Vor so etwa 330 Millionen Jahren krabbelten die ersten Fische an Land und begannen, dort herumzulaufen. Und dabei machten sie eine unangenehme Entdeckung: beim Laufen und Klettern kann man sich auch wehtun und, wenn man Pech hat, die Beine brechen.
So erging es jedenfalls einem urzeitlichen Vierfüßer namens Ossinodus, der etwa so aussah (Teilbild a):
Aus Bishop et al., s.u.
Ossinodus war ein typischer Urzeit-Vierfüßer, der ein bisschen Ähnlichkeit mit einem Riesensalamander hatte (das Tier war so etwa 1 bis 1,5 Meter lang). In den unteren Teilbildern seht ihr den Unterarmknochen des Fossils. Die einzelnen Kürzel interessieren uns hier ncht so sehr, wichtig ist nur der Bereich, der mit “callus” bezeichnet ist. Ein Wund-Kallus bildet sich dann, wenn ein Knochen gebrochen ist – der Körper heilt den Knochenbruch, indem sich zuerst ein Knorpelvorläufer bildet, der dann schnell zu Knochen mineralisiert wird.
Dieser Knochen ist typischerweise sogenannter Geflechtknochen – der hat nicht so berauschende mechanische Eigenschaften, hat aber den Vorteil, dass er sehr schnell wächst. Die ungünstigen Materialeigenschaften werden dadurch kompensiert, dass einfach mehr von dem Knochen aufgebaut wird, so dass der Knochen erst mal dicker wird als vor dem Bruch. (Im weiteren Leben wird dann der Geflechtknochen zu einer anderen Sorte mit höherer Festigkeit umgebaut und das dann überschüssige Material entfernt.)
Bei unserem Ossinodus hier ist der Knochebruch zwar schon so weit verheilt, dass der Kallus voll ausgebildet ist, aber eben noch nicht vollständig (sonst wäre der Kallus ja wieder weg). Man erkennt auch, dass der Kallus relativ groß ist. Analysiert man die Mikrostruktur des Knochens in einem Computertomographen, kann man die Bruchstelle und Form einigermaßen rekonsruieren (der Ossinodus sollte sich mal bei seiner Krankenkasse beschweren – 330Millionen Jahre Wartezeit für nen Röntgentermin sind schon ziemlich lang…):
Aus Bishop et al., s.u.
Der Bruch fand entlang einer Vertiefung innerhalb des Knochens statt. Um die Bruchursache aufzuklären, kann man den Knochen in ein Computermodell überführen. (Das ist ziemlich trickreich. Zum einen muss man natürlich versuchen, den Knochen so zu rekonstruieren, wie er vor dem Burch ausgesehen hat. Zum anderen ist Knochen kein homogenes Material, und die Forscherinnen haben viel Aufwand getrieben, um sicherzustellen, dass ihr Modell nicht dadurch fehlerhaft wird, dass sie die Inhomogenität nicht genau kennen. Wer’s genau wissen will, kann ins frei zugängliche paper gucken, mich interessieren hier mehr die Ergebnisse.) In diesem Computermodell wurden dann unterschiedliche Last-Szenarien durchgespielt, die man hier im Bild sieht:
Aus Bishop et al., s.u.
Der Knochen wurde also im Modell auf Zug, Druck, Torsion oder auf seitlichen Aufprall belastet. Dann wurden die entstehenden Dehnungen innerhalb des Knochens angeguckt und jeweils geschaut, wo diese Dehnungen maximal werden – dort müsste der Knochen dann brechen. Basierend auf diesen ersten Rechnungen wurde die Last dann weiter angepasst, bis sich ein Szenario ergab, bei dem die Position des vorhergesagten Knochenbruchs zum Kallus des Fossils passte (im Bild fehlt die Lagerung des Fossils – wenn nur ne Drucklast von oben kommt, verschiebt sich der Knochen ja einfach):
Aus Bishop et al., s.u.
Dieses Lastmuster (und auch der resultierende Knochenbruch) ist ähnlich zu dem, das man auch bei Menschen beobachtet, die sich einen Unterarmknochen brechen, weil sie fallen und sich mit dem Arm abfangen wollen. Es passt nicht zu einem Bruch, der beispielsweise durch einen Biss oder sonstigen Angriff eines Raubtiers verursacht wurde.
Betrachtet man die Dehnungen quantitativ, dann kann man auch abschätzen, wie groß die Kraft auf den Knochen etwa gewesen sein muss. Bezieht man sie auf die – geschätzte – Körpermasse des Tieres (so etwa 20kg), dann kommt man auf das 5 bis 11fache des Körpergewichts.
Nebenbei bemerkt: An dieser Stelle war das paper zumindest für jemanden, der ein bisschen Mathematik-affin ist, recht amüsant zu lesen, weil Rechnungen wie diese hier explizit vorgeführt wurden:
Aus Bishop et al., s.u.
Eine solche Kraft entsteht typischerweise bei einem Fall an Land – im Wasser bekommt man solche Kräfte nicht hin. Entsprechend kann man schlussfolgern, dass Ossinodus tatsächlich an Land lebte. Schätzt man noch die Fallhöhe ab, so kommt man auf einen Wert zwischen etwa 80cm und etwas mehr als einem Meter.
Die Vermutung liegt also nahe, dass der Ossinodus eines Tages auf einem Baumstamm oder Felsen herumkletterte (das ist nicht so unplausibel, wie ihr vielleicht denkt – selbst Krokodile klettern ja gern auf Bäume), dort abrutschte und dann in die Tiefe stürzte, wo er sich das Vorderbein brach. Immerhin überlebte er den Sturz, so dass der Knochen wieder heilen konnte. Für das arme Tier war das sicher keine schöne Erfahrung, aber uns gibt dieser Sturz einen einmaligen Einblick in die Lebensgewohnheiten eines Tieres, das vor über 330 Millionen Jahren eines der ersten Landwirbeltiere war.
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