Beeinflusst unsere Sprache unser Denken und wie stark ist dieser Einfluss? Diese Frage treibt die LinguistInnen seit langem um. Auch hier auf dem Blog haben wir gelegentlich – im Zusammenhang mit der geschlechtergerechten Sprache – über dieses Problem diskutiert. Heute will ich einen kleinen Blick auf eine ganz spezifische Frage werfen: Beeinflusst das grammatische Geschlecht unser Denken?

Um es gleich vorweg zu sagen: Es gibt keine klare und eindeutige Antwort auf die Frage, ob und wie das grammatische Geschlecht unser Denken beeinflusst. Unterschiedliche Experimente ergeben leicht verschiedene Antworten, die sich auch nicht unbedingt alle ohne weiteres unter einen Hut bringen lassen.

Warnung: Ich bin kein Linguist. Ich habe zwar in den letzten Wochen einen Haufen paper gelesen und mir unterschiedliche Experimente durchgelesen, aber ich übernehme keine Garantie dafür, dass ich nicht irgendwo etwas falsch verstanden habe oder ein Ergebnis falsch interpretiere – mein Linguistik-Abschluss ist sozusagen ein Bachelor der Google University, aber auch nicht mehr. Falls ihr vom Fach seid und mehr Ahnung habt als ich, dürft ihr euch gern in den Kommentaren beschweren und mir zeigen, wo ich Mist gebaut habe.

Wir müssen im folgenden zwei Arten von “Geschlecht” unterscheiden, das grammatische Geschlecht (das werde ich im folgenden mit GG (nein, steht nicht für Grundgesetz) abkürzen, weil es dauernd vorkommt), nach dem also “der Löffel” männlich und “die Gabel” weiblich ist, und das semantische Geschlecht (kurz SG – hat hier aber nix mit Wurmlöchern zu tun…) – Männer sind männlich, Frauen sind weiblich. Wörter können entweder nur ein GG haben, aber kein SG (wie zum Beispiel “der Löffel”, der ja eigentlich nicht so der Macho-Typ ist) oder sie können beides haben, wobei dann GG und SG meist übereinstimmen, allerdings nicht immer (beispielsweise sagen wir “das Mädchen”, SG weiblich, GG sächlich – interessanter Weise habe ich bisher keine Studie finden können, die solche Wörter systematisch mit solchen vergleicht, bei denen GG und SG übereinstimmen, vielleicht, weil es Wörter wie “das Mädchen” nicht so sehr viele gibt.). Manche Wörter bezeichnen auch Begriffe, die zwar prinzipiell ein SG haben, das aber unbestimmt ist – beispielsweise “die Person”, “das Mitglied”. (Das führt jetzt schon wieder ein wenig in Richtung des berühmten generischen Maskulinums – das ist hier aber nicht unser Hauptthema, auch wenn ich im 2. Teil bei einem Experiment noch etwas dazu sagen werde. VerfechterInnen des generischen Maskulinums führen aber ja gern Wörter wie “der Löffel/die Gabel” als Beleg dafür an, dass das GG offensichtlich keinen Einfluss auf unser Denken hat.)

Das grammatische Geschlecht könnte unser Denken und unsere Verwendung von Wörtern auf verschiedene Weise beeinflussen, beispielsweise auf der sozusagen unteren Ebene der Wort-Verarbeitung oder aber auf der Bedeutungs-Ebene. Beispielsweise könnten wir mit Wörtern, die ein feminines GG haben, auch eher “weibliche” Begriffe assoziieren.

Schauen wir erst einmal auf die “unterste” Ebene, die des Wortverständnisses und der Wortverarbeitung. Ich stelle hier jeweils verschiedene Experimente vor, die genauen Referenzen findet ihr am Ende des Artikels.

Beeinflusst das Geschlecht  die Wort-Verarbeitung?

Cubelli et al. 2011

In dieser Arbeit wurde untersucht, ob die Zuordnung von Objekten durch das GG beeinflusst wird. Es wurden 16 Bilder aus 8 Begriffskategorien (wie Säugetier, Vogel, Gebäude usw.) gewählt und Versuchspersonen sollten jeweils sagen, ob die Bilder zur selben Kategorie gehören oder nicht. (Mir wurde dabei nicht ganz klar, ob die Versuchspersonen die Kategorien vorher gesagt bekamen oder nicht – wenn nicht, dann ist es natürlich nicht so einfach, wenn z.B. ein Säugetier und ein Vogel gezeigt wurden, da beide zur Kategorie “Tiere” gehören. Für das Endergebnis spielt das aber keine große Rolle, da ohnehin nur korrekte Zuordnungen ausgewertet wurden. Wie genau die Bilder ausgewählt wurden, ist in der Arbeit auch beschrieben, aber solche methodischen Aspekte sind mir hier nicht so wichtig, gehen wir einfach mal davon aus, dass die LinguistInnen wissen, was sie tun…)

Der Versuch wurde sowohl mit englisch- als auch mit italienisch-sprachigen Personen gemacht. Da das Englische kein GG für Substantive hat, können die Ergebnisse dieser Gruppe sozusagen als Referenz dienen. Die Bilder wurden so gewählt, dass bei einigen Paarungen das GG im Italienischen übereinstimmte, bei anderen nicht. Dann wurde jeweils die Reaktionszeit gemessen, die benötigt wurde, um die Zuordnung zu machen. (Dabei ist zu sagen, dass die Standardabweichungen bei Reaktionszeiten natürlich sehr hoch sind, entsprechend muss man sauber statistisch auswerten, um zu sehen, ob es Effekte gibt.)

Im Englischen zeigt sich (erwartungsgemäß), dass die Reaktionszeit kürzer ist, wenn die beiden Objekte zur selben Kategorie gehören. (Ich erkläre mir das mal ganz naiv so, dass man im Geiste unterschiedliche Kategorien durchprobiert und wenn man eine übereinstimmende gefunden hat, ist man fertig.) Im Italienischen war dieser Effekt auch vorhanden, zusätzlich war die Zuordnung aber immer schneller, wenn die beiden Objekte in ihrem GG übereinstimmten (egal ob sie nun zur selben Kategorie gehörten oder nicht).

Das Experiment wurde dann mit einem Vergleich von italienisch- und spanisch-sprechenden Personen wiederholt, wobei die Bilder so gewählt wurden, dass dieselben Bilder in der einen Sprache dasselbe GG hatten, in der anderen nicht. Auch hier ergab sich dasselbe Ergebnis – ein übereinstimmendes GG führt immer zu einer schnelleren Verarbeitung.

Im dritten Experiment wurde dann getestet, ob der Effekt tatsächlich auf Sprachverarbeitung im Kopf beruht. Dazu wurde das Sprachzentrum der Versuchspersonen anderweitig beschäftigt – sie mussten während des Testes die ganze zeit “bla bla bla” sagen. (Man bezeichnet das als “Shadowing” – in einem anderen Zusammenhang wird das ausführlich in Feynman’s Autobiographie “Surely you are joking…” diskutiert, die ihr hoffentlich alle gelesen habt.) Tatsächlich verschwand der Effekt in diesem Fall, die Reaktionszeiten wurden also vom GG nicht beeinflusst, wenn das Sprachzentrum anderweitig beschäftigt war.

Was kann man daraus schließen? Die Einordnung von Objekten geschieht mit Hilfe des Sprachzentrums – sonst könnte das GG keinen Einfluss haben. Allerdings führt eine Übereinstimmung des GG immer zu einer schnelleren Verarbeitung – die AutorInnen schließen daraus, dass das GG nicht semantisch interpretiert wird, sonst müsste es länger dauern, Wörter mit übereinstimmendem GG und verschiedenen Kategorien einzuordnen. Der Einfluss des grammatischen Geschlechts ist nach den AutorInnen demnach in diesem Experiment nur indirekt, aber kein Bestandteil der Konzeptualisierung. Stimmen Wörter im grammatischen Geschlecht überein, können sie schneller verarbeitet werden, aber das grammatische Geschlecht ist kein Bestandteil der Semantik.

Auf jeden Fall zeigt das Experiment, dass das GG als eine Art “primer” wirken kann – ein Wort mit einem bestimmten GG macht es leichter, ein anderes Wort mit demselben GG zu verarbeiten. Solche “priming”-Effekte sind inzwischen ziemlich gut untersucht und es ist bekannt, dass schon kleine Reize das Denken in eine bestimmte Richtung lenken können. Wer mehr wissen will, wie “priming” unser Denken beeinflusst, kann in das Buch “Thinking, Fast and Slow” von Daniel Kahnemann schauen. Habt ihr beispielsweise kürzlich das Wort “Tier” gelesen, dann werdet ihr ein Wort-Ergänzungsrätsel, bei dem ihr den fehlenden Buchstaben in _aus suchen müsst, mit höherer Wahrscheinlichkeit mit “Maus” lösen; habt ihr dagegen gerade das Wort “Burg” gelesen, dann werdet ihr eher an “Haus” denken. (Ich habe mir dieses Beispiel zugegebenermaßen gerade ausgedacht – im englischen Original geht es um “soup” oder “soap” mit den primern “eat” und “wash”.)

Boutonnet et al., 2012

Hier wurde ein ähnlicher Versuch gemacht – allerdings gab es immer drei Bilder zu sehen, von denen das dritte mit den ersten beiden entweder im GG übereinstimmte oder nicht. Zusätzlich zu den Reaktionszeiten wurden auch noch elektrische Potentiale im Gehirn vermessen. Die Versuche wurden auch wieder auf Englisch durchgeführt, zum einen mit nur englischsprachigen, zum anderen mit englisch- und spanischsprachigen Versuchspersonen (hey, hier wimmelt es schon von Abkürzungen – ab jetzt schreibe ich VP, dieser Text ist eh schon lang…). Anders als Cubelli et al. fand diese Untersuchung keinen messbaren Unterschied in der Reaktionszeit (und also auch keinen priming-Effekt durch das GG). Es machte auch keinen Unterschied,ob die Wörter zur selben Kategorie gehörten oder nicht – im klaren Widerspruch zu Cubelli et al. Die bilingualen Testpersonen brauchten allerdings immer etwas länger als die englischen Muttersprachler, um die Wörter zu verarbeiten, aber das ist wohl verständlich, weil sie eben nicht in ihrer Muttersprache gearbeitet haben. (Es wurden zwar Bilder gezeigt, aber die Erklärungen, was die VPs tun sollen, wurden auf Englisch gegeben.)

Allerdings zeigte sich ein messbarer Unterschied in den Gehirnströmen – in Fällen, w das GG übereinstimmte, sahen sie bei den bilingualen VPs anders aus als in denen, wo es nicht übereinstimmte. Das impliziert, dass das GG einen Einfluss auf die Verarbeitung von Begriffen hat, auch wenn der Effekt in diesem Fall sich nicht als Unterschied in der Reaktionszeit äußerte. (Die Autoren spekulieren kurz darüber, warum sie anders als Cubeli et al. keinen solchen Effekt gefunden haben.) Ich muss allerdings zugeben, dass mir nicht ganz klar ist, wie aussagekräftig solche Hirnpotentiale tatsächlich sind.

Bender et al, 2011

In dieser Arbeit wurde untersucht, ob das GG bei Gegenständen mit einem SG assoziiert wird, und zwar auf der eher fundamentalen lexikalischen Ebene. (Als Nicht-Linguist habe ich mich beim Lesen dieser Arbeit sehr schwer getan, an dieser Stelle ein herzlicher Dank an Andrea Bender, die mir so lange  per mail Linguistik-Nachhilfe gegeben hat, bis ich (hoffentlich) verstanden habe, was genau in dem paper versucht wurde.)

Es geht hier wieder um die Wort-Verarbeitung. Dazu haben die WissenschaftlerInnen sich folgendes ausgedacht: Sie haben Wörter mit sehr ähnlicher Bedeutung gesucht, beispielsweise Kiste und Kasten. Dann haben sie aus den Buchstaben dieser Wörter neue gebaut – aus “Kiste” wurde “Stike”, aus “Kasten” Staken”. Die neu gebauten Wörter wurden dabei so gebildet, dass sie von Testpersonen (nicht denselben, die nachher die eigentlichen Experimente gemacht haben) ziemlich eindeutig als GG männlich bzw. GG weiblich eingestuft wurden – vermutlich stimmt ihr alle zu, dass der “der Staken” aber “die Stike” heißen muss, selbst wenn es die Wörter gar nicht gibt.

Jetzt hat man also jeweils 4 zusammenhängende Wörter, von denen zwei eine Bedeutung haben und zwei nicht, jeweils mit unterschiedlichem GG.

Versuchspersonen sollten jetzt jeweils entscheiden, welches der vier Wörter ein tatsächlich korrektes Wort ist und welches nicht. Allerdings bekamen sie die Wörter nicht einfach so gezeigt, sondern mit einem “primer”, also einem weiteren Reiz, der das Denken in die eine oder andere Richtung lenken sollte. (Dass das prinzipiell funktioniert, haben wir ja eben bei der Arbeit von Cubelli et al. gesehen – die wird allerdings hier nicht zitiert, vermutlich da beide Arbeiten etwa gleichzeitig erschienen sind.)

Nehmen wir an, dass das GG in unserem Denken auch mit einem SG assoziiert wäre. Dann müsste die Nennung eines männlichen primers uns die nachfolgende Verarbeitung der Wörter “Kasten” und “Staken” erleichtern, die der Wörter “Kiste” und “Stike” aber nicht. Hierzu wurden jetzt mehrere Versuche gemacht.

Der erste Versuch ist ziemlich trickreich: Als “primer” wurden die Wörter “sein”, “seine”, “ihr” und “ihre” verwendet. Die Versuchspersonen sahen auf einem Monitor z.B. die Wörter “ihr Stike” und sollten jeweils entscheiden, ob das zweite Wort ein echtes Wort ist oder nicht. Die Unterscheidung “sein”/”ihr” dient dabei als semantischer primer, soll also eine Assoziation mit einem Geschlecht hervorrufen. Wenn das so wäre, dann müssten die Versuchspersonen besser abschneiden, wenn sie “ihr Stike” lesen als wenn sie “sein Stike” lesen, weil “Stike” GG feminin ist und der semantische primer sie ein männliches GG erwarten lässt.

Zusätzlich müsste man auf jeden Fall erwarten (ansonsten gäbe es hier nicht mal grammatische priming-Effekte), dass die Verarbeitung leichter ist, wenn das durch das Pronomen geforderte GG auch tatsächlich folgt – es sollte also leichter sein, “seine Stike” korrekt einzuordnen als “sein Stike”, weil bei der zweiten Kombination eine Diskrepanz zwischen dem geforderten und dem tatsächlich nachfolgenden GG vorliegt.

Wertet man die Reaktionszeiten aus, so zeigt sich, dass es einen Effekt des GG bei der Reaktionszeit für die Nicht-Wörter gibt, aber nicht bei der Reaktionszeit für die Wörter. Einen priming-Effekt durch das SG gab es nicht. Betrachtet man stattdessen, ob die Antwort Wort/Nicht-Wort korrekt war, dann ergibt sich ein Effekt des GG bei den Wörtern – mit anderen Worten, Kombinationen wie “die Kasten” sind schwerer zu verstehen, während “die Staken” kein Problem darstellt.

Insgesamt gibt es also einen schwachen priming-Effekt durch das GG, aber keinen durch das SG.

Das Experiment ist allerdings in sofern problematisch, als die priming-Effekte durch die Verwendung der Wörter “ihr”/”sein” hervorgerufen werden sollen. Es wurde nicht getestet, ob diese Wörter wirklich deutlich als semantische primer für das Geschlecht wirken können. Immerhin lautet auch das neutrale Possessivpronomen “sein”, und da ja auch Wörter ohne SG ein GG haben, kann beispielsweise “seine Kiste” sich ja auch auf einen Lastwagen beziehen, der eine Kiste hat (an dem aber ja nichts besonders männlich ist). Außerdem sind wir es aus dem Alltag ja gewohnt, dass wir Kombinationen wie “seine Gabel” oder “ihr Löffel” lesen – insofern bin ich mir nicht so sicher, ob es hier wirklich einen starken priming-Effekt geben sollte. Diese Probleme werden in der Arbeit auch angesprochen, aber es ist natürlich nicht so einfach, sie in den Griff zu bekommen.

Deshalb gab es noch weitere Experimente: Hier dienten als semantische primer (die also die Idee eines bestimmten Geschlechts hervorrufen sollten) die Wörter “der/die”, “Mann/Frau” sowie Piktogramme mit dem männlich/weiblich-Symbol (damit hatten allerdings viele Versuchspersonen Schwierigkeiten) sowie Piktogramme, wie man sie z.B. an Toiletten finden kann. Als Versuchswörter wurden jetzt keine Nicht-Wörter mehr verwendet sondern entweder Objekte oder Wörter, die tatsächlich auch ein SG haben (Wie “Onkel” oder “Tante”). Die VPs sollten explizit das Geschlecht des jeweiligen Wortes bestimmen (die Wörter, die sowohl ein GG als auch ein SG haben, wurden so gewählt, dass diese beiden immer übereinstimmen, Wörter wie “Mädchen” waren also ausgeschlossen). Ich finde es ja ein wenig schade, dass man nicht genau dasselbe Experiment wie vorher gemacht hat – also ein männliches/weibliches Piktogramm mit dem Wort “Staken”/”Stike” gezeigt und gemessen, ob es einen SG-priming-Effekt gibt. Dadurch dass hier zwei Variablen verändert wurden, lassen sich die Ergebnisse schwerer interpretieren. (Vermutlich alle Leute, die mit mir zusammenarbeiten, kennen mein Mantra: “Ändere nie zwei Variablen gleichzeitig!”…)

Generell zeigte sich (wenn ich alles richtig verstehe), dass in allen Fällen “der/die” den stärksten priming-Effekt hatte. Bei den Wörtern, die ein SG haben, gab es auch durch Begriffe wie “Mann/Frau” einen starken priming-Effekt, bei den Objekten ohne SG dagegen nicht. Problematisch erscheint mir bei der Auswertung, dass drei Gruppen von Experimenten durchgeführt wurden – es wurde jeweils der priming-Effekt von “der/die” verglichen mit “Mann/Frau” bzw. den Symbolen. Eigentlich müsste man vielleicht erwarten, dass die Ergebnisse für die primer “der/die” in allen drei Experimenten etwa identisch sein sollten, aber das war nicht der Fall – in dem Experiment mit den männlich/weiblich-Symbolen (die ja besonders schlechte primer waren), war der priming-Effekt der Artikel besonders stark.

Insgesamt kommen die AutorInnen des Artikels zu folgendem Schluss: “performance in lexical tasks on objects is not sensitive to priming biological gender” [Die Leistung bei lexikalischen Aufgaben wird nicht durch primer für das biologische Geschlecht beeinflusst.] Das GG dagegen hat offensichtlich einen starken priming-Effekt.

Das ist auf jeden Fall ein interessantes Ergebnis. Man muss aber beachten, dass dieses Ergebnis nicht den Umkehrschluss zulässt: Bei Worterkennungs-Aufgaben dient das SG nicht als primer; das bedeutet aber nicht, dass nicht umgekehrt ein Wort mit einem bestimmten GG nicht auch mit einem SG assoziiert wird. (Man sollte vielleicht mal das umgekehrte Experiment machen und testen, ob Wörter mit einem GG als primer für Wörter mit einem SG dienen können, soweit ich weiß, hat das so herum niemand gemacht.)

Boroditsky et al. 2003

Von Lera Boroditsky gibt es eine ganze Reihe von Untersuchungen, die in einem Übersichtsartikel zusammengefasst werden. Die erste, die ich kurz angucken möchte, ist eine Wortgedächtnis-Aufgabe. Dabei bekamen VPs Objekte, die mit einem Namen belegt waren, also z.B. ein Apfel, der “Patrick” oder “Patricia” heißen konnte. Das Experiment wurde mit deutschen und spanischen MuttersparchlerInnen gemacht, und zwar so, dass die Objekte in beiden Sprachen entgegengesetztes GG hatten. Das Experiment selbst wurde aber auf Englisch durchgeführt – alle VPs sprachen fließendes Englisch. Es zeigte sich, dass das Lernen leichter war, wenn GG des Objekts und SG des Namens übereinstimmten – zunächst wenig überraschend, wenn man sich vorstellt, dass man sich zum Lernen beispielsweise Kombinationen wie “Patrick, der Apfel” besser merken kann als “Patricia, der Apfel”. Da das Experiment aber auf Englisch durchgeführt wurde, sollten sich die VPs eigentlich ja die Kombination “Patricia, the apple” gemerkt haben (wer fließend Englisch spricht, der denkt ja auch in dieser Sprache) – trotzdem gab es einen Effekt. Das ist zumindest ein Indiz dafür, dass das GG der Muttersprache auch das geistige Bild eines Objekts irgendwie beeinflusst.

