleihen kann. Sein paper wurde zunächst aber – vermutlich, weil der Gutachter die Implikationen nicht sah – abgelehnt, was sicher auch daran lag, dass Higgs das ganze als rein theoretische Überegung ohne jede Anwendung darstellte.
Higgs überarbeitete das paper etwas und fügte ein paar Sätze hinzu. In dieser neuen Version wurde es dann angenommen – Gutachter war übrigens Nambu, der die Tragweite der Idee natürlich sah. Parallel dazu war das paper von Englert und Brout erschienen, die nahezu dieselbe Idee gehabt hatten.
Auch in Higgs’ rede wird also deutlich, dass es in seiner Arbeit nicht um die schwache Wechselwirkung ging, für die der Higgsmechanismus ja heute eingesetzt wird, um die Masse der W- und Z-Teilchen zu erklären. Das Higgs-Teilchen hat er also definitiv nicht vorhergesagt. Seinen Nobelpreis hat er aber natürlich – ebenso wie Englert – voll verdient.
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