Tiktaalik ist sicherlich eines der bedeutendsten Fossilien der letzten 20 Jahre. Er ist ein “Bindeglied” zwischen den Fischen und den ersten echten Vierfüßern und damit nicht nur ein weiteres Argument gegen Kreationisten und andere Evolutionsleugner (als ob man da noch eins gebraucht hätte…), sondern liefert vor allem tiefe Einblicke in die Entwicklung von Gliedmaßen. Allerdings hatte die Erstbeschreibung aus dem Jahr 2006 einen Nachteil: Das Fossil hatte keine Hüfte. Das hat sich nun geändert.
Denn als man das damals gefundene und beschriebene Fossil weiter untersucht und präpariert hat, fand man einige Hüftknochen, so dass man nun mehr über Tiktaalik weiß als vorher.
Aber bevor ich etwas über die Hüfte schreibe, erst mal ein paar Worte zu Tiktaalik und warum er so wichtig ist. Dieses hübsche Diagramm zeigt es eigentlich schon:
CC BY-SA 3.0, Link (Bild von dave souza)
Links seht ihr unsere eher fischigen Vorfahren, rechts die berühmten Ichthyostega und Acanthostega, die ja schon seit vielen Jahren bekannt sind und in keinem Buch über Urzeitviecher fehlen. Ichthyostega wird ja oft als echt amphibisches Lebewesen dargestellt, das auch gern mal an Land herumkroch, aber das ist vermutlich nicht korrekt. Hier ein etwas detaillierterer Stammbaum aus meinem Artikel über Tungsenia (der aber weiter unten am Stammbaum sitzt)
(Lu et al. The earliest known stem-tetrapod from the Lower Devonian of China NATURE COMMUNICATIONS | 3:1160 | DOI: 10.1038/ncomms2170)
An diesem Stammbaum sieht man sehr schön, wie Tiktaalik genau zwischen Ichthyostega und urtümlicheren Vierfüßern mit Flossen sitzt.
Falls ihr alte Bücher über Urzeittiere habt (oder als Kind verschlungen habt, so wie ich), dann kennt ihr sicher die Geschichte, nach der die ersten Vierfüßer sich von einem Teich zum nächsten übers Land schleppten und deswegen (jaja, ich weiß, Evolution ist zufällig etc.) kräftigere Flossen/Beine bekamen, weil sie so der Trockenheit entgehen konnten. Die Idee stammt von Alfred Romer, einem der bekanntesten Paläontologen des 20. Jahrhunderts. Inzwischen ist aber ziemlich klar, dass sie wohl nicht korrekt ist – Tiere wie Tiktaalik hatten schon Beine (oder beinartige Flossen), waren aber ziemlich sicher keine Landgänger, und selbst Ichthyostega war ja eben kein Landbewohner. Vielmehr nutzten sie die Beine wohl eher dazu, um im flachen Wasser herumzupaddeln oder sich dort vom Boden abzustützen und so insgesamt mobiler zu sein, und der Landgang kam erst später.
Tiktaalik jedenfalls hatte durchaus kräftige Vorderbeine (oder -flossen, ganz wie ihr wollt). Rekonstruktionen zeigten ihn deshalb gern, wie er sich auf diese Flossen stützt, während das hintere Ende eher kleine Anhängsel hat, so wie hier:
By Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Own work, CC BY 2.5, Link
Da man die Hinterbeine nicht kannte, war das natürlich zunächst Spekulation, die aber dadurch halbwegs begründet war, dass Tiktaaliks Vorfahren wie Eusthenopteron eine sehr schwach ausgeprägte Hüfte besaßen. Das führte zu der Idee, dass die ersten Vierfüßer einen “Frontantrieb” hatten, also stark entwickelte Vorderbeine, während sie hintenrum eher ihren Schwanz verwendeten.
Die neu analysierten Knochen sowie einige neue Funde von isolierten Hüftknochen zeigen nun, dass Tiktaalik schon eine ziemlich große Hüfte hatte. Hier die Hüfte und Schulter von Acanthostega (oben), Tiktaalik (mitte) und Eusthenopteron (unten) im Vergleich (ich habe das extra blasse Bild aus dem paper nachbearbeitet, damit man etwas erkennt…):
Nach Shubin et al., s.u.
Tiktaalik hatte also eine ziemlich kräftige Hüfte und keinen echten “Frontantrieb” mehr. Von der Struktur her ähnelt die Hüfte aber noch sehr der von Eusthenopteron. Insgesamt ist auch Tiktaaliks Hüfte nicht zum Tragen großer Lasten (also etwa des Körpergewichts an Land) ausgelegt, sondern dient eher dazu, eine große Beweglichkeit der Hinterflossen zu ermöglichen – das Hüftgelenk ist stärker kugelförmig als bei späteren Vierfüßern, so dass eine größere Rotation möglich ist. Bei Landwirbeltieren (und auch bei Acanthostega) ist die Beweglichkeit der Hinterbeine/flossen eingeschränkt, um eine größere Stabilität zu ermöglichen. Insgesamt ergibt sich ein Bild, bei dem Tiktaalik an der Schulter eher stabil gebaut war und an der Hüfte eher beweglich. Mit seiner Hüfte könnte Tiktaalik sowohl (unter Wasser) gelaufen sein als auch gepaddelt haben oder die Hinterflossen verwendet haben, um auf der Stelle zu schwimmen.
Der Weg vom Fisch zum Vierfüßer war demnach also vielleicht noch ein bisschen komplizierter als man gedacht hätte. Die Hüfte wurde nicht einfach größer und stabiler, um den Körper zu tragen, sondern zunächst vermutlich eher, um kräftige Schwimmbewegungen der Hinterflossen zu ermöglichen. Tiere wie Tiktaalik sind eben nicht einfach evolutionäre Zwischenformen (sozusagen “nicht Fisch und nicht Fleisch”), sondern an ihre jeweilige Umgebung gut angepasste Tiere, so wie unsere heutigen Katzen, Nilpferde oder Elefanten.
Neil H. Shubin, Edward B. Daeschlerb, and Farish A. Jenkins, Jr
Pelvic girdle and fin of Tiktaalik roseae
www.pnas.org/cgi/doi/10.1073/pnas.1322559111
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