Das Thema “Triggerwarnungen” taucht in letzter Zeit immer wieder mal auf, beispielsweise hier in der ZEIT. Aktueller Anlass für diesen Text hier war dann dieser Kommentar auf den Scienceblogs. Ich nehme das mal zum Anlass, ein paar persönliche Gedanken zum Thema in den Computer zu bringen.
Triggerwarnung: Text enthält Bezüge zu Krebserkrankungen und Chemotherapie
Erst einmal: was ist eine Triggerwarnung? Eine Triggerwarnung soll Menschen, die durch ein Ereignis in der Vergangenheit traumatisiert sind, davor warnen, dass ein Text oder Film sie mit ihrem Trauma konfrontieren könnte. Wer beispielsweise Opfer von Gewalt geworden ist, soll nicht unvorbereitet mit Texten, in denen Gewalt drastisch beschrieben wird, konfrontiert werden. Eine Triggerwarnung bedeutet allerdings nicht – auch wenn Josef Joffe im oben verlinkten ZEIT-Artikel etwas anderes suggeriert – dass der entsprechende Text dann an einer Universität nicht mehr gelesen oder diskutiert wird. Die Warnung ist eine Warnung, die es Menschen, die durch vergangene Ereignisse traumatisiert sind, ermöglichen soll, