Also bräuchte man eine geschlechtsneutrale Form? Dafür habe ich mich ja auch schon einmal ausgesprochen. (Und zu den dort vorgebrachten Argumenten stehe ich auch heute noch, ich ziehe nur – für den Moment – eine andere Konsequenz.) Auch das wirft aber Probleme auf: Zunächst einmal gibt es solche Formen nicht. Man kann natürlich Professx oder so etwas sagen, aber auch hier wird es bei den Personalpronomina schwierig, es sei denn, man verwendet dann das neutrale “es” (Nebenbei: Ich finde es übrigens ziemlich interessant, dass es “der Junge” aber “das Mädchen” heißt, mit dem entsprechenden Personalpronomen “es”), was aber viele als unhöflich empfinden dürften, oder man konstruiert vollkommen neue Pronomina (so hat man es in Schweden gemacht, soweit ich weiß), aber so etwas muss sich erst einmal durchsetzen und taugt nicht als Lösung, die nur auf einem kleinen unbedeutenden Blog in einem vollkommen durchschnittlichen Spiralarm des Blogoversums verwendet wird.
Zum anderen zeigen Untersuchungen in Sprachen wie dem Englischen, wo z.B. Berufsbezeichnungen meist nicht geschlechtsspezifisch sind (von Ausnahmen wie actor/actress abgesehen – obwohl es auch da eine “actors guild” gibt, in der natürlich auch Frauen Mitglieder sind), dass das geistige Bild, dass beim Sprechen entsteht, durch Geschlechterstereotype dominiert wird – “engineers” werden eher als männlich gesehen, “social workers” eher als weiblich. Stereotypen zu verstärken ist nicht gerade das, was ich erreichen will.
Eine sprachliche (Teil-)Lösung des Problems sollte also zwei Eigenschaften haben, damit ich zufrieden bin:
1. Sie sollte nicht – wie es das momentan oft verwendete “generische Maskulinum” tut – implizit und ohne dass es bewusst wird ein Geschlecht assoziieren.
2. Sie sollte nicht aus einer Beidnennung bestehen – wegen der Schwierigkeiten, die das zum Beispiel bei “generischen Personen” im Singular mit sich bringt, wegen der generellen Holprigkeit durch ständiges Aufzählen zweier Geschlechter und insbesondere, weil sie intersexuelle Personen ausschließt.
Zusätzlich wäre es noch schön, wenn die Lösung auch noch das Problem der Stereotypen in irgendeiner Weise anspricht.
Eine sehr seltsame Lösung (und tatsächlich für mich der Ausgangspunkt der Überlegungen hier) findet sich im Roman “Ancillary Justice“. Die Protagonistin stammt aus einer Kultur, in der Geschlechtsunterschiede wenig relevant sind – sie verwendet deshalb grundsätzlich nur weibliche Formen, da es ihr schwer fällt, andere Menschen nach dem Geschlecht einzuordnen. Jede Person wird als “she” referenziert. Bei der Lektüre des Romans konnte ich beobachten, wie mein Gehirn versucht, damit umzugehen. Am Anfang nahm ich das wörtlich und jede auftauchende Person war in meiner Vorstellung weiblich, dann merkte ich, dass das wenig Sinn ergab und pendelte zwischen einem meist männlich gedachtem “Standard” und dem Versuch hin und her, die Personen an Hand ihres Verhaltens in Geschlechter einzuteilen, und irgendwann merkte ich dann, dass es tatsächlich einfach egal war. Die Protagonistin hat beispielsweise viel mit einem Lieutenant zu tun, die eine Liebesbeziehung mit einer anderen Person hat – und es ist für die Handlung des Buches wirklich egal, ob es sich nun um eine männlich-weibliche, weiblich-männliche oder rein männliche oder weibliche Beziehung zwischen zwei Personen handelt. Das Geschlecht spielt hier für die Handlung keine Rolle – warum muss es also bei jeder Person festgelegt werden, während wir keine Probleme damit haben, wenn in einem Roman zum Beispiel eine Haut- oder Haarfarbe nicht erwähnt wird?
Dieses “generische” Femininum erscheint mir als eine Möglichkeit, die beiden Forderungen oben zu erreichen. Wobei ich mit “generisch” hier mehr meine als beim üblichen “generischen Maskulinum”, das ja nur verwendet wird, wenn man es nicht ausschließlich mit weiblichen Personen zu tun hat. (99 Sängerinnen und ein Sänger sind zusammen Hundert Sänger.) Vielleicht sollte ich einen anderen Begriff finden – “exklusives Femininum”? Anders als beim Maskulinum erfüllt diese Lösung auch Punkt 1 – dadurch, dass es so ungewohnt ist, führt es eben (nach kurzer Gewöhnung) nicht dazu, dass man automatisch ein weibliches Geschlecht assoziiert, das habe ich ja bei der Lektüre von “Ancillary Justice” gemerkt.
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