Fische leben ja bekanntlich im Wasser. (Wieder einmal staunen Scienceblog-Leserinnen*, was man hier alles für sensationelle Neuigkeiten erfährt. Bevor jemand fragt, ja, das Wasser ist auch nass…) Aber das heißt nicht, dass Fische mit der Luft oberhalb des Wassers gar nichts am Hut haben.
*Ja, wieder im generischen Femininum, wie immer, Beschwerden wie immer als Kommentar hier.
Zum einen kommen von dort Vögel, die gern Fisch fressen – was die Fische selbst aber nicht so toll finden. zum zweiten können Fische auch selbst in die Luft springen und – wenn es fliegende Fische sind – sogar ein Stück durch die Luft gleiten. Und damit kommt ein wichtiges Gesetz der Optik ins Spiel – das Snelliussche Brechungsgesetz. (Eigentlich hieß Snellius mit Nachnamen “Snell”, aber sie veröffentlichte unter der lateinisch klingenden Namensvariante – war vermutlich cooler so.)
Das Phänomen der Lichtbrechung kennt ihr sicher alle (z.B. aus dem Schwimmbad) – ein Lichtstrahl, der ins Wasser fällt, wird abgelenkt. Dieses Bild zeigt das sehr schön:
„Optical refraction at water surface“ von Rainald62 – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Die Ursache für die Lichtbrechung ist, dass Licht in Materie langsamer läuft als im Vakuum. Weil die Frequenz sich aber nicht ändern kann (denn die einfallende Lichtwelle regt Elektronen zum Schwingen an, und erzwungene Schwingungen haben immer die Frequenz der Anregung), muss sich entsprechend die Wellenlänge im Medium verkürzen. Dass das zur Lichtbrechung führen muss, zeigt diese kleine Animation:
„Wave refraction“ von Dicklyon (Richard F. Lyon) – Eigenes Werk. Lizenziert unter CC BY-SA 3.0 über Wikimedia Commons.
Das Phänomen funktioniert natürlich auch in der Gegenrichtung – ein Lichtstrahl, der vom Wasser in Luft übertritt, läuft in der Luft unter einem flacheren Winkel weiter.
Das wirft natürlich die Frage auf, was passiert, wenn der Winkel, unter dem der Lichtstrahl auf die Grenzfläche zur Luft trifft, schon vorher sehr flach war – flacher als parallel zur Wasseroberfläche geht ja schlecht. Mathematisch äußert sich das darin, dass in der entsprechenden Formel sin(θ)>1 steht (dabei ist θ der Winkel), was ja schlecht geht.
Die Natur schummelt sich um das mathematische Problem elegant herum – der Lichtstrahl kommt einfach nicht mehr vom Wasser in die Luft, sondern wird an der Grenzfläche reflektiert, so dass er ins Wasser zurückgeworfen wird. Hier seht ihr noch einmal den Übergang von der Brechung zur Totalreflexion – der rote Strahl kommt so flach an die Oberfläche, dass er zurückgeworfen wird.
„Interne Reflexion (Schema)“ von Cepheiden in der Wikipedia auf Deutsch (Originaltext: Cepheiden) – Eigenes Werk (Originaltext: selbst gezeichnet). Lizenziert unter Gemeinfrei über Wikimedia Commons.
Dieser Trick wird übrigens auch ausgenutzt, um Lichtstrahlen innerhalb von Glasfaserkabeln zu halten – es wäre ja relativ unpraktisch, wenn man die nur gerade verlegen könnte. Aber in einem Glasfaserkabel wird ein innerer Kern aus einem Glas mit sehr hoher Brechzahl umgeben von einem Mantel mit niedrigerer Brechzahl, so dass ein Lichtstrahl im Inneren des Kerns bleibt, auch wenn er in einem Winkel auf die Grenzfläche trifft. (Das ist übrigens nicht bei allen Glasfasern der Fall – es gibt auch andere Bauformen wie “graded index” und “monomode”, aber das könnt ihr anderswo nachlesen.)
Falls ihr schon mal getaucht seid und dann nach oben geschaut habt, habt ihr das auch direkt beobachten können: Über euch konntet ihr den Himmel (oder das Dach des Schwimmbads oder was auch immer) sehen, aber wenn ihr schräg geguckt habt, dann saht ihr nur Reflexe aus dem Wasser, nicht mehr das, was darüber ist.
In diesem Bild hier wird der Effekt ausgenutzt, um die Taucherin optisch hervorzuheben, die oberhalb der Kamera im Wasser schwimmt:
“US Navy 110607-N-XD935-191 Navy Diver 2nd Class Ryan Arnold, assigned to Mobile Diving and Salvage Unit 2, snorkels on the surface to monitor multi” by U.S. Navy photo by Mass Communication Specialist 1st Class Jayme Pastoric. Licensed under Public Domain via Commons.
Fische erleben natürlich dasselbe Phänomen. Wen also ein Fisch nach oben in die Luft guckt, dann kann er nur Dinge sehen, die sich direkt oberhalb befinden – solche, die eher schräg vor ihm sind, sind am Rand dieses optischen runden “Fensters” nicht mehr zu erkennen. Dieses “Sicht-Fenster” wird auch “Snell-Fenster” genannt – zumindest im Englischen.
Fliegende Fische können dieses Phänomen ausnutzen: Sie fliegen ja nicht zum Spaß, sondern meist, um einem Angreifer zu entkommen. Und da sie das Wasser unter einem flachen Winkel verlassen, sind sie für einen verfolgenden Fisch nicht mehr zu sehen, sobald sie in der Luft sind.
Eine andere Fischart, die das Phänomen anscheinend ausnutzt, sind Hornhechte der Gattung Tylosurus. Diese verfolgen kleinere Beutefische und stoßen dann rapide zu. Dabei springen sie manchmal unter einem flachen Winkel aus dem Wasser in die Luft und stürzen dann direkt in den Schwarm der Beutefische. Für diese sind sie dabei wegen des Snell-Fensters nicht zu sehen.
Die Hornhechte haben dabei zwei unterschiedliche Angriffsmodi (Sozusagen Angriffsmuster Alpha und Beta): Entweder sie schwimmen relativ dicht (auf etwa 50cm) an die Beute heran und stoßen dann direkt unter Wasser zu, oder sie starten den Angriff aus der Luft, wobei sie Sprünge von bis zu zwei Metern Länge ausführen:
Aus Day et al., s.u.
Der Luftangriff hat also deutliche Vorteile – der Hornhecht ist noch relativ weit weg, wenn er ihn beginnt, so dass die Langreichweitenscanner Sinnesorgane der Beutefische ihn nur schwer wahrnehmen können. Trotzdem wird diese Angriffsform nicht immer eingesetzt – genaue Angaben über die Häufigkeit der beiden Muster und die jeweilige Erfolgsquote gibt es aber leider noch nicht. Entsprechend ist auch unklar, wie die Hornhechte entscheiden, welches Angriffsmuster sie einsetzen.
Allerdings ist meiner Ansicht nach etwas Vorsicht geboten, bevor man wirklich behaupten kann, dass die Fische hier den Effekt des Snell-Fensters aktiv ausnutzen: Immerhin ist es auch denkbar (und nicht unplausibel), dass sowohl die fliegenden Fische als auch die Hornhechte deswegen unter einem flachen Winkel aus dem Wasser springen, weil Springen unter einem steileren Winkel schwieriger ist und sie dazu schon im Wasser unter einem anderen Winkel auf die Wasseroberfläche zuschwimmen müssten. Es scheint mir also durchaus denkbar, dass die Fische zwar von diesem Effekt profitieren, dass aber keine Selektion in dieser Richtung stattgefunden hat. (Andersherum gedacht kann das auch bedeuten, dass es eben keine Selektion im Hinblick auf steilere Absprungwinkel gegeben hat, obwohl die zu einer größeren Reichweite beim Springen führen könnten – der Verlust des Snell-Fenster-Vorteils wog selektiv möglicherweise schwerer.)
So oder so – der Sprung der Hornhechte ist ein schönes Beispiel für das Zusammenspiel aus Physik und Biologie.
Ballistic Beloniformes attacking through Snell’s Window R. D. Day, F. Mueller, L. Carseldine, N. Meyers-Cherry und I. R. Tibbetts
Journal of Fish Biology (2015) doi:10.1111/jfb.12799
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