Menschen und auch viele Tiere haben ja Wimpern um ihre Augen herum. Da die sehr weit verbreitet sind, kann man davon ausgehen, dass sie eine wichtige Funktion haben – aber welche?

Zur Funktion der Wimpern gibt es ziemlich viele Ideen – als Staubfänger, die das Auge vor herabfallendem Staub schützen, als Sensoren, die dem Auge mitteilen, dass sich ein Fremdkörper nähert und zum Schutz den Schließreflex auslösen oder auch als soziales Signal – lange und geschwungene Wimpern gelten ja oft als schön.

Dafür dass die Wimpern das Auge schützen, spricht, dass Menschen ohne Wimpern eine höhere Anfälligkeit für Augeninfektionen haben und dass umgekehrt allergische Reaktionen dazu führen können, dass Wimpern länger und dichter werden. Aber wie der Schutz des Auges durch die Wimpern nun eigentlich funktioniert, wusste man bisher nicht.

Um die Funktion der Wimpern zu verstehen, hat ein Team aus den USA eine ganze Reihe an Messungen, Experimenten und Simulationen gemacht.

Zunächst einmal wurden Daten an verschiedenen Säugetieraugen aufgenommen, nämlich die Breite der Augen sowie die Länge, Dicke und Dichte der Wimpern. Dabei zeigte sich bereits etwas sehr Interessantes: Tiere mit großen Augen haben auch längere Wimpern, und zwar mit einem Verhältnis von etwa 0,3 – bei einer Augenbreite von 1 Zentimeter sind Wimpern also typischerweise etwa 3 Millimeter lang. Was sich allerdings mit der Größe der Tiere nicht ändert, ist die Dichte der Wimpern – die Zahl der Wimpern pro Zentimeter Augenumfang schwankt zwischen etwa 20 und 60 – aber unabhängig davon, wie groß das jeweilige Tier ist.

Als nächstes wurden Strömungssimulationen gemacht. Der Einfachheit halber hat man dazu angenommen, dass das Auge exakt kreisförmig ist und dass die Luft genau von Vorn auf das Auge trifft (mit einer Geschwindigkeit, die einer typischen Gehgeschwindigkeit eines Tieres entspricht, also sozusagen der “Fahrtwind”). So sieht das Modell aus

wimper1

Aus Amador et al., s.u.

Mit einem einfachen theoretischen Modell und mit einer Simulation kann man jetzt z.B. die Strömungsgeschwindigkeit am Auge vorhersagen und auch (in der Simulation) die Stromlinien verfolgen. Ich zeige hier nur die Strömungssimulation:

wimpern6

Aus Amador et al., s.u.

In den linken Teilbildern sehr ihr die Strömungsgeschwindigkeit (ein Stück weg von der Mitte) über dem Auge – nach oben ist der Abstand vom Auge aufgetragen. Wie bei jeder Strömung ist die Strömungsgeschwindigkeit direkt an der Oberfläche gleich Null (deswegen ist es ja auch leichter, groben Staub wegzupusten als sehr feinen Staub – der grobe Staub ragt weiter von der Oberfläche weg und wird eher von der Strömung mitgenommen). Rechts seht ihr die Strömungslinien: Die Luft strömt also von Vorn aufs Auge und fließt dann zur Seite weg.

Ihr erkennt, dass die Strömung ohne Wimpern bereits recht dicht am Auge eine hohe Geschwindigkeit erreicht, ebenso, wenn die Wimpern sehr lang sind. Bei Wimpern mit einer Länge von etwa 20% des Augendurchmessers behindern die Wimpern die Strömung und die Strömungsgeschwindigkeit ist deutlich niedriger. Das spricht dann dafür, dass ein Auge mit Wimpern weniger leicht austrocknet, denn die Feuchtigkeit in der Luft direkt über dem Auge wird bei einer niedrigeren Geschwindigkeit ja weniger leicht abtransportiert.

Nun sind Simulationen ja schön und gut – aber noch schöner sind oft Experimente (ich hoffe, das liest hier keine meiner Kolleginnen oder Studentinnen…). Also haben die Forscherinnen schnell noch einen kleinen Windtunnel gebaut, um den Einfluss von Wimpern experimentell zu prüfen:

wimper3

Aus Amador et al., s.u.

Der Aufbau entspricht also genau dem Simulationsmodell – die Strömung kommt direkt von Vorn auf das Auge. (Expertinnehinweis: Die Reynoldszahlen lagen hier in einem niedrigen Bereich unter 1000, die Strömungen sind also alle laminar.) Als Augenwimpern wurde entweder ein fester Ring aus Pappe genommen (der in der Arbeit mit der Sonnenblende einer Kamera verglichen wird) oder ein Netz als Wimpern-Ersatz oder eine Anordnung von Wimpern (wie im Bild links zu sehen) – da wurden künstliche Wimpern genommen. Das Netz hat man genommen, weil man dabei leichter unterschiedliche Längen einstellen kann.

Dabei wurden verschiedene Strömungsvariablen gemessen, aber die gucke ich mir nicht an. Konzentrieren wir uns auf die Messgrößen, die entscheidend sind. Da ist zum einen die Verdunstungsrate von der Oberfläche:

wimper4

Aus Amador et al., s.u.

Die schwarzen Punkte gehören zum Pappring – da seht ihr, dass die Verdunstungsrate immer weiter abnimmt, je länger der wird. Warum haben wir also keine langen Röhren um die Augen herum, sondern Wimpern? Schicht deswegen, weil Röhren nicht durchsichtig sind und wir so unser Sichtfeld einschränken würden. Beim Netz (als Wimpernersatz), dargestellt durch die Punkte,  seht ihr aber ein ähnliches Ergebnis wie in der Simulation – mit Wimpern nimmt die Verdunstungsrate erst mal ab, dann aber wieder zu, der optimale Wert liegt so bei etwa 30% Augendurchmesser. Experiment und Simulation passen also einigermaßen gut zusammen.

Zusätzlich wurde die Strömung noch mit fluoreszierenden Tröpfchen angereichert. Dann wurde nach einiger Zeit geguckt, wie viele dieser Tröpfchen sich auf dem Auge ablagern (indem man einfach misst, wie stark das Auge selbst fluoresziert). Auch hier zeigt sich, dass es ein Optimum gibt:

wimper5

Aus Amador et al., s.u.

Alles in allem zeigt sich also, dass Wimpern die Strömung am Auge beeinflussen und die Strömungsgeschwindigkeit direkt über der Augenoberfläche verringern, wenn sie die richtige Länge haben. Das wiederum verringert zum einen die Verdunstung, so dass unsere Augen weniger schnell austrocknen, zum anderen verringert es auch die Ablagerung von Fremdkörpern (was gut zu der Beobachtung passt, dass Leute ohne Wimpern anfälliger für Augeninfektionen sind). Vergleicht man diese Experimente mit den Messungen an Tieren, dann liegt die Länge der Wimpern tatsächlich genau im Bereich des strömungsmechanischen Optimums. Das spricht also stark dafür, dass die Wimpern auch tatsächlich diese Funktion haben.

Fairerweise muss man natürlich dazusagen, dass einiges an der Arbeit vereinfacht ist – echte Augen sind nicht kreisrund und haben auch keine flache Oberfläche, sondern sind gekrümmt. Reale Wimpern sind auch nicht perfekt gerade und stehen nicht senkrecht nach vorn ab. (Im paper wird aber erläutert, dass künstliche Augenwimpern wohl wenig hilfreich sind, weil die immer nach Außen vom Auge weggekrümmt sind und deswegen die Strömung zum Auge hinleiten; das sieht man ja auch im Bild des Versuchsaufbaus oben.) Es wurde auch nur die Strömung direkt aufs Auge betrachtet, kein Wind von Vorn oder von der Seite.

Dass die Wimpern bei Allergien länger und dichter werden, wird leider in der Diskusison nicht nochmal aufgegriffen (oder ich habe es übersehen). Im ersten Moment mag man sich wundern, weil ja längere Wimpern ungünstiger sind – aber da die Wimpern zusätzlich auch dichter werden, dürfte sich der Wert für die optimale Länge auch entsprechend vergrößern (bei unendlich dichten Wimpern – dem Pappring – galt ja, je länger, desto besser).

Die Untersuchung zeigt also, dass Augenwimpern das Auge vor Luftströmungen schützen und so das Austrocknen verlangsamen und auch die Menge an Staub und anderen Fremdkörpern reduzieren. (Einige Tierarten, die in heißen, trockenen Gegenden leben, haben deswegen auch gleich zwei Sätze von Wimpern, beispielsweise Kängurus und Giraffen.) Das heißt natürlich nicht, dass die anderen oben erwähnten Funktionen (zum Beispiel als Sensor) nicht auch eine Rolle spielen – in der Evolution finden wir ja oft Strukturen mit mehreren Funktionen. Aber zumindest die strömungsmechanische Funktion ist jetzt anscheinend aufgeklärt – Wimpern schützen das Auge vor dem Austrocknen und vor Ablagerungen aus Staub oder auch Bakterien.

                            

Amador GJ, Mao W,DeMercurio P, Montero C, Clewis J, Alexeev A, Hu DL.

2015 Eyelashes divert airflow to protect the eye. J. R. Soc. Interface 12: 20141294.
https://dx.doi.org/10.1098/rsif.2014.1294

Kommentare (16)

  1. #1 MX
    25. Juli 2015

    Spannend.

    Beim Menschen sind die Wimpern inzwischen auch zum Klimpern da, oder zur Messung der Unendlichkeit, für die unser Dasein nur ein Wimpernschlag ist.

  2. #2 meregalli
    25. Juli 2015

    Also Quintessenz der Forschung: die Evolution hat recht gut gearbeitet.(und die bestätigenden Physiker auch)

    Interessant finde ich folgenden Aspekt: Wir empfinden den Lidschlag fast jeden Säugetieres mit einer Empathie, je nach Alter, Geschlecht oder Spezies mehr oder weniger, aber wir fühlen das als Kommunikation; zumeist im positiven Sinn.

    Nicht so bei den Reptilien. Vielleicht gibt es Reptilienliebhaber, die anderer Meinung sind.

  3. #3 PeterD
    25. Juli 2015

    @meregalli: Das liegt nicht an den Wimpern, sondern der Länge des Lidschlages. Ein langsamer Lidschlag signalisiert Vertrauen (ich kann kurz das Sehen unterbrechen) und Entspannung. Reptilien können das m.W. nicht.

  4. #4 Niels
    26. Juli 2015

    Ich bin gerade nicht besonders fit (sprich nüchtern), aber bei diesem Satz fehlt doch etwas, oder?
    Dafür dass die Wimpern das Auge schützen, spricht, dass Menschen ohne Wimpern eine höhere Anfälligkeit für Augeninfektionen haben und dass umgekehrt allergische Reaktionen dazu führen können, dass Wimpern länger und dichter werden.

  5. #5 MX
    26. Juli 2015

    @ Martin: Hast Du für die Zusammenhänge von Wimpern und Infektionsanfälligkeit bzw. Wimpernlänge und Allergien eine Quelle gesehen? Das mit den Allergien kommt mir etwas seltsam vor.

  6. #6 MartinB
    26. Juli 2015

    @meregalli
    Ich würde es eher auch umgekehrt sehen: Die Übereinstimmung zwischen der Wimpernlänge und der Theorie spricht dafür, dass wir die Funktion richtig verstanden haben. Würde sich in der Theorie ein Wert ergeben, der vom gemessenen deutlich abweicht, würde man daraus eher den Schluss ziehen, dass die Funktion der Wimpern eben nicht rein strömungsmechanisch sein kann.

    @Niels
    Ich bin nüchtern, und soweit ich sehe, ist der Satz o.k. dafür spricht 1. höhere Anfälligkeit und 2. allergische Reaktionen verändern Wimpern.

    @MX
    Im Text steht
    Children with allergies have 10%
    longer and denser lashes than those without allergies
    und die Quelle dazu ist
    Levy Y, Segal N, Ben-Amitai D, Danon Y. 2004
    Eyelash length in children and adolescents with
    allergic diseases. Pediatr. Dermatol. 21, 534– 537.
    (doi:10.1111/j.0736-8046.2004.21501.x)

  7. #7 Niels
    26. Juli 2015

    @MartinB
    Ja, sorry, der Satz geht völlig in Ordnung.

  8. #8 MartinB
    26. Juli 2015

    Ich hoffe, der Wein (Whisky oder was-immer) war wenigstens lecker 😉

  9. #9 MX
    26. Juli 2015

    @ Martin: Danke, ist ja kurios.

  10. #10 Stefan Wagner
    https://demystifikation.wordpress.com/2015/07/27/gott-lenkt/
    27. Juli 2015

    Ich hätte noch die Ideen, dass die Wimpern vor Sonneneinstrahlung schützen könnten in dem sie Schatten spenden oder dass sie herabtropfendes Wasser ablenken – eher als Staub.

  11. #11 BreitSide
    27. Juli 2015

    Reptilien haben wohl keine Wimpern, weil sie auch keine Haare haben?

  12. #12 MartinB
    28. Juli 2015

    @Breitside
    Nein, soweit ich weiß nicht. (Dafür haben sie oft Nickhäute etc.)
    Einige Vögel haben aber Wimpern, beispielsweise Kasuare, wenn ich mich recht entsinne.

  13. #13 BreitSide
    28. Juli 2015

    Ach ja, die Kasuare. Jetzt kommt mir auch das Bild in den Sinn:-)

    Nickhäute haben ja auch Katzen. Sind die also doppelt geschützt?

  14. #14 Lina
    Erfurt
    9. Oktober 2015

    da hab eich aber echt heute eine Menge über Wimpern dazugelernt und zwicker den Martin mal an *lach

    Bin auf der Recherche, weil ich eine Wimpernverlängerung anstrebe und werde dieses warscheinlich mit einem Wimpernserum umsetzen, was meint der Wimpern-Profi Martin dazu? ;-))

    Habe im im übrigen eine passende Webseite für mein Vorhaben gefunden: https://frauenbewerten.de

    LG Lina

  15. #15 MartinB
    9. Oktober 2015

    Wimpernseren kann ich nicht beurteilen – ich wäre aber skeptisch; normalerweise lassen sich Haare ja nicht ohne weiteres zum Neuwachsen anregen…

  16. #16 BreitSide
    Beim Deich
    9. Oktober 2015

    @Lina: Jetzt war ich aber enttäuscht, als ich Deinem Link gefolgt bin! Ich dachte, dort kann man Frauen bewerten? Läuft das unter Etikettenschwindel? :Duckundwech: