In Nature wurde diese Woche mal wieder ein spektakuläres Fossil vorgestellt: Der Archaeopteryx Nummer 11. Auch wenn wir inzwischen einige fossile Arten kennen, die wohl ziemlich direkt unten am Stammbaum der Vögel sitzen (beispielsweise Anchiornis, Xiaotingia oder Aurornis), ist Archaeopteryx immer noch “Der Urvogel”. Das neu vorgestellte 11. Exemplar ist ziemlich gut erhalten, es fehlen allerdings große Teile des Kopfes und das rechte Vorderbein.
Vorneweg erst mal ein Wermutstropfen: Wenn man das paper liest, so fällt auf, dass es dort – anders als bei der Vorstellung neuer Fossilien üblich – weder eine Information zur Fundstelle noch zum Museum gibt, in dem das Fossil gelagert wird. Der 11. Archaeopteryx ist in Privatbesitz und über seinen Fundort ist nur wenig bekannt, wohl, weil der Finder nicht möchte, dass dort ein Such-Rummel von Fossilienjägern losgeht. (Das gilt allerdings auch für andere wichtige Fossilien, bei denen dann zumindest grobe Informationen veröffentlicht werden, aber vielleicht ist das im gut erkundeten Bayern einfach nicht möglich, weil jede Information zu viel wäre.) Im “supplementary material” kann man immerhin nachlesen, dass er in Privatbesitz ist und zur Zeit als Leihgabe in der Bayerischen Staatsammlung für Paläontologie zu finden ist. Er ist auch als Kulturgut registriert und darf deshalb nicht einfach irgendwie verkauft werden. Trotzdem ist es natürlich schon bedenklich, dass jemand im Prinzip das Fossil kaufen und bei sich im Keller lagern könnte, ohne dass es irgendwem zugänglich wäre.
Dieses Bild hier zeigt einen Überblick über das Fossil:
Aus Foth et al., s.u.
s=Schädelfragmente, n=neck, t=tail, lh/rh: linkes/rechtes Hinterbein, rf rechtes Vorderbein.
Wie ihr seht, sind die Federn bei diesem Exemplar hervorragend erhalten – zum Teil auch solche, die man auf anderen Fossilien nicht erkennen konnte.
Die unterschiedlichen Federn sind in diesem Bild hier farblich markiert:
Aus Foth et al., s.u.
Hellblau: Halsfedern (rechts unter dem Schwanz an den Schädel-Fragmenten), Himmelblau: Federn des Körpers, Dunkelblau: Federn am Unterschenkel, Rot: Federn am Oberschenkel, Schwarz: Federn am Fuss (die seht ihr links unten am Bein, sind aber klein), Hellgrün: schwanzfeder, grün: Federn am Flügel.
In rot markiert sind die Federn am Oberschenkel, in dunkelblau und Schwarz die am Unterschenkel und am Fuß (Metatarsus, um genau zu sein). Dass der Archaeopteryx lange Federn am Fuß hatte, wusste man eigentlich schon lange – im berühmten Berliner Exemplar sind sie aber im Laufe der Jahre durch Präparation verloren gegangen, und hat deshalb erst kürzlich wieder ernsthaft darüber nachgedacht. Diese Geschichte habe ich vor einiger Zeit schon erzählt, als ich das “neue Bild des Archaeopteryx” vorgestellt habe.Das neue Fossil zeigt jedenfalls auch sehr deutlich, dass Archaeopteryx lange Federn an den Beinen hatte, ähnlich wie der berühmte “Doppeldeckersaurier” Microraptor. Die Federn sind sehr lang, wie ihr in dieser Detailaufnahme sehen könnt (Teilbild b und c):
Aus Foth et al., s.u.
Diese Federn sind in ihrer Länge vergleichbar mit denen des Microraptor – allerdings sind sie wohl ziemlich symmetrisch geformt und waren deswegen vermutlich zum Fliegen nicht so gut geeignet. Generell sind echte Flugfedern asymmetrisch, weil die angreifenden Kräfte bei einer Feder für eine Verdrehung sorgen – legt man den Federschaft nicht in die Mitte der Feder, sondern eher zum führenden Ende hin, verringert das die Kräfte, die die Feder verdrillen. Das könnt ihr sehr gut sehen, wenn ihr Vogelfedern – z.B. von Tauben – anguckt – je asymmetrischer die Feder, desto weiter außen am Flügel liegt sie typischerweise. Dass die Beinfedern (vermutlich – durch die Überlappung benachbarter Federn ist das nicht ganz eindeutig zu erkennen) symmetrisch sind, wird deswegen als Gegenargument gegen ihre Funktion als Flugfeder angeführt – so ganz überzeugt bin ich allerdings nicht, weil die Situation auch bei lebenden Vögeln anscheinend kompliziert ist und nicht alle Vögel die theoretisch zu erwartende Feder-Asymmetrie besitzen, wenn ich diesen Abstract hier richtig verstehe. Und auch wenn symmetrische Federn vielleicht nicht perfekt zum Fliegen geeignet waren, mögen sie ja trotzdem noch funktionieren (jetzt lehne ich mich allerdings weit aus dem Fenster, weil ich von Aerodynamik nicht so ganz viel Ahnung habe…).
Im Paper heißt es zu dieser Frage sehr deutlich:
Although some taxa possess prominent feather trousers, an initial aerodynamic function, as previously hypothesized can be rejected because the presence of this character is extremely variable within Paraves, and elongated hindlimb feathers were usually restricted to the tibia and are symmetrical in shape.
[Auch wenn einige Gruppen deutliche “Federhosen” besaßen, kann eine anfängliche aerodynamische Funktion, wie früher angenommen, widerlegt werden, weil die Anwesenheit dieses merkmals innerhalb der Paraves stark variiert und weil die verlängerten Beinfedern auf den Unterschenkel begrenzt waren und symmetrisch geformt waren. – sehr holprige Übersetzung von mir.]
Zumindest das erste Argument überzeugt mich nicht wirklich – dass das Merkmal stark variiert, fände ich auch dann nicht überraschend, wenn es eine deutliche aerodynamische Funktion hätte. Im Gegenteil: Als die Urvögel anfingen, mit dem Fliegen herumzuexperimentieren, wurden vermutlich ganz unterschiedliche Strategien ausprobiert, und die Entwicklung war ja auch kein linearer Prozess – mäßig gute Flieger stammten vielleicht von besseren Fliegern ab, deren Nachfahren flogen dann aber möglicherweise wieder besser usw. Bei einem komplexen Sammelsurium von mehr oder wenig gut fliegenden Arten fände ich so ein Muster von größeren und kleineren Beinfedern auch dann nicht verwunderlich, wenn die eine aerodynamische Funktion hatten. Bei den Flügeln ist es ja auch ein bisschen so – innerhalb des im paper gezeigten Stammbaums sind die Troodontiden, die zum Fliegen wohl zu groß waren, zwischen dem Microraptor und dem Archaeopteryx angeordnet.
Welche Funktion die Beinfedern (“Federhosen”) stattdessen hatten, ist unklar – sie könnten beim Brüten geholfen haben oder (wie immer in der Biologie, wenn einem gar nichts anderes einfällt) eine Signalfunktion (“display structure”) besessen haben – was immerhin diesmal eine gewisse Berechtigung hat, weil diese Federn vermutlich ein farbliches Muster hatten.
In dem verlinkten Artikel über das neue Bild des Archaeopteryx ging es auch um die Frage, ob die Flügel des Archaeopteryx in gleicher Weise mit langen Federn ausgestattet waren wie das bei heutigen Vögeln der Fall ist, oder ob weitere Schwungfedern darüber lagen, so dass die Flügel aus mehreren Federlagen bestanden. Dieses Bild passt allerdings nicht zum hier beschriebenen Archaeopteryx, bei dem die Deckfedern zu erkennen sind und nicht länger sind als bei heutigen Vögeln, und die These der mehreren Lagen von Flugfedern wird entsprechend zurückgewiesen. (Wie man dann allerdings die im anderen Artikel gemachten Beobachtungen erklärt, ist mir nicht so ganz klar).
Das neue Fossil zeigt auch zum ersten Mal die Schwanzfedern in voller Länge, siehe Teilbild e. Diese Federn sind auch asymmetrisch (Teilbild f), und hatten deshalb wohl ziemlich sicher eine aerodynamische Funktion.
Der Rest der Arbeit beschäftigt sich mit der Evolution der Federn. Federn die wie die Schwungfedern heutiger Vögel aussehen (also mit einem Schaft in der Mitte und seitlichen Verästelungen – auf englisch “pennaceous feathers”), findet man bei den Vorfahren der Vögeln und auch bei den Oviraptoren, merkwürdigen Raubsauriern mit oft seltsamer Kopfform. Hier ein Bild von Nomingia, bei dem die Federn am Schwanz fossil erhalten geblieben sind:
(Bild von Wikimedia, User Smokeybjb, public domain)
Eine detaillierte Analyse des Stammbaums zeigt, dass immerhalb der Gruppe, die solche Federn besaß (in der Arbeit als “Pennaraptora” bezeichnet) Federn ziemlich wirr verteilt waren – einige Arten hatten große Federn an der Hand oder den Beinen, andere wiederum nicht. Auch hier werten die Autoren diese Variabilität als Indiz dafür, dass diese Federn vermutlich vor allem eine “Display”-Funktion hatten, aber mich überzeugt das nicht zu 100%. Natürlich wird ein gefiederter Dino, der Federhosen aber keine langen Flugfedern an den Armen hatte, mit den Beinfedern nicht geflogen sein, aber trotzdem können sie ja eine andere komplexere Funktion gehabt haben. (Spechte beispielsweise nutzen ihre Schwanzfedern ja auch zum Abstützen.) Eine hohe Variabilität allein ist auch kein gutes Argument für eine Display-Struktur, die finden wir zum Beispiel auch bei den ersten Vierfüßern – obwohl wir dort nur vergleichsweise wenige Fossilien kennen, ist es auch dort so, dass man nicht einfach eine klare Entwicklung von der Flosse zum Bein hat. Der berühmte Ichthyostega zum Beispiel konnte seine Hinterbeine vermutlich nicht zum Laufen verwenden; andere Ur-Vierfüßer, die gleichzeitig lebten, aber vermutlich schon, darauf deuten zumindest Fußspuren hin.
Es ist natürlich schon plausibel, dass sich dieser Federtyp ursprünglich nicht zum Fliegen entwickelt hat, wenn wir ihn bei vielen Tieren finden, die weiter unten am Stammbaum der Vögel sitzen und die mit Sicherheit nicht fliegen konnten. Sicher ist das aber auch nicht – es ist immer noch möglich, dass es dort flugfähige Vorfahren gab, die dann das Fliegen wieder aufgegeben haben, so wie man inzwischen ja auch – je nach genauer Analyse – oft herausbekommt, dass Dinosaurier wie Velociraptor eng mit den Vögeln verwandt sind und flugfähige Vorfahren hatten.
Das neue spektakuläre Archaeopteryx-Fossil liefert also einen faszinierenden Einblick in die Evolution der Federn und des Fliegens – aber viele Fragen bleiben (zumindest meiner Meinung nach) noch offen.
Christian Foth Helmut Tischlinger Oliver W. M. Rauhut
New specimen of Archaeopteryx provides insights into the evolution of pennaceous feathers
doi:10.1038/nature13467
Nature 511 (2014) p. 79-82
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