In der aktuellen Ausgabe der Zeitschrift “Forschung und Lehre” findet sich direkt auf Seite 3 der monatliche Standpunkt. Diesmal geht es um “Die Universität als Anwesenheitsinstitution”. Anlass des Artikels ist ein Beschluss der nordrhein-westfälischen Landesregierung, die es Lehrenden untersagt, die Anwesenheit von Studis in Lehrveranstaltungen zu kontrollieren. Standpunkt-Autor Prof. Rudolf Stichweh meint, genau so gut hätte man gleich die Universitäten als Ganzes abschaffen können.

Erst einmal ein paar Fakten – es geht bei der Regelung nicht um jede Art von Veranstaltung – selbstverständlich kann die Anwesenheit bei einer praktischen Übung, einer Exkursion oder einem Sprachkurs verpflichtend sein, wie wir hier lesen können. O.k., Einzelheiten sind wohl noch zu klären, was etwa Seminare angeht – wenn dort viel diskutiert wird, mag eine Anwesenheitspflicht ja sinnvoll sein. Aber darum geht es Prof. Stichweh nicht – er sieht die Universitäten als Ganzes gefährdet, denn die physische Anwesenheit gehört seiner Ansicht nach zum Kern einer Universität:

Das Lehren und Lernen in der Universität vollzieht sich unter der Bedingung der physischen Anwesenheit aller Beteiligten in ein und demselben Raum wechselseitiger Wahrnehmung,

Wow – so einen Satz würde ich in meinem Kurs zum “Wissenschaftlich Präsentieren” erst mal anmarkern – “in ein und demselben Raum wechselseitiger Wahrnehmung”? Aber gut, manchmal drücken Leute sich ja gern kompliziert aus, gerade an dieser Stelle. Lassen wir das mal so stehen und kümmern uns lieber um das Argument als solches. Warum ist denn die Anwesenheit so wichtig? Dazu erfahren wir:

Man wird diese Stabilität der Universität als Anwesenheitsinstitution so verstehen dürfen, dass es Gründe in der Verfasstheit komplexer intellektueller Lernprozesse gibt, die das Lernen in physischer Anwesenheit aller Beteiligten begünstigen. Es geht vermutlich um die Entwicklung des Arguments in Anwesenheit derjenigen, an die es adressiert ist, um die Möglichkeit der Rückfrage durch diese, um die Interaktion unter denjenigen, die als Lernende beteiligt sind.

Aha – es geht also (vermutlich? Evidenz gibt es also nicht?) erst mal darum, dass es wichtig ist, dass die Studis erleben können, wie ein Argument entwickelt wird. Ja, das klingt plausibel. Obwohl – dazu gibt es doch auch Bücher? Kann man in Büchern keine Argumente entwickeln? Liest Herr Stichweh keine Forschungsartikel oder Bücher, sondern ruft die KollegInnen immer an, um sich die neusten Forschungsergebnisse erklären zu lassen? Anscheinend sit das so, denn später schreibt er:

Die Kompetenz der Lehrenden, in Anwesenheit etwas zu vermitteln, was ohne diese nicht erreichbar ist, wird faktisch bestritten

Es gibt seiner Ansicht nach also tatsächlich (nicht praktisches, denn dafür gilt die Regel ja nicht) Wissen, dass man nur mündlich in einer Vorlesung vermitteln kann? Vielleicht sollte man dann konsequenterweise die Bibliotheken abschaffen?

Aber was ist mit der Nachfrage – in einer Vorlesung kann man doch nachfragen, wenn man etwas nicht verstanden hat, das geht bei einem Buch nicht. Richtig – aber die Realität sieht ja leider anders aus. In den meisten Vorlesungen wird nicht nachgefragt – die Studis hören zu, schreiben eventuell mit (bei mir meist nicht, dazu gibt es Folienkopien zum download einschließlich der von mir in der Vorlesung eingebauten Notizen), und als Dozent muss ich versuchen, an der Reaktion der Studis abzulesen, ob sie etwas verstehen oder nicht. Gerade in Großveranstaltungen mit Hundert oder mehr ZuhörerInnen (solche halte ich im Moment nicht) ist die Hemmschwelle zum Nachfragen so groß, dass es in 90 Minuten meist nur eine Handvoll Fragen gestellt werden – wenn überhaupt. Vielleicht ist das in den Vorlesungen bei Herrn Stichweh ja lobenswert anders und diese sind ein Ort lebhafter Diskussion – dann wären sie aber die große Ausnahme.

Danach schreibt Stichweh über Forschung und Labore – da dort die neue Regelung aber ja nicht greift (logischerweise muss ein Studi, der eine experimentelle Masterarbeit schreibt, auch selbst im Labor stehen…), ist das aber kein Argument, sondern eher eine Ablenkung.

Später schreibt Stichweh dann

Damit tritt eine autodidaktische Universität an die Stelle der Anwesenheitsinstitution

Ich weiß nicht, wie es bei euch war (falls ihr studiert habt) – aber bei mir war das Lernen für die Uni immer im wesentlichen ein autodidaktisches Erlebnis. Klar, es gab Vorlesungen, da bekam man mit, was wichtig war und was nicht, aber das eigentliche Lernen vollzog sich zum großen Teil außerhalb des Hörsaals am Schreibtisch – allein oder mit den KommilitonInnen. Und auch ein Blick in aktuelle Modulbeschreibungen belegt das – der Lernaufwand für eine typische Vorlesung bei uns wird mit 150 Stunden (5 “Leistungspunkte”) angesetzt – davon entfällt weniger als ein Drittel auf die zwei Stunden Vorlesung plus eine Stunde Übung pro Woche.

Meine eigene Erfahrung an der Uni (als Studi, vor laaaanger Zeit) war so, dass ich in den meisten Vorlesungen immer brav anwesend war. Es gab aber auch Ausnahmen – beispielsweise die Quantenmechanik-Vorlesung. Der Prof dort hatte einen – für mich, andere fanden ihn gut – so wirren Vortragsstil, dass ich nach einigen Wochen nicht mehr hingegangen bin und mich lieber mit einem Kumpel in die Cafeteria zurückgezogen habe, um dort das berühmte Lehrbuch von Landau/Lifshitz zu lesen und zu diskutieren. In anderen Vorlesungen war ich teilweise zwar physisch anwesend, hörte aber nur mit halbem Ohr zu. (Auch eine Gefahr der Anwesenheitspflicht – man gerät in versuchung zu denken, man habe allein durch körperliches Da-sein schon etwas geleistet.) Und zu jedem Semesteranfang habe ich mitgeholfen, die neuen Studis zu betreuen und habe meist die ersten ein oder zwei Vorlesungen verpasst – ein Problem war das eigentlich nie. Warum also soll die Anwesenheit so wichtig sein?

Dieser Satz hier lässt aufhorchen:

Vermutlich sollen die Studierenden für andere Engagements freigesetzt werden, was einen prinzipiellen Zweifel an der Sinnhaftigkeit der Universität dokumentiert.

Hmm – vielleicht geht es eigentlich um etwas ganz anderes bei Stichwehs Verteidigung der Anwesenheitspflicht? Studierende werden freigesetzt für andere Engagements. Da es vermutlich nicht das Ziel der Landesregierung von NRW ist, die Studis zu anderen Tätigkeiten zu verpflichten, bedeutet das doch wohl, dass die Studis selbst entscheiden können, was sie mit ihrer Zeit anfangen. Und da mag es ja gute Gründe geben, nicht zu einer Vorlesung zu kommen – vielleicht muss jemand sein Studium durch abendliches kellnern finanzieren und ist morgens einfach zu müde für den Hörsaal. Oder jemand hat Kinder, die betreut werden müssen. Oder jemand lernt einfach besser aus Büchern als aus Vorlesungen – vielleicht, weil man dort alles zwei Mal lesen kann oder weil dort Argumente oft sauberer formuliert werden können als in frei gesprochenen Vorlesungen (wo man sich ja manchmal auch beim Erklären verhaspelt – ich jedenfalls). Oder weil jemand ein Sprachproblem hat. Oder jemand war am abend vorher schlicht auf der Audimax-Party.

Eigentlich geht hier meiner Ansicht nach um Macht – wenn Vorlesungen verpflichtend sind, dann muss der Dozent oder die Dozentin die Studis nicht überzeugen, dass ein Besuch der Vorlesung sinnvoll ist, die haben ja eh keine Wahl. Ohne Anwesenheitspflicht dagegen konkurriere ich als Dozent mit Skript, Buch oder Lerngruppe und muss mir entsprechend Mühe geben, um die Studis zu überzeugen, tatsächlich zu kommen. Und wenn nach einigen Wochen die Zahl der Studis plötzlich drastisch schrumpft, dann muss ich mich möglicherweise der Tatsache stellen, dass meine Vorlesung nicht ankommt.

Meiner Ansicht nach sollte man Studis wie Erwachsene behandeln, die selbst wissen, was richtig für sie ist und die selbst entscheiden können, welche Lernform die Richtige ist. Deswegen gibt es Skripte oder Bücher für diejenigen, die an meiner Vorlesung nicht teilnehmen können oder wollen (vielleicht passt auch jemandem mein Vortragsstil nicht). Wer nicht kommt, von dem nehme ich an, dass er einen guten Grund dafür hatte (und sei es die Audimax-Party, man ist ja nur einmal jung). Klar, die Erfahrung zeigt, dass trotz aller Skripte und Bücher die Anwesenheit in der Vorlesung hilft, insbesondere dabei, das Wichtige vom Unwichtigen zu trennen und Zusammenhänge herzustellen (das ist in Büchern manchmal nicht so einfach), aber es geht auch ohne – wie übrigens einige Studis in der Vergangenheit bewiesen haben, die nur mit Hilfe von Skript und elektronischer Unterstützung die Prüfung erfolgreich absolviert haben. Vorlesungen sind ein Lehrangebot- nicht mehr, aber auch nicht weniger. Wem das Angebot nützt, der nimmt es wahr, wer lieber anders lernt, der möge das tun.

Was meint Ihr? Ist eine Anwesenheitspflicht in Frontal-Lehrveranstaltungen sinnvoll? Notwendig? Oder doch überflüssig?

Kommentare (36)

  1. #1 MJ
    6. Februar 2015

    Es gibt einen Grund, von dem ich mir zumindest unter Umständen einreden lasse, dass er für eine Anwesenheit bei VOs spricht. Interessanterweise habe ich ihn in einem Lehrbuch (!) für Lineare Algebra (welches?) gelesen, wo der Autor im Vorwort geschrieben hat, warum das Buch kein Vorlesungsersatz sein kann, sondern nur vorlesungsbegleitend. Nämlich: Der Studierende ist zu unerfahren und unvertraut mit der Materie und braucht jemand Erfahrenen, der sozusagen den Weizen von der Spreu trennt und eine klare Linie durch eine Materie zieht, die einen sonst erschlägt. D.h. statt sich im Tipler/Demtröder/Gerthsen (was verwenden Physiker heute als Einführungslehrbücher?) über Tausende Seiten zu verlieren, kann der Prof einem eine kohärente Vorgabe machen. Theoretisch.

    Praktisch bin ich mir nicht sicher. Erstens ist diese Art von Professoren ein Wunschkonzert: selbst konfus und viel zu weit weg vom Niveau der (relativen) Anfänger, um sie dort abzuholen, wo sie sind; schlecht vorbereitet, weil sie weder Lust noch wirklich Zeit haben; weniger um Klarheit der Exposition bemüht als möglichst viel Stoff reinzustopfen etc. Außerdem: Lehrbücher haben sich geändert: Wir reden heute von didaktisch exzellent gemachten Lehrbüchern, die oft über Jahrzehnte mit dauerndem Feedback gewachsen sind, oft mit CD- oder Online-Supplement und Anhängen, die so manche Brücke schlagen, und meist auch Übungen mit Lösungen samt Lösungsweg dazu. (Das, schätze ich, ist auch ein Problem mit Landau/Lifshitz: Wer da vom Verständnis her stecken bleibt, ist ohne Hilfe arm dran, vor allem Prä-Internet). Da müssten Professoren didaktisches schon einiges an Interesse aufbieten, um da wirklich einen Unterschied zu machen – und wenn ich mich so an den durchschnittlichen Prof erinnere, dann interessieren die sich für so etwas einfach nicht.

    Daher würde ich der Vermutung von Machtverlust tendenziell zustimmen: In einer Zeit von exzellent gemachten Lehrbüchern, MOOCs aus Eliteunis und Diskussionsforen im Internet, ist es relativ schwer zu sagen, was für einen konkreten Vorteil ein Professor hat, der im oft im günstigen Fall bereit ist so viel Zeit zu investieren, dass er mit halbprofessionell gemachten PowerPoint-Folien aufwarten kann – wobei’s wohl auch heute oft noch die Kreide an der Tafel machen muss.

    Was sagt Stichweh im übrigen zur Fernuni Hagen?

  2. #2 MartinB
    6. Februar 2015

    @MJ
    Ich sage ja nicht, dass Vorlesungen sinnlos sind – und das Trennen des Wichtigen vom Unwichtigen ist sicher etwas, das man in einer Vorlesung gut machen kann (schon allein desewgen empfehle ich den Studis auch, meine Vorlesungen zu besuchen – aber zwingen würde ich niemanden).
    Aber auch in einem Buch lässt sich da einiges tun – beispielsweise mit Randbemerkungen oder Kapitelzusammenfassungen.

  3. #3 Ludger
    6. Februar 2015

    Es handelt sich um die Meinung eines Soziologen: https://de.wikipedia.org/wiki/Rudolf_Stichweh . Meinung – nicht Forschungsergebnis. Allerdings extrapoliert er seine Meinung auf alle Fächer,obwohl sie auf seinen begrenzten, subjektiven Erfahrungen beruhen dürfte. Das halte ich für sachlich falsch. Ich halte auch die Schlussfolgerung für falsch, dass das Verbot der Anwesenheitskontrolle folgendes bedeute:

    Prof. Stichweh:
    “Die Kompetenz der Lehrenden, in Anwesenheit etwas zu vermitteln, was ohne diese nicht erreichbar ist, wird faktisch bestritten und auch die intellektuelle Produktivität des Kommunikationszusammenhangs von Lehrenden und Studierenden negiert.”

    Die Kompetenz der Lehrenden bedeutet aller Lehrenden. Das Verbot der Anwesenheitskontrolle bestreitet aber allenfalls die Kompetenz mancher Lehrender und das Urteil darüber wird den Studierenden zugestanden. Das hat doch was. Vielleicht sollte der Herr Professor etwas an seiner Rhetorik arbeiten, dann klappts auch mit den Studenten/Innen.
    Bei dem Thema fällt mir ein Graffito aus dem alten Physikhörsaal in Münster ein, in dem die Bänke noch aus Holz waren:

    Wie gern wär ich bei Lieschen
    und nicht bei diesem Herrn!
    Bei ihm da muss ich schlafen,
    bei ihr da tät ichs gern.

  4. #4 MJ
    6. Februar 2015

    @ MartinB

    Ich wollte auch nicht implizieren, dass Vorlesungen per se sinnlos sind. Sondern dass das, was sich da manche (offenbar auch Stichweh mit seiner “physischen Anwesenheit aller Beteiligten in ein und demselben Raum wechselseitiger Wahrnehmung”) unter einer Vorlesung vorstellen, selbst bei weniger esoterischer Formulierung eine Idealisierung ist, die recht häufig und heftig im real existierenden Vorlesungsbetrieb enttäuscht wird.

    Und vor allem, dass ein Professor mit einer Vorlesung heute kein quasi-Monopol mehr hat: Studierende haben etliche Möglichkeiten, sich nach Alternativen umzusehen, um sich dem Stoff anzunähern. Und diese Alternativen sind mittlerweile oft so gut, dass es nicht mehr reicht, nur eine nicht schlechte Vorlesung zu halten, sie muss richtig gut sein. Ich denke, das löst einigen Frust aus bei Lehrenden, die einfach nicht sehr gut sind in dem, was sie tun (das soll kein Vorwurf sein: viele sind eher gute Forschende, und nicht alle sind in allem talentiert; manche wollen das leider nicht wahrhaben).

  5. #5 Phil
    6. Februar 2015

    Autsch … auch noch an meiner Uni. “Professor für Theorie der modernen Gesellschaft an der Universität Bonn”. Eine Universität mit den Techniken und Methoden von vor Hundert Jahren zu betreiben, hört sich eher nach Altertum, denn Moderne an.

    Persönlich finde ich Anwesenheitspflichten an regulären Veranstaltungen eine Zumutung. Ich komme gerne, wenn die Vorlesung wirklich gut ist oder wenn ich gerade Zeit habe (Warm und Wifi :D), aber den größten Teil der Pflichtmodule (Grundstoff) kann man aus Büchern besser lernen, als von einem unmotivierten Prof.
    Gerade von es im Winter sehr kalt ist, sinkt bei mir die Motivation 20 Minuten mit dem Fahrrad zu Uni zu fahren, nur um 8 Uhr morgens dem Prof im Halbschlaf zuzuhören. Vor 10 Uhr nehme ich eh keinen Stoff auf. Und wenn es die einzige Vorlesung an dem Tag ist, dann stehen Aufwand und Nutzen in einem sehr schlechten Verhältnis.
    Dazu kollidieren manche Vorlesungen und Übungsgruppen gerne mit meiner Arbeit, schließlich müssen Wohnung und Lebensmittel ja auch finanziert werden. Warum bei 10 Übungsgruppen alle 10 Termine auf zwei Wochentage fallen müssen, konnte mir auch noch keiner erklären.

