Wenn wir in der Technik komplexe Dinge zusammensetzen, dann fertigen wir zunächst mal Einzelteile, transportieren die an ihren Bestimmungsort und setzen sie dort zusammen. Denkt beispielsweise an ein Stahlgerüst auf einer Baustelle – niemand würde auf die Idee kommen, die Stahlträger vor Ort herzustellen. Skelette dagegen werden anders gebaut, nämlich direkt vor Ort. Knochenbau-Zellen (Osteoblasten genannt) lagern sich an einem bereits vorhandenen Knochenelement an und scheiden eine Kollagenmatrix und ein paar Enzyme aus, die dafür sorgen, dass das Kollagen mit einer Keramik verstärkt und zu Knochen wird. (Details zum Knochenbau habe ich hier beschrieben.) Ähnlich ist es auch bei anderen Tieren, die eine skelettartige Struktur haben, auch dort werden die Komponenten direkt vor Ort quasi in einem Schritt gefertigt und direkt eingebaut.
Es gibt allerdings eine Ausnahme: Schwämme. Schwämme haben ein Skelett, das aus nadelförmigen Bausteinen besteht, die Spicula genannt werden. Die Spicula bestehen aus Kalziumcarbonat (so wie auch Muschelschalen) oder aus Siliziomoxid. Solche Spicula gibt es in vielen verschiedenen Formen und Anordnungen, hier mal ein Bild von Wikipedia:
“Demospongiae spicule diversity” by Rob W. M. Van Soest, Nicole Boury-Esnault, Jean Vacelet, Martin Dohrmann, Dirk Erpenbeck, Nicole J. De Voogd, Nadiezhda Santodomingo, Bart Vanhoorne, Michelle Kelly, John N. A. Hooper – Van Soest RWM, Boury-Esnault N, Vacelet J, Dohrmann M, Erpenbeck D, et al. (2012) Global Diversity of Sponges (Porifera). PLoS ONE 7(4): e35105. doi:10.1371/journal.pone.0035105. Licensed under CC BY 2.5 via Commons.
Ephydatia fluviatilis ist ein Schwamm, der zu den Hornkieselschwämmen gehört. Seine Spicula bestehen aus Siliziumdioxid – dem gleichen Material, das auch Sand oder Quarzkristalle formt. (Manchmal spricht man auch von Kieselsäure, aber an einem Siliziumdioxid ist nichts sauer, soweit ich sehe, weil es keine Protonen abgeben kann…) E. fluviatilis kann sich asexuell vermehren, indem er einen kleinen Klumpen Stammzellen abspaltet, die dann zu einem neuen Schwamm werden. (Achtung: Ich bin keine Schwammologin (oder wie die entsprechenden Expertinnen heißen) – insofern kann es durchaus sein, dass ich hier Dinge zu stark vereinfache oder etwas nicht ganz korrekt darstelle. Wie üblich übernehme ich keine Haftung, wenn ihr durch die Prüfung fallt, weil ihr Sachen aus diesem Artikel erzählt.)
An so einem neu entstehenden Mini-Schwamm kann man den Aufbau des Spicula-Skeletts gut studieren. Und genau das ist jetzt sehr detailliert geschehen. Die Spicula stecken in einer Verankerung aus Kollagen und ragen von dort aus nach oben, wo sie die äußere Hülle des Schwamms stützen. Diese Schema-Zeichnung zeigt, wie das in etwa aussieht:
Aus Nakayama et al., s.u.
Die länglichen Striche sind die Spicula, die Kleeblattartigen lila Dinger sind Zellen des Epithels (also der unteren Basis-Schicht an Zellen, sozusagen die Unterseite des Schwamms, wenn ich das richtig verstehe), und die roten Dinger kriegen wir später.
Die Spicula werden allerdings beim Schwamm nicht direkt da aufgebaut, wo sie gebraucht werden – das sieht man schon in der Schema-Zeichnung, wo ja viele Spicula nutzlos flach am Boden rumliegen. Vielmehr werden sie (von sogenannten Sclerocyten) erst hergestellt und erst dann an ihren Bestimmungsort transportiert. Nachdem sie dort angekommen sind, werden sie dann aufgerichtet, so dass sie den Schwamm stützen können.
Sehr schön kann man das in den Videos zum Paper sehen – leider ist es mir aber nicht gelungen, diese Videos zum Einbetten zu finden. Deshalb klickt ihr am besten einmal hier, um sie euch anzuschauen. Zur Not tut es aber auch dieses statische Bild aus dem paper:
Aus Nakayama et al., s.u.
Das Bild (oder das erste Video) zeigt den Aufbau der Spicula in einer Seitenansicht – man sieht (im Video) sehr schön, wie ein Spiculum erst durch die Gegend transportiert und dann aufgerichtet wird.
Im zweiten Video seht ihr den Transport der Spicula durch den Schwamm.Hier ein Bild, dass die Bewegung der Spicula zeigt – die Bahnen, auf denen sie transportiert werden, sind farbig markiert:
Aus Nakayama et al., s.u.
Dabei fällt auf, dass die Bewegung nicht besonders zielgerichtet ist, sondern eher stochastisch.
Im dritten Video seht ihr schließlich Zellen, die an so einem Spiculum drankleben:
Aus Nakayama et al., s.u.
Diese Zellen (das sind jetzt die roten Dinger oben aus dem Bild) sind quasi die Lastwagen im Schwamm – sie transportieren die Spicula von ihrem Entstehungsort ans Ziel. Zusätzlich richten sie die Zellen dann auch noch auf (wobei noch unklar ist, wie sie das genau machen).
Der gesamte Prozess wird im graphischen Abstract des papers sehr schön zusammengefasst:
Aus Nakayama et al., s.u.
Oben seht ihr den Anfangszustand, in der Mitte den Prozess des Skelettaufbaus. Die Zellen transportieren die Spicula und pieksen sie in die äußere Hülle des Schwamms. Anschließend wird jedes Spiculum dann an der Unterseite mit Kollagen einzementiert (von den lila Kleeblatt-Epithel-Zellen), damit es auch fest sitzt.
Warum die Schwämme ihr Skelett auf diese Weise aufbauen, ist unklar. Die Autorinnen spekulieren, dass dieser Aufbau es den Schwämmen leichter macht, sich an die Umwelt anzupassen. Schwämme wachsen je nach Umgebungsbedingungen in ganz unterschiedlichen Größen und Formen. Ein flexibles “Baukasten”-System, bei mal mehr und mal weniger stützende Spicula eingebaut werden können, würde den Schwämmen eine Anpassung an die Umwelt möglicherweise erleichtern.
Auf jeden Fall ist das Schwamm-Skelett damit die einzige bekannte Skelett-Struktur, die eher so aufgebaut wird, wie wir es in der Technik machen: Herstellen, Hintragen, Einbauen.
Nakayama et al., Dynamic Transport and Cementation of Skeletal Elements Build Up the Pole-and-Beam Structured Skeleton of Sponges, Current Biology (2015), https://dx.doi.org/10.1016/j.cub.2015.08.023
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