 Fazit der Versuche

Was können wir aus den Versuchen schließen? Es gibt einen priming-Effekt durch das GG – Wörter wie “der” lassen uns (wenig überraschend) erwarten, dass ein Wort mit passendem GG folgt. (Wobei man auch hier berücksichtigen muss, dass “der” ja auch ein femininer Artikel im Genitiv und Dativ sein kann, und “die” der Universal-Artikel im Plural ist – soweit ich sehen kann, wurde das in den Arbeiten nicht diskutiert (es sei denn, ich habe es überlesen).) Die Experimente von Cubelli et al. zeigen, dass das GG mit einem Begriff eng genug verknüpft ist, dass es als “primer” für andere Wörter mit übereinstimmendem GG wirken kann – allerdings stimmen Boutonnet et al. mit dem Ergebnis nicht ganz überein. Aus dem Experiment von Bender et al. lernen wir, dass das SG anscheinend nicht als primer für Wörter dient, die kein SG haben. Daraus kann man möglicherweise schließen, dass auf dieser Verarbeitungsebene das GG nicht direkt als SG interpretiert wird; so ganz klar bin ich mir aber nicht, ob das eine zulässige Schlussfolgerung ist, denn bei solchen einfachen “Wortabruf-Aufgaben” ist es vielleicht nicht verwunderlich, dass ein schwacher semantischer primer nicht wirkt.

Einen schlagenden Beweis dafür, dass das GG einen starken Einfluss auf unsere Wortverarbeitung hat, geben diese Experimente aber eher nicht – die Effekte sind vermutlich klein. Aber bisher ging es ja auch nur um die simple Wort-Verarbeitung – ändert sich das Bild, wenn man den VPs inhaltliche Fragen stellt und versucht, an das echte Wortverständnis heranzukommen? Das schauen wir uns dann – wen wundert’s noch auf diesem Blog? – im zweiten Teil an.

                                  

Andrea Bender , Sieghard Beller & Karl Christoph Klauer
Grammatical gender in German: A case for linguistic relativity?
The Quarterly Journal of Experimental Psychology, 64:9, 1821-1835

Boroditsky, Lera, Lauren A. Schmidt, and Webb Phillips.
Sex, syntax, and semantics.
Language in mind: Advances in the study of language and thought (2003): 61-79.

Bastien Boutonnet, Panos Athanasopoulos, Guillaume Thierry
Unconscious effects of grammatical gender during object categorisation
brain research 1479 (2012) 72–79

Roberto Cubelli, Daniela Paolieri, Lorella Lotto
The Effect of Grammatical Gender on Object Categorization
Journal of Experimental Psychology: Learning, Memory, and Cognition 2011, Vol. 37, No. 2, 449 – 460

Kommentare (40)

  1. #1 Jürgen Schönstein
    15. März 2014

    Nur auf die Schnelle einen Detailhinweis (ich muss den langen Artikel erst noch fertig lesen, komme aber erst später dazu): Falls in einem der Paper tatsächlich steht, dass es im Englischen kein “grammatisches Geschlecht” gibt, dann ist das sachiich falsch: Es gibt sogar drei grammatische Geschlechter, die jeweils durch die Personalpronomen “he”, “she”, und “it”, ausgedrückt werden (Schiffe sind beispielsweise immer “she”, und Autos sogar Autos können gelegentlich als “she” bezeichnet werden – was uns sicher etwas über das Frauenbild ihrer Besitzer verrät). Was es nicht gibt, sind geschlechtsspezifische Artikel (unser der/die/das/ ist immer “the”) oder eine geschlechtsspezifische Beugung.

  2. #2 Jürgen Schönstein
    15. März 2014

    Einen Nachtrag, auch wenn ich “nur” Sprachpraktiker (mit einer berufsbedingt angelernten Grundausrüstung in Rhetorik) und kein Linguist bin: Grammatik ist ja nicht “irgendwas” oder ein willkürlicher Selbstzweck, den sich irgendwann irgendwer ausgedacht hat, um den Spracherwerb schwer zu machen: Sie dient dazu, Sprache verständlich zu machen – sie ist ein Primer, durch den Wörter erst ihren Sinn im Satzkontext erhalten. Wenn man an der Grammatik “dreht” – beispielsweise das Personalpronomen verändert: “Der Chauffeur fährt in einem Auto vor, der ganz offensichtlich schon länger nicht mehr gewaschen wurde” – dann fällt der Sinn erst mal auseinander. Bezieht sich der Artikel “der” wirklich auf das Auto, wie aus der Stellung im Satz zu folgern ist, oder auf den Chauffeur, wie aus dem Genus (= das grammatische Geschlecht) folgt? Falsch ist der Satz in jedem Fall – aber ich muss als Leser/Hörer nun entscheiden, welche der beiden falschen Variationen (das ungewaschene Auto oder der ungewaschene Chauffeur) nun mit größerer Wahrscheinlichkeit zutrifft. Da steckt keine Präferenz für ein Geschlecht drin.

  3. #3 Philipp Gampe
    15. März 2014

    1. Kann das Sprachzentrum gar keine Semantik im Sinne von dieses Objekt kann weiblich assoziiert werden, daher muss es einen femininen Artikel haben. So Leistungsfähig ist das Sprachzentrum gar nicht (dann dieser Zusammenhang ist schon sehr abstrakt).
    2. Es ist nicht “der, die, das”, sondern “der, das, die”. Ursprünglich gab es im Indo-Germanischen gar kein “die”. Das dritte Geschlecht kam erst später hinzu.
    3. Die Artikel sind auch nicht grammatisch, sondern lexikalisch.
    4. Jeder Muttersprachler kann auch in Sekundenbruchteilen das “Geschlecht” eines (ungekannten) Wortes bestimmen. Offensichtlicher Weise gibt es dafür sehr einfach Regeln. Komplexe Analysen, wie die Gabel kann Aufgrund der Spreizung der “Beine” mit einer Frau assoziiert werden, können in so kurzen Zeit schlicht nicht stattfinden.
    5. Das Geschlecht eines Wortes folgt seinen Deklinationsregeln. Außerdem gibt es einige Gruppen von Wörtern, welche immer ein bestimmtes Geschlecht haben. Eine gute Übersicht findet sich hier (Wobei auch dort wieder behauptet wird, dass der Artikel dem biologischen Geschlecht folgen würde. Allerdings hat nur eine kleine Minderheit der Wörter ein biologisches Geschlecht.):
    https://www.mein-deutschbuch.de/lernen.php?menu_id=52
    6. Es gab im Deutschen eine Reihe von Umbrüchen in der Sprache. Dabei wurden auch immer die “Regeln” verändert. Teilweise wurden Wörter nach eingebildeten “Regeln” neu in “grammatische Geschlechter”-Gruppen sortiert.
    7. Die Idee, dass die Sprache die Gedanken (und damit die Welt) formen kommt aus der sogenannten Diskurstheorie. Diese wirre These wird von einigen Germanisten und vielen Gender-,Queer- und sonstigen “Geschlechts”-“Wissenschaften” vertreten. Wie unsinnig diese These ist, sieht man immer daran, wenn einem Kinder eine Idee zu erklären versuchen, für welche Sie noch gar keine Wörter kennen. Auch bei Studenten findet man dieses Phänomen, teilweise sogar bei Wissenschaftlern, wenn diese etwas völlig Neues entdecken. Die Möglichkeit etwas Denken zu können, hängt ganz sicher nicht von der Sprache ab. Darüber hinaus ist die Sprache nur eins der vielen Kommunikationsformen unseres Körpers.
    8. Natürlich beeinflussen eine bestimmte Wortwahl unsere Wahrnehmung. Das Gehirn hat dann eine bestimmt Erwartungshaltung für die anderen Sinne und jegliche Diskrepanz zwischen Wörtern mit anderen sensorischen Wahrnehmungen muss das Gehirn erst in Einklang bringen. Das funktioniert natürlich auch anders herum, sowie mit einem gewissen zeitlichen Verzug.

    Eine gute Zusammenfassung über die deutschen Artikel, ihre Herkunft und wie das Sprachzentrum zu jedem Wort den dazugehörigen Artikel findet, ist hier zu finden (Podcast):
    https://www.belleslettres.eu/artikel/der-oder-das-blog_genus.php

  4. #4 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    Gemeint ist natürlich, dass es im Englischen ein grammatisches Geschlecht nur für Wörter mit einem SG gibt. Klar, esgibt einige wenige Dinge, denen ein Geschlecht aus historischen Gründen zugeschrieben wird: Schiffe, die Sonne, der Mond. Aber “the table” und anderen Wörter, die in den Experimenten verwendet wurden, haben kein Geschlecht.

  5. #5 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    Den zweiten Kommentar habe ich nicht verstanden, oder genauer gesagt, ich habe nicht verstanden, was du damit sagen willst. Es geht hier ja nicht um die Frage, ob Grammatik sinnvoll ist, sondern – wie es ein paper ausdrückt, auf das ich im 2. Teil eingehe – “can quirks of grammar influence the way you think.” Und dass ein Löffel ein Geschlecht hat, ist ja ein “quirk” der deutschen Grammatik – oder macht das uns das Sprechen leichter und Sprachen ohne GG für Objekte sind irgendwie im Nachteil?

    @Philipp
    Punkt 1. habe ich nicht verstanden
    Der Rest hat größtenteils mit dem Thema hier nichts zu tun, soweit ich sehe (hat irgendwer hier behauptet, dass die Gabel was mit Beinen zu tun hat???) – aber wenn du linguistische Relativität als “wirre Hypothese” abtust, dann ist das schon ziemlich seltsam.

  6. #6 Chemiker
    15. März 2014

    Ich beobachte an mir, daß ich mir Katzen immer weiblich vorstelle und Hunde immer männlich; ich finde Kater und Hündinnen irgendwie non-default und speziell bemerkenswert.

    Das könnte schon mit dem GG zu tun haben. Andererseits sind Katzen nun einmal schlau, kontrolliert und abwartend, Hunde dagegen draufgängerisch, initiativ und doof.

    Auch im Englischen passiert es mir sehr häufig, daß ich eine unbekannte Katze mit she bezeichne, was Englischsprachige amüsiert zur Kenntnis nehmen.

  7. #7 MartinB
    15. März 2014

    @Chemiker
    Genau dazu gibt es ein schönes Experiment, das ich im 2. teil vorstelle…

  8. #8 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    Zur Frage, ob das Englische ein GG hat, hier ein Zitat aus dem paper von bender et al.:
    “In semantic gender
    systems, the gender of a noun can be derived
    from its meaning, with English being a case in
    point, although English does have some excep-
    tions to the general rule (such as feminine ships).
    Formal systems, on the other hand, extend
    gender categories beyond nouns for sexuated referents, and they do so according to morphological or
    phonological rules. In these cases, gender depends
    on the form of the noun.”

  9. #9 Jürgen Schönstein
    15. März 2014

    @MartinB #5
    Es geht mir darum, dass man Grammtik nicht einfach mal aus Testgründen verbiegen kann und dann aus den Reaktionen darauf irgend ein anderes Resultat als das einer inkorrekten Grammatik ablesen kann. Ist wie in der Mathematik: Wenn die Regeln der Formulierung nicht beachtet werden, ergibt auch das Resultat leider keinen Sinn. Nicht, dass man keine Forschung hier betreiben könnte, aber man muss halt bessere Kontrollen haben.

    @MartinB #8
    Es geht mir um die kategorisch verwendete (und in dieser kategorischen Form falsche) Aussage, dass es im Englischen kein grammatisches Geschlecht gebe. So lange es “he”, “she” und “it” als Pronomen gibt, die grammatisch in Sätze eingebunden werden müssen, gibt es das “grammatische Geschlecht” auch im Englischen. Es wird halt nicht durch Beugung oder Artikel transportiert. Aber es existiert, und es trägt einen Sinn. Um Beim Schiffsbeispiel zu bleiben:

    “Captain Jack sailed the schooner out of the harbor – she was a feast for the eyes.”

    “Captain Jack sailed the schooner out of the harbor – he was a feast for the eyes.”

    “Captain Jack sailed the schooner out of the harbor – it was a feast for the eyes.”

    Drei Sätze mit sehr unterschiedlicher Bedeutung, in der das Pronomen sich auch grammatisch auf unterschiedliche Satzbestandteile bezieht. Und in der eindeutig die Gender-Konponente auch der englischen Grammatik erkennbar ist. EIn Ausnahmefall? Vielleicht seltener als im Deutschen, aber dennoch relevant (vor allem, wenn es um “it” einerseits und “he/she” andererseits geht – diese Differenzierung tritt viel häufiger auf, ist aber immer auch eine Gender-Differenzierung).

  10. #10 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    Niemand bestreitet doch, dass es im Englischen geschlechtsspezifische Pronomina gibt. Das Zitat aus dem bender-Artikel macht den Unterschied und die von den LinguistInnen verwendete Definition doch eigentlich sehr klar – es geht ja auch nur um das Geschlecht von Nomen bzw. den zugehörigen Artikeln.

    Den ersten Punkt verstehe ich nicht so recht – bezieht der sich auf das bender-paper? Da geht es doch gerade darum zu sehen, in wie weit GG und SG bei der Worterkenung als primer wirken – dazu muss man doch testen, was passiert, wenn man grammatikalsch fehlerhafte Sätze baut.

  11. #11 Jürgen Schönstein
    15. März 2014

    @MartinB #10
    Aber das ist eben der Haken: Das Werkzeug Grammatik (wir testen ja Sprache durch Gebrauch der Sprache), mit dem man misst, ist auch das Objekt Grammatik, das man misst. Wenn mann grammatisch fehlerhafte Sätze baut, kannman nur eines damit messen: Die Reaktion auf grammatisch fehlerhafte Sätze. Den Resultaten dann eine Bedeutung, zum Beispiel eine Genderpäferenz, zuzuschreiben, ist damit schon methodisch schon ausgeschlossen.

  12. #12 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    Kannst du das mal konkret an dem Experiment erklären – ich verstehe es nämlich nicht. Das Experiment testet doch, ob die Reaktion auf einen GG-primer sich deutlich von der auf eine SG-primer unterscheidet (was sie tut). Das ist doch deswegen ein sinnvolles Experiment, weil ja hätte herauskommen können, dass kein Unterschied vorhanden ist – das hätte dann gezeigt, dass wir intuitiv aus dem GG ein SG ableiten. Ist so nicht herausgekommen, aber war doch ein sinnvoller Test, der eben belegt, dass grammatische primer stärker sind als der durch das SG implizierte primer, maW: Wir schließen zumindest auf dieser Ebene nicht automatisch aus dem GG auf ein SG.
    Was genau ist an dieser Überlegung falsch?

  13. #13 Jürgen Schönstein
    15. März 2014

    @Chemiker #6
    Der Hund-und-Katze-Effekt ist mir zumindest subjektv im Englischen sehr vertraut. Ich habe einen Kater, aber die meisten Menschen, die ihn zum ersten Mal sehen (und selbst solche, die ihm schon häufiger begegnet sind), wählen als Pronomen “she”. Bei unbekannten Hunden hingegen wird sehr oft als “Default”, also als Grundannahme, das maskuline Pronomen “he” gewählt. Für eine linguiste These reicht das zwar nicht, aber es wäre zumindest nicht auszuschließen, dass es tiefer liegende Assoziationen gibt, die nicht etwa de Folge, sondern vielmehr die Ursache einer Gender-Zuordnung sind.

    Sprache entwickelt sich – aber das heißt auch, dass sie nicht irgendwann von jemandem mal auf die Schnelle konstruiert wurde und ihre Elemente wie Vokabeln und Grammatik daher vergleichsweise willkürlich konfiguriert wurden. Sprache beeinflusst sicher unser Denken – aber unser Denken beeinflusst nunmal auch unsere Sprache. Und jeder Versuch, das Eine vom Anderen zu isolieren, bedarf viel größerer methodische Sorgfalt als ich in den meisten papern bisher entdeckt habe.

  14. #14 MartinB
    15. März 2014

    @Jürgen
    ” es wäre zumindest nicht auszuschließen, dass es tiefer liegende Assoziationen gibt, die nicht etwa de Folge, sondern vielmehr die Ursache einer Gender-Zuordnung sind.”
    Das ist sicher bei Tierbezeichnungen wie “Katze” denkbar (und wahrscheinlich). Aber es geht hier ja (insbesondere im 2. teil, den ich morgen freischalte) auch um Wörter wie Schlüssel (im Deutschen männlich, im spanischen weiblich) und Brücke (da ist es umgekehrt). Wenn unterschiedliche Sprachen entgegengesetzte GG zuordnen, dann wird die Überlegung, dass es eine tiefere Ursache gibt (die auch heute noch wirkt) schon problematisch.

  15. #15 Jürgen Schönstein
    16. März 2014

    @MartinB #14
    Es gibt viele Gründe, warum bestimmte Genuszuordnungen getroffen worden sein könnten. Nehmen wir zum Beispiel “der Blog” oder “das Blog” – eigentlich müsste, da “blog” eine Verballhornung von Weblog ist und es “das Logbuch” heißt, auch “das Blog” die korrekte Form sein. Aber weil es klingt wie “Block”, sagen auch viele “der Blog”. Ähnliche, rein phonetische Assoziationen sind auch bei vielen anderen Wörtern denkbar. Oder wie wär’s mit Parallelen zu anderen, gleichbedeutenden Wörter: Ist es “der CIA” (weil “der Geheimdienst”) oder “die CIA” (weil “Agentur”)? Beides wäre absolut begründbar. Warum ist es “die Kurie”, wo doch nur alte Männer drinsitzen”, und “die Wache”, die auch bis weit ins 20. Jahrhundert hinein selbst in Deutschland nur von Männern bestückt wurde? Da gibt es gewiss viel zu forschen, aber das ändert halt nichts daran, dass ich eine These nicht dadurch beweisen kann, dass ich das Messinstrument kaputtmache und dann aus den Resultaten etwas heraus lese …

  16. #16 Radicchio
    16. März 2014

    “Der Blog” ist keine phonetische Assoziation.
    Siehe dazu:
    https://www.belleslettres.eu/artikel/der-oder-das-blog_genus.php

  17. #17 MartinB
    16. März 2014

    @Jürgen
    Ich verstehe nach wie vor nicht, worauf sich die Kritik ganz konkret bei den Experimenten hier bezieht. Es ist doch in der Wissenschaft nicht unüblich, die Effekte eines Untersuchungsgegenstands dadurch zu verstehen, dass man ihn lahmlegt.

    Darüber hinaus ist es eine Sache, ob ursprünglich ein Wort sein GG aus einem bestimmten Grund bekam (sei dieser phonetisch, semantisch oder sonst etwas) und eine ganz andere (und die, die hier interessiert), ob dieser grund heute Sprechenden noch präsent ist und heute noch wirkt. Genau wie die ursprüngliche Bedeutung von Worten verloren gehen, erweitert werden oder eingeschränkt werden kann, kann das auch in der Grammatik passieren. Sehr schön erklärt in Steven Pinkers Buch “Words and Rules”, das sich mit den unregelmäßigen Verben im Englischen beschäftigt. Viele der “unregelmäßigen” Verben haben eine klar ableitbare regelmäßige Herleitung und waren deshalb früher eher “regelmäßig” (z.B. “wrought”), die aber heute Sprechenden nicht mehr bewusst ist, so dass diese unregelmäßigen Formen heute auswendig gelernt werden. (Ich hoffe, ich gebe das richtig wieder, ist schon einige Jahre her, dass ich das gelesen habe.)

  18. #18 Dr. Webbaer
    16. März 2014

    BTW, meint im Artikel das Grammatische Geschlecht (GG) den Genus und das Semantische Geschlecht (SG) das biologische Geschlecht, den Sexus?
    Irgendwie nicht, oder?
    MFG
    Dr. W (der das VP für Versuchspersonen aber gerne annimmt)

  19. #19 MJ
    16. März 2014

    Ich frage mich schon eine Zeit lang, ob es nicht irgendeine Moeglichkeit gibt, da sprachuebergreifende Experimente zu betreiben.

