Säbelzahnkatzen (oder “Säbelzahntiger”) haben die Menschen seit ihrer Entdeckung fasziniert. Die langen Eckzähne sehen ja auch wirklich eindrucksvoll aus. Nicht so einfach ist es allerdings, herauszubekommen, wie diese Zähne verwendet wurden. Wie haben die Katzen ihre langen Hauer in die Beute geschlagen? Wie haben sie es geschafft, dass diese Zähne dabei nicht abbrechen?
Vor gut einem Jahr habe ich schon einmal über dieses Problem berichtet (und es ist vielleicht nicht verkehrt, wenn ihr euch den Artikel nochmal anguckt ($$$, muahaha)). Die gängige Theorie, die letztes Jahr auch durch Computeranalysen gestützt wurde, besteht darin, dass die Katzen mit ihren Zähnen den Hals ihrer Beutetiere durchbissen haben, nachdem sie sie vorher mit ihren kräftigen Vorderbeinen zu Boden gebracht haben.
Die Modellrechnungen zeigten insbesondere zwei Dinge: Zum einen kann der Säbelzahn seinen Kiefer nicht mit viel Kraft einfach geschlossen und dadurch die Zähne in das Opfer geschlagen haben – und zwar zum einen einfach deswegen nicht, weil die Muskeln dazu zu schwach waren und auch das Kiefergelenk den Spannungen nicht stand halten könnte. Zum anderen folgen die Zähne einem Kreisbogen (links der handelsübliche Säbelzahntiger Smilodon, rechts die Beuteltier-Variante Thylacosmilus):
(Bild aus Wroe et al.)
Der Mittelpunkt des Kreises liegt dabei nicht am Kiefergelenk, so dass beim Schließen des Kiefers die Zähne keine bohrende, sondern eher eine schneidende Bewegung gemacht hätten – sie hatten aber keine scharfe Schneidkante. Die Zähne können also nicht einfach um das starr gehaltene Kiefergelenk rotieren. Stattdessen ging man bisher davon aus, dass es im wesentlichen die Halsmuskeln waren, die die Zähne in die Beute gerammt haben, und der Unterkiefer hatte eher eine Statistenrolle.
Jetzt gibt es aber eine neue Variante dieser Theorie. Dabei spielt der Unterkiefer eine wichtige Rolle, weil er sozusagen als Angelpunkt dient. Diese Theorie stammt ungewöhnlicherweise von einem unabhängigen Forscher, der nicht an einer Universität arbeitet und der sich das Modell des Smilodon mit dem er gearbeitet hat, einfach gekauft hat (und zwar hier, wie es aussieht – wow, da gibt es ganz schön coole Modelle…). Dieses Modell hat er dann von der Seite abfotografiert und in Photoshop manipuliert, um zu sehen, wie die Bewegungen des Kopfes funktionieren könnten. Und dabei ist er auf eine neue Idee gekommen, die er als “Klasse-1-Hebel-Modell” bezeichnet.
Dazu muss man erst einmal wissen, dass hebel in Klassen eingeteilt werden, dieses Bild hier zeigt das sehr schön (wenn auch auf Englisch – “fulcrum” bezeichnet den Hebelpunkt, “effort” die angesetzte Kraft, “resistance” die Last, gegen die ihr anarbeitet)
(Bild von Scott Foresman, Public Domain)
Die “klassische” Theorie des Bisses nimmt ja an, dass die Halsmuskeln die Zähne bewegen, indem sie den Kopf um das Halsgelenk rotieren. Dabei liegt dann der Ansatzpunt der Muskeln dichter an den Zähnen als der Hebelpunkt – es ist also ein Klasse-3-Hebel. Im neuen Modell dagegen haben wir einen Hebel der Klasse 1 (dieses und alle folgenden Bilder aus dem paper von Brown):
(Aus Brown. s.u.)
Wie ihr seht, ist im neuen Modell der Unterkiefer der Hebelpunkt. Aber wie passt das zu den schwachen Muskeln am Unterkiefer? Wie konnte der Säbelzahn den Unterkiefer als Hebel verwenden, wenn er dort nur schwache Muskeln hatte?
Das seht ihr schon im Bild angedeutet, wenn ihr den roten Kraftpfeil anguckt: Die Kraft setzte nach der neuen Idee ganz hinten an, am Ende des Halses, da wo der Vorderkörper beginnt. Hier eine etwas genauere Skizze, wie das funktionieren soll:
(Aus Brown. s.u.)
Links im Bild seht ihr die Phase 1 des Angriffs – dabei rammt der Säbelzahn seinen Unterkiefer quasi flach in das Opfer hinein, etwa so (Bild A):
(Aus Brown. s.u.)
Rechts bei B seht ihr die Analogie zum Rodeo, wo der Cowboy ein Pferd einen Stier (ja, ich hätte das Bild doch etwas genauer anschauen sollen…) niederringt, indem er ihm den Kopf verdreht. Der Säbelzahn hindert mit seinem Unterkiefer das Opfer daran, sich aufzurichten, ähnlich wie der Cowboy. Er bewegt dann den Unterkiefer weiter nach Vorn, während er gleichzeitig die Beine streckt und so um Hals und Zähne um den Unterkiefer herum rotiert (Phase “strike” im oberen Bild). Da sich der Unterkiefer dabei nach Vorn bewegt, rotiert der Säbelzahn nicht genau um das Unterkiefergelenk (TMJ im Bild), was ja, wie wir oben gesehen haben, nicht so gut gehen würde, sondern um einen Punkt (in blau), der sich relativ zum Unterkiefer verschiebt. Dadurch laufen die Säbelzähne schön auf einer Kreisbahn.
Praktisch an diesem Modell ist, dass der Biss seine Kraft von den Vorderbeinen bekommt, die bei Säbelzähnen generell meist sehr kräftig ausfielen. Dazu passt auch, dass der Unterkiefer recht kräftig gebaut ist, obwohl er ja nur von schwachen Muskeln geschlossen werden konnte.
Alles in allem erscheint mir das Modell recht plausibel – auf die Schnelle sehe ich keine offensichtlichen Punkte, die ihm widersprechen (was aber nicht heißt, dass es die nicht gibt). Simulationen ähnlich zu denen, die ich letztes Jahr vorgestellt habe, wären sicherlich hilfreich, um zu sehen, wie die Spannungen in diesem Modell verteilt sind und ob alle Knochen und Gelenke ihnen standhalten könnten – immerhin ist das Kiefergelenk ja nicht soo stark – es kann aber in diesem Modell von den entsprechenden Muskeln gestützt werden. Das Modell vereint das, was wir über Säbelzähne schon wussten, mit zwei neuen Ideen (dem Unterkiefer, der die Beute am Aufrichten hindert, und dem Vorderbein-betriebenen Biss) zu einem insgesamt plausiblen Szenario. Man sieht aber auch, dass die Säbelzähne zwar hervorragende Tötungswerkzeuge waren, dass sie selbst aber nicht dazu dienten, die Beute erst einmal zu Boden zu bringen – das musste die Katze in diesem Modell (wie auch nach der “klassischen” Idee) vorher tun.
Brown, Jeffrey G. “Jaw Function in Smilodon fatalis: A Reevaluation of the Canine Shear-Bite and a Proposal for a New Forelimb-Powered Class 1 Lever Model.” PloS one 9.10 (2014): e107456.
Wroe S, Chamoli U, Parr WCH, Clausen P, Ridgely R, et al. (2013) Comparative Biomechanical Modeling of Metatherian and Placental Saber-Tooths: A
Different Kind of Bite for an Extreme Pouched Predator. PLoS ONE 8(6): e66888. doi:10.1371/journal.pone.0066888
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