Die Geschichte des Neutrinos begann 1930. Man verstand die Atomkerne inzwischen gut genug, um zu wissen, dass sie bei radioaktiven Prozessen zerfallen können und dass man die Eigenschaften der Zerfallsprodukte genau messen konnte. Beim sogenannten beta-Zerfall zerfällt ein Atomkern in einen anderen Kern und ein Elektron (beispielsweise zerfällt das Kohlenstoffisotop C14 in ein Stickstoffisotop N14). Misst man aber die Energien (wobei man natürlich die Massen der beteiligten Objekte über E=mc² mit einbeziehen muss), dann stellt man eine Energiedifferenz fest – bei einigen Zerfällen ist die Energie fast erhalten, bei anderen fehlt am Ende deutlich Energie. Ähnliches galt auch für den Impuls von Ausgangs- und Endprodukten: Auch hier war die Impulserhaltung manchmal (fast) erfüllt, manchmal aber fehlte deutlich Impuls. Und schließlich konnte man inzwischen auch den Drehimpuls (spin) der Teilchen messen – auch da passte etwas nicht zusammen.
Niels Bohr (immer für eine revolutionäre Idee gut) postulierte, dass die Energie- und Impulserhaltung auf Quantenebene vielleicht generell nur im statistischen Mittel gelten müssten (so wie ja Quantenprozesse generell dem Zufall unterliegen), aber Wolfgang Pauli hatte eine andere Idee: Was wäre, wenn es ein leichtes, elektrisch neutrales Teilchen gäbe, das bei der Reaktion aus dem Kern freigesetzt wird? Das Teilchen könnte den fehlenden Impuls und die fehlende Energie wegtragen (und auch die Drehimpulserhaltung in Ordnung bringen) – und je nachdem, wie sich die Größen auf die jetzt drei End-Objekte verteilen, würde es eben mal mehr, mal weniger Energie und Impuls abbekommen. (Leider ist Paulis “Open letter to radioactive persons”, in dem die Idee verbreitet wurde, anscheinend nicht online verfügbar, insofern kann ich nicht schauen, was sie ganz genau zu diesem Zeitpunkt wusste.)
Genauere Messungen der Energieverteilung beim beta-Zerfall zeigten jedenfalls, dass Paulis Idee des Neutrinos die Daten gut erklären konnte, weil es nie vorkam, dass die Energie beim Zerfall zunahm (was nach Bohrs Theorie prinzipiell hätte möglich sein müssen). Soweit ich sehe, hatte das Neutrino seit Mitte der 30er Jahre damit seinen festen Platz in der Physik – obwohl es überhaupt noch nie direkt nachgewiesen worden war.
Dieser Nachweis gelang erst 20 Jahre später. Beim Cowan–Reines Neutrino Experiment wurden Neutrinos (eigentlich Anti-Neutrinos) aus einem Kernreaktor auf einen Wassertank geleitet. Im Wassertank konnte dann ein Proton (der Kern eines Wasserstoffatoms) ein Neutrino absorbieren und sich dabei in ein Neutron und ein Positron umwandeln. Das Positron wiederum findet sein Antiteilchen, ein Elektron, wobei zwei Photonen entstehen, die man dann detektieren kann. Zusätzlich wurde noch Cadmium verwendet, um die freien Neutronen nachzuweisen. (Für das Experiment gab’s 1995 den Nobelpreis – besser spät als nie.)
Hier sind wir jetzt langsam im Bereich der modernen Elementarteilchenphysik – der Nachweis ist ziemlich indirekt und letztlich kann man bei einem einzelnen Messereignis nie sagen, ob es tatsächlich durch ein Neutrino aus dem Reaktor ausgelöst wurde oder durch etwas anderes. Entsprechend maß man eine Zeit lang und schaltete dann den Reaktor ab, um sozusagen den natürliche Hintergrund an Ereignissen herauszufiltern.
Entscheidend war übrigens auch hier nicht die reine Messung, sondern der Versuch, die Messung mit der Theorie in Einklang zu bringen. Inzwischen war die Elementarteilchen-Theorie weit genug fortgeschritten, dass man die Wahrscheinlichkeit dafür berechnen konnte, dass ein einzelnes Neutrino aus dem Reaktor im Detektor eingefangen werden konnte. Ein Vergleich der theoretischen Vorhersage mit dem Messwert gab eine Übereinstimmung mit einem Fehler von etwa 5%.
Heutzutage messen wir Neutrinos regelmäßig und in diversen Experimenten. Der Nachweis der Neutrinos ist aber immer indirekt – denn da sie nicht elektrisch geladen sind, kann man sie nicht sehen und auch ein Beschießen mit anderen Teilchen funktioniert – anders als z.B. beim Atomkern – nicht. Trotzdem zweifelt unter den Physikerinnen vermutlich niemand an der Existenz der Neutrinos – es gibt zahlreiche unterschiedliche Experimente, die alle mit der Annahme, dass es Neutrinos gibt, unter einen Hut gebracht werden können.
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