Dass Reptilien nicht einfach bloß stumpfe Reiz-Reaktions-Maschinen sind, sondern auch komplexes Verhalten zeigen, haben wir neulich schon am Beispiel der Krokodile gesehen. Ein aktuelles Experiment zeigt, dass etwas Ähnliches – möglicherweise? – auch für Chamäleons gilt.
Dazu wurden Chamäleons ausgebrütet und dann in Terrarien gesetzt. Ein Teil der Chamäleons bekam ein Einzel-Terrarium, ein anderer Teil wurde in ein – entsprechend größeres – Gruppenterrarium mit jeweils drei anderen Artgenossen gesetzt. Von diesem Unterschied abgesehen, wurden alle Tiere vollkommen gleich behandelt, in der gleichen Weise gefüttert etc. Anschließend wurde untersucht, in wie weit sich die Chamäleons in ihrem Verhalten unterschieden. Dabei ging es zum einen um das Jagd- und zum anderen um das Sozialverhalten.
Um das Jagdverhalten zu testen, wurden die Chamäleons in ein leeres Terrarium gesetzt und bekamen nach einer kurzen Eingewöhnungszeit drei Heuschrecken hinzugesetzt. Das Verhalten der Chamäleons wurde gefilmt und die Zeit bis zum Fangen der ersten Heuschrecke wurde gemessen. Das Experiment wurde einige Tage nach dem Schlüpfen gemacht (das war das erste Mal, dass die Chamäleons Nahrung bekamen) und dann nach einem und zwei Monaten wieder. Erwartungsgemäß zeigte sich, dass die Zeit bis zum Fangen der Beute mit zunehmendem Alter drastisch abnahm (wenn in dem paper nicht bloß der einheitenlose Logarithmus der Zeit aufgetragen wäre, sondern die Zeit selbst, dann könnte ich das auch quantifizieren (das habe ich in Bio-papern schon öfter gesehen – warum man nicht einfach die Zahlen selbst an die Achsen schreibt, statt bloß den Logarithus, ist mir schleierhaft – sind das jetzt jeweils 10 hoch x Sekunden, also z.B. 1,8=10^1,8=63 Sekunden?):
Aus Ballen et al., s.u.
Interessant ist aber, dass die Chamäleons in den Gruppenterrarien (offene Kreise) ihre Beute deutlich schneller schnappten – im Alter von einem Monat waren sie schneller als die isolierten Chamäleons im Alter von zwei Monaten.
Zusätzlich wurde auch das Sozialverhalten der Chamäleons selbst beobachtet – wenn sich zwei Chamäleons begegnen, dann können sie die Farbe wechseln, ihren Schwanz oder Körper zeigen, um den anderen zu beeindrucken, oder sie können sich einrollen oder einfach weglaufen, sich also eher unterwürfig zeigen. In der Anzahl aggressiver Verhaltensweisen gab es dabei keinen Unterschied zwischen den Gruppen, aber die isolierten Chamäleons zeigten deutlich öfter unterwürfiges Verhalten und auch deutlich weniger kräftige Farben (die mit einem Spektrometer gemessen wurden).
Insgesamt ergibt sich also ein deutlich Unterschied zwischen isoliert und in Gruppen aufwachsenden Tieren – die Tiere, die sozialen Kontakt hatten, waren weniger unterwürfig, zeigten kräftigere Farben und waren deutlich besser darin, Beute schnell zu fangen. Die AutorInnen ziehen daraus den Schluss
Thus, social isolation early in life can impair the development of squamate reptiles, as it does in mammals and birds.
[Demnach kann soziale Isolation am Anfang des Lebens die Entwicklung von Schuppenkriechtieren beeinträchtigen, ähnlich wie bei Säugetieren und Vögeln]
So weit, so gut. Warum habe ich dann ganz vorsichtig ein Fragezeichen in den Titel gesetzt und oben in der Einleitung ein “möglicherweise” eingebaut? In meinen Augen hat das Studiendesign einen deutlichen Mangel (es sei denn, ich habe etwas überlesen). Wenn ihr wollt, könnt ihr ja selbst überlegen.
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. Denkpause…..
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Nein, ich meine nicht – auch wenn das vielleicht naheliegt – die Tatsache, dass die Studie anscheinend nicht doppelt verblindet war, dass die ExperimentatorInnen also jeweils wussten, mit was für einem Tier sie es zu tun hatten (jedenfalls vermute ich das an Hand der Beschreibung der Experimente, es wird in der Arbeit nicht klar gesagt). Da die Auswertung des Verhaltens sehr genau spezifiziert wurde, ist der Spielraum für Effekte durch die Erwatungshaltung der ForscherInnen vermutlich recht klein. Das Problem ist in meinen Augen wesentlich grundlegender.
Wir haben also zwei Gruppen von Chamäleons – die einen leben in kleinen Terrarien, die anderen in großen. Die, die in großen Terrarien leben, begegnen dort häufig anderen Chamäleons. Ich halte es durchaus für denkbar, dass der Unterschied zwischen den Chamäleons auch dadurch zu Stande kommt, dass die isolierten Tiere deutlich weniger Reizen ausgesetzt waren – sie hatten ein kleineres Territorium zu erkunden und dort passierte auch weniger. Sie mussten zum Beispiel nie einem anderen Tier ausweichen. Das könnte schlicht und einfach ihre “Intelligenz” (wie immer man einen IQ-Test für Chamäleons macht) beeinträchtigen. Insbesondere bei der Jagd-Zeit halte ich so einen Einfluss zumindest für plausibel – die Chamäleons in Gruppenterarrien haben eben mehr Erfahrung mit anderen bewegten Tieren gesammelt und können Bewegung deshalb möglicherweise einfach besser einschätzen. Vielleicht spielen auch beide Effekte eine Rolle – die Interaktion mit anderen Lebewesen wirkt sich auf die Reaktionen gegenüber Beutetieren aus, die Interaktion mit Artgenossen auf das Sozialverhalten.
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