    Ich stimme Ihnen absolute zu, einen gute Vorlesung braucht keine Anwesenheitspflichten, da gehen die Studenten auch so hin. Den Standardstoff nimmt man am besten aus didaktisch gut aufbereiteten Büchern oder Videos.
    Die frei gewordenen Zeit können die Profs gerne in die Übungsgruppen oder in Extra-Vorlesungen (Exkurs) stecken.
    Dann fühle ich mich als Student auch ernst genommen.

    p.s.: EdX & Co machen vor, wie man Stoff gut aufbereiten kann ohne eine Präsenzveranstaltung zu haben. Da kann man sich gleich seinem aktuellen Lebenstempo anpassen.
    Fragen lassen sich in einem Forum i.d.R. auch eleganter und ganzheitlicher Beantworten, ggf. mit Verweis auf eine vollständige Diskussion der Frage.

  6. #6 Alderamin
    6. Februar 2015

    @MartinB

    Irgendwie erschienen mir die Übungen immer viel wichtiger als die Vorlesung, denn nur was man selbst durchdenkt und ausrechnet, hat man wirklich verstanden und prägt sich ein. Ich hab’ mal ein Semester “Grundlagen der E-Technik I” gehört, ohne die Übungsvorlesung zu besuchen (Gruppenübungen gab’s da gar nicht) und bin dann durch den Schein gerasselt. Im nächsten Semester habe ich nur die Übungsvorlesung gehört und siehe da, zweitbeste Punktzahl aller Teilnehmer – und für mich war’s nur ein Nebenfach; das mir aber bald zu öde wurde und dann wechselte ich zur Physik, und da gab es Gruppenübungen, wo ich richtig rechnen lernte, was uns in der Mathematik für Mathematiker nicht vermittelt wurde. Und Fragen konnte man den Gruppenleiter auch, das waren recht kompetente Hauptstudiums-Hiwis. Die Physikvorlesungen waren aber auch spannend genug, dass man die nicht verpassen wollte, da wurde ja gerne mal ein Experiment vorgeführt oder was vom CERN erzählt, zu dem der Prof Beziehungen hatte.

    Der Vorteil der Vorlesung ist auch, dass man einen gewissen Tagesrhythmus hat und in einem gewissen Tempo den Stoff auch wirklich durchnimmt, und nicht den Schlendrian aufkommen lässt. Und man kann sich auch nachher mit den Kommilitonen abgleichen, wenn etwas unklar ist.

    Von einer Vorlesungspflicht halte ich auch nichts, es studieren da erwachsene Menschen, und am Ende müssen gewisse Scheine und Prüfungen in einem gewissen Zeitrahmen abgelegt werden, das ist doch Motivation genug. Gerade jetzt mit Bologna, bei uns gab es ja noch 35-Semestrige, denen immer noch der letzte Schein fehlte und die niemals zu Potte kamen (und wenn sie daran Spaß und ein Auskommen hatten – warum nicht? So viele waren’s nicht, dass der Staat daran pleite gegangen wäre, für sie ein wenig Sitzfläche in der Vorlesung zu Verfügung zu halten). Wer seine Prüfungen schafft, der hat auch ein bisschen was gelernt, und darum geht’s doch am Ende.

  7. #7 WolfStark
    6. Februar 2015

    Von meiner eigenen Erfahrung derzeit (7. Semester Geologie) muss ich sagen, dass ich durch Vorlesungen nicht viel mitnehme. In der Schule waren 90 Minuten schon teilweise sehr ermüdend und anstrengend aber da wurde es immerhin noch aufgelockert, weil man zwischendurch Aufgaben hatte und Frage/Antwortspiele mit dem Lehrer. Sowas gibt es zwar auch an der Uni aber extrem reduziert, bis fast nicht mehr vorhanden. Die Übungen sind da deutlich besser, wobei es denke ich schon ein deutlicher Nachteil ist, dass beides so streng getrennt ist und zu dem keine ausgebildeten Lehrkräfte die Arbeit übernehmen. Ich jedenfalls habe den Eindruck, man will eben autodidaktisches lernen forcieren, unabhängig davon wieviel Sinn das macht und da wirkt dann eine Anwesenheitspflicht eher paradox. Wenn ich merke, dass eine Vorlesung nichts für mich ist, ich nichts mitnehme, möchte ich nicht gezwungen sein sie zu besuchen. Wenn fünf Folien über anderthalb Stunden verteilt sind oder auf der anderen Seite siebzig, mag das manchen was bringen aber mir eher nicht. Zumindest nach meiner Erfahrung, funktioniert das System der dualen Ausbildung und Schule bedeutend besser als das was ich die letzten drei Jahre erlebt habe.

    Von Phil auch schön erwähnt der Kosten/Nutzenpunkt. Wenn ich eine Vorlesung habe und eine oder anderthalb Stunden fahre (manche bestimmt noch mehr), dann ist die Motivation ziemlich am Boden und man verliert auch leicht Zeit, die man bedeutend sinnvoller verwenden könnte. Das ist finde ich schon ein nicht unwichtiger Punkt. Der auch gleich zum nächsten führt und das ist Arbeit. Nicht jeder will oder kann BaföG beziehen, nach drei Jahren sowieso nicht mehr und als Student kriegt man da sonst kein Geld um bspw. die Krankenkasse zu zahlen. Dementsprechend braucht man Zeit. Bei mir musste dieses Semester auch eine Vorlesung darunter leiden, die auch die einzige des Tages war und glücklicherweise keine Anwesenheitspflicht hatte. Miete zahlt sich eben auch nicht von allein.

  8. #8 MG
    7. Februar 2015

    Eine Anwesenheitspflicht für jede Veranstaltung empfinde ich irgendwie schon als Gängelung. Schließlich ist man als Student kein kleines Kind mehr und sollte selber entscheiden können wie und was man lernt. Andererseits kann ich es mir kaum vorstellen, dass man ein Fach nur ausschließlich aus Büchern lernt. Wie will man denn “echter” Soziologe/Jurist oder was weiß ich werden, wenn man noch nicht mal einen in freier Wildbahn getroffen und erlebt hat? Ein bisschen Kontakt zu den Dozenten sollte schon vorhanden sein.

    In meinem Studiengang gab es solche Anwesenheitslisten, wie in den Geisteswissenschaften scheinbar üblich, nie und sie waren auch nie ein Thema. Die Vorlesungen waren immer gut besucht, nur ganz selten hat mal jemand regelmäßig geschwänzt. Der wichtigste Teil des Studiums waren sowieso die Übungszettel und die Laborpraktika. Wir hatten sowohl Übungszettel in der Chemie als auch in der Physik, die jede Woche gelöst und abgegeben werden mussten und stellenweise, zumindest am Anfang, auch Präsenzübungen zu denen man logischerweise auch anwesend sein musste. Praktika (auch in Physik und Chemie) hatten wir sowohl im Semester als auch in den Semesterferien, natürlich mit Vorbereitung, Abfragen vor dem Versuch durch den Betreuer (wer den Stoff nicht konnte flog raus) und im Anschluss Protokoll schreiben. Die Übungszettel hat man wahlweise in den Pausen zwischen den Vorlesungen gemacht oder in ruhigen Momenten während der Praktika (Übungszettel zu theoretischer Physik/Quantenmechanik lösen während man im Chemielabor vor dem Versuch sitzt. Wie viele Studiengänge bieten einem DAS Vergnügen?). Die Protokolle hat man dann während der Vorlesung oder am Wochenende geschrieben.

    Wenn man dann hört, dass einige BWL-Studenten am Ende des Semesters zu der Klausur das erste mal ihren Prof sehen, dann senkt man sich da schon seinen Teil. Allerdings muss ich dazu sagen, dass ich absolut keine Ahnung habe wie es in anderen Fachbereichen tatsächlich abläuft. Ich kenne das echt nur vom Hörensagen und habe es nie selbst erlebt. Mein Studium habe ich eigentlich ausschließlich in den naturwissenschaftlichen Fachbereichen verbracht. Über die ganzen Uni-Wahlplakate “Anwesenheitslisten abschaffen !”, die auch hier überall kleben, kann ich deshalb nur schmunzeln. Bei der Diskussion darüber bin ich dann wohl eher Zuschauer und nicht direkt betroffen.

    p.s.: Kann es sein, dass Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler bei sowas eh ein wenig anders ticken? Wir hatten an der Uni vor ein paar Jahren mal einen Streik wegen was-weiß-ich-was, der auch einherging mit Hörsaalbesetzungen. Da sind dann Leute aus anderen Fachbereichen rübergekommen und haben unseren Chemiehörsaal besetzt, weil bei uns scheinbar keiner so recht Bock auf Streik hatte.
    Die so: “Streik, Streik kämpft für eure Rechte”
    Wir so: “Ey Leute, raus aus unserm Hörsaal wir haben da jetzt VORLESUNG!”
    Wenn ich mich richtig erinnere gab es da auch ein wenig Knatsch zwischen beiden Seiten, auch weil die nicht verstehen konnten warum wir nicht so recht mitgemacht haben. Wir hatten einfach nicht die selben Probleme und hatten keine große Lust deswegen den Stoff nachholen zu müssen. Wir hatten so schon genug Stress.

