In der Schule habt ihr ja vermutlich alle mal die Newtonschen Gesetze auswendig lernen müssen.Heute interessiert mich vor allem das zweite Gesetz, das zumindest ich in der Form “Kraft ist gleich Masse mal Beschleunigung” gelernt habe. Klingt einfach – eine Größe namens “Kraft” ist das Produkt aus zwei anderen Größen. Manchmal wird diese Gleichung auch als “Definition der Kraft” bezeichnet (z.B. bei Leifi-Physik). Das ist nicht wirklich falsch, aber zumindest ein bisschen irreführend. Das zweite Newtonsche Gesetz ist in meinen Augen ein schönes Beispiel dafür, dass es nicht immer einfach ist, physikalische Gleichungen richtig zu interpretieren.
Anmerkung: Manchmal werden – so war es noch zu meiner Zeit – die Gesetze auch als “Axiome” bezeichnet (macht Leifi-Physik übrigens auch), was ein bisschen problematisch ist, weil es in der Physik selbst eigentlich keine Axiome gibt, alle Gesetze werden ja aus Experimenten abgeleitet. Der Begriff “Newtonsche Axiome” stammt, so wie ich es verstehe, aus einer Zeit, als die Bewunderung für Euklids Geometrie sehr groß war und als man mit dieser Sprechweise deutlich machen wollte, dass Newton für die Mechanik das geleistet hat, was Euklid für die Geometrie getan hat. Es gibt auch heutzutage Leute, die es schick finden, physikalische Theorien axiomatisch zu formulieren (beliebt z.B. in der Thermodynamik), aber in meinen Augen ist das zwar interessant, weil es einen zwingt, sich genau zu fragen, wie die einzelnen Gesetze einer Theorie zusammenhängen, aber es ist auch wenig praxisrelevant, weil man sich beim physikalischen Argumentieren immer die Gesetze greift, die gerade am besten funktionieren. Ein bisschen was dazu findet ihr auch in dieser Buchbesprechung. Sollte ich also irgendwann aus Gewohnheit von Newtonschen Axiomen sprechen, lasst euch nicht verwirren.
Dass es ein Problem mit der “Definition der Kraft” gibt, könnt ihr schon aus eurer Alltagserfahrung sehen: Nehmt z.B. eine (nicht zu harte) Nuss, legt sie auf den Tisch und dann drückt ihr langsam, aber mit immer mehr “Kraft” (im ganz gewöhnlichen Alltagsverständnis von Kraft) auf die Nuss. Irgendwann wird sie zerbrechen. Und das, obwohl alles – bis zum Bruch der Nuss – ganz langsam passiert ist. Da die Nuss sich nicht bewegt hat, wurde sie auch nicht beschleunigt. Da wir ganz langsam gedrückt haben, wurde gar nichts nennenswert beschleunigt, weder die Nuss, noch die Hand, noch der Tisch. Also gab es auch keine Kräfte, denn Kräfte gibt es ja – laut “Definition” – nur, wenn es auch Beschleunigungen gibt. Die Kraft auf die Nuss war also gleich Null, trotzdem ist sie zerbrochen. Huh?
Ich habe zugegebenermaßen wenig Ahnung von Physikdidaktik – aber ich kann mir sehr gut vorstellen, dass das hier einer der Momente ist, wo Schülerinnen* anfangen, Physik unverständlich zu finden und den Bezug zwischen Physik und Alltagserfahrung zu verlieren.
*Ja, wie immer alles in grammatikalisch weiblicher Form, Männer sind immer mitgemeint, ich hoffe, es regt niemanden mehr auf, ansonsten guckt ihr hier.
Geschwindigkeit und Beschleunigung
Um das mit der Beschleunigung und der Kraft ein bisschen klarer zu bekommen,müssen wir uns ganz klar darüber sein, was wir mit Geschwindigkeit und Beschleunigung eigentlich meinen. Betrachtet ein beliebiges Objekt, das sich irgendwie bewegen kann. Schön sind zum Beispiel Billard-Kugeln, wie ich sie gern abends beim Sport herumschubse. Meinetwegen könnt ihr aber auch an Fußbälle, Fahrräder oder Autos denken. Unser Objekt (die Kugel) soll sich jetzt bewegen. Und die Geschwindigkeit sagt zunächst mal, wie schnell es sich bewegt – beispielsweise in zwei Sekunden einmal von einer Seite des Snookertisches zur anderen, das sind 3,60Meter in zwei Sekunden oder 1,80Meter pro Sekunde.
Vornehm und etwas genauer ausgedrückt sagt uns die Geschwindigkeit, wie sich der Ort unseres Objekts mit der Zeit ändert. Wenn ihr mit eurem Auto 100km/h fahrt, und das für eine halbe Stunde, dann seid ihr eben hinterher 50km von eurem Anfangsort entfernt.
Oder auch nicht – Straßen sind nämlich selten gerade. Wenn ihr eine halbe Stunde auf dem Nürburgring mit 50km/h herumkurvt, seid ihr am Ende wieder da, wo ihr angefangen habt.
Deswegen berücksichtigt man bei der Geschwindigkeit in der Physik auch die Richtung, in die sich das Objekt bewegt: Eine Geschwindigkeit von 50km/h nach Norden ist etwas anderes als eine gleich große Geschwindigkeit nach Westen oder Süden.
Das zweite, was man bei der Geschwindigkeit bedenken muss, ist, dass die Geschwindigkeit sich ja auch ändern kann. In den Feynman Lectures erzählt Feynman die Geschichte einer Autofahrerin, die mit erhöhter Geschwindigkeit angehalten wird und die argumentiert “Ich kann gar nicht mit 60 Meilen pro Stunde gefahren sein, ich bin ja erst vor sieben Minuten losgefahren!” (Das Beeindruckende bei Feynman ist, dass er sich auch über solche scheinbar trivialen Probleme Gedanken macht…) Wir können die Geschwindigkeit zu einem bestimmten Zeitpunkt definieren, wenn wir schauen, wie sich der Ort in einer sehr kleinen Zeitspanne geändert hat. Wenn also das Auto eine Geschwindigkeit von 60 Meilen pro Stunde hat, dann bedeutet das eine Meile pro Minute oder 1/60 Meile pro Sekunde usw.
Die Geschwindigkeit sagt uns also, wie schnell sich der Ort “gerade jetzt” ändert. Sie hat einen Wert (z.B. 50km/h) und eine Richtung (z.B. nach Süden).
Wenn ihr mit eurem Auto oder Fahrrad beschleunigt, dann ändert ihr die Geschwindigkeit. (Ein Auto kann ja z.B. von Null auf 100km/h in 10 Sekunden beschleunigen.) Fahre ich mit 10 Meter pro Sekunde und eine Sekunde später mit 15Meter pro Sekunde (in dieselbe Richtung), dann hat sich meine Geschwindigkeit in einer Sekunde um 5 Meter pro Sekunde geändert, also habe ich eine Beschleunigung von 5(Meter pro Sekunde) pro Sekunde. Kurz geschrieben als 5m/s².
Auch wenn ich mit 50km/h konstant im Kreis fahre, ändert sich meine Geschwindigkeit, denn ich fahre ja in jedem Moment in eine andere Richtung. Auch hier werde ich also ständig beschleunigt, aber die Beschleunigung geht in eine andere Richtung als die Geschwindigkeit, so dass sich der Betrag der Geschwindigkeit (also die 50km/h) nicht ändert, wohl aber die Richtung.
Das erste Newtonsche Gesetz
Als nächstes schauen wir auf das erste Newtonsche Gesetz (ich nehme mal eine sehr einfache Formulierung):
Ein Körper, auf den keine Kräfte wirken, hat eine konstante Geschwindigkeit.
Das Gesetz klingt für uns heute gewohnt und vertraut – aber es war ein Bruch mit etwa 2000 Jahren Wissenschaftsgeschichte und mit der Alltagserfahrung. Denn aus dem Alltag wissen wir, dass Bälle, die wir werfen, oder Kugeln, die wir rollen, irgendwann anhalten und dass wir auch dann beim Fahrrad in die Pedale treten müssen, wenn wir mit konstanter Geschwindigkeit fahren wollen. (Wir sehen das später noch genauer.) Eigentlich war deshalb seit Aristoteles die “Impetus-Theorie” anerkannt – vereinfacht gesprochen haben Körper dabei ein Bewegungsvermögen, den Impetus, der beim Bewegen aufgezehrt wird. Wenn der Impetus alle ist, dann ist Schluss mit der Bewegung.
Aber Newton hatte ja seine Gesetze unter anderem aufgestellt, um die Bewegung der Himmelskörper zu verstehen und mit dem Gravitationsgesetz zu beschreiben. Und im All gibt es (nahezu) keine Reibung. Auf der Erde ist es in Wahrheit die Reibungskraft, die Objekte abbremst. Wenn ihr aber im All unterwegs seid und mit einer bestimmten Geschwindigkeit fliegt, dann behaltet ihr diese Geschwindigkeit bei. (Die Mondmissionen haben ja auch die Raketen am Anfang gezündet und sind dann ohne Raketenschub weitergeflogen.) An Objekten im All kann man also sehr schön sehen, dass das Gesetz gilt. (Wobei das Gesetz als Trägheitsgesetz zuerst von Galilei aufgestellt wurde, der hat es aus Experimenten abgeleitet.)
Gut, akzeptieren wir das einfach mal. Körper, auf die keine Kräfte wirken, haben also konstante Geschwindigkeiten. Denkt mal ein wenig drüber nach, dass das hier das erste Newtonsche Gesetz ist. Merkt ihr was?
Hmm, ja. Schon seltsam, oder? Was ist denn eine Kraft? Dazu sagt das erste Gesetz ja nichts, es sagt nur, dass Objekte dann ihre Geschwindigkeit beibehalten, wenn keine Kraft wirkt.
Aber was eine Kraft ist, soll uns ja das zweite Newtonsche Gesetz sagen: Kraft ist Masse mal Beschleunigung. Aus dem zweiten Gesetz können wir also schließen, dass ein Objekt nicht beschleunigt, wenn keine Kraft wirkt. Also ändert sich die Geschwindigkeit auch nicht, wenn keine Kraft wirkt.
Äääh, war das nicht der Inhalt des ersten Gesetzes? Dann ist das doch ziemlich überflüssig, oder? Irgendwas haben wir hier noch nicht so ganz richtig zusammengebracht.
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