Die Flugsaurier (oder Pterosaurier) zählen sicher zu den faszinierendsten Urzeit-Tieren überhaupt – zumindest einige von ihnen waren mit über 10 Metern Flügelspannweite gigantisch, und dass sie mit ihren Flughäuten zumindest ein wenig an Drachen erinnern, macht sie auch ziemlich attraktiv. Trotz intensiver Forschung geben sie aber immer noch viele Rätsel auf. Eins davon wurde jetzt zumindest teilweise gelöst.

Um zu verstehen, worum es dabei geht, müssen wir uns ein paar Flugsaurier angucken. (Wenn ihr einen exzellenten Überblick haben wollt, kann ich euch das Buch “Pterosaurs” von Mark Witton empfehlen – eins der besten Bücher über ausgestorbene Tiere, die ich kenne.)

Hier mal zwei typische Vertreter, die auch in keinem Buch über Urzeittiere fehlen dürfen. Als erstes der berühmte Rhamphorhynchus als Rekonstruktion

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(Bild von ДиБгд, gemeinfrei)

und hier sein Skelett

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(Bild von Wikimedia, User Ballista, Gnu FDL 1.2)

Und hier zum Vergleich der berühmte Pteranodon

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(Bild von Matt Martyniuk, Wikimedia, CC License)

und hier das zugehörige Skelett:

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(Bild von Matt Martyniuk, Wikimedia, CC License)

Wenn ihr die beiden Flugsaurier vergleicht, seht ihr eine Menge Unterschiede: Zunächst mal ist Pteranodon deutlich größer mit einer Flügelspannweite von bis zu 8 oder 9 Metern, während Rhamphorhynchus weniger als 2 Meter Spannweite hatte. Dann fällt beim Pteranodon natürlich der große Knochenkamm auf . Aber es gibt noch andere deutliche Unterschiede, die evolutionär besonders wichtig sind: Die Halswirbel des Pteranodon sind lang, die des Rhamphorhynchus eher sehr kurz. Dafür hat Rhamphorhynchus einen langen Schwanz, Pteranodon einen sehr kurzen. Und auch die Flughand unterscheidet sich. Beim Pteranodon sind die Mittelhandknochen sehr lang. Im Foto könnt ihr den Beginn der Mittelhand da sehen, wo ein kleiner “Sporn” aus dem Flügel ragt, die eigentlichen Finger seht ihr auch – drei davon sind sehr klein, der vierte (Flugfinger) ist ziemlich lang, denn daran hängt die Flughaut. Beim Rhamphorhynchus dagegen sind die Mittelhandknochen vergleichsweise kurz.

Bei den meisten Flugsauriern sind diese Merkmale in genau dieser Weise korreliert: Wer lange Halsknochen hat, hat auch lange Mittelhandknochen und einen kurzen Schwanz und umgekehrt. Es gibt also zwei generelle “Baupläne” für Flugsaurier. Pteranodon gehört zur Gruppe der Pterodactyloiden, die im wesentlichen alle diesem Bauprinzip folgen. Naheliegenderweise sollte man Rhamphorhynchus in die Gruppe der Rhamphorhynchier (oder Rhamphorhynchoiden) stecken, aber das ist evolutionär nicht so ganz korrekt, denn die Pterodactyloiden haben sich aus den Rhamphorynchiern entwickelt, so dass die keine evolutionär geschlossene Gruppe bilden.

Der Übergang zwischen den Rhamphorhynchiern und den Pterodaactyloiden lag jedoch bisher im Dunkeln – man kannte nur wenige Fossilien, die irgendwo “dazwischen” lagen (Anurognathus beispielsweise war in vieler Hinsicht eher ein “Rhamphorhynchier”, hatte aber einen kurzen Schwanz). Man ging deshalb davon aus, dass der Übergang vielleicht in einer Region stattgefunden hat, in der nicht viele Fossilien erhalten geblieben sind – etwa im Inneren des Festlandes, wo Fossilien sich wesentlich seltener bilden als am Meer.

Ein neuer Fossilfund scheint nun diese Theorie zu bestätigen. Hier ist Kryptodrakon progenitor (endlich mal wieder ein cooler Name…), der “verborgene Drachen-Vorfahre” – der Name ist übrigens eine ganz explizite Anspielung auf den Film “Crouching Tiger, Hidden Dragon”:

kryptodrakon

Aus Andres et al., s.u.

Achtung: Das Bild ist etwas irreführend – das rekonstruierte Skelett zeigt nicht Kryptodrakon (von dem man nur die eingezeichneten Knochenstücke kennt), sondern das Skelett von Pterodactylus, den ihr – nach den Kriterien von oben – ganz klar als Pterodactyloiden einstufen könnt.

Kryptodrakon wurde in China gefunden und zwar in einer Gesteinsformation, die irgendwo zwischen dem mittleren und dem oberen Jura anzusiedeln ist (genau ist sie nicht datiert). Das ist genau die Zeit, zu der der Vorfahr der Pterodactyloiden leben sollte. Der entscheidende Knochen des Skeletts ist der Mittelhandknochen. Hier seht ihr ihn im Vergleich zu dem eines Nicht-Pterodactyloiden (Comodactylus) oben und eines Pterodactyloiden (Santanadactylus) unten:

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Aus Andres et al., s.u.

Wie ihr sehen könnt, ist er nicht so lang wie bei den Pterodactyloiden, aber deutlich länger als bei den urtümlicherren Flugsauriern. Am rechten Ende (dem körpernahen) sieht der Knochen allerdings ähnlich aus wie der des Comodactylus in Teilbild A, am linken (körperfernen) Ende dagegen ähnelt die Knochenform eher der eines echten Pterodactyloiden. Der Mittelhandknochen ist also ein schönes evolutionäres Zwischenstück zwischen den beiden.

Stopft man alle Daten, die man über Kryptodrakon hat, mit den Daten über andere Flugsaurier in einen Computer und lässt den eine Weile rechnen, dann bekommt man ein Kladogramm, also eine Darstellung der Abstammungsverhältnisse. (Das Bild zeige ich hier nicht, weil es sehr sehr viele Details enthält.) Und darin sitzt Kryptodrakon tatsächlich genau ganz unten an der Wurzel des Pterodactyloiden-Stammbaums.

Wie man vorher vermutet hatte, ist die Formation, in der man Kryptodrakon gefunden hat, tatsächlich die eines Binnenlandes, Kryptodrakon lebte also entfernt vom Meer. Die Autoren des papers nehmen das (und ihre Datenmatrix) zum Anlass, die Flügelformen von Pterosauriern ein wenig genauer unter die Lupe zu nehmen. Sie kommen dabei zu dem Schluss, dass es nicht ganz zulässig ist, Flügelformen von Pterosauriern direkt mit denen heutiger Vögel zu vergleichen (wie es zum Beispiel hier gemacht wurde), sondern dass man bei solchen Vergleichen berücksichtigen muss, dass Flugsaurier vom Bauplan her tendenziell immer schmalere Flügel hatten als heutige Vögel. Wie sauber dieses Argument allerdings ist, kann ich nicht beurteilen – denn unabhängig vom Bauplan ist die Aerodynamik auch für Flugsaurier dieselbe. Hier wird es wahrscheinlich noch eine längere wissenschaftliche Debatte geben.

Immerhin haben wir jetzt mit Kryptodrakon aber eine weitere Lücke unserer Kenntnis der Evolution geschlossen.

PS: Zugegeben, im Titel des Artikels müsste es korrekterweise “Pterodactyloide” heißen – aber das schien mir etwas zu unverständlich…

                                

Brian Andres, James Clark, and Xing Xu
The Earliest Pterodactyloid and the Origin of the Group
Current Biology 24, 1011–1016, May 5, 2014