Das ist aber nicht ganz richtig. Die drei bekannten Neutrino-Sorten können sich ja ineinander umwandeln, und das könnte auch für das sterile Neutrino gelten. Es ist also denkbar, dass es sterile Neutrinos gibt, die sich – mit sehr geringer Wahrscheinlichkeit – in andere Neutrinos umwandeln, und bei diesem Umwandlungsprozess würde dann ein Photon ausgesandt werden, also ein Licht- oder eben ein Röntgenquant. (Diese Erklärung habe ich auf diesem Blog gefunden.) Ein Neutrino, das ein Röntgenquant mit einer Energie von 3,55keV aussenden würde, müsste selbst eine doppelt so große Masse haben, also etwa 7,1keV. (Die Massen von Elementarteilchen gibt man auch gern in Elektronenvolt – oder keV – an; um einen “echten” Massenwert zu bekommen, muss man nach E=mc² noch ein 1/c² ranmultiplizieren, aber das tut eigentlich niemand…)
Dass die Masse gerade doppelt so groß sein muss wie die Energie der entdeckten Spektrallinie, liegt daran, dass das sterile Neutrino in ein Photon und ein “normales” Neutrino zerfällt. Beide Teilchen müssen – im Ruhesystem des sterilen Neutrinos – einen gleich großen aber entgegengesetzten Impuls tragen, und da das normale Neutrino nahezu keine Masse hat, tragen sie dann auch ziemlich genau dieselbe Energie wie das Photon, die Energie vorher muss sich also auf zwei Teilchen – fast – gleich verteilen.
Kann es also ein steriles Neutrino mit einer solchen Masse geben? Das könnte die beobachtete Spektrallinie erklären – aber es muss natürlich mit allem vereinbar sein, was wir sonst wissen – weder wurde ein solches Teilchen bisher in Beschleunigern entdeckt, noch darf es anderen Beobachtungen aus der Astronomie widersprechen. Bisherige Modelle für sterile Neutrinos hatten da oft Probleme, weil man die beschriebenen Neutrinos auch in anderen Röntgen-Spektren hätte finden müssen oder weil diese Neutrinos die Entwicklungsgeschichte des Universums durcheinandergebracht hätten. (Typischerweise sind die Neutrinos in solchen Modellen zu “warm”, tragen also zu viel kinetische Energie mit sich herum.)
Vor kurzem ist aber eine theoretische Arbeit erschienen, die ein Modell aufzeigt, wie ein solches steriles Neutrino gebildet werden könnte, das mit den Beobachtungen im Einklang ist und das – wenn ich es richtig verstehe – genau die Eigenschaften hat, die man von dunkler Materie erwarten sollte. Die Rechnungen passen zum Beispiel auch zur Verteilung von Satelliten-Galaxien um die Milchstraße herum. Leider geht das paper “ein wenig” über meinen Horizont; die Idee ist aber wohl die, dass die sterilen Neutrinos in Sternen entstehen, wo sie mit den vorhandenen Elektronen wechselwirken, was dann wiederum ihre Umwandlungsrate in andere Neutrinos beeinflusst (Mikheyev-Smirnov-Wolfenstein-Mechanismus). Dieser Mechanismus ist für die Neutrinos in der Sonne bekannt und erklärt die Verteilung der unterschiedlichen Neutrino-Sorten, die von der Sonne kommen, und könnte auch für die sterilen Neutrinos gültig sein.
Zumindest zeigen die Beobachtungen und die theoretischen Rechnungen eine interessante Möglichkeit auf, was sich hinter der dunklen Materie verbergen könnte. Aber noch ist Vorsicht angeraten – die Beobachtungsdaten sind eben hart an der Grenze der Messgenauigkeit. Wir wollen ja nicht, dass sich die Geschichte des 17keV-Neutrinos wiederholt…
Entdeckt via nature
Esra Bulbul, Maxim Markevitch, Adam Foster, Randall K. Smith Michael Loewenstein, and Scott W. Randall
DETECTION OF AN UNIDENTIFIED EMISSION LINE IN THE STACKED X-RAY SPECTRUM OF GALAXY CLUSTERS
https://arxiv.org/abs/1402.2301
A. Boyarsky, O. Ruchayskiy, D. Iakubovskyi and J. Franse
An unidentified line in X-ray spectra of the Andromeda galaxy and Perseus galaxy cluster
https://arxiv.org/abs/1402.4119
Kevork N. Abazajian
Resonantly Produced 7 keV Sterile Neutrino Dark Matter Models and the Properties of Milky Way Satellites
PRL 112, 161303 (2014)
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