Es kommt ja immer wieder vor, dass Leute hier im blog Kommentare hinterlassen, in denen sie ihre ganz persönliche neue Idee vorstellen, wie die Physik aussehen sollte. (Auch mails dieser Art bekomme ich reichlich.) Meistens sind es Ideen der Art “Ich denke mir, dass es einen fundamentalen XY-Baustein der Welt gibt” (je nach Idee sind das dann möglicherweise irgendwelche Raumzeitwirbel, oder Ur-Quanten oder sonst irgend etwas). Dann wird ein bisschen herumphilosophiert und -argumentiert; meist vollkommen ohne jede Mathematik, oder allenfalls mit ein paar Formeln, die so etwa auf Mittelstufen-Schulniveau umgeformt werden. Es kommt irgendein Ergebnis heraus, das irgendwie interessant aussieht (meist passt irgendein Rechenergebnis irgendwie zu einer Naturkonstante) – voila, fertig ist die Theorie.
Mit echter Physik hat das, wie ich dann in den Kommentaren immer wieder betone, leider nichts zu tun. Jede, die Physik betreibt, weiß, dass Physik zu einem guten Teil darin besteht, Dinge detailliert zu berechnen, Modelle zu quantifizieren, und dann Konsequenzen daraus abzuleiten. Dabei sind sich Physikerinnen – anders als die Kommentatorinnen, die hier ihre Ideen posten – immer der Tatsache bewusst, dass ihre Theorie nicht mit dem, was wir wissen, im Widerspruch stehen darf. (Und um das beurteilen zu können, muss man eben das wissen, was wir heute wissen – ohne eine solide Ausbildung in Physik ist es vermutlich schwer zu sehen, wie physikalische Theorien durch zahlreiche Experimente abgesichert und bestätigt sind – ein Beispiel findet ihr hier.)
Aber es gibt wohl noch einen anderen Grund, warum Physik nicht unbedingt viel mit dem zu tun hat, was sich viele nicht-Physikerinnen darunter vorstellen: Populärwissenschaftliche Darstellungen. Ich mache das heute mal an einem Beispiel fest, über das ich gerade gestolpert bin.
Dazu betrachten wir einmal die Geschichte der Atomtheorie. (Andere Aspekte werde ich demnächst anderweitig nochmal aufgreifen, aber vermutlich erst nach meinem Urlaub.)
Ende des 19. Jahrhunderts, noch bevor die Atomtheorie wirklich vollkommen anerkannt war, wusste man schon, dass Atome (wenn es sie denn gibt) Bestandteile haben müssen, als 1897 das Elektron entdeckt wurde. Da man Elektronen aus normaler Materie herausschlagen kann, müssen sie vorher drin gewesen sein, also müssen sie Bestandteil von Atomen sein . Elektronen kann man einigermaßen direkt sehen – weil sie geladen sind und sich wegen ihrer geringen Masse leicht beschleunigen lassen, kann man sie auf einen fluoreszierenden Schirm aufprallen lassen, wo sie Lichtsignale erzeugen. (Das ist ja auch das Prinzip von Röhrenfernsehern.)
Mit der Entdeckung von Elektronen war dann aber auch klar, dass der “Rest” eines Atoms auch irgendeinen Aufbau haben musste.Atome sind insgesamt meist elektrisch neutral (außer bei Ionen), da Elektronen negativ geladen sind, musste es also auch noch irgendeine positive Ladung im Atom geben. Heute wissen wir, dass die positive Ladung im Atomkern sitzt und dass dieser sehr klein ist. Wir wissen auch, dass jedes Atom gerade so viele Elektronen enthält, wie seiner Ordnungszahl im Periodensystem entspricht.
Ende des 19. Jahrhunderts war das beides aber unbekannt – eigentlich wusste man nur, dass es Atome (vermutlich) gibt, dass sie sich im Periodensystem anordnen lassen und dass sie Elektronen enthalten mussten. Außerdem hatte man erste Erkenntnisse zur Radioaktivität. Wie konnte man aus diesem Wissen ein Atommodell bauen?
In den meisten populärwissenschaftlichen Büchern (und wohl auch in Schulbüchern) wird jetzt kurz das Thomsonsche Atommodell erläutert. Thomson nahm an – so lesen wir meist – dass die Elektronen in einem gleichmäßig positiv geladenen Medium steckten, das kontinuierlich war. Man nennt es deswegen auch gern Rosinenkuchen-Modell, weil die kleinen deutlich unterscheidbaren Eektronen wie Rosinen in einem Teig aus positiver Ladung sitzen. Dieses Thomsonsche Modell wurde dann so um 1910 herum durch das Rutherfordsche Atommodell ersetzt, als die durch Streuexperimente erkannte, dass es einen sehr kleinen Atomkern geben musste.
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