    Folgendes Beispiel: Es gibt da eine Sprache, Khoekhoegowab, die (wie das Deutsche), drei grammatische Geschlechter unterscheidet. Ebenfall wie im Deutschen sind gibt es ein “Masculinum” und ein “Femininum”. Aber der dritte Fall hat keine direkte Korrespondenz. Böhm* nennt es “Genus comune”, Olpp** nennt es “gemeenslagtig” (also inetwa “allgemein-geschlechtlich”), und Hagman*** “indefinit-common.” Nur Hagman inkuldiert in seiner Definition beide semantischen Aspekte. Es ist am leichtesten ein Beispiel zu geben. Das Genus wird durch ein Enklitikon am Wortstamm markiert, der selbst keine syntaktische Funktion hat (im Gegensatz zum Deutschen). So gibt es den Wortsamm “khoe”, der semantisch so etwas wie “menschlich sein, menschliches Wesen, menschliche Natur” festlegt. “khoeb” /khoep/ ist maennlich (also “Mann”), “khoes” /khoes/ ist weiblich (“Frau”), und “khoe-i” /khoeʔi/ ist ein “indefinit” – d.h. der Sprecher legt nicht fest, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt, also inetwa “menschliches Wesen/Person”. Das funktioniert mit allen Lebewesen: “ǀgīrib” /ǀgi:rip/ (“maennlicher Schakal”), “ǀgīris” /ǀgi:ris/ (“weiblicher Schakal”), “ǀgīri-i” /ǀgi:riʔi/ (Schakal, ob maennlich oder weiblich ist nicht festgelegt. Im Dual und Plural kommt dann der “common”-Aspekt dazu, etwa: “khoeku” (die Maenner), “khoeki” (die Frauen), khoen (ENTWEDER: die Frauen und Maenner als gemischte Gruppe, ODER: eine Gruppe aus Menschen ohne weitere Bestimmung). (Was sofort auffaellt: ein eventuelles “generisches Masculinum” oder so gibt es nicht, der generische Fall hat eben eine eigene morphologische Markierung. Nur im Dual sind femininum und indefinit-common ident – d.h. wenn ueberhaupt, gibt es im Dual ein generisches Femininum…). Das Interessante daran ist, dass auch unbelebte Nomen eines dieser Geschlechter haben muessen (jeder Wortstamm muss ausnahmsloss offen markiert sein, um im Satz als Nomen auftreten zu koennen) – aber das Geschlecht kann wechseln. So gibt es “oms” (“Haus”, grammatisch gesehen weiblich), das aber auch als “ommi” (also maennlich) auftreten kann. (Die Sache ist etwas komplizierter, da hier manchmal, aber nicht automatisch, eine semantische Verschiebung mit dem Wechsel einhergeht – so kann “ommi” speziell ein besonders grosses Haus bezeichnen. Allerdings liegt das nicht daran, dass “maennlich” irgendwie mit “gross” identifiziert wird – das geht auch in die andere Richtung. Faustregel – WENN es eine semantische Verschiebung gibt: wird mit einem Geschlecht ein Begriff im allgemeinen bezeichnet, so wird beim Wechsel aufs andere Geschlecht ein besonderer Aspekt hervorgehoben.) Auch relevant: selbst unbelebte Nomen koennen als “indefinit-common” markiert sein. So gibt es “skoli” (“Schule”, masculinum), “skols” (“Schule”, femininum), oder skol-i (“Schule”, indefinit-common). Waehrend fuer den weiblich/maennlich-Wechsel zumindest eine urspruengliche Funktion erklaert werden kann, ist das fuer den indefinit-common-Wechsel schwierig, weil es nichts Enstprechendes im Deutschen/Englischen/etc. gibt. Hagman etwa schlaegt als “Uebersetzung” von “skol-i” “some school or other” vor.

    OK, also kuerzer: es gibt drei grammatische Genera in Khoekhoegowab, und ausnahmslos jeder Wortstamm kann mit allen Dreien versehen werden. D.h. im Lexikon ist das Genus nicht festgelegt, es tritt erst durch offene Markierung in Vorschein (wohin gegen der deutsche “Baum” nicht erst durch den Artikel masculin wird.)

    Jetzt wachsen Khoekhoegowab-Sprecher selten einsprachig auf. Zweitsprachen, die sich anbieten waeren Englisch (ohne jedwede grammatische Markierung des Geschlechts), Afrikaans (im Gegensatz zum Niederlaendischen, mit dem es einen gemeinsamen Vorgaenger teilt, unterscheidet Afrikaans nach wie vor masculinum, femininum und neutrum rigoros), oder eventuell eine Bantu-Sprache wie Oshivambo (d.h. eine Klassensprache mit zumindest im Proto-Bantu gut unterschiedenen semantischen Kategorien fuer Nomen, die so ueberhaupt gar nichts mit den in indogermanischen Sprachen bekannten Genera zu tun haben und auch viel zahlreicher sind). Die Sache ist insofern interessant, als sich damit Sprachen aus drei komplett verschiedenen Sprachfamilien geographisch treffen: Khoekhoegowab als Khoe-Sprache, Englisch und Afrikaans als germanische Sprachen, und Bantu-Sprachen (eventuell noch San-Sprachen als vierte Familie, aber deren Kategorisierung und Verhaeltnis zu Khoe-Sprachen ist etwas mysterioes). Es waere doch interessant zu wissen, ob sich die Kategorisierung in der Erstsprache auf die Wahrnehmung in der Zweitsprache auswirkt, oder? Wenn man immer nur europaesische Sprachen hernimmt, die fast alle irgendwie verwandt sind, wenn man weit genug den Familiembaum hinaufklettert, kann man immer vermuten, dass da noch irgendwelche versteckten semantischen Kategorien im kollektiven Gedaechtnis oder so herumlungern. Aber Englisch und Khoekhoegowab? Irgendwelche spekulativen Ideen?

    Ich habe da uebrigens einen Blog zu Khoekhoegowab, vielleicht sollte ich mal was zu dem Thema schreiben, bisher war’s nur Phonologie/Phonetik:

    https://xammi22.tumblr.com/

    * “Kḫoe-kowap: Einführung in die Sprache der Hottentotten”
    ** “Nama-Gramatika”
    *** “Nama Hottentot Grammar”

  20. #20 MartinB
    16. März 2014

    @MJ
    Sehr interessant, und ein ziemlich komplexes Konstrukt. Ich habe irgendwie nicht verstanden, wie man denn nun entscheidet, ob man z.B. “Haus” als männlich oder weiblich klassifiziert – steht einem das frei? So ganz klar ist mir das auch mit der Zusatzerklärung nicht geworden.

    Da könnte man bestimmt noch interessante Experimente machen. (Es werden übrigens nicht immer nur indo-europäische Sprachen genommen, siehe z.B. das Imai-paper.)

  21. #21 MJ
    16. März 2014

    @ MartinB

    Stimmt, das Imai-Paper habe ich uebersehen (ist ja auch im Tei 2). Was mir allerdings an der Situation in Namibia/Suedafrika/Botswana so interessant erscheint ist das Aufeinandertreffen von so vielen wirklich grundsaetzlich verschiedenen Sprachen auf engem Raum und mit vielen Sprechern mit mehreren Erstsprachen. Wenn man da irgendwas intelligentes Vergleichendes designen koennte, wuerde das gewisse Zweifel ausschliessen. Etwa die (mE ziemlich unplausible, Gedaechtnis wird nicht vererbt) Idee, dass semantische Kategorien von “masculinum” und “femininum” in den Koepfen von Sprechern einer Sprache existieren, die diese nicht markiert, weil sie ein paar hundert Jahre vorher markiert waren. Bantu-Sprachen etwa markieren morphologisch keinen Unterschied maennlich/weiblich – Khoe-Sprachen tun es, aber wiederum anders als germanische Sprachen. Bantu-Sprachen markieren oft grammatisch, ob etwas ein Obst ist (das Wort “Ananas” etwa lautet in Sahili ganz aehnlich, die Plural-Bildung zeigt aber seine Zugehorigkeit zu Gruppe(n) 5/6 – oder ji/ma: nanasi (SG)/mananasi (PL). Die Wirklichkeit ist kompliziert, und so ist die Banane “ndizi” in einer anderen Gruppe, und viele Woerter, die kein Obst sind, sind in Gruppe 5/6…), Englisch ueberhaupt nicht – nicht einmal tendenziell. So oder so, es waere interessant (oder ich stelle es mit interessant vor) zu fragen, ob sich Oshiwambo-Sprecher, die nicht auch Khoekhoegowab-Sprecher sind (ich meine immer Erstsprache) sich von solchen in der grammatischen Kategorisierung von “Nomina” unterscheiden, die es eben auch sprechen.

    Ja, dieses “gender replacement” ist etwas haarig. Im Grunde ist “Haus” weder maennlich nocht weiblich (noch “indefinit-common”). Im “Lexikon” ist lediglich ein semantischer Stamm festgelegt (“om-“), der erst durch Anhaengen eines entprechenden Enklitikons zum Haus wird (“om-” alleine kann auch zum Verb oder Adjektiv werden). Dieses ist normalerweise weiblich “oms”, sozusagen per Default. Wer “ommi” (maennlich) sagt, will damit normalerweise auf eine Besonderheit hinweisen (in dem Fall, dass es besonders gross ist). Aber “om-” selbst, waehrend die Bedeutung quasi schon enthalten ist, hat per se kein Geschlecht. Olpp etwa macht ueberhaupt keinen Unterschied in der Bedeutung der beiden als Lexikon-Eintraege. Das erklaert sich dadurch, dass (wie wiederum Hagman anmerkt) das oft mehr eine Frage des individuellen Stils ist – Kontext also relevanter als die Bedeutung “per se”, die man eventuell durch konventionelle Zuweisung eines Genus generalisieren koennte. Ich zitiere einmal Böhm:

    “Ein bloßer Wortstamm wie kḫoe [Anm.: das ist “khoe” nach moderner Rechtschreibung] oder koma [modern: goma] steht vorerst für ‘Mensch’ oder ‘Rind’ im allgemeinen, ohne die Vorstellung nvon entweder einem solchen Einzelwesen oder der Gattung als von etwas Konkretem, Realem hervorzurufen. Der Begriff eines besonderen, realen ‘Menschen’ oder ‘Rindes’ ist nicht denkbar ohne die Assoziation mit dem Begriff der Zahl und des Geschlechts, wie das betreffende Wesen jeweils erfahren oder vorgestellt wird. (…); sein Geschlecht ist entweder “männlich” (Genus masculinum) oder “weiblich” (Genus femininum), wird es ohn Berücksichtigung des Geschlechts genannt, so steht das Substantiv im Genus commune.”

    Jetzt realisiert sich ein Haus natuerlich nicht als entweder maennlich oder weiblich. Und obwohl es gewisse Konventionen gibt, gibt es a) keine Regel, aus der Bedeutung das Geschlecht abzuleiten (aehnlich wie im Deutschen), und b) keine fixe Zuweisung des Geschlechts an das Lexem (im Gegensatz zum Deutschen: die Gabel wird nicht erst durch den Artikel “weiblich”). In einer Sprachgemeinschaft werden sich gewisse Konventionen herausbilden. (Aehnlich etwa der Tatsache auf phonologischer Ebene, dass Plosive im Khoekhoegowab in der Regel stimmlos gesprochen werden, obwohl es gar keinen Unterschied stimmhaft/stimmlos gibt und im Prinzip jeder frei waehlen koennte etwa zwischen [b] und [p]. Oder im Deutschen im Prinzip jeder frei wahlen kann, ob er sein “r” nun im Hals oder mit der Zungenspitze machen will, weil die beiden nicht kontrastieren – nur Feststellungen ueber soziale Konventionen werden eines bevorzugen und einigen Bloedsinn uber die angebliche “Richtigkeit” des Dialekts von Hannover produzieren; dahingegen kann man nicht einfach [b] statt [p] sagen, weil ein “Bass” und ein “Pass” einfach nicht dasselbe sind.). Der relevante Unterschied ist, dass diese Konvention im Deutschen bindend ist (“*der Gabel” ist einfach nur falsch), waehrend Khoekhoegowab abseits der sicher vorhandenen Konvention dem individuellen Sprecher einiges an Freiheit einraeumt.

    (Und letztendlich steckt auch hier der Teufel im Detail: manche Woerter, die durch dieses “gender replacement”, das in der Regel immer moeglich ist, entstanden sind, haben unterschiedliche Bedeutungen entwickelt: etwa ǂkhanib (“Zeitung”) vs. ǂkhanis (“Brief”). Das eine ist ganz offensichtlich die maennliche Form des anderen, aber ein Wechsel ist hier nicht mehr frei moeglich, ohne die Bedeutung grundsaetzlich zu veraendern).

    Ich weiss nicht, ob das geholfen hat…

  22. #22 MartinB
    16. März 2014

    @MJ
    Ich find’s faszinierend – wenn ich es richtig verstehe: variable Gender-Marker mit Default-Werten, von denen man abweichen kann, um eine Besonderheit auszudrücken, und die identisch zu den Markern für das SG sind. Wen ich es richtig verstehe, dann könnten wir uns unterhalten und du würdest “Tisch” mit der weiblichen und ich mit der männlichen Form benutzen, weil das auch eine Frage des Stils ist. Irgendwie ein bisschen verrückt – aber umgekehrt ist unser System mit dem GG auch nicht “logischer”.

  23. #23 MJ
    16. März 2014

    @ MartinB

    Ja, ein Khoekhoegowab-Sprecher findet es ziemlich sicher ganz normal. In gewisser Weise ist das ja das Thema: ein (grammatikalisches) Konzept einer Sprache, das die eigene Sprache nicht kennt, ist uneglaublich schwierig in Worte zu fassen. Hinter Whorf’s urpsruenglicher Idee (schwer esoterisch angehaucht) verbirgt sich ja eine “Inkommensurabilitaet” von Sprachen: der ganze Sprachapparat ist an eine gewisse Weise gebunden, in der man die Welt wahrnimmt, und ein einfacher Switch ist nicht moeglich. Fuer eine Fremdsprache scheint das offensichtlich: schon ein intuitives Verstaendnis fuer relativ “leicht” zu beschreibende Konzepte wie ein franzoesischer Subjunktiv sind schwer genug zu trainieren (nicht umsonst lernt man zu allererst, ueber fixe Konstruktionen und Signalwoerter seine Verwendung halbwegs zu automatisieren). Oder englische Tenses – selbes gruen: jahrelanges Training und Automatisieren (“Was kommt, wenn “already”, “since”, “yesterday” steht – Past Tense oder Present Perfect? Was wenn man das Resultat “sehen/fuehlen” kann? Und aehnliche Behelfe…). Das “ins Gefuehl” zu bekommen ist eine ganz andere Sache. Eine Bantu-Sprache etwa verlangt einem ab zu verstehen, warum man etwa Baeume als Nomen grammatisch anders markieren sollte als etwa Gefuehle. Oder was das “gender replacement” im Khoekhoegowab konkret soll. Umgekehrt kann sich ein Khoekhoegowab-Sprecher natuerlich fragen, warum im Deutschen die Gabel ein eindeutiges und voellig rigides Genus haben soll, und Deutsch-Sprechende einfach fuehlen, das *der oder *das Gabel einfach falsch ist. Warum diese Beschraenkung, der ueberhaupt keine Eigenschaft der Gabel entspricht? Und Whorf hat sich mit Indianersprachen beschaftigt, die natuerlich jedweder Verwandtschaft zum Englischen unverdaechtig sind, und da die Vermutung gehabt, dass gewisse Konzepte ganz prinzipiell den Sprachwechsel nicht ueberleben koennen. Die Idee ist plausibel, aber wahnsinnig schwer festzustellen. Deswegen ja so viele Untersuchungen, die erst einmal versuchen festzustellen, ob es ueberhaupt einen Einfluss grammatikalischer Kategorien aufs Denken gibt. Daher auch meine (voellig unkonkrete) Idee, dass bilinugale Sprecher zweier voellig unterschiedlicher Sprachen in der Hinsicht doch Informationen hergeben muessten…

  24. #24 Jürgen Schönstein
    17. März 2014

    @MJ
    Ohne die Sache herunter spielen zu wollen, aber die Möglichkeit, ein Wort sowohl männlich als auch weiblich zu formulieren, haben wir im Deutschen ja auch: durch die Endung -in, beispielsweise. Natürlich klingt es albern, wenn ich statt “der Tisch” sagen würde “die Tischin”, oder statt “das Haus” auch “die Häusin” – aber zumindest von den Regeln, wie diese weibliche Form konstruiert wird, ist es problemlos möglich. So können wir beispielsweise ja auch ganz ohne Mühe “die Päpstin” sagen, obwohl es dafür kein Pendant in der Realität gibt.

    Aber genau diese Genus-Zuordnung für Begriffe war, wenn ich mich recht entsinne, hier in diesem Blog und anderswo schon wiederholt ein Gegenstand der Kritik.

  25. #25 MJ
    17. März 2014

    @ Jürgen Schönstein

    Erst einmal ist “Haus” nicht maennlich. Und woher wissen Sie, dass es “die Haeusin” waere und nicht “die Haus”. Die weibliche Form von “das Reine” ist ja auch nicht “die Reinein”. Ich wuerde mich ueberzeugen lassen, wenn Sie irgendein wirklich existentes weibliches Wort nennen koennen, dass von einem maennlichen durch Flexion abgeleitet wurde UND unbelebt ist, wie in ihren Beispielen (wenn wir nicht uebereinstimmen, dass “Tischin” und “Haeusin” im Gegensatz zu “Paepstin” und “Priesterin” keine regulaeren Woerter sind, haben wir einfach keine Diskussionsgrundlage – ersteres sind Kunstworte, letztere sind regulaere Formen, die verwendet werden und in jedem Woerterbuch zu finden sind). Ansonsten frage ich mich, woher Sie wissen, dass Sie die Regel bei “Tischin” und “Haeusin” richtig angewandt haben, und es nicht eher “die Tisch” und “die Haus” waere, wenn solche Woerter gar nicht existieren, im Sinne von ‘Sprecher des Deutschen verwenden und verstehen diese Woerter in nicht-artifiziellen Kontexten, wir koennen sie daher fragen oder mit einem Text-Korpus ihre Existenz pruefen.’

    Zweitens funktioniert Sprache jetzt nicht so, dass man sinnlos Regeln anwendet ohne sich empirisch anzusehen, worauf sie eigentlich applizieren. Das Deutsche hat etwa eine phonologische Regel namens Auslautverhaertung, nach der silben-endstaendig ein stimmhaftes Phonem stimmlos realisiert wird. So wird etwa Kind (phonemisch /kind/) als [kint] gesprochen, waehrend phonologische und phonetische Repraesentation etwa im Plural uebereinstimmen (Kinder = /kinder/ = [kinder], nicht *[kinter]). Jetzt kann man nicht einfach hergehen und sagen: “Ja, OK, Auslautverhaertung, stimmhaft wird silben-endstaendig simmlos also muss “Mann” als [man̥] ausgesprochen werden – mit stimmlosem /n/. Das stimmt einfach nicht, es passiert nicht. Warum nicht? Weil die Domaene dieser Regel missachtet wurde: sie betrifft lediglich Obstruenten, nasale Konsonanten /m n ŋ/ sind aber Sonoranten. Auf sie appliziert die Regel nicht. Das liegt jetzt nicht daran, dass man [man̥] nicht aussprechen kann. Kann man, sogar ganz einfach, aber es ist eine falsche Realisierung des Wortes [man], zustandegekommen durch Falsch-Anwendung einer Regel ausserhalb ihrer Domaene.

    Wie ist das jetzt mit der Bildung weiblicher Formen aus maennlichen/saechlichen u.u. etc. usw. im Deutschen? Gibt es da wirklich im Deutschen eine Regel, nach der man aus egal welchem (nicht-weiblichen) Substantiv ein weibliches bilden kann, indem man es mit “-in” suffigiert (und eventueller Umlaut-Bildung)? Ich weiss nicht, wer gesetzlich diesbezuglich das Sagen hat, aber das ist ziemlich sicher nicht der Fall, wenn man als Grundlage Deutsch, die Sprache, und nicht ein fiktives Gebilde, das auf Deutsch basiert, heranzieht, und Regeln anwendet, die im real existierende Deutsch schlicht nicht vorhanden sind. Der einzige Zusammenhang, in dem “Tischin” und “Haeusin” eventuell keine Nonsense-Woerter sind, ist ein Maerchen, in dem sie personifiziert sind. Das ist der springende Punkt: Die Ableitung weiblicher Formen aus anderen bedarf einer semantischen Voraussetzung, naemlich das das Wort (zumindest das Resultierende) belebt ist. (Wodurch selbst diese beschraenkte Interpretation enge Grenzen hat: das Ding sollte halbwegs konkret sein. Eine “Tischin” koennen Sie mit viel Muehe noch anbringen, aber “die Mittelin” aus “das Mittel” waere bestenfalls noch zum Foren-Trollen geeignet). Ist die Voraussetzung gegeben, ist die Regel “-in anhaengen mit eventueller Umlautbildung” produktiv. Kein Mensch wird ein Problem haben zu verstehen, was eine “Paepstin” sein soll, auch wenn keine vom Vatikan vorgesehen ist. Kein Mensch wird verstehen koennen, was eine “Tischin” oder eine “Haeusin” sein soll, ausser eben genau in einem solchen Kontext, wo Tisch nicht Tisch, und Haus nicht Haus ist, sondern Personen darstellen. Diese Woerter stellen ansonsten eine Missapplikation der Regel auf unbelebte Begriffe da. In Khoekhoegowab ist das genau NICHT der Fall: “ommi” ist nicht die hoechstens mit viel Phantasie zu verstehende maennliche Form von “oms”, und zwar in dem Sinne, das “oms” ein Haus ist, waehrend, ommi ein gewisser Herr Haus ist, und vermutlich einen Freund Herr Garage hat. Und “om-i” ist nicht irgendeine seltsame neutrale Form (vielleicht das Haus, in dem Herr Haus “ommi” und Frau Haeusin “oms” wohnen?). Alle drei Formen sind voellig korrekt, werden tatsaechlich gebildet (und nicht durch phantasievoelle Anwendung einer Regel erfunden) und sind ganz offiziell in jedem Lexikon zu finden (das heisst in dem einen, das es gibt). “oms”, “ommi”, und “om-i” sind alle drei voellig korrekt und bezeichnen ein Haus, mit leichten semantischen Unterschieden. Jeder Sprecher kann diese Woerter verstehen, ohne dass man sie in einem Maerchenkontext als Phantasiewoerter zuordnen muss, und keiner muss sich dafuer rechtfertigen, weil es Leute als “falsch” einstufen: alle drei sind regulaere Woerter des Khoekhoegowab. Von “Haus” und “Haeusin” ist nur ersteres ein deutsches Wort. Letzteres ist ein reines Kunstwort, das entweder ein Lebewesen darstellt oder schlicht keinen Sinn ergibt (man kann nicht einfach “Haeusin” statt Haus verwenden, bzw. kann man, man kann aber auch Luuuurchkikapitlerkrax sagen, wenn man drauf besteht) – die entsprechende maennlich Phantasieform von “Haus” kann ich mir gar nicht vorstellen (der Hauser? der Hause?).

    Uebrigens, da ist noch ein Unterschied: Khoekhoegowab leitet NICHT die weibliche Form aus der maennlichen ab (oder aus der indefinit-Form, oder umgekehrt), und zwar prinzipell nicht – das ist gar nicht moeglich. Das Lexem hat schlicht kein Geschlecht festgelegt. Im deutschen, wo es ohne Nonsense-Bildungen moeglich ist, haben sie etwa folgende Ableitung: Papst (maennlich, unmarkiert) – Paepstin (weiblich, suffigiert). Khoekhoegowab macht das eben NICHT so, und zwar prinzipiell nicht: dem Stamm (hier gleich dem Lexem Papst) ist in Khoekhoegowab ueberhaupt gar kein Geschlecht zugeordnet, waehrend der Papst bereits maennlich ist, ohne das man ihn noch zum “Papster” machen muss. Jetzt gibt es auch im Deutschen solche Faelle: aus dem Stamm “lehr-” kann man einen “Lehrer” ableiten, “lehr” selbst hat kein Genus zugeordnet. Aber die weibliche Form ist eben genau NICHT “Lehrin”, sondern “Lehrerin.” Anders funktioniert die “-in”-Anhaengen-Regel nicht “-in” muss der maennlichen Form angehaengt werden, ob diese jetzt selbst mit dem Stamm ueberseinstimmt oder davon abgeleitet ist. Es gibt Faelle, wo die Form ueberhaupt ganz anders gebildet wird: bei der Substantivierung von Adjektiva, wo die Substantive direkt den gebeugten Formen den Nomen entprechen. In dem Fall ist ohne Bezug dem Wort kein Genus zugeordnet: “die Aufrichtige” ist eine Frau, “der Aufrichtige” ein Mann, “das Aufrichte” eine Tat oder ein Umstand, aber nur “Aufrichtige” alleine ist diesbezueglich einfach nicht spezifiziert – was ja auch genau der Grund ist, warum substantivierte Adjektiva von Verfechtern geschlechterneutraler Sprache vorgeschlagen werden (“Studierende” allein hat schlicht kein festgelegtes grammatisches Genus, “Student” und “Studentin” schon). Dazu kann man stehen wie man will, der Unterschied ist da. (Von wenigen Ausnahmen abgesehen, wo einfach verschiedene Worter fuer die beiden bestehen (Pferd – Stute etc, freilich kann man “Pferdin” sagen, oder “Stuter”, aber Sie werden kaum jemanden ueberzeugen, dass das irgendwie “richtig” oder auch nur akzeptabel ist ausser als Demonstration, dass das so nicht funktioniert.))

  26. #26 Stefan W.
    https://demystifikation.wordpress.de/2014/03/15/humanisten-befragen-parteien-zur-europawahl-2014-humanistischer-verband-deutschlands-bundesverband/
    17. März 2014

    Schade – da fiel mir selbst auf, dass es ja die Beispiele gibt:

    Der Löffel fiel herunger. Die Löffel fielen herunter. Sie kauft die Gabel und dann ißt sie mit der Gabel.

    aber dann bemerkt es der Autor selbst. Nun bleiben mir aber doch noch 2 Themen. Das einfache zuerst.

    Der/das Blog. Das Log. Das Logbuch. Dass das Wort Log deswegen sächlich ist, weil Logbuch sächlich ist, ist Humbug. Zusammengesetzte Worte erben den Genus vom letzten Teil. Bei der Logdatei ist es beispielsweise weiblich. Das Universitätsgebäude ist sächlich, aber die Universität ist dennoch weiblich.

    vermutlich stimmt ihr alle zu, dass der “der Staken” aber “die Stike” heißen muss, selbst wenn es die Wörter gar nicht gibt.

    Wieso sollten wir dem zustimmen? Weil wir unkritische Claquere sind? Aufgrund welchen Anlasses sollten wir das tun? Weil wir Zeuge wurden auf welche Weise die Wörter durch Buchstabenumstellung gebildet wurden?

    Jetzt ist es aber so, dass Wörter normalerweise nicht durch Umstellung willkürlich gebildet werden, so dass wir nicht sagen können, ob sie dann das Geschlecht im Huckepack mitnehmen. Oder sollte es nach dem Klang gehen?

    Es gibt nur ganz wenige Worte, die alle das gleiche Geschlecht haben, wenn sie gleich enden, etwa Worte mit ~ung sind immer weiblich, wie der Adelung. Ach ne – das war die Ausnahme. Bei ~keit ist es wohl so, und ~aft, wobei ich nicht geprüft habe, ob es hier Ausnahmen gibt.

    Aber welche Worte gibt es mit ~ike? Die Ulrike, die Nike und der Spike und das Bike. Zwar mögen Spike und Bike aus dem englischen kommen, aber wieso soll ein Stike das man nicht kennt nicht auch aus dem englischen kommen, zumal die Nike aus dem Griechischen stammt, und Ulrike somit recht einsam dasteht, als Solitär.

    Wie sieht es bei Staken aus? Das ist doch ein bekannter Ort, oder nicht? Fahren wir raus nach Staken? Bringst Du mit das Bettlaken? Verzehren wir dann einen Kraken? Gefällt Dir das Nachhaken?

    Also die Idee, dass man aus dem Klang eines neuen Wortes sein Geschlecht bestimmen könnte ist für die überwiegende Zahl der Worte schlicht falsch. Seltsam, dass Leute die Linguistik studieren das nicht wissen.

    Die bereits verlinkten Bellelettres-Videos zum Thema kann ich nur nachdrücklich empfehlen.

    Zu den Worten, die man zusammenbringen soll, muss ich mich auch noch wundern. Man nehme die 3 Begriffe Bank (i.S.v. Kreditinstitut, Sparkasse), Brücke und Marktstand. Welche gehören zusammen? Die 2 die mit B beginnen? Die 2 die einen Handelsplatz bezeichnen? Die 2, die eine Immobilie sind?

    Ich wüsste nicht welche Begriffe man mit etwas Zeit und Phantasie nicht zusammenbringen könnte. Dass es eine objektive Kategorisierung gibt der jeder Mensch folgen muss ist lächerlich. Man kann unterschiedliche Aspekte einer Sache betrachten und sie unterschiedlichsten Kategorien zuordnen.

    Letzter Punkt: Mir missfällt in der Einleitung die Formulierunge “die Verfechter des generischen Maskulinum”. Das klingt so wie “die Verfechter des heliozentrischen Weltbildes”, so als gäbe es in der Wissenschaft eine substantielle Kritik daran. Man kann sich nicht aussuchen wie die Geschichte die Sprache geformt hat – das ist keine Ansichtssache.

    Selbst wenn man nachweist, dass Geschlechterstereotypen auf Begriffe wie Löffel, Messer und Gabel abfärben ändert das nichts daran, dass ein Wort wie “Die Briten” keinen Sexus transportiert und eine männliche Katze die sich eine Maus krallt ist eben eine solche, die sich eine Maus krallt, und nicht der sich eine Maus krallt, weil das Wort Katze weiblich ist, auch wenn es die Katze selbst nicht ist.

    Es ist nur ein zwanghafter, kindlicher Trotz der das nicht wahrhaben will, und uns offenbar diese spannende Forschung beschert, die so sinnvoll ist, wie die Frage, welche Farbe man Peru zuordnen würde. Tja – wenn man gezwungen wird das zu tun, dann wird man wohl eine Farbe finden, und welcher Weg, wenn nicht der der Klischees, sollte ergriffen werden, wenn man die geringste Hoffnung auf Kommunikation nicht aufgeben will.

  27. #27 MartinB
    17. März 2014

    @StefanW
    “Wieso sollten wir dem zustimmen? ”
    Weil die Formulierungen so gewählt wurden, dass 95% der VPs (ich hoffe, ich habe die Zahl richtig im Kopf) diese entsprechend klassifiziert haben. (Und nein, das waren andere VPs als die, die nachher das eigentliche Experiment gemacht haben). Da ist meine Vermutung sicher nicht absurd.

    ” Seltsam, dass Leute die Linguistik studieren das nicht wissen. ”
    Seltsam, dass Leute meinen Artikel nicht richtig lesen könne, denn da steht es ganz klar:
    “Die neu gebauten Wörter wurden dabei so gebildet, dass sie von Testpersonen (nicht denselben, die nachher die eigentlichen Experimente gemacht haben) ziemlich eindeutig als GG männlich bzw. GG weiblich eingestuft wurden”

    “so als gäbe es in der Wissenschaft eine substantielle Kritik daran.”
    Gibt es ja auch – also an der Aussage/Annahme, dass ein generisches Maskulinum praktisch immer richtig verstanden wird und keine männlichen Assoziationen hervorruft. Das haben wir hier aber schon bis zum Abwinken diskutiert; in diesem Artikel geht es nicht darum.

    “Es ist nur ein zwanghafter, kindlicher Trotz”
    Sicher.

  28. #28 Stefan W.
    https://demystifikation.wordpress.com/2014/03/08/topferstunde-mit-sibylle-lewitscharoff/
    17. März 2014

    “Die neu gebauten Wörter wurden dabei so gebildet, dass sie von Testpersonen (nicht denselben, die nachher die eigentlichen Experimente gemacht haben) ziemlich eindeutig als GG männlich bzw. GG weiblich eingestuft wurden”

    Wie schön! Wir haben Kunstworte, die es nicht gibt, aber bei einigen schlagen Versuchspersonen übereinstimmend das gleiche GG für diese vor. Es wird nicht untersucht wieso sie das tun, obwohl es für die meisten Wörter keine Regel gibt, die man leicht auffinden könnte.

    Auch Du gehst darauf ja nicht ein, und akzeptierst dass Laien, obwohl sie das eigentlich nicht können können, ein GG zuordnen.

    Wenn viele Leute grundlos darin übereinstimmen, dass Wörter ein GG haben (etwa Stike und Staken), dann müssen sie ja über gemeinsame Klischees dazu kommen. Man misst also diese gemeinsamen Klischees. Nur wurde das GG der Worte die es gibt wahrscheinlich nach ganz anderen Kriterien gebildet.

    Wieso soll das, was man im Wege dieses bizarren Experiments herausfindet, viel mit dem GG in der realen Welt zu tun haben? Welche Farbe hat Peru? Tanz Deinen Namen, wenn Du es weißt!