  9. #9 Maicon Hieronymus
    7. Februar 2015

    Anwesenheitspflicht finde ich bei Vorlesungen schwierig, gerade wenn dann auch Studenten kommen, die nicht leise sein können. Ich selbst studiere Informatik und habe nebenbei auch ein paar Module aus der Psychologie gehört. Anwesenheitspflicht gab es in keiner Vorlesung. Trotzdem waren die Vorlesungen in Psychologie immer voll, schlicht weil es kein Lernskript gab (was etliche Studenten bemängelten) und weil die Präsentationsfolien immer nur eine Orientierung am Thema waren, aber die wichtigen Inhalte kamen von den Professoren selbst (auch das bemängelten einige Studenten. Ich finde das aber gut, denn so kann ich leichter mitschreiben und die Informationen sortieren). Vorlesungen in der Informatik sehen da anders aus. Die Pflichtvorlesungen (die, die man hören muss. Es gibt keine Anwesenheitspflicht) waren nur dann gut besucht, wenn der Professor inspirierend war und der Vortragsstil bei den meisten gut ankommt. Leider haben etliche Professoren auch die Neigung, ein Buch zu nehmen und es zu einer Vorlesung zu verarbeiten. Das hat den Vorteil, dass man alles in einem Buch nachlesen kann, aber häufig wirken die Vorlesungen dann langweilig, wenn eins zu eins Seiten aus dem Buch auftauchen. In solche Vorlesungen gehen nur wenige.
    Zuletzt gibt es aber auch die Wahlvorlesungen, wo bei uns teilweise nur 20 Personen eingeschrieben sind (unser Fachbereich ist sehr klein). Da sitzen dann auch meist 15 Personen und es gibt auch öfter Fragen oder kurze Diskussionen, die meist vom Professor auch angeregt werden.
    Aus meiner Erfahrung heraus sind Vorlesungen mit zu vielen Personen schlicht zu unruhig, wenn der Professor nicht alle durch seinen Vortrag alleine zur Ruhe bewegen kann. Gerade in Psychologie hatte der Professor öfter zur Ruhe aufgerufen, da viele sich gerne unterhalten und das nicht mal zum Thema passend, wobei es wohl auch mit dem großen Anteil an Frauen zu tun haben könnte. 😉
    Mein Fazit: Bloß keine Anwesenheitspflicht in Vorlesungen. Studenten sollen doch selbstständig werden, was durch Bachelor und Master schon torpediert wurde. Außerdem will ich keine unmotivierten, Videospiele spielenden Kommilitonen in einer Vorlesung sitzen haben. Das stört die Konzentration aller anderen.

  10. #10 Jens
    7. Februar 2015

    Auch ich bin gegen eine Anwesenheitspflicht in Unis.
    Ich studiere Maschinenbau….neben der Arbeit. Mit Anwesenheitspflicht schlicht unmöglich. So kann ich die Fächer in denen ich nicht physisch anwesend sein kann nacharbeiten. Bei uns (Uni Kassel) hat sich in der letzten Zeit bei einigen Profs etabliert, die Vorlesung aufzunehmen und Online bereitzustellen (nur für die eigenen Studierenden). Somit kann ich die Vorlesung komplett nachvollziehen. Und bei Nachfragen gibt es immer noch die Sprechstunden (die meiner Meinung nach zu wenig genutzt werden).
    Im Maschinenbau sehe ich keinen Sinn in Anwesenheitspflicht. Man bekommt etwas Vorgetragen…ende.
    Bei Fächern, in denen Diskutiert wird (Soziologie oder sowas), da mag das sinnvoll sein. Hat man die Diskussion verpasst, kann man sich nicht einbringen und mitdiskutieren.

    Es gab bei uns Profs, die haben ihr Skript ABGELESEN….da macht Anwesenheit überhaupt keinen Sinn; es gab aber auch Profs, die die Vorlesung so interessant gehalten haben und so viele nützliche Informationen nebenbei vermittelt haben, dass Anwesenheit pures Vergnügen war.
    Der einzige Grund bei einigen Profs anwesend zu sein, ist die Tatsache, dass sie den Stoff eingrenzen und man somit nicht alles lernen muss.

    Also DAGEGEN!!!

  11. #11 Matthias
    7. Februar 2015

    Was bei der aktuellen Debatte um Anwesenheitspflichten oft vergessen wird ist die Tatsache, dass es sich dabei in der Regel um Veranstaltungen handelt, bei der keine Prüfung am Ende statt findet. Das wird vor allem in den Geisteswissenschaften praktiziert, bei denen in Seminaren tatsächlich diskutiert und von Studenten präsentiert wird.

    Als Maschinenbau-Student ist das für mich ein relativ fremdartigen Konzept. Es gab in meiner Studienzeit genau 1 Pflichtseminar, bei dem zusätzlich auch Anwesenheitspflicht bestand. Es war ein Seminar über das wissenschaftliche Schreiben in Kleingruppen mit höchstens 20 Teilnehmern. Die Anwesenheitspflicht wurde allgemein als relativ albern angesehen, allerdings gab es in dem Fach keine Prüfung und nur einen Teilahmeschein, also keine Note.

    Grundsätzlich finde ich schon, dass man solche Seminare mit Anwesenheitspflicht sinnvoll veranstalten kann. In den Geisteswissenschaften ist das allerdings der Großteil der veranstaltungen. Ich kann mir dabei durchaus vorstellen, dass bei manchen dieser Veranstaltungen durchaus die schon genannten Motive (Macht, Wichtigkeit des Profs) eine Rolle spielen. Ist halt auch einfacher, als ne Klausur vorzubereiten und zu korrigieren…

  12. #12 Sepp
    7. Februar 2015

    Ich finde, dass das jeder für sich selbst entscheiden sollte, ob eine Veranstaltung besucht wird oder nicht. So lange am Ende die Prüfung bestanden wird, so lange ist doch alles gut.

    Ich habe das selber auch so gehalten. Ob sich der Besuch einer Veranstaltung lohnt, hängt eben sehr stark vom Vortragenden, dem vorhandenen Wissen und der eigenen Persönlichkeit ab. In den meisten Fällen fand ich es deutlich besser, wenn mir der Stoff vorgetragen wurde, da habe ich mehr gelernt als beim Nacharbeiten, falls ich mal nicht da war.

    Es gab aber auch Veranstaltungen, das saß man zwei Mal drin und wusste sofort, dass das nur reine Zeitverschwendung wird. Entweder war der Dozent so schlecht oder das Niveau entsprach nicht dem eigenen. Da habe ich mir dann auch lieber ein Buch genommen und damit gearbeitet. Das fand ich dann deutlich effizienter und spannender.

    Ich bin daher der Meinung, dass die Anwesenheit auch weiterhin freiwillig sein soll. Durch das neue Bachelor-/Master-System werden Studenten eh schon sehr gegängelt (zumindest im Bachelor), da sollte man die Freiheit zumindest geben. Und da es in unser Gesellschaft eh immer um Effizienz geht, soll doch jeder für sich selbst herausfinden und entscheiden können, wie er oder sie am effizientesten Arbeitet.

