Klingt ja irgendwie nett – Thomson saß vermutlich eines nachmittags beim Kuchenessen, schaute auf ihren Rosinenkuchen und dachte “Hey, so könnte ein Atom aufgebaut sein.” Dann setzte sie sich an den Schreibtisch, schrieb die Idee auf und veröffentlichte sie. Die anderen Physikerinnen lasen die Theorie, dachten “klingt ja toll”, und alle waren zufrieden, bis das Rutherford-Experiment das Modell widerlegte. So ungefähr ist der Eindruck, den man haben könnte. (Und so ungefähr scheinen auch die “Theorien” zu entstehen, die Leute hier im Blog verbreiten wollen.)
Nebenbemerkung: Ähnlich liest man das auch oft über Einsteins allgemeine Relativitätstheorie: Einstein dachte darüber nach, dass man beim Fallen schwerelos ist, machte das Äquivalenzprinzip draus und – schwupps – die ART war fertig. Real dauerte es etwa 8 Jahre von der Idee des Äquivalenzprinzips bis hin zur Theorie. Warum? Weil Einstein das gemacht hat, was auch Thomson getan hat (wie wir gleich sehen werden): Rechnen.
Die Wahrheit ist allerdings vollkommen anders. Dazu schauen wir einmal in die Originalarbeit. (Ich hoffe, ich gebe im folgenden alles korrekt wieder – es ist nicht immer leicht, sich in jemanden hineinzuversetzen, die vor über 100 Jahren Physik betrieben hat.) Thomson hat sich nämlich deutlich mehr Gedanken gemacht als bloß das. Im ersten Atommodell (das allerdings relativ schnell durch ein anderes ersetzt wurde – aber wir gucken heute nur das Originalmodell an) nahm sie an, dass die positiv geladene Materie im Atom selbst keine Masse hatte. Entsprechend musste jedes Atom eines Elements aus sehr vielen Elektronen bestehen. Da Atome stabil sind, müssen diese vielen Elektronen also in einer Konfiguration angeordnet sein, die energetisch günstig und stabil ist. Wie könnte so eine Konfiguration aussehen?
Da die Rechnung in drei Dimensionen sich als zu schwierig erwies, baute Thomson ein vereinfachtes Modell, um zumindest zu sehen, ob sich prinzipiell vernünftige Ergebnisse erzielen ließen:
The analytical and geometrical difficulties of the problem of the distribution of the corpuscles when they are arranged in shells are much greater than when they are arranged in rings, and I have not as yet succeeded in getting a general solution.
[die analytischen und geometrischen Schwierigkeiten des Problems der Verteilung der Korpuskel, wenn sie in Schalen angeordnet sind, sind wesentlich größer als bei einer Anordnung in Ringen und ich habe bisher keinen Erfolg gehabt, eine allgemeine Lösung zu finden.]
Thomson ordnete also die Elektronen in Ringen innerhalb einer Kugel aus positiver Ladung an. Eine Anordnung von z.B. 6 Elektronen, die auf den Ecken eines Sechsecks sitzen, ist stabil, wenn das Sechseck genau die richtige Größe hat. Allerdings ist die Stabilität bei 6 Elektronen labil – die kleinste Auslenkung eines Elektrons führt zu einem Zusammenbruch des Systems. Thomson berechnete die Stabilität des Rings für Anordnungen von 2-6 Elektronen, wobei sie jeweils auch die Möglichkeit betrachtete, dass die Elektronen nicht still stehen sondern sich auf kreisförmigen Bahnen bewegen. (Diese Rechnungen ziehen sich über mehr als 10 Seiten und machen einen Großteil der Arbeit aus, einschließlich diverser numerischer Lösungen, und das alles ohne Taschenrechner…) Tatsächlich ist eine solche Bewegung für stabile Konfigurationen in den meisten Fällen notwendig – die Elektronen rotieren also um das Zentrum des Atoms.
Nun sollen Atome ja sehr viele Elektronen enthalten – aus Thomson Rechnungen folgt aber, dass ein Ring aus mehr als 6 Elektronen nicht stabil sein kann. Also ordnete Thomson die Elektronen in mehreren Ringen an, zusätzlich eventuell noch mit einem weiteren Elektron in der Mitte. Daraus entwickelte Thomson dann eine allgemeine Formel, mit der man vorhersagen kann, wie viele Elektronen man mindestens braucht, um eine bestimmte Anzahl Elektronen auf einem Ring unterzubringen. Die Elektronen innerhalb dieses Rings ordnen sich dann auch wieder in Ringen an.
Hat man beispielsweise 25 Elektronen unterzubringen, dann braucht man 3 Ringe (“3 Ringe den Elektronen tief in der positiven Ladung…” oder so ähnlich), einen mit 13 Elektronen außen, darin einen mit 9 und darin einen mit 3 Elektronen. (Ich hatte bisher keine Ahnung, dass damit schon in gewisser Weise das Bohrsche Atommodell mit seinen Elektronenschalen vorweggenommen war, wenn auch in ganz anderer Weise.)
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