    “so als gäbe es in der Wissenschaft eine substantielle Kritik daran.” Gibt es ja auch – also an der Aussage/Annahme, dass ein generisches Maskulinum praktisch immer richtig verstanden wird und keine männlichen Assoziationen hervorruft.

    Ein Strohmann. Niemand hat behauptet, dass das Maskulinum immer richtig verstanden wird. Bevor spitzfindige Feministinnen dessen Anwendung auf Menschengruppen (Studenten, Professoren, Diebe) kritisierten hatte aber offenbar kaum wer ernsthafte Probleme.

    Nur ist das keine substantielle Kritik sondern ein völlig ahistorisches, gewolltes Falschverstehen an dem trotzig, jawohl, festgehalten wird.

  29. #29 MartinB
    17. März 2014

    @StefanW
    “akzeptierst dass Laien, obwohl sie das eigentlich nicht können können, ein GG zuordnen. ”
    Ja – wenn 95% der Laien das einvernehmlich tun, dann ist das ein experimentelles Faktum, das man erst mal akzeptieren kann und muss.

    “Niemand hat behauptet, dass das Maskulinum immer richtig verstanden wird. ”
    Doch, entsprechendes wurde hier in den entsprechenden Diskussionen durchaus gesagt, siehe z.B. das Zitat hier:
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2010/09/21/das-experiment-der-ganz-normale-sexismus-der-deutschen-sprache/
    “jeder weiß, dass “fußgänger” menschen sind, die zu fuß unterwegs sind. menschen sind frauen und männer und kinder. niemand erwartet beim wort “fußgänger” nur männliche passanten.”

    Auch ein gewisser Stefan W. hat mal darauf bestanden, dass an einer Zahnbürste nichts weiblich ist:
    https://scienceblogs.de/hier-wohnen-drachen/2013/05/17/geschlechtergerecht-oder-geschlechtsneutral-eine-antwort/#comment-15316
    und dass das Wort “Sänger” grundsätzlich als geschlechtsneutral verstanden wird:
    “Sänger ist geschlechtsneutral” (gleicher Kommentar).

    “hatte aber offenbar kaum wer ernsthafte Probleme. ”
    Nicht alles, was “offenbar” erscheint, ist deshalb auch richtig, deswegen gibt es Wissenschaft und Forschung.

    Weiter werde ich das aber nicht mehr mit dir diskutieren, es sei denn, du hättest mal statt nicht begründeter Behauptungen Argumente (oder gar wissenschaftliche Forschungsergebnisse?).

  30. #30 Stan
    27. März 2014

    Kombinationen wie “die Kasten” sind schwerer zu verstehen

    die Kaste – die Kasten? ;-D

  31. #31 MJ
    21. Januar 2015

    Und auch Khoekhoegowab ist nicht von Diskussionen und Neuinterpretationen frei, natürlich:

    https://iaaw.hu-berlin.de/afrika/Allgemeine%20Termine/27.-januar-linguistisches-kolloquium-201cthe-gender-system-of-khoekhoegowab201d

    Ich kann leider nicht hingehen, aber sollte es jemanden interessieren… Der Vortragende Job ist übrigens Studierender aus Namibia, und als Damara und damit Khoekhoegowab-Muttersprachler UND Linguistik-Student eine ideale Ansprechperson für diese Sprache!

  32. #32 MJ
    2. Februar 2015
  33. #33 rolak
    9. Juni 2015

    Let’s do teh timewarp – und alte threads ausbuddeln. Bessere Ziele zeigten sich auf die Schnelle aber nicht: Geschlechtergerechte Sprache beeinflusst kindliche Wahrnehmung von Berufen.

  34. #34 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2015/06/09/bibelauslegung-des-kkk/
    9. Juni 2015

    Weniger schön ist, dass geschlechtergerechte Berufsbezeichnungen die Bewertung des Berufs, also dessen Wichtigkeit oder die Höhe des Gehalts, negativ beeinflussen.“

    Dafür gibt es doch eine einfache Lösung. Statt von Informatikern und Programmierern reden wir in Zukunft einfach vom “Personen die den gleichermaßen wichtigen, gutbezahlten aber für Jungs und Mädchen gleichermaßen leicht zu ergreifenden Beruf des Informatikers oder Programmierers ausüben.”

    Einerseits deuten die Ergebnisse darauf hin, dass die Kinder eine komplexe Wahrnehmung abhängig vom Sprachgebrauch aufbauen.
    Da im Wort “Informatiker” oder “Ingenieur” selbst das Verdienstniveau oder die Schwierigkeit des Berufs nicht gespeiert und übertragen wird muss die Information ja aus dem verknüpften Weltwissen kommen.

    Jetzt ist die Frage, wie man dieses Weltwissen vor Kindern und Jugendlichen so lange verbergen kann, bis es für diese zu spät ist, und sie einen Studienabschluss in der Tasche haben.

    Ändert man die Sprache werden sie nur lernen, dass die Bezeichnung nicht als Marker für schwierige, gutbezahlte Berufe taugt. Es ist wie mit dem Trinker, der zum Psyhologen geht und erklärt, dass er trinkt um sein schlechtes Gewissen zu unterdrücken das er hat weil er trinkt. Nach der Behandlung trinkt er weiter, aber ohne schlechtes Gewissen. 🙂

    Was ich vermisst habe, war die Betrachtung von schwierigen, gutbezahlten Berufen, die auch heute schon gleichermaßen oder überwiegend von Frauen ausgeübt werden.

    Eine andere, interessante Frage wäre, inwieweit schlechtbezahlte, typische Frauenberufe (wieso kommt man eigentlich auf die Idee “typisch” in Anführungszeichen zu setzen?) durch Verwendung der männlichen Form aufgewertet werden können. Funktioniert das nur, wenn die Kinder/Jugendlichen selbst noch kaum Wissen darüber haben, wie die Geschlechterverteilung, der Verdienst und die Ansprüche im Beruf in der Realität aussehen?

    Wir sehen uns auf die Frage zurückgeworfen, ob man nicht auch Rollen in Filmen und Romanen anpassen muss, Experteninterviews, Bilder, Theaterstücke – all das, um die lieben Kleinen von Beginn an zu manipulieren.

    Und ob der Ansatz nicht komplett falsch ist. Wenn Jungs und Mädchen die erste Zwischenfolgerung gleich ziehen (männliche Berufe schwierig und gut bezahlt (Straßenbau?)), aber Mädchen sich davon stärker abschrecken lassen als Jungen, ist es dann nicht sinnvoller beim Selbstbewusstsein anzusetzen?

    Eine der eindrucksvollsten Fähigkeiten des Menschen ist es ja, Informationen zu verarbeiten und Schlüsse zu ziehen. Dass man mit potjemkinschen Sprachdörfern einen längerfristigen Effekt erzielt als bei einem kurzen Test glaube ich nicht.

    Ebenso ist offensichtlich, dass das große Problem des nicht stattfindenden sozialen Aufstiegs durch sprachliche Zaubersprüche nicht geheilt werden kann. Da es einen Superdiskriminationsschutz nach Geschlecht so wenig gibt wie ein Supergrundrecht Sicherheit müsste man auch die Maßnahmen, die man zur Lenkung der Frauen einsetzt für andere, unterrepräsentierte Gruppen gleichermaßen einsetzen.

  35. #35 MartinB
    10. Juni 2015

    @rolak
    Danke für den Link.

    Faszinierend, dass das anscheinend für Kinder gilt, nicht nur für Mädchen. Zeigt recht deutlich, wie stark die Geschlechterassoziationen sind – allerdings ja im Umkehrschluss auch, dass eine geschlechtergerechte Sprache ohne weitere gesellschaftliche Veränderung nicht ausreichen kann.

  36. #36 rolak
    10. Juni 2015

    nicht nur für Mädchen

    Ja, schon die Formulierung fiel in diesem Kontext auf, MartinB, unweigerlich.

    nicht ausreichen

    Irgendetwas Monokausales dürfte ab einer gewissen ProblemKomplexität auch kaum als Lösung erwartet werden, selbst wenn es prinzipiell im Bereich des Möglichen ist…

  37. #37 MartinB
    12. Juni 2015

    @rolak
    “Irgendetwas Monokausales dürfte ab einer gewissen ProblemKomplexität auch kaum als Lösung erwartet werden”
    Es wird aber ja gern immer wieder bei Diskussionen zum generischen Maskulinum etc. als Strohmann angeführt, Verfechterinnen geschlechtsneutraler Formulierungen würden irgendwie glauben, wenn man diese Formulierungen durchsetzt, wären damit alle Probleme gelöst.

  38. #38 rolak
    14. Juni 2015

    gern immer wieder

    Ein klares Indiz dafür, daß eine Diskussion nicht allzu intensiv gewollt ist, MartinB, ein Anlaß innezuhalten und zu überdenken, ob eine Weiterteilnahme überhaupt noch sinnvoll scheint. Dafür aber endlich eine mögliche Erklärung dafür, warum da Stroh herum liegt…

    Was hier gerade durch den Kopf trampelt: Ob die mir eher aus der Liste der Fehlschlüsse bekannte sportliche Induktion vielleicht doch wesentlich häufiger bei der interpretativen Extrapolation in Richtung Grundannahmen bzw Motivation des Gegenübers anzutreffen ist?

  39. #39 MartinB
    14. Juni 2015

    @rolak
    ” ob eine Weiterteilnahme überhaupt noch sinnvoll scheint. ”
    Genau deswegen lese ich ja einige Kommentare prinzipiell nicht mehr…

    Was die Induktion angeht: ja. Da gibt es doch sogar Untersuchungen (beschrieben in Thinking fast and Slow, IIRC), die zeigen, dass wir anderen eher prinzipiell charakterliche Ursachen für ihre Handlungen zuschreiben, während wir bei uns selbst eher akzeptieren, dass Entscheidungen auch durch Launen oder äußere Umstände beeinflusst sind.

  40. #40 rolak
    14. Juni 2015

    Kommentare prinzipiell

    Zugegeben, beim Hin&Her der Kommentare und postings bin ich deutlich eher geneigt den Saal zu verlassen als im RL, manchmal lasse ich mich dazu hinreißen, einen Versuch zu starten, den Betreffenden sich selber ad absurdum führen zu lassen, aber sonst…

    Schön, daß in feedreadern nach diversen Kriterien sortiert, durchaus auch nur der Inhalt ausgewählter Kommentatoren gesichtet werden kann, um bei interessanten Themen dran zu bleiben. Nur das Antworten kann heftiger werden, da beim Öfnnen des Fadens im browser auch das bisher Ignorierte durchs Sichtfeld rauschen und zwangsübel wahrgenommen wird. Typischerweise wesentlich schlimmer sich darstellend als aus dem gesiebten Lesen heraus hochgerechnet.