  13. #13 volker
    Waakirchen
    7. Februar 2015

    Als alter Ing.-Absolvent der RWTH Aaachen (Dipl.Ing 1968) möchte ich mal folgendes zum Besten geben:
    Damals hatten wir Werkstoffkunde bei Prof. Dr.ing. Franz Bollenrath, genannt “Bollenhuber” Er mag ja ein guter Wissenschaftler und Buchautor gewesen sein (Gott hab ihn selig), aber er war ein lausiger Vortragender und Pädagoge.
    Dementsprechend gingen nach kurzer Zeit nur noch eine handvoll Studiosi in seine Vorlesung, die morgens vor der zweiten Vorlesung (anderes Fach) in Ruhe ihre Zeitung lesen wollten. Das Audimax mit ca. 1000 Plätzen bot genug Platz zum Hinfletzen.
    Gottseidank hatte er einen Assistenten (Doktoranten, Obering.?) namens Domke ( heute Prof. Dr. ing. Wilhelm Domke), der ein Rep mit Umdruck abhielt. Der Pfarrsaal war mit mindestens 500 Mann, nur vereinzelte Männinnen, brechend voll. Domke’s Rep war stadtbekannt und eine super Bühnenshow.
    Beispiel: Abkühlung von Stahllegierung aus der Schmelze durch alle Phasen: Alle Moleküle (Kristalle?, sorry, -es ist lange her) stehen wohlgeordnet in Reih und Glied. Sagt das Ober-Molekül: Gleich auf mein Kommando alle in eine andere Phase umklappen. Bitte nach rechts an Nachbar weitersagen. Das macht Domke dann körperlich vor! Nach Kommando alle klapp-klapp usw. Da brüllt ein Molekül: Kann nicht klappen, schon zu kalt, kann mich nicht mehr rühren! Also Fehlstelle mit entsprechender Festigkeit. Ich hoffe, ich habe das nach mehr als 40 Jahren einigermaßen richtig wiedergegeben.
    Was lernen wir daraus: 1. Anwesenheitspflicht ist Quatsch, 2. Wenn schon keine gute Vorlesung, dann wenigstens einen guten Repetitor mit erstklassigem Umdruck und komödiantischem Schauspielertalent! Da gehen alle hin und bestehen auch die Prüfung!

  14. #14 MartinB
    7. Februar 2015

    Hmm bisher scheint es ja niemanden zu geben, der für die Anwesenheitspflicht ist…

    @Ludger
    “Das Verbot der Anwesenheitskontrolle bestreitet aber allenfalls die Kompetenz mancher Lehrender und das Urteil darüber wird den Studierenden zugestanden. ”
    Gut beobachtet.
    Den Graffito finde ich aber nicht soo gelungen…

    @MJ
    “ch denke, das löst einigen Frust aus bei Lehrenden, die einfach nicht sehr gut sind in dem, was sie tun”
    Dann sollte man vielleicht darüber nachdenken, das Lehrkonzept zu ändern, und andere Anreize schaffen. Da gibt es doch diese modernen “inverted-classroom”-Konzepte etc. Ich habe mich da bisher nicht so recht rangetraut, weil diese Konzepte voraussetzen, dass alle sich vorher mit dem Stoff beschäftigen, aber vielleicht werde ich es demnächst mal probieren.

    @Alderamin
    “Irgendwie erschienen mir die Übungen immer viel wichtiger als die Vorlesung,”
    In der Physik sehe ich das auch zumindest teilweise so, wobei da immer die Gefahr ist, dass die Übung zu ner reinen rechenübung verkommt, bei der man nix lernt.

    “Der Vorteil der Vorlesung ist auch, dass man einen gewissen Tagesrhythmus hat und in einem gewissen Tempo den Stoff auch wirklich durchnimmt, und nicht den Schlendrian aufkommen lässt.”
    Das stimmt sicher – aber das ist ja eine Frage der persönlichen Disziplin, da tickt jeder anders.

    @Wolf
    “Die Übungen sind da deutlich besser, wobei es denke ich schon ein deutlicher Nachteil ist, dass beides so streng getrennt ist und zu dem keine ausgebildeten Lehrkräfte die Arbeit übernehmen. ”
    In meinen – kleinen – Vorlesungen halte ich die Übungen auch selbst. Und auch die WiMi-KollegInnen, die Übungen halten, nehmen inzwischen alle am Hochschuldidaktik-Angebot teil, das ist hier im Maschinenbau inzwischen Standard, weil Softskill-Weiterbildung für die Promotion gefordert wird.

    @MG
    “Ein bisschen Kontakt zu den Dozenten sollte schon vorhanden sein.”
    Das ist ein guter Punkt – wobei der Kontakt in einer großen Vorlesung auch nur nominell ist. Aber ich stelle auch immer fest, dass die Hemmschwelle, mich mal anzuquatschen, selbst bei kleinen Vorlesungen relativ groß ist, besonders am Anfang des Semesters (wird zum Ende hin meist besser, wenn die Studis mich ein “bisschen kennen).

    “Kann es sein, dass Naturwissenschaftler und Geisteswissenschaftler bei sowas eh ein wenig anders ticken?”
    Sicherlich. Wobei ich damals beim Uni-Streik 1988 auch heftig mitgemischt habe und Leute, die lieber Vorlesungen hören, statt demonstrieren wollten, angemeckert habe. Wir hatten auch genug Stress, aber es gab auch größere Ziele.

    @Jens
    “Ich studiere Maschinenbau….neben der Arbeit. ”
    Auch ein gutes Argument gegen Anwesenheitspflicht.

    “Der einzige Grund bei einigen Profs anwesend zu sein, ist die Tatsache, dass sie den Stoff eingrenzen und man somit nicht alles lernen muss.”
    Das könnte man dann aber auch von anderen Studis erzählt bekommen…

    @Matthias
    “Was bei der aktuellen Debatte um Anwesenheitspflichten oft vergessen wird ist die Tatsache, dass es sich dabei in der Regel um Veranstaltungen handelt, bei der keine Prüfung am Ende statt findet. ”
    Naja, solche “Sitzscheine” sind ja auch wenig sinnvoll – durch bloße körperliche Anwesenheit ist noch keiner schlau geworden. Für Seimnare, in denen Vorträge gehalten werden, ist die Lage ja anscheinend nicht ganz eindeutig – aber wen ich mich an solche erinnere, dann saßen die Studis da auch gelangweilt und haben den KommilitonnInnen eh nicht zugehört. Im Maschbau haben wir diese Art Seminar inzwischen zum Glück abgeschafft.

    @volker
    “Wenn schon keine gute Vorlesung, dann wenigstens einen guten Repetitor mit erstklassigem Umdruck und komödiantischem Schauspielertalent!”
    Ja, das macht auch als Vortragender Spaß. Wenn ich Elektronenstreuung im Drudemodell erkläre, dann spiele ich auch immer den massiven Ionenrumpf, der die Elektronen wegschubst, und als ich mal die Mechanikvorlesung gehalten habe, bin ich mit weit ausgebreiteten Armen als Rissfront durch den Hörsaal gelaufen, bis ich an ner Faser hängengeblieben bin…

  15. #15 Thilo
    https://scienceblogs.de/mathlog
    8. Februar 2015
  16. #16 Hans Mankillun
    8. Februar 2015

    @MartinB: Lästern über akademische Schreibe ist immer billig und bringt ein paar Lacher, vor allem wenn es über andere Fächer geht. Allerdings ist der Satz von Stichweh wirklich nicht schwer zu verstehen:

    Das Lehren und Lernen in der Universität vollzieht sich unter der Bedingung der physischen Anwesenheit aller Beteiligten in ein und demselben Raum wechselseitiger Wahrnehmung […].

    “Wechselseitige Wahrnehmung” kann auch ohne “physische Anwesenheit aller Beteiligten in ein und demselben Raum” gegeben sein, Skype und Bildtelefonie sind eingängige Beispiele für das Überbrücken von zwei oder mehr Räumen. Dies hat bislang zur Folge, dass ein wichtiger Teil der Kommunikation verloren geht. Nicht von ungefähr haben die meisten MOOCs immens hohe Abbrecherquoten und nur wenige Teilnehmer kommunizieren tatsächlich in den Foren der MOOCs.
    Auf der anderen Seite kann man sich auch physisch im selben Raum befinden ohne sich wechselseitig wahrzunehmen. Wechselseitige Wahrnehmung meint hier nämlich nicht nur, dass eine Person die Anwesenheit der jeweils anderen Personen bemerkt. Sondern dass alle Beteiligten wissen, dass die Anderen sie ebenfalls bemerkt haben und sich dadurch alle Anwesenden wechselseitig beobachten und miteinander interagieren. Nun werden Handlungen in Antizipation der möglicher Handlungen und Reaktionen der Anderen vorgenommen.

