Neutrinos (und andere Elementarteilchen) fügen also weitere Abstraktionsebenen zum “Sehen” hinzu- wir messen nicht mehr die Objekte selbst, sondern das, was bei ihrer Wechselwirkung mit anderen Objekten herauskommt, und wir betreiben Statistik, um den tatsächlichen Nachweis zu führen.
Auch das kennen wir in ähnlicher Form aus dem Alltag – beispielsweise detektieren wir verdorbene Lebensmittel an den freiwerdenden Zerfallsprodukten – wenn es irgendwo nach faulen Eiern stinkt, dann schließen wir eben genau auf deren Anwesenheit (nicht unbedingt verlässlich, es könnte auch eine Stinkbombe oder ähnliches dahinter stecken). Aus radioaktiven Zerfallsprodukten wurde, wenn ich mich recht erinnere, auf die Reaktorkatastrophe in Tschernobyl zurückgeschlossen, als die sowjetischen Nachrichten sich noch ausschwiegen. Holzkrümel unter einem Balken können auf den Befall mit Holzwürmern hindeuten, auch ohne dass man die Würmer (die eigentlich Käfer sind und nur so heißen) sehen kann. Alles Fälle, in denen wir durch Abfall- oder Zerfallsprodukte bemerken, dass da etwas ist, das wir nicht sehen können.
Auch der Nachweis über eine statistische Beobachtung ist uns aus dem Alltag vertraut. Wenn ich zum Beispiel mit der Straßenbahn aus der Innenstadt nach Hause fahre und die Straßenbahn ungewöhnlich voll ist, dann mag das Zufall sein. Auch wenn ein Großteil der Leute, die mit mir in der Straßenbahn sitzen, komische blau-gelbe Schals oder sonstige Klamotten in diesen Farben tragen, ist das theoretisch durchaus durch Zufall erklärbar – wenn es aber extrem voll ist und extrem viele derart seltsam gekleidete Leute sich mit mir in der Bahn drängen, dann schließe ich daraus “Aha, da ist wieder irgendso ein Wettbewerb im Kugeltreten” (das kommt hier in Braunschweig ab und zu vor) – diese Annahme ist eben wesentlich wahrscheinlicher als die, dass es sich um puren Zufall handelt.
Und obwohl der Nachweis der Neutrinos so indirekt ist, können wir Neutrinos inzwischen sogar nutzen, um zum Beispiel das Innere der Sonne zu erforschen. Das ist schon eine ziemlich indirekte Methode, um etwas herauszufinden – aber auch hier wie bisher gilt dasselbe Prinzip: Wir schließen auf etwas zurück, wenn dessen Existenz die einfachste Erklärung ist, die zu unseren Beobachtungen und unseren etablierten Theorien passt. Und obwohl die Techniken zum Nachweis immer indirekter werden, ist die Logik dahinter letztlich nur die konsequente Weiterentwicklung der gleichen Logik, mit der ich meinen Kirschbaum im Garten nachweise, indem ich aus dem Fenster schaue.
Im dritten Teil schauen wir dann schließlich auf Objekte, die sich noch etwas besser verstecken – beispielsweise Quarks, die sich schlicht weigern, sich auch nur isolieren zu lassen.
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