Auch wenn die genaue Interpretation des Versuchs also – zumindest für mich – nicht vollkommen klar ist, kann man doch vermutlich schließen, dass das GG die Vorstellung des SG bei Objekten mit einem SG beeinflusst. Ob das durch den Artikel getriggert wird (was ich unwahrscheinlich finde) oder nicht, ist dabei für die Frage nach dem “generischen Maskulinum” eigentlich zweitrangig – extrapoliert man das Ergebnis dieses Experiments auf Formulierungen wie “der Student”, dann sollte man erwarten, dass damit eher ein männlicher Student assoziiert wird, wie ja auch in anderen Veröffentlichungen gezeigt.
Beeinflusst das Geschlecht die Assoziationen zu einem Begriff?
Boroditsky et al (2003)
Man kann auch ganz direkt testen, ob das GG die Assoziationen zu einem Begriff beeinflusst. Das Experiment dazu stammt wieder von Boroditsky et al. Es ist leider nur in einem Übersichtsartikel beschrieben, so dass ich keine genauen Angaben über quantitative Ergebnisse oder die exakte Versuchsführung habe – eine mail an Lera Boroditsky zum Thema blieb leider unbeantwortet. Insofern ist es nicht ganz einfach, das Experiment im Detail zu analysieren und mögliche Schwachstellen oder Probleme zu sehen. Das ist schade, denn dieses Experiment liefert eigentlich das schlagendste Argument.
Wieder wurden bilinguale Versuchspersonen (Deutsch/Englisch bzw. Spanisch/Englisch, jeweils mit Deutsch bzw. Spanisch als Muttersprache) getestet. Die VPs bekamen eine Liste mit Objekten vorgelegt (z.B. “Brücke”, “Schlüssel”), und zwar jeweils auf Englisch, so dass das ganze Experiment auf Englisch stattfand (einschließlich aller Instruktionen etc.). Die Objekte wurden dabei wieder so gewählt, dass sie in den beiden Sprachen unterschiedliches GG haben. Die VPs sollten jetzt zu jedem Objekt drei Adjektive aufschreiben, die ihnen spontan als erstes einfielen, und zwar auch auf Englisch.
Diese Adjektive wurden dann englischen MuttersprachlerInnen vorgelegt, die nicht wussten, woher die Adjektive kamen und was der Sinn des Versuchs war. Diese sollten dann die Adjektive als eher maskulin oder eher feminin einstufen. Es zeigte sich, dass die Bewertung der Adjektive mit dem jeweiligen GG des zugehörigen Objektes korrelierte – “key” (Schlüssel) bekam von den deutschen VPs eher maskuline Adjektive, von den Spanischen eher feminine. Im Test werden die Beispiel-Adjektive “hart”, “schwer”, “gezackt” im Deutschen und “klein”, “golden” oder “lieblich” (passt das als Übersetzung für “lovely”?) genannt. Umgekehrt waren Brücken im Spanischen eher “groß” und “gefährlich”, im Deutschen eher “schön” und “friedlich”. Leider fehlt – wie gesagt – eine quantitative Auswertung, so dass nicht klar ist, wie stark der Effekt nun tatsächlich ist.
Das Experiment wurde dann auch noch mit der künstlichen Gumbuzi-Sprache und ihren beiden Kategorien wiederholt. Auch hier zeigte sich (jetzt getestet an VPs, die nur Englisch sprechen, damit kein GG der eigenen Sprache ins Bild pfuscht) ein ähnlicher Effekt – Objekte, die zur selben Gruppe gehören wie männliche Personen, bekamen eher männlich assoziierte Adjektive und umgekehrt.
Dieses Experiment hat gegenüber den anderen den Vorteil, dass es explizit unsere Assoziationen testet. Es zeigt, dass das GG diese Assoziationen beeinflusst – wie stark der Einfluss ist, ist aber wie gesagt der Arbeit (und auch Boroditsky (2009), wo das Experiment ebenfalls aufgegriffen wird) nicht zu entnehmen.
Fazit
Beeinflusst die Grammatik – oder genauer gesagt, das GG – unser Denken? Prinzipiell muss die Antwort wohl “ja” lauten, auch wenn die Details der Effekte nicht klar sind. Es gibt anscheinend gewisse “priming”-Effekte, die dazu führen dass wir Objekte mit gleichem GG tendenziell eher als einer Gruppe zugehörig betrachten – das zeigte sich sowohl bei den Tests mit den Einstufungen in Kategorien (Boutonnet et al. und Cubelli et al.) als auch bei den Bilderzuordnungen von Boroditsky et al. Andererseits gab es in den Experimenten von Bender et al. keinen Einfluss des SG auf die Worterkennung und anscheinend auch keinen Einfluss eines primers mit bestimmten SG auf die korrekte Bestimmung des GG eines Wortes. Das spricht vielleicht dafür, dass die Assoziation GG-SG erst in einer “höheren” Phase der Wortverarbeitung eine Rolle spielt – ob das linguistisch plausibel ist, weiß ich nicht. Ich vermute, hier braucht man weitere Experimente, um die etwas widersprüchlichen Ergebnisse unter einen Hut zu bringen.
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