Insgesamt ist Thomsons Modell ziemlich beeindruckend. Mit nur wenigen Annahmen konnte sie eine ganze Menge Dinge plausibel erklären – insbesondere die Struktur des Periodensystems konnte zumindest prinzipiell plausibel gemacht werden. Allerdings muss man auch sagen, dass das Modell seine Schwächen hat – die Rechnungen wurden eben nur für den zweidimensionalen Fall gemacht, bei dem die Elektronen auf Ringen umlaufen, so dass ein direkter Abgleich mit dem Experiment nicht möglich war. Trotzdem diente es doch für eine ganze Weile als taugliches Atommodell (auch wenn einige Veränderungen notwendig wurde als man erkannte, dass ein Atom deutlich weniger Elektronen enthält als Thomson ursprünglich dachte – dafür wurde dann die positive adung als massebehaftet angenommen).
Was können wir heute daraus lernen?
Das Thomson-Modell war insofern ein gutes Atommodell, als es von Annahmen ausging, die mit allem vereinbar waren, was man damals sicher wusste. Es war auch insofern ein gutes Modell, weil es genau definierte Annahmen enthielt, die es erlaubten, zumindest modellhafte Rechnungen durchzuführen. (Ohne diese Rechnungen hätte Thomson ja auch nicht nachweisen können, dass die Theorie prinzipiell gut zum Periodensystem passt.)
Man kann dem Modell natürlich ankreiden, dass es eben nicht wirklich für den Fall von Elektronen auf dreidimensionalen Schalen berechnet wurde – aber letztlich ist das ja nicht die Schuld von Thomson. Wenn die Natur nun mal aus Teilchen aufgebaut ist, die sehr komplexes Verhalten zeigen, dann kann es eben sein, dass man eine Theorie zwar hinschreiben, aber nicht lösen kann. (Das Problem hat ja zumindest teilweise die Theorie der Quarks und Gluonen.) Im Rahmen ihrer Möglichkeiten hat Thomson das gezeigt, was eben ging. (Hätte Thomson schon Computer gehabt, hätte sie das System vermutlich numerisch simulieren können.)
Weiterhin wurde das Modell später widerlegt. (Rutherford hat übrigens auch ein “bisschen mehr” gemacht als nur zu sagen “Oh, wenn einige Teilchen beim Bestrahlen einer Goldfolie sehr stark abgelenkt werden, dann muss da wohl ein sehr kleines Teilchen im Atom sitzen” – auch hier ist die Arbeit voll mit detaillierten Rechnungen.) Auch das ist eine Stärke des Modells – es macht genügend spezifische Vorhersagen, dass man es durch Experimente widerlegen kann. Und das liegt eben daran, dass das Modell sauber formuliert wurde und innerhalb des Modells genau klar war, wie sich die einzelnen Elektronen verhalten.
Falls ihr also eure eigene Theorie aufstellen wollt, wie die Welt funktioniert, lernt von Thomsons Modell, obwohl oder gerade weil es sich am Ende als falsch herausstellte:
1. Sind die einzelnen Bestandteile eures Modells und deren Verhalten wohldefiniert? Habt ihr Gleichungen dafür, was die Modellbestandteile tun und wie sie sich verhalten? Wisst ihr, wie das Verhalten der Bestandteile mit Messgrößen zusammenhängt? Vage Ideen wie “Die Welt besteht aus Raumzeitwirbeln” oder “Die Raumzeit ist in Wahrheit ein dynamisches Punktgitter” sind keine Theorie, sondern genau das: vage Ideen.
2. Habt ihr die Konsequenzen des Modells durchgerechnet? Ich bekomme ständig mails der Art “Ich habe hier ne tolle Theorie, wie die Welt funktioniert, aber leider fehlt mir die Mathematik, um sie durchzurechnen und zu beweisen, dass sie stimmt.” Tja – solange ihr nicht berechnet habt, was die Konsequenzen eurer Theorie sind, taugt sie recht wenig.
3. Ist eure Theorie konsistent mit dem, was wir wissen (und wir wissen ne Menge, siehe oben)? Thomsons Modell wäre sicher nie akzeptiert worden, wenn es nicht so gut zum Periodensystem und den bekannten Eigenschaften der Atome gepasst hätte (auch wenn die Übereinstimmung nur qualitativ war).
4. Gibt es offensichtliche Schwachstellen oder Lücken (sowie die Bindung gleichartiger Atome bei Thomson oder auch die Ideen zur Radioaktivität, die doch ein bisschen problematisch erscheinen)? Darüber solltet ihr nachdenken und diese Schwachstellen auch deutlich erwähnen.
5. Selbst wenn eure Theorie durchgerechnet ist und einigermaßen vernünftig aussehende Vorhersagen macht (so wie die von Thomson) – sie kann immer noch falsch sein. In den Worten von Huxley:
the great tragedy of Science — the slaying of a beautiful hypothesis by an ugly fact
Kommentare (146)