Als Kind und Jugendlicher hatte ich eine Schwäche für Monsterfilme – Ungeheuer wie King Kong, Gamera, den Rhedosaurus (“the beast from 20000 fathoms”) fand ich faszinierend (für jemanden, der Dinos mag, wohl nicht sehr ungewöhnlich). Eins der bekanntesten dieser Filmmonester ist sicherlich Godzilla – der vor ziemlich genau 60 Jahren zum ersten Mal auf der Leinwand zu sehen war. Da das hier ja kein Film-Kritik-Blog ist, nutze ich dieses Jubiläum (und den gerade anlaufenden Kinofilm), um ein wenig über die wissenschaftliche Seite von Godzilla nachzudenken.
Zum Glück ist dieses Thema in der wissenschaftlichen Literatur bereits intensiv untersucht worden, und zwar anlässlich des Godzilla-Fils von 1998 (in dem Godzilla allerdings eher ein riesiger Theorpode war als das behäbige Monster aus den 50ern, was vermutlich zum einen am Einfluss von Jurassic Park lag und zum anderen daran, dass man keine Sumo-Ringer in Gummi-Kostüme stecken musste, so dass man bei den Proportionen des Körpers und seinen Bewegungen etwas freier war… – die früheren amerikanischen Monsterfilme bedienten sich ja stattdessen der Stop-Motion-Technik von Willis O’Brien und seinem Schüler Ray Harryhausen). In dieser Arbeit untersuchte Per Christiansen das Filmmonster, indem er die Eigenschaften von Raubsauriern hochrechnete. Dazu verwendete er ein Modell des Monsters, so dass er genaue Messungen der Proportionen und des Volumens machen konnte. Dabei stellt sich – wenig überraschend – heraus, dass der amerikanische Godzilla biomechanisch nicht besonders plausibel ist.
Der Godzilla von 1998 ist aber mit 60-90 Metern Höhe, wenn er sich aufrichtet, geradezu ein Zwerg gegenüber dem aktuellen Godzilla, der eine Höhe von etwa 120-150 Metern hat, wie ich dieser Internetseite entnehme. (Ich zeige hier lieber keine Godzilla-Bilder – Filmfirmen verstehen ja bei Copyright-Verletzungen eher wenig Spaß und frei verfügbare Bilder habe ich keine gefunden.) Leider habe ich kein Modell des Monsters zur Hand – aber da es hier eh nur um Abschätzungen geht (endlich mal wieder ein Fermi-Problem), macht das nicht viel.
Fangen wir mit der Körpermasse an. Mit einer Höhe von etwa 120 Metern ist Godzilla etwa 20 Mal so hoch wie ein Tyrannosaurus rex, wenn der sich aufrichtet, so wie man ihn früher gern dargestellt hat (als er noch deutlich Godzilla-artiger aussah):
(Bild von Scientific American.)
Die genaue Masse eines T. rex ist natürlich nicht bekannt, aber die besten Schätzungen liegen bei etwa 6-9 Tonnen (sehr genaue Untersuchungen dazu gibt es von John Hutchinson). Nehmen wir einen Wert im etwas höheren Bereich, weil Godzilla ja recht massig gebaut ist, von 8 Tonnen.
Mit 120 Metern Höhe ist Godzilla etwa 20 Mal so hoch wie ein T. rex, also ist er 8000 mal schwerer (denn das Volumen ist proportional zur Länge hoch drei). Das macht dann satte 64000Tonnen. Bei 150 Metern Höhe landen wir bei etwa dem Doppelten, nämlich 125000 Tonnen. Das ist – wenn ich mich nicht total vertue – etwa die Masse eines Flugzeugträgers. Ein ziemlicher Brocken also. (Christiansen kommt für den 1998er Godzilla mit 91 Metern Körperhöhe auf eine Masse von etwa 23000 Tonnen – im paper steht 23821.9; BiologInnen haben das mit dem Sinn von signifikanten Stellen manchmal nicht so im Griff – wenn ich die Höhe nur auf drei Stellen genau kenne, kann ich die Masse kaum auf 6 Stellen genau berechnen..)
Diese Masse muss der gute (oder böse?) Godzilla natürlich auch mit sich herumschleppen, und zwar auf seinen Beinen. Wenn ich mir die Godzilla-Bilder so ansehe, dann hat Godzilla Beine, die einen Durchmesser von so etwa 15 Metern haben. Muskeln braucht er auch noch, also nehmen wir mal an, dass vielleicht die Hälfte der Bein-Fläche auf Knochen entfällt (das ist allerdings ziemlich viel…). Das macht dann einen Knochen-Querschnitt von 88m².
Wenn Godzilla einen Schritt macht, dann lastet das ganze Gewicht auf einem Bein – gut, beim aktuellen Godzilla wird ein Teil von Schwanz getragen, der ja anscheinend auf dem Boden schleift. Nehmen wir mal an, dass 100000 Tonnen übrig bleiben, die das Bein zu tragen hat, das wäre dann eine Gewichtskraft von (ich nehme jetzt die vereinfachte Exponentialschreibweise) 10m/s² (für die Erdbeschleunigung) mal 1E5 Tonnen oder 1E8 Kilogramm also 1E9 Newton. Die müssen wir auf die knapp 100m² Fläche verteilen, was eine Druckspannung von 10Megapascal ergibt. Das scheint zunächst ganz in Ordnung – Knochen können Drucklasten von bis zu 250MPa ertragen. Allerdings sind die Lasten beim Gehen tatsächlich deutlich größer – auch bei großen Tieren, die ihre Gliedmaßen sehr gerade halten wie Elefanten, werden die Knochen auf Biegung belastet, so dass typische Lasten deutlich größer sind. (Beim Menschen treten die größten Lasten bei Bewegungen wie dem Treppensteigen auf – da ist die Knochenlast etwa das 5-7-fache des Körpergewichts.) Das scheint tatsächlich immer noch machbar – allerdings muss man auch berücksichtigen, dass das Biegemoment, das auf den Knochen wirkt, diesen auch auf Zug belastet, und die Zugfestigkeit von Knochen ist mit etwa 150MPa deutlich kleiner.
Christiansen kommt für den “amerikanischen” Godzilla von 1998 zu ähnlichen Ergebnissen – er verwendet eine Beziehung für die Biegefestigkeit des Knochens und zeigt, dass dieser Godzilla in einem Bereich liegt, wie man ihn für sehr behäbig bewegte Tiere erwarten würde. Trotzdem – tragen können die Knochen die Masse des Tieres, woran man nebenbei mal wieder sieht, dass Knochen ein ziemlich leistungsfähiges Material sind. Allerdings könnte das Problem deutlich schwerwiegender werden, wenn man sich die Füße und Zehen anguckt – je nachdem, ob Godzilla mit dem ganzen Fuß auftritt oder Zehengänger ist. Als Zehengänger dürfte er Probleme bekommen – die Zehen werden stark auf Biegung belastet und haben einen deutlich kleineren Querschnitt. (Falls ich den Film demnächst gucke – lohnt sich das? – sollte ich wohl mal drauf achten…)
Deutlich problematischer wird die Sache allerdings, wenn wir uns die zum Bewegen erforderlichen Muskeln ansehen. Zu diesem Problem (für Dinosaurier, nicht für Film-Monster) habe ich ja sogar selbst mal geforscht. Damals haben wir untersucht, welche maximale Kraft ein zweibeiniger Dino beim Laufen ausüben kann – die sollte natürlich schon etwa so groß sein wie das Körpergewicht. Hier eine der Grafiken aus unserer Arbeit:
Zu sehen ist auf der vertikalen Achse die maximale kraft in Einheiten des Körpergewichts, auf der horizontalen Achse die Körpermasse in Kilogramm. Nach dieser Grafik dürfte bei etwa 100 Tonnen Körpermasse Schluss sein – danach ist das Tier nicht mehr in der Lage, sein Gewicht zu halten. Wir haben damals das Laufen untersucht, bei dem die Beine ja ein wenig eingeknickt sein müssen, während sie beim Gehen ja gestreckt sind. Außerdem sind beim Gehen ja häufig beide Beine auf dem Boden, so dass sich die Masse verteilt. Direkt übertragen kann man die Grafik für ein gehendes Tier also nicht (ich vermute mal, der neue Godzilla rennt nicht herum oder hüpft akrobatisch durch die Gegend wie der King Kong von Peter Jackson, der ja quasi schwerelos zu sein schien – mal ganz davon abgesehen, dass die Fenstersimse in New York anscheinend aus ultrahochverdichtetem Terkonitstahl sind, wenn sich da ein schwingender Gorilla langhangeln kann.). Trotzdem muss natürlich auch ein gehendes Tier seine Körpermasse mit Muskelhilfe tragen – spätestens dann, wenn der Schritt gemacht ist, bei dem man ja leicht nach vorn fällt, müssen auch die Muskeln ihren Beitrag leisten. Selbst wenn er dann nur 1% seiner Körpermasse mit den Muskeln tragen muss, wäre das schon zu viel. Mit normalen Muskeln dürfte Godzilla sich also nicht bewegen können – da er aber ja radioaktiv strahlt und eh nen Kernreaktor eingebaut hat (das hat er doch hoffentlich?), hat er ja vielleicht auch spezielle Muskeln, die extra-hohe Kräfte erzeugen können.
Ein anderes Problem der Körpermasse tritt auch beim Gehen auf – der Boden muss das Tier ja auch tragen können. Wenn wir mal annehmen, dass die Füße beim Gehen eine Bodenberührung haben, die etwa dem oben berechneten Durchmesser des Beins entspricht (das scheint zu den Bildern zu passen), dann wird beim Gehen auch der Boden punktuell mit Spannungen von etwa 10MPa belastet. Beton hat eine Druckfestigkeit von 20MPa oder mehr – aber trotzdem dürfte man erwarten, dass auch Straßen unter Godzillas Schritten rissig werden. Wie er aus dem Meer spazieren kann, wo der Boden ja vermutlich weicher Sand oder Schlick ist, weiß ich nicht – eigentlich müsste man ihn dort extrem tief einsinken sehen.
Wie viel Energie braucht eigentlich so ein Riesenmonster? Das hängt natürlich davon ab, was Godzilla für eine Stoffwechselrate hat. Ist er ein Warmblüter, dann ist sein Energieverbrauch höher als bei einem wechselwarmen Tier. Für den T. rex gibt es ja eine berühmte Abschätzung, nach der er als wechselwarmes Tier etwa 73 Rechtsanwälte pro Jahr fressen muss, als Warmblüter etwa 292. Um das hochzurechnen, muss man die entsprechende Beziehung für den Energieverbrauch als Funktion der Körpermasse verwenden. Diese Beziehung wurde natürlich an aktuell lebenden Tieren ermittelt, so dass insbesondere bei den wechselwarmen Tieren nur vergleichsweise niedrige Massenwerte zur Verfügung stehen, insofern sind diese Abschätzungen natürlich recht ungenau.
Interessanterweise nimmt der Energiebedarf wechselwarmer Tiere mit der Masse schneller zu als der gleichwarmer Tiere. Die beiden Kurven schneiden sich deshalb bei sehr großen Massen, etwa bei einer Masse von 40000 Tonnen. Dieses Bild zeigt die Kurven, aufgetragen ist die Masse (in kg) gegen den Energiebedarf (in Watt, also Joule/Sekunde):
Unser Godzilla mit seinen 125000 Tonnen Masse hätte also einen Energiebedarf von immerhin 4,5 Megawatt, wenn ich die niedrigere der beiden Kurven verwende (also die für gleichwarme Tiere). Damit müsste er alle 100 Sekunden einen Rechtsanwalt futtern – wahrscheinlich ganz gut, wenn er über seinen Kernreaktor betrieben wird, sonst verfrühstückt er irgendwann noch Physiker…
Auf der anderen Seite wäre der Herzschlag eines solchen Riesentieres überraschend langsam – der Herzschlag verhält sich etwa wie die Masse hoch -0,25. Das liegt daran, dass die Stoffwechselrate – wie eben gesehen – langsamer ansteigt als die Körpermasse, während das Herz bei allen Tieren etwa den gleichen Anteil an der gesamten Körpermase hat (jedenfalls gilt das für Säugetiere). Damit kommt man für einen Elefanten auf etwa 25 Schläge pro Minute (real ist die Rate wohl noch etwas langsamer), für einen T. rex auf etwa 22 und für Godzilla auf zwei Schläge pro Minute. (Hätte man ja als netten special effect in den Film einbauen können, wenn es da alle 30 Sekunden ein wenig dumpf und bedrohlich wummert…)
Per Christiansen studiert in seinem paper übrigens auch die Wachstumsrate – der 1998er Godzilla bräuchte, wenn man eine ähnliche Rate annimmt wie bei Reptilien, mehr als 1000 Jahre (und selbst als Warmblüter noch etwa 750 Jahre). Aber auch hier schlägt ja die radioaktive Strahlung zu, die für ein beschleunigtes Wachstum sorgt.
Nebenbei: Das paper hat eine der unterhaltsamsten Danksagungen überhaupt:
I am indebted to Professor Peter Dodson, who managed to keep a straight face while making useful comments on the original manuscript of this strange paper, which was not originally intended for scientific publication. Finally, I must extend my gratitude towards the editors of Mathematical Geology, who displayed real character in accepting such an unusual paper.
[Ich bin Prof. Peter Dodson zu Dank verpflichtet, dem es gelang, das paper mit ernsthafter Miene zu lesen während er hilfreiche Kommentare zu diesem seltsamen paper gab, das ursprünglich nicht zur Publikation gedacht war. Schließlich muss ich meinen Dank auch den Editoren von “Mathematical Geology” aussprechen, die echten Charakter bewiesen, als sie ein derart ungewöhnliches paper akzeptierten.]
Ein Riesentier wie Godzilla ist innerhalb der uns bekannten Biologie also nicht möglich. Selbst der eingebaute Kernreaktor löst nicht alle Probleme, die so ein Riesentier mit seiner Masse hätte. Das ist allerdings nicht wirklich schlimm, und ich kann mich nur dem Fazit von Per Christiansen anschließen:
Godzilla was always a mythical monster, and should remain so.
Godzilla war schon immer ein mythisches Monster, und das sollte er auch bleiben.
Per Christiansen
Godzilla from a Zoological Perspective
Mathematical Geology, Vol. 32, No. 2, 2000
Michael Brett-Surman and J. O. Farlow
Some Irreverent Thoughts about Dinosaur Metabolic Physiology: Jurisphagous Food Consumption Rates of Tyrannosaurus Rex
in: The Complete Dinosaur
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