    Stichweh’s Vermutung, dass “Studierende für andere Engagements freigesetzt werden” sollen, kann ich aus der Debatte um die Anwesenheitspflicht gut nachvollziehen: Ein Standardargument gegen die Anwesenheitspflicht ist, dass die Studierenden heutzutage ihr Studium oft durch Arbeit finanzieren müssten und immer mehr Gruppen mit besonderen Bedürfnissen (Studierende mit Kindern oder mit chronischen Krankheiten) an die Universitäten kommen. Deswegen müsse nun die Anwesenheitspflicht abgeschafft werden, da diese diesen Gruppen sonst untragbar hohe Hürden auferlegt würde. Obwohl ich diese Beobachtungen wichtig finde, teile ich das Argument nicht. Seit der Bildungsexpansion in den 1960er Jahren musste ein großer Teil der Studierenden zur Studienfinanzierung arbeiten, völlig neu ist diese Problematik also keinesfalls. Durch die BA/MA-Strukturen mag sich dies verschärft haben, aber mir erschließt sich nicht warum die Lösung nur in der Aufhebung der Anwesenheitspflicht liegen kann und weshalb nicht etwa ein organisatorisch und zeitlich flexibleres Lehr- und Prüfungsangebot näher liegt. (Kostenneutralität und Populismus ist wohl die Antwort.)
    Als Lehrender an einer Universität stößt mir hier immer auf, dass sowohl von Seiten der Politik (zumindest den Anwesenheitspflichtgegnern), den Studierendenvertretern und einigen Hochschullehrern (besonders aus den technischen Fächern) ein Generalverdacht geäußert wird, dass jeder Fürsprecher einer Anwesenheitspflicht ein schlechterer Hochschullehrer sei und Angst habe, dass die Studierenden nicht mehr in die Veranstaltungen kämen.

    Seminare in den Geistes- und Sozialwissenschaften sollen die Studierenden in einen wissenschaftlichen Diskurs einbinden, der durch gemeinsames Diskutieren und Lesen von originären Forschungsbeiträgen gekennzeichnet ist. Das kann nicht nur sinnvoll am Ende des Semester durch die Abgabe einer Hausarbeit abgeprüft werden, da hier tatsächlich der Diskurs als Prozess entscheidend ist und nicht nur die Ergebnisse. Deswegen können doch etwa Seminare zu Kant’s Ethik so ergiebig sein, wo man nie über das Vorwort oder die Einleitung hinausgekommen ist, aber ein Semester en detail am Text (und möglichst weiteren Sekundärtexten) diskutiert hat.

    Das Argument, Erwachsene sollen selbst entscheiden, wie (und was) sie lernen, trägt nur teilweise, da diese Erwachsenen sehr wohl die freie Entscheidung zwischen Studienangeboten haben nach Art. 12 Abs. 1 GG, aber mir als Wissenschaftler nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GG verbleibt zu entscheiden, was ich für mein Forschungsgebiet als notwendiges Wissen erachte und in welcher Form ich dieses Wissen vermitteln will oder vermittelbar halte. Eine generelle Abschaffung der Anwesenheitspflicht (bis auf die Ausnahmen für Naturwissenschaften) schränkt meine Lehrfreiheit ein und zerstört eine geisteswissenschaftliche Seminarkultur, die auf der notwendigen “Bedingung der physischen Anwesenheit aller Beteiligten in ein und demselben Raum wechselseitiger Wahrnehmung” aufbaut.

  17. #17 MartinB
    8. Februar 2015

    @Hans Mankillun
    ” wirklich nicht schwer zu verstehen:”
    Nein, er ist nur unnötig umständlich – warum “ein und derselbe”, und nicht einfach “ein”. Auch das “unter der Bedingung” ist letztlich überflüssig, und die Hauptworte “LEhren und Lernen” sollten auch echte erben sein: “An einer Uni wird gelernt und gelehrt, indem alle beteiligten im selben raum anwesend sind.” Mehr sagt der Satz nicht, oder?

    “Seminare in den Geistes- und Sozialwissenschaften sollen die Studierenden in einen wissenschaftlichen Diskurs einbinden, der durch gemeinsames Diskutieren und Lesen von originären Forschungsbeiträgen gekennzeichnet ist. ”
    Wenn das so ist, dann ist dort eine Anwesenheitspflicht ja auch sinnvoll – diskutieren kann man nur gemeinsam. Ich bezog mich ja vor allem auf Vorlesungen.

  18. #18 Alex
    8. Februar 2015

    Aus meiner eigenen Erfahrung:
    Das sächsische Hoschulgesetz (nach FDP-geleiteter Novellierung heißt es seit einigen Jahren “Hochschulfreiheitsgesetz”) sieht die reine Anwesenheit ganz allgemein auch nicht vor als Voraussetzung für eine Lehrveranstaltung vor. Das heißt im Umkehrschluss, dass die Forderung einiger Lehrender nach Anwesenheit unzulässig ist. Gerade in den Sprachkursen zu meiner Zeit damals an der TU Dresden haben die Dozenten immer wieder behauptet, dass man die Klausur nicht mitschreiben dürfte, wenn man mehr als zweimal unentschuldigt gefehlt hat. Nun mag es zwar sinnvoll sein, gerade bei einem Sprachkurs anwesend zu sein. Nur ist die Forderung schlicht illegal. Ich fand das schon sehr dreist, dass das immer wieder behauptet wurde. Reine Anwesenheit qualifiziert eben zu gar nichts. Wenn man tatsächlich was machen muss, einen Vortrag halten, irgendeine Übungsaufgabe absolvieren muss oder ähnliches und das auch bewertet wird, dann sieht es formal wieder anders aus. Aber generell würde ich denken, dass gerade die Uni ein Ort der Freiheit des Geistes sein sollte – mal ganz pathetisch gesprochen. Und da passt es doch nicht jemandem vorzuschreiben, wie er etwas zu lernen hat. Und die Forderung nach Anwesenheitspflicht heißt ja nichts anderes als zu sagen, dass die optimale Methode für jeden die Vorlesung sei. Das ist natürlich absurd. Wobei ich trotzdem auch einer von denen war, die generell kaum mal bei Lehrveranstaltungen gefehlt hat. Ich hätte mich sonst vermutlich von selbst nicht unbedingt immer mit den jeweiligen Themen beschäftigt. Das darf ruhig der Dozent auch machen. Jetzt gehöre ich auch zu dieser Spezies. 🙂

  19. #19 Till
    9. Februar 2015

    Wenn Herr Prof. Stichweh in seinen Vorlesungen so verklausuliert redet wie er in dem Artikel schreibt, dann verstehe ich, dass er die Studis nur durch Zwang zur Teilnahme bewegen kann….

  20. #20 MartinB
    9. Februar 2015

    @Hans Mankillun
    Noch ein Nachtrag: Ja, früher hat man sich weniger Gedanken darüber gemacht, wie Studierende die Balance zwsichen Studium und Arbeit oder anderen Verpflichtungen (z.B. Kinder) schaffen. Letztlich ist das aber ein Fall von sozialen Privilegien; das Studium war einfach für bestimmte Personengruppen kaum oder gar nicht zu bewältigen. Heutzutage gibt man sich ja viel Mühe, strukturelle Hindernisse abzubauen, damit eben auch ein Studium möglich ist, wenn man wenig Geld hat, Kinder, oder das Studium nur in Teilzeit absolviert. Ich halte das für sehr begrüßenswert.

  21. #21 Karla Kolumna
    9. Februar 2015

    Als ehemalige Ingenieursstudentin kenne ich Anwesenheitspflicht auch nur von den geisteswissenschaftlichen Wahlfächern, Sprachen und Praktika.

    Ich bin fast immer zu den Vorlesungen gegangen (auch Montags um 8 😉 ) Aber das auch nur wenn ich das Gefühl hatte von da auch etwas mitnehmen zu können. Einige Profs. waren einfach keine guten Lehrenden (Fachwissen allein reicht leider nicht dazu). Wenn mir jemand sein Buch vorliest und sich Zwischenfragen verbittet, dann kann er/sie nicht erwarten dass ich mich da hinsetze, lesen kann ich auch alleine und so bequem ist die Bestuhlung auch nicht.

    Und manchmal konnte ich gar nicht in alle Vorlesungen gehen, da ich dank der teilweise etwas konfusen Organisation unseres Studienganges auch mal zwei Vorlesungen zur gleichen Zeit hatte, da die Zeiten sich von einem aufs andere Semester geändert hatten (Umstellung Diplom auf BA/MA).

    Aber man kann sagen, bei uns waren alle Vorlesungen (die ganz schlechten siehe oben mal ausgenommen) meist mit ca. 2/3 der Leute die auch in der Prüfung auftauchten besetzt.

