In wie weit beeinflusst das grammatische Geschlecht unser Denken? Ist “der Löffel” männlicher als “die Gabel”? Im ersten Teil des Artikels haben wir die grundlegende Wortverarbeitung angesehen und festgestellt, dass es dort schwache Effekte gibt (insbesondere das “priming”) aber keinen schlagenden Beweis dafür, dass das grammatische Geschlecht auch semantisch interpretiert wird. In diesem zweiten Teil schauen wir uns Versuche an, die direkt das Wortverständnis und die Interpretation von Begriffen betreffen.
Bevor es losgeht eine kurze Erinnerung an meine Kürzel:
GG: Grammatisches Geschlecht – “der Löffel” ist männlich, “die Gabel” weiblich. Jedes Hauptwort im Deutschen hat ein GG.
SG: Semantisches Geschlecht (man könnte auch “biologisches Geschlecht” sagen) – “der Onkel” ist männlich, “das Mädchen” weiblich. GG und SG stimmen oft, aber nicht immer überein, insbesondere bei Tiernamen gibt es oft ein GG, auch wenn das SG des Tieres unbesimmt ist. (Das wird gleich noch wichtig werden.)
VP: Steht einfach für “Versuchsperson”, mehrere heißen dann VPs (nicht ganz logisch, aber einfach…)
So, und nun werfen wir einen weiteren Blick auf diverse Experimente zur Wortbedeutung.
Beeinflusst das Geschlecht das Verständnis der Bedeutung?
Phillips&Boroditsky (2003), kurz auch beschrieben in Boroditsky et al (2003)
Die Gruppe von Lera Boroditsky hat viele Versuche zum Thema gemacht – im ersten Teil haben wir schon “Patrick, den Apfel” kennengelernt. Der nächste hat etwas mit Bildern zu tun.
Versuchspersonen bekamen jeweils Paare von Bildern zu sehen – auf dem einen war ein Objekt oder ein Tier, auf dem anderen ein Mensch mit eindeutigem Geschlecht (eine Ballerina, ein König, ein Mädchen usw.). Die Objekte wurden so ausgewählt, dass sie im Deutschen und Spanischen jweils unterschiedliches GG hatten. Dann sollten die VPs auf einer Skala von 1-9 sagen, wie ähnlich die Bilder jeweils sind. Generell wurde die Ähnlichkeit größer bewertet, wenn das SG der Person mit dem GG des anderen Bildes übereinstimmte. (Wie groß der Effekt ist, habe ich nicht verstanden, im paper stehen nur Werte für t (wohl der statistische t-Test), p (ein anderer statistischer Wert) und df, aber soweit ich sehen kann keine Aussage darüber, wie stark der Einfluss absolut gesehen ist.) Lässt man die Versuchspersonen während des Tests Buchstaben aufsagen (um so das Sprachzentrum mittels “shadowing” anderweitig zu beschäftigen), ändert sich am Ergebnis nichts.
Der Test wurde auch mit zweisprachigen VPs (Deutsch/Englisch bzw Spanisch/Englisch) wiederholt – es zeigte sich, dass der Effekt um so schwächer wurde, je besser die Person Englisch sprach. (Auch hier leider keine genauen Zahlen, sondern nur r-Werte für die Korrelation.)
Der Test hat den Vorteil, dass er vollkommen non-verbal ist, insofern kann man (insbesondere, da es keinen Effekt durch gleichzeitiges Sprechen gibt) tatsächlich annehmen, dass ein Effekt des GG darauf beruht, dass die VPs das GG mit einem SG assoziieren. Allerdings ist die Übereinstimmung der Bilder natürlich irgendwo ziemlich willkürlich, insofern mag sich schon ein winziger Assoziationseffekt auswirken. (Wie deutlich, kann ich leider nicht sagen – das gilt leider auch für viele andere Experimente von Boroditsky et al., die Angaben sind oft etwas schwammig.)
Im nächsten Versuch sollte dann untersucht werden, ob man den Effekt sozusagen auch künstlich erzeugen kann.Dazu wurde englischsprachigen VPs beigebracht, dass in der fiktiven Sprache Gumbuzi einige Wörter als “soupativ” und einige als “oosativ” eingestuft werden. Dabei gehörten zu der einen Kategorie Wörter mit männlichem SG, zur anderen solche mit weiblichem (und natürlich ließ sich das beliebig tauschen, so dass man systematische Effekte ausschließen konnte). Beispielsweise waren die Wörter “Junge” und “Löffel” oosativ, und “Mädchen” oder “Pfanne” soupativ.
Wiederholt man anschließend das Bilder-Experiment, so gibt es einen Effekt wie bei den Deutsch- oder Spanischsprachigen: Wörter die zur selben Kategorie gehörten, wurden als ähnlicher eingestuft.
Ehrlich gesagt finde ich dieses Experiment nur bedingt überzeugend – beim Lernen der künstlichen Kategorien haben die VPs sicherlich im Geiste die jeweiligen Objekte aufgezählt. Dass sich dadurch eine stärkere Assoziation zum Beispiel zwischen Jungen und Löffeln ergbit, einfach weil diese beiden Wörter gerade als zur selben Kategorie gehörig erlernt wurden, könnte meiner Ansicht nach auch nur ein “priming”-Effekt sein; wer die Wörter im Geiste öfters gemeinsam wiederholt hat, denkt beim einen eher an das andere. Die sprachliche Kategorie des GG lernen wir auf andere Weise, insofern finde ich dieses “künstliche Sprache”-Experiment für sich allein nicht soo überzeugend. (Es kommt aber gleich noch mehr…)
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