Die Bedeutung, die die Sprache dem Geschlecht zuschreibt, impliziert, dass das Geschlecht in gewisser Weise das wichtigste Merkmal eines Menschen ist – ich kann bei der Vorstellung der Mathematikerin alle Eigenschaften offen lassen, nur beim Geschlecht muss ich mich – spätestens, wenn ich ein Personalpronomen verwenden will – festlegen oder entsprechende Beidnennungen verwenden um ganz klar zu machen, dass ich es eben nicht weiß. (Und hier greift der sonst häufig – auch von mir selbst – gezogene Vergleich mit der Hautfarbe nicht: Bei einer hypothetischen Person muss ich mich eben nicht auf eine Hautfarbe oder “Rasse” (die es eh nur als soziales Konstrukt gibt) festlegen. In Arthur C Clarkes Buch “Makenzie kehrt zur Erde heim” erfährt man beispielsweise erst in der Mitte des Buches eher beiläufig, dass der Protagonist schwarz ist. Fand ich beim ersten Mal lesen (als Teenager) sehr überraschend, aber auch irgendwie interessant. Wie die Sprache aussähe, wenn das anders wäre, könnt ihr in dem oben verlinkten Hofstadter-Artikel nachlesen.)
Warum also ist es gerade das Geschlecht, dem wir so eine große Bedeutung beimessen? Natürlich ist das teilweise sicherlich biologisch verursacht (für den Fortpflanzungserfolg einer Art ist es sicher nicht ganz unwichtig zu wissen, wer welches Geschlecht hat, auch wenn – siehe unten – die Einteilung nicht immer ganz offensichtlich ist). Ein Argument für die Notwendigkeit der grammatikalischen Geschlechterspezifikation ist das aber nicht – zum einen, weil es ja auch Sprachen gibt, die keine grammatikalischen Geschlechter kennen, zum anderen, weil wir uns unsere Gesellschaft auch sonst nicht durch biologische Instinkte diktieren lassen.
Ich denke, ein wichtiger Grund, warum uns das Geschlecht so wichtig ist, ist die Stereotypisierung – zu wissen, dass eine Person männlich (oder weiblich) ist, ruft in unseren Köpfen eine Menge Assoziationen hervor (die ja sehr oft auch zutreffen; die Wahrscheinlichkeit, dass jemand zum Beispiel begeisterter Fußballfan ist, ist bei einem Mann vermutlich größer (und ja, das ist nur eine Wahrscheinlichkeit, ich finde Fußball zum Beispiel langweilig)). So eine Kategorisierung ist ja oft praktisch – wenn ich euch von jemandem sage “wählt grün, lebt in einer Kommune, ist Vegetarier/In”, dann habt ihr vermutlich eine recht hohe Wahrscheinlichkeit, die Haltung dieser Person zum Beispiel zur Verteidigungs- oder Flüchtlingspolitik vorherzusagen. (Ja, ich greife mal mit Absicht ganz tief in die Klischee-Kiste.) Und das Geschlecht ist zur Kategorisierung besonders geeignet, weil es sich bereits früh ausprägt und viele Aspekte unseres Lebens beeinflusst, was aber natürlich auch vor allem gesellschaftlich bedingt ist – es gibt ja keinen inhärent biologischen Grund, warum sich Männer mehr für Fußball interessieren sollten.
Das wurde auch in dieser Diskussion mit Jürgen Schönstein zum Thema deutlich, in der Jürgen diverse (in meinen Augen nicht wirklich geglückte) Beispiele gab, warum gerade die Geschlechter-Einteilung so wichtig ist. Ich bin nach wie vor nicht überzeugt – wenn ich zum Beispiel hier einen Blogartikel über ein wissenschaftliches paper verfasse, warum ist es da wichtig, das Geschlecht aller Beteiligten herauszufinden, damit ich korrekt “Die Autoren”, “die Autorinnen” oder “die Autorinnen und Autoren” sagen kann? Für die Forschungsarbeit ist das Geschlecht vermutlich ziemlich unwichtig, viel wichtiger wäre es vielleicht zu wissen, wer als DoktorandIn die Arbeit gemacht hat und wer IdeengeberIn oder MittelheranschafferIn war.
Stereotypen bringen außerdem das Problem mit sich, dass sie eben nicht auf jeden zutreffen – auch Jungen können Puppen oder Mädchen Panzer mögen.
Und auch wenn es erst langsam ins allgemeine Bewusstsein rückt – so eindeutig, wie unsere Gesellschaft gern annimmt, ist die Einsortierung in zwei Geschlechter ohnehin nicht. Dass die Zuordnung auch biologisch durchaus komplizierter ist und eine simple binäre Einteilung die Sache extrem vereinfacht, zeigt dieser Nature-Artikel zum Thema Geschlecht. Auch die Lektüre des Wiki-Artikel zur Intersexualität zeigt, dass sich eben nicht jeder Mensch klar in das Raster männlich-weiblich einordnen lässt. Und der rein biologische Aspekt des Geschlechts spielt in unserer Gesellschaft ohnehin selten eine Rolle, weil er eigentlich ja nur für die Fortpflanzung relevant ist, um die geht es im täglichen Leben aber meistens nicht.
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