Im ersten Teil dieses Textes habe ich ein bisschen darüber nachgedacht, wie wir makroskopische Objekte “sehen” können. Schon da zeigte sich, dass “Sehen” nicht einfach ein passiver Prozess ist, sondern dass “etwas sehen” auch bedeutet, dass wir eine Theorie über das Gesehene haben. Bei makroskopischen Dingen wie meinem Kirschbaum ist das auch noch ganz einsichtig – den kann ich immerhin auch anfassen und mich so davon überzeugen, dass er da ist. Aber wie “sieht” man eigentlich Dinge wie Atome?
Atome
Heutzutage zweifelt vermutlich kaum jemand daran, dass es Atome gibt. “Sehen” kann man Atome allerdings nicht ohne weiteres. Inzwischen gelingt das z.B. mit der Raster-Kraft-Mikroskopen, dabei kann man durch Abtasten einer Oberfläche tatsächlich Bilder einzelner Atome erzeugen (ein Beispiel findet ihr hier an der Uni Regensburg). Auch dabei “sieht” man die Atome natürlich nicht – man misst kleine Ströme, die von einer Nadel ins Material fließen und rechnet diese dann zu einem Bild um. “Sehen” kann man Atome ohnehin nicht, da sie deutlich kleiner sind als die Wellenlänge des sichtbaren Lichts.
Aber so oder so – die Existenz von Atomen galt als gesichert, lange bevor es Raster-Kraft-Mikroskopie gab. (Einen Abriss der Entdeckungsgeschichte findet ihr bei Wikipedia.) Die Überlegungen dazu waren zunächst rein theoretisch – sie basierten zum einen auf der Analyse chemischer Reaktionen, bei der man feststellte, dass die einzelnen Substanzen immer in genau festgelegtem Verhältnis reagierten, was sich leicht erklären ließ, wenn man annahm, dass sich Moleküle aus diskreten Bausteinen zusammensetzten, und zum anderen auf der Analyse des Verhaltens von Gasen, bei der man zeigen konnte, dass man Dinge wie Druck erklären konnte, wenn man annahm, dass Gase aus kleinen Teilchen bestehen. Interessanterweise erzählt Wikipedia (wusste ich auch nicht)
Infolge der Arbeiten von Avogadro und Stanislao Cannizzaro wurde angenommen, dass Atome nicht als einzelne Teilchen auftreten, sondern nur als Bestandteile von Molekülen aus mindestens zwei Atomen.
Das stellte sich dann später als Irrtum heraus – aber es zeigt, dass man schon damals bereit war, die Möglichkeit zu akzeptieren, dass sich elementare Objekte nicht einzeln beobachten lassen (so wie heute die Quarks, auf die ich dann noch im 3. Teil komme).
Einen weiteren Beleg für die Existenz von Atomen lieferte Einstein mit ihrer Theorie zur Brownschen Molekularbewegung (wobei Einstein anscheinend das Phänomen als solches nicht kannte – es taucht in der Dissertation nicht auf, soweit ich sehen kann) – sie berechnete, dass kleine Teilchen in einer Flüssigkeit durch äußere Stöße eine Zitterbewegung machen sollten, weil Atome nicht immer von allen Seite gleichmäßig gegen die Teilchen stoßen. Auf der Basis dieser Theorie konnte die Größe und Masse von Atomen berechnet werden, wobei die Ergebnisse mit dem übereinstimmten, was man aus der Gastheorie ableiten konnte. Auf diese Weise gab es also zwei unabhängige Messungen, die zusammenpassten, so dass ab diesem Zeitpunkt die Atomhypothese zur anerkannten Theorie wurde.
Gesehen hatte Atome aber immer noch niemand. Als echte “Sichtbarmachung” von Atomen können wohl am ehesten die Experimente von Bragg zur Streuung von Röntgenstrahlung gelten – dort ergaben sich Beugungsmuster, die man am einfachsten durch eine regelmäßige Anordnung von Atomen erklären konnte. (Und die quantitative Analyse des Problems war kein Spaß, denn Bragg musste ja aus den Beugungsbildern auf die Anordnung zurückrechnen. Die Geschichte dazu habe ich hier ausführlicher erzählt.)
Wir können also sagen, dass Atome so um 1920 herum als Objekte galten, von denen man wusste, dass sie da sind. Gesehen hatte sie aber niemand – alle Hinweise auf Atome waren mehr oder weniger indirekt.
Die Logik allerdings ist letztlich nach wie vor dieselbe: Wir beobachten bestimmte Phänomene (chemische Reaktionen, Verhalten von Gasen, Zitterbewegung von kleinen Teilchen, Röntgenbeugung), verwenden die uns zur Verfügung stehenden Theorien (beispielsweise Thermodynamik, Mechanik, Theorie der elektromagnetischen Wellen) und schließen aus Beobachtung und Theorie auf die Existenz von Atomen. Obwohl das ganze etwas indirekter ist als zum Beispiel bei den Ultraschallbildern, ist die Logik dahinter dieselbe geblieben: Ein Objekt gilt dann als nachgewiesen, wenn die Existenz des Objektes die einfachste Erklärung ist, die mit den beobachteten Daten und den gültigen Theorien vereinbar ist.
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