    Anders sah das dann im Hauptstudium aus, bei Vorlesungen mit 8 Leuten ist es schwieriger einfach nicht zu kommen, wenn diese dann noch vom Studijob-Chef gehalten wird umso mehr…. ^^

    Ich finde, dass die Uni immer verschulter wird (anders ist es wohl in so wenigen Semestern nicht zu schaffen) und da gehört dann eben auch eine Anwesenheitspflicht dazu.
    Eigentlich sollte man die Zeit doch dazu nutzen zu lernen was man gerne machen möchte, stattdessen soll man bitte zum ersten Tag schon seinen fixen Stundenplan bis zum Abschluss haben und bitte nicht zwischendrin noch umentscheiden.
    Ich bin recht unbedarft an das Studium rangegangen, wusste nicht was ich am Ende genau machen will. Glücklicherweise hatte ich die Möglichkeit verschiedene Richtungen auszuprobieren oder zu verwerfen, die ich vorher nicht kannte oder dachte sie könnten mir gefallen (die besten Sachen findet man nur wenn man in die tiefsten Tiefen des Vorlesungsverzeichnisses vorstößt und regelmäßig die Flure der kleinen Institute auf Aushänge inspiziert: Paläontologie für Ingenieure, Physiologie für Elektrotechniker, Biofluidmechanik, Künstliche Intelligenz, Vom Urknall zur Supernova, Kanban, Fuzzy Logic, Neuronale Netze, verschiedene Programmiersprachen, verschiedene Fremdsprachen…).
    Am Ende hab ich einen Abschluss auf den ich Stolz bin und einen Job den ich mir nie hätte vorstellen können.
    Wir hatten auch die Turbostudenten die ihr Studium unter Regelstudienzeit inkl. Auslandsaufenthalt absolviert haben, die haben aber nicht rechts oder links schauen können.

    Vermutlich wird das immer schlimmer, wenn die Schüler immer früher aus der Schule gescheucht werden und noch weniger Ahnung haben als wir mit luxuriösen 13 Jahren Schule und dann bitte nach spätestens 3 Jahren ihren Abschluss in der Tasche.
    Dann können sich die Professoren mit den exotischeren Fächern beschweren wenn aus Zeitmangel niemand mehr über die Pflicht- und Standardvorlesungen hinausschaut.

  22. #22 Hans Mankillun
    9. Februar 2015

    @MartinB: Ihre Zusammenfassung verkürzt die dichte Schreibe von Stichweh. Die Konjunktion “unter der Bedingung” kann nicht weggelassen werden ohne den Inhalt zu verändern: Wie die meisten Kommentatoren richtig bemerkt haben, produziert bloße Anwesenheit selbst nichts. Die Konjunktion “indem” unterstellt aber das Anwesenheit eine Art Mechanismus wäre. Anwesenheit ist zwar eine notwendige aber nicht hinreichende Bedingung. Substantivierung wird häufig an Wissenschaftssprache kritisiert. Allerdings finde ich die Betonung eines Prozess’ oder einer Eigenschaft anstatt von Aktoren oder Personen durch eine Substantivierung gerechtfertigt, wenn dies inhaltlich gegeben ist. Angenommen Stichweh unterstellt, dass dem Lehren und Lernen an Universitäten eine Eigendynamik inne ist, die sich nicht aus den beteiligten Aktoren erklärt, dann ist seine Formulierung treffender als Ihr Alternativvorschlag. “Ein und derselbe” ist ein veralteter Ausdruck, den ich auch nicht gewählt hätte. Aber ist das nicht nur eine Geschmacksfrage?

    Gegen den Abbau von Privilegien und strukturellen Hindernissen habe ich gar nichts, im Gegenteil. Mir erschließt sich nur nicht, warum deswegen eine Seminarkultur an Universitäten, die bislang ein geisteswissenschaftliches Studium ausmachte und auf einem grundsätzlich egalitären Zugang von Studierenden und Lehrenden zum Forschungsdiskurs beruhte, von NRW und anderen ebenfalls linken Landesregierungen torpediert wird. Es gibt doch bereits Fernstudium, Blockseminare oder neuerdings auch “Blended Learning”, die das viel besser abfangen könnten. Wenn Lehre ordentlich finanziert würde, könnten die Unis einfach zielgerichtete und bessere Angebote für Studierende machen, die mit der klassischen Veranstaltungsorganisation Probleme haben. Einen Teil der Privilegien wird man außerdem nur durch zusätzliche Angebote, wie etwa zugängliche und flexible Kinderbetreuung in Nähe der Universitäten, abbauen können.

    Eine Abschaffung der Anwesenheitspflicht ist letztlich billiger Populismus. Einen faulen Prof, WiMi oder Lehrer, , der nur lustlos abliest, hat jeder mal erlebt.
    Es ist ein interessanter, rhetorischer Zug, dass Anwesenheitspflichtsgegner immer nur gegen Vorlesungen polemisieren, aber dann doch die Anwesenheitspflicht für alle Veranstaltungen bis auf Laborpraktika und ein paar Exkursiönchen verbieten anstatt konsequenterweise das Verbot auf Vorlesungen zu beschränken.

  23. #23 MartinB
    10. Februar 2015

    @HansMankillun
    Die Kritik an meiner Formulierung erschließt sich mir nicht so ganz – zum einen ist natürlich meine (nicht lange durchdachte) Umformulierung ein Ausdruck dessen, was ich der Aussage von Stichweh entnehme (und wenn er etwas anderes sagen wollte, dann habe ich ihn eben falsch verstanden), zum anderen erschließt sich mir nicht, wie Lehren und Lernen eine Eigendynamik entwickeln können, die nicht in den lehrenden und lernenden Personen begründet liegen soll.
    Eine reine Geschmacksfrage ist das meiner Ansicht nach insofern nicht, als wissenschaftliche Schreibe eigentlich immer so einfach wie möglich sein sollte, die Sachverhalte sind ja komplex genug, als dass man sie noch extra kompliziert darstellen müsste. (Und es gibt in Stichweh’s text jede Menge weiterer Beispiele für Dinge, die man auch einfacher hätte saen können.)

    Den zweite Absatz verstehe ich ehrlich gesagt auch nicht Wenn es schon “blended Learning” etc. gibt, und man damit auch lernen kann, warum soll dann eine Anwesenheitspflicht notwendig sein. Damit bestreitet ja niemand, dass eine Anwesenheit in Seminaren sinnvoll ist, sondern nur, dass diese eine zwingend notwendige Voraussetzung dafür ist, die gewünschte Qualifikation zu erzielen.

    “Eine Abschaffung der Anwesenheitspflicht ist letztlich billiger Populismus. Einen faulen Prof, WiMi oder Lehrer, , der nur lustlos abliest, hat jeder mal erlebt.”
    Das ist für mich ein Widerspruch – oder wollen Sie sagen “Ja, hat jeder mal erlebt, ist aber ja nicht so schlimm, da muss man halt durch, hat uns allen nicht geschadet?” Für diejenigen, die (wegen Arbeit, Kindern oder sonstiger Doppelbelastung) ihre Zeit sehr sorgfältig planen müssen, ist ene solche zeitverschwendende Veranstaltung eben doch ein Problem.
    “Es ist ein interessanter, rhetorischer Zug, dass Anwesenheitspflichtsgegner immer nur gegen Vorlesungen polemisieren”
    Ich kann auch gegen Seminare polemisieren, wenn das gewünscht ist. Ich habe im Studium einige Philosophie-Seminare gehört – in den meisten wurden von gelangweilten Studierenden gelangweilt Referate vorgetragen, über die selten sinnvoll diskutiert wurde (oft auch deswegen, weil der Vortrag so schlecht war, dass sich die Inhalte nicht erschlossen. Mal abgesehen davon, dass 80 Leute in einem raum mit 30 Stühlen auch das Lernklima nicht fördern, aber das ist eine andere Geschichte…) Feedback der Lehrenden zum eigenen Referat gab es auch keins, so dass sich auch der Lerngewinn in Grenzen hielt, um es vorsichtig auszudrücken.
    Zumindest in einem Seminar über Wissenschaftstheorie (gehalten von einem Mathematiker) kam dann noch absolute Ahnungslosigkeit des Deozenten hinzu, der erklärte, die Quantenmechanik sei eigentlich längst widerlegt, denn es gäbe da die quantenmechanische Bellsche Ungleichung, und man habe experimentell herausgefunden, dass die verletzt sei, das würde aber von den Physikern totgeschwiegen.
    Ja, es gab auch großartige Seminare – z.B. Prof. Schnädelbach über Ryles “Begriff des Geistes”, das war einfach brillant. Die mäßigen bis schlechten Seminare überwogen aber deutlich (was am Ende der Grund war, warum ich Philosophie nicht als Nebenfach belegt habe, obwohl ich schon fast alle Scheine zusammen hatte.)
    Anwesenheitspflicht in solchen Veranstaltungen ist meiner Ansicht nach auch ziemlich überflüssig, wenn man da etwas gelernt hat, dann eben meist durchs Lesen von texten zu Hause, nicht durch die grottigen Vorträge.

  24. #24 Ludger
    10. Februar 2015

    Zumindest in einem Seminar über Wissenschaftstheorie (gehalten von einem Mathematiker) kam dann noch absolute Ahnungslosigkeit des Deozenten hinzu, […]

    Wenigstens wars ein Deozent und kein übelriechender Odorzent.

  25. #25 MartinB
    10. Februar 2015

    Mein tägliches Opfer für Tpyos, den Gott der Tippfehler…

  26. #26 Hawk
    10. Februar 2015

    Da ich die ganze Zeit dachte, man wolle eine nicht existierende Anwesenheitspflicht einführen anstatt eine existierende abschaffen, ist meine Kenntnis des Hochschulbetriebs wohl schon veraltet.
    Zu meiner Zeit und an meiner Uni gab es in Informatik und Elektrotechnik weder für Vorlesungen noch für Seminare eine Anwesenheitspflicht.
    Die hier vorgebrachten Argumente für eine Anwesenheitspflicht sind für mich nicht stichhaltig. Wenn es für einige Lehrangebote (Stichwort Kants Ethik [im Deutschen bitt keinen allgemeinen Genitiv-Apostroph]) anscheinend keine objektiven Kriterien zur Bewertung des Lernforschrittes gibt, wie will man dann ableiten, dass eine Anwesenheit die Studierenden hier voran bringt? Wo es diese Kriterien allerdings gibt, sollte es ausreichen, diesen Fortschritt in einer Prüfung zu bewerten, egal durch welche Art des Lernens er erreicht wurde.
    Zum Abschluss kann ich mich Tills Kommentar in #19 nur anschliessen: Der Artikel Prof. Stichwehs ist das beste Argument gegen eine Anwesenheitspflicht, wenn er seinem Vortragsstil in Vorlesungen ähnelt…

    Gruß Hawk

  27. #27 rotschopf
    11. Februar 2015

    Ich war an der Fachhochschule und an der Uni. In der Fachhochschule war die Anwesenheitspflicht eine echte Notwendigkeit, denn in Kleingruppen von 30 Leuten hat man sich dort jeglichen Inhalt zusammen erarbeitet mit dem Professor (eigentlich mehr Seminarcharakter als Vorlesung). Und die waren bis auf wenige Ausnahmen charismatische Persönlichkeiten mit verdammt viel Fachwissen aber auch toller Ausstrahlung und Verständnis für ihre Studenten, die nach Bewertung der Studenten (und ja, die haben da schon eine gewisse Kompetenz, das entscheiden zu können) und nicht allein nach Prestige ausgesucht werden. Unterlagen gabs nicht bei jedem, das machte aber nix, weil nach der “Vorlesung” meist keine Fragen mehr übrig blieben. Klar bleibt es einem nicht erspart, sich auch bei solchen Vorlesungen danach zu einem noch größeren Zeitanteil der Fachliteratur zu widmen, aber wenn ich dann etwas nicht verstehe, dann kann ich sicher sein, nächstes Mal kann ich das fragen in der Vorlesung und man wird sich Zeit für mich nehmen.

    Danach war ich an der Uni Wien. Wow. Was für ein Unterschied. Da vorne vor 500 Studenten steht ein Professor, dem ich seine 50 Jahre in der Wissenschaftsarbeit hoch anrechne. Aber oh mein gott, ist der langweilig. Fragen stellen? Träum weiter, wenn der Prof Powerpoint bedienen kann und nicht abliest, hast du schon den Jackpot geknackt. Didaktisch eine Katastrophe. Ich war zwar die meiste Zeit in den Vorlesungen (aus Höflichkeit), aber richtig kapiert hab ichs erst, wenn ich danach daheim das Ganze nochmal nachgelesen hab.
    Ja, es schaut natürlich blöd aus für das Institut, wenn man sich eine Koryphäe des Fachs als Vorlesenden holt und dann kommt keiner der Studenten zu seinen Vorlesungen. Aber ist das mein Problem? Seine Arbeiten und Bücher lese ich ja eh trotzdem, muss ich deswegen vor Ort zuhören? Manche von denen stellten Inhalte zur Verfügung, die man sich vor der nächsten Vorlesung bereits selbständig zu Gemüte geführt haben musste, um mitzukommen. Danke, dann mach ichs doch gleich allein oder?

    Mein Mann war in seinem Studium im Großteil seiner Vorlesungen nicht ein einziges Mal anwesend und hat den Master trotzdem mit Bravour gemeistert. Das ist doch auch immer das, was wir so gern betonen, was die Essenz des Studierens ist, das eigenständige Erarbeiten von Inhalten.

    Was haltet ihr eigentlich vom Streaming von Vorlesungen? Könnte das nicht eine Zwischenlösung sein?

  28. #28 MartinB
    11. Februar 2015

    @Rotschopf
    Wenn wie in einer FH die Inhalte in der Gruppe erarbeitet werden, ist das natürlich super. Auf der anderen Seite war da eine Anwesenheitspflicht ja eigentlich auch nicht notwendig, weil die leute ja anscheinend eh gern kamen.

    “Was haltet ihr eigentlich vom Streaming von Vorlesungen? ”
    Für große Vorlesungen eine Lösung (wird bei uns an der TU zum Teil auch praktiziert), aber kleine Spezialvorlesungen lohnen den Aufwand vermutlich nicht – damit das klappt, braucht man ja mindestens eine Person, die die Kamera bedient.

  29. #29 Niels
    15. Februar 2015

    Hat man eine Idee, warum die nordrhein-westfälische Landesregierung meint, ausgerechnet diesen Punkt regeln zu müssen?
    Das ist doch ein ulkig spezifischer Eingriff in die inneren Abläufe der Hochschulen, oder?

    Na ja, ich hab sowieso nie verstanden, warum es in den Geistes- und Gesellschaftswissenschaften Sitzscheine gibt. Die werden meiner Meinung nach zu Recht in den Naturwissenschaften abgelehnt.

  30. […] an Hochschulen in Nordrhein Westfalen (z.B. hier und hier; eine interessante Diskussion gibt es hier) und sogleich stellt sich ein Déjà-vu ein. Denn die Befürchtung, Studenten würden dann nicht […]

  31. #31 MartinB
    15. Februar 2015

    @Niels
    “Man” vermutlich schon, ich persönlich nicht.

  32. #32 Piotr Snuszka
    Berlin
    22. März 2015

    Studenten schreiben heutzutage eine Masterarbeit, die viel zu oft theoretischen Charakter hat und über keinen wirklichen Mehrwert verfügt. Die Anwesenheitspflicht hat meines Erachtens keine Relevanz, ob der Student eine wissenschaftliche Arbeit verfasst, die auch einen Beitrag für die Praxis leistet … und das ist auch der springende Punkt. Das Augenmerk sollte viel eher darauf gerichtet werden!

  33. #33 Felix
    Nürnberg
    3. Oktober 2017

    Unabhängig von den nachvollziehbaren Argumenten für beide Positionen (Anwesenheitspflicht ja / nein), die Erfahrungen zeigen doch, dass mit abgeschaffter Präsenzpflicht die Leistungen der Studenten nachlassen, weshalb selbst NRW diese offenbar wieder einführen möchte. Siehe auch
    https://www.textundwissenschaft.de/2016/11/21/schlechtere-noten-durch-abwesenheit-in-den-vorlesungen/

  34. #34 MartinB
    3. Oktober 2017

    @Felix
    Dem steht allerdings die soziale Komponente entgegen – Anwesenheitspflicht ist für die Vollzeitstudentin ohne weitere Verpflichtungen weniger problematisch als z.B. für die, die sich um zwei Kinder kümmern, nebenbei arbeiten, kranke Eltern pflegen … muss. Das wiegt in meinen Augen schwerer.

  35. #35 Berta Heike
    Münich
    20. November 2019

    Studierende wiesen heutzutage darauf hin, dass laut Kultusministerkonferenz ihre Anwesenheit in Lehrveranstaltungen nicht zum Erwerb von Kompetenzen gehört – und deshalb nicht überprüft werden darf. Drüber können Sie hier lesen. In meinem Fach, der Journalistik, trainieren wir nicht nur praktische journalistische Fähigkeiten, sondern diskutieren auch Theorien zu Ethik, Qualität und digitalem Wandel des Journalismus. Natürlich muss man da anwesend sein, sonst würde man allein vor sich hin anwenden und interpretieren – ohne gemeinsames praktisches Training und akademischen Diskurs ist der Lernerfolg gering.

  36. #36 MartinB
    20. November 2019

    @Berta Heike
    Wie ich direkt am Anfang ja schrieb:
    “, Einzelheiten sind wohl noch zu klären, was etwa Seminare angeht – wenn dort viel diskutiert wird, mag eine Anwesenheitspflicht ja sinnvoll sein.”
    Also ja, wenn irgendwo viel diskutiert wird, dann ist Anwesenheitspflicht evtl. o.k. – wobei auch da dann zu überlegen wäre, ob eine bloße physische Anwesenheit, bei der jemand aus dem Fenster guckt, viel bringt.