Ja, endlich geht’s heute mal wieder um Dinos. Und zwar ganz konkret um die Frage, wie weit ein Dinosaurier sein Maul aufreißen konnte. Das mag vielleicht ein bisschen albern klingen, ist aber durchaus interessant: Beim Tyrannosaurus zum Beispiel geht man davon aus, dass er mit seinem Maul zugepackt und dann an der Beute gerissen hat. Der Allosaurus mit seinen kleineren Zähnen und seinem vergleichsweise schwach aussehendem Unterkiefer hat dagegen – so die Vermutung – seinen Oberkiefer eher in die Beute hineingeschlagen und dann den Kopf zurückgezogen, ohne dabei kräftig zuzubeißen.

Falls ihr ein schickes Bild zum Vergleich der beiden Dinos haben wollt, könnt ihr hier klicken – wobei der hier dargestellte Allosaurus nicht die größte Art ist, die es gab. Dieses Bild zeigt verschiedene Allosaurier sowie Epanterias, einen Saurier, über den man nicht soo viel weiß, weil man nur ein paar Knochen kennt, der aber wohl ähnlich zum Allosaurus war:

Allosaurus size comparison.svg
Allosaurus size comparison” by Steveoc 86 Marmelad Scott Hartman, [2]. – File:Allosaurus size comparison.svg is an altered version of an image by User:Marmelad which inturn is a vectorized version of an image by User:Dropzink (seen to the right) . Licensed under CC BY-SA 2.5 via Commons.

Anhand der Knochen und Gelenke konnte man bereits sagen, dass das Kiefergelenk des Allosaurus dazu geeignet war, weit geöffnet zu werden. Aber zum Maulaufreißen gehört mehr als nur ein gelenkiger Kiefer, es gibt ja auch noch Muskeln, die den Kiefer auf- und zuklappen sollen.

Muskeln üben ihre Kraft dadurch aus, dass im Inneren des Muskels zwei Moleküle ineinandergreifen – ein Filament aus Actin und eins aus Myosin. Die Myosin-Moleküle haben kleine “Köpfe”, mit denen sie die Actin-Moleküle packen. Dann werden die Köpfe etwas zurückgezogen und wieder losgelassen, so dass das ganze von neuem beginnen kann. (Ist ein bisschen ähnlich wie beim Tauziehen). Auch wenn der Muskel seine Länge nicht ändert, müssen die Myosin-Köpfchen immer wieder loslassen und neu zupacken – das erklärt auch, warum es anstrengend ist, z.B. ein Gewicht auf konstanter Höhe zu halten, obwohl man ja physikalisch am Gewicht keine Arbeit leistet. Dieses Bild hier erklärt die Details (auf die ich jetzt aber nicht eingehe):

 

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Muskel-molekular“. Lizenziert unter CC BY-SA 2.5 über Wikimedia Commons.

Schöne Animationen zur Muskelkontraktion findet ihr auch bei HowStuffWorks.

Die Actin- und Myosin-Filamente liegen parallel zueinander. Dehnt man einen Muskel sehr weit, dann überlappen sich die Filamente nicht mehr und der Muskel kann keine Kraft ausüben. Das passiert etwa bei einer Dehnung von 70%. Schon vorher ist es aber so, dass nicht mehr alle Myosin-Köpfe auf ein Actin-Filament zugreifen können, so dass die maximale Kraft eines Muskels schon bei einer Dehnung von etwa 30% abnimmt.

Ein Tier kann also sein Maul maximal so weit aufreißen, dass die Muskeln um 170% gedehnt werden – danach ist dann Schluss, denn dann könnten die Muskeln das Maul nicht mehr zuklappen.

Wenn man also weiß, wo bei einem Tier die Muskeln am Kiefer sitzen und wenn man ihre Ruhelänge kennt (die dann um 70% gedehnt werden kann), dann kann man daraus ableiten, wie weit der Kiefer geöffnet werden kann, bevor die Muskeln nicht mehr mitspielen.

Die Muskeln von Dinos kann man einigermaßen gut rekonstruieren. Zum einen gibt es Ansatzpunkte an den Knochen (da wo die Muskeln oder Sehnen in den Knochen übergehen, treten Fasern vom Knochen in den Muskel oder die Sehne, die sorgen für eine rauere Oberfläche des Knochens an diesen Stellen), zum anderen gibt es ja auch die Evolution, die dafür sorgt, dass Muskeln in Tieren, die miteinander verwandt sind, typischerweise auch an ähnlichen Stellen sitzen. Eine Garantie ist das natürlich nicht, aber wenn es keine plausiblen Gründe gibt, etwas anderes anzunehmen, ist es durchaus sinnvoll, davon auszugehen, dass Muskeln, die bei Krokodilen und Vögeln ähnlich angeordnet sind, das auch bei Dinos waren, die evolutionär zwischen Krokodilen und heutigen Vögeln stehen.

Größtes Problem ist die Ruhelänge der Muskeln. Wenn ihr mal versucht, euren Kiefer einigermaßen zu entspannen (aber nicht soweit, dass der Mund aufklappt), dann merkt ihr, dass die Zähne im Ober- und Unterkiefer sich nicht ganz berühren. Der Kiefer steht also in der Ruhelage um ein paar Grad geöffnet. Wieviel Grad das sind, kann man allerdings bei Dinos schwer herausfinden. Deswegen wurde die Methode erstmal auf heutige Tiere angewandt – einen Alligator und einen Mäusebussard. Hier noch einmal die Verwandtschaftsverhältnisse der beteiligten Tiere:

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Aus Lautenschlager, s.u.

(Wie ihr seht, wurde auch noch ein Erlikosaurus angeschaut, ein pflanzenfressendes Mitglied der Gruppe der Raubsaurier:)

Die entsprechenden CT-Modelle wurden dann in das schöne 3D-Programm Blender eingeladen (kann ich sehr empfehlen, auch wenn die Bedienung gewöhnungsbedürftig ist, ich habe viele Bilder damit gemacht und nutze es manchmal auch, wenn ich irgendwelche Kristallstrukturen verstehen will), wo dann entsprechend “Muskeln” (die einfach als Zylinder modelliert wurden) eingebaut wurden. Dann wurden beim Alligator und beim Bussard unterschiedliche Ruhelängen ausprobiert – bei Öffnungswinkeln von 3°, 6° und 9°, und geschaut, welche maximalen Öffnungswinkel sich ergaben.

Vergleicht man die Werte mit der tatsächlich möglichen Maximalen Öffnung des Mauls (oder Schnabels), sieht man, dass der Wert von 9° vermutlich zu groß ist, damit ergeben sich zu große und unrealistische Öffnungswinkel. Also wurde bei den Dinos mit 3° und 6° gerechnet.

Hier seht ihr die berechneten Öffnungen bei einem “Ruhewinkel” des Mauls von 3°, links die Öffnung, die maximal möglich ist, wenn alle Muskeln innerhalb einer Dehnung von 30% bleiben sollen (so dass sie optimale Kraftaufbringung erreichen), rechts die Öffnung, bei der der erste Muskeln mehr als 70% gedehnt wird und deswegen nicht mehr korrekt arbeiten würde:

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Aus Lautenschlager, s.u.

Und hier dasselbe für einen Ruhewinkel von 6°

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Aus Lautenschlager, s.u.

Wie ihr seht konnte ein Allosaurus sein Maul schon ziemlich weit aufreißen – bei der größeren Ruhelänge der Muskeln konnte der Unterkiefer um mehr als 90° abgeklappt werden. Auch das Maul des T. rex öffnete sich ziemlich weit, aber nicht ganz so weit wie beim Allosaurus, während der pflanzenfressende Erlikosaurus wenig Grund hatte, das Maul aufzureißen.

Das passt insgesamt schon ganz gut zu der Idee, dass ein Allosaurus beim Beutemachen den Unterkiefer sehr weit aufriss, während der T. rex eher kraftvoll zubeißen konnte. (Die Bisskraft war ja auch sehr hoch.) Interessant ist auch, sich anzusehen, wie sich die einzelne Muskeln beim Öffnen des Kiefers verhalten. Dazu kann man die Dehnung des Muskels gegen den Öffnungswinkel auftragen (ich zeige hier nur das Bild bei 3° Ruhewinkel):

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Aus Lautenschlager, s.u.

Oben seht ihr den Allosaurus, unten den T.rex Es fällt auf, dass die Muskeln beim Allosaurus alle unterschiedlich stark gedehnt werden. bei T. rex liegen die Kurven ziemlich dicht zusammen (mit Ausnahme der beiden “Ausreißer” oben), die Muskeln hatten also bei einer bestimmten Kieferöffnung ähnliche Dehnungen. Das würde dem T. rex erlauben, mit einigermaßen konstanter Kraft über einen weitem Bereich zuzubeißen, sofern das Maul nicht zu weit geöffnet ist.

Insgesamt passen die Ergebnisse also gut zu dem, was man sich bisher aus Studien der Knochen und Gelenke überlegt hat. Und sie zeigen, dass zumindest fleischfressende Dinos ihr Maul ganz schön weit aufreißen konnten.

                              

Lautenschlager S. 2015
Estimating cranial musculoskeletal constraints in theropod dinosaurs. R. Soc. open sci. 2: 150495. https://dx.doi.org/10.1098/rsos.150495

Kommentare (11)

  1. #1 Norbert Ammermann
    Osnabrück
    16. November 2015

    Hallo Herr Martin B., schreibe gerade für CERN etwas als ev. Theologie über Quantenmachanik, Bewußtsein, Personalisierungskonzepte im Universum … können Sie mir helfen, wie ich an die Zusatzuntersuchungen zum Libet-Experiment von Tuss herankomme? Finde ihren Beitrag hochspannend; ich suche den Dialog auf der Ebene von Bewußtseinskonzepten und nicht mehr altertümlich bei der Gottesfrage. Viele Grüße Prof. Dr. Norbert Ammermann

  2. #2 MartinB
    16. November 2015

    Hallo Herr Ammermann
    1. Warum posten Sie den Kommentar nicht da, wo er hingehört (beim entsprechenden Artikel)?
    2. Mehr Infos dazu wird schwierig, da es sich um einen Aprilscherz handelt, den ich mir komplett ausgedacht habe. Der Artikel ist von Vorn bis hinten hanebüchener Unsinn.

  3. #3 Tom
    19. November 2015

    Hallo Martin,
    seit ich in den 90ern als Kind immer ein Dinosaurier-Heft gelesen habe, stelle ich mir folgende Frage: Wieso winkt auf den Größenskala-Bildern der Vergleichsmensch immer? Weißt du vielleicht, wer damit mal angefangen hat, den Menschen da mit winkender Hand darzustellen?

  4. #4 MartinB
    19. November 2015

    @Tom
    Also ich kenne auch Bilder mit nicht-winkenden Menschen, z.B.
    https://i.dailymail.co.uk/i/pix/2010/11/15/article-0-0C13307B000005DC-720_634x694.jpg
    Googlen nach “dino size compare” gibt viele Bilder wie das oben, die aber alle denselben Menschen verwenden.
    Auc in meinen Dino-Büchern, die ich früher (viel früher, bin ja schon alt) hatte, haben nicht alle gweunken, IIRC. Ob da irgendwann einer nen Trend gesetzt hat, weiß ich nicht.

  5. #5 mju
    19. November 2015

    Die Figur sieht für mich wie die Silhouette des Mannes auf der Pioneer-Plakette aus: https://de.wikipedia.org/wiki/Pioneer-Plakette

  6. #6 MartinB
    20. November 2015

    @mju
    Das hatte ich auch kurz überlegt, ganz identisch sind die beiden aber nicht, oder?

  7. #7 Tom
    20. November 2015

    Cool, das mit der Pioneer-Plakette war ein toller Hinweis, der Umriss passt schon ganz gut. (Und man sieht mal wieder, wie’s mit der Geschlechtergerechtigkeit steht: Der Prototyp des Menschen ist also der Mann…)

  8. #8 MartinB
    21. November 2015

    @Tom
    Ich erinnere mich, dass es ein Buch gab, wo als Größenvergleich eine Frau verwendet wurde, weiß aber nicht mehr, welches das war. (Leider sind bei einem Umzug fast alle meine Kinder-Dino-Bücher verloren gegangen.)

  9. #9 mju
    25. November 2015

    @MartinB: Ich habe mal die Figur von der Pioneer-Plakette aus der Wikipedia über die Figur aus dem Bild oben gelegt.
    https://imgur.com/57jXKZv
    Ich musste die Figur aus der Wikipedia etwas drehen, und es kann sein, dass ich Breite und Höhe nicht gleichmäßig skaliert habe, weil Gimp etwas zickig war. Aber für mich sieht das nach der gleichen Figur aus. Schwarz ist die Figur von oben, die schwarzen Linien sind die Figur aus der Wikipedia.

    Die minimalen Unterschiede am Unterschenkel könnten ja auch daher kommen, dass das Wikipedia-Bild ein SVG ist, also mit ziemlicher Sicherheit von jemandem nach dem Original erstellt wurde, und nicht selbst das Original ist.

  10. #10 mju
    25. November 2015

    Hier ist das Bild noch mal direkt, ohne nervige Seite drumherum:
    https://i.imgur.com/57jXKZv.png?1

    Sorry, das ist das erste Mal das ich einen Image Hoster benutze.

  11. #11 MartinB
    26. November 2015

    @mju
    Toll, das scheint dann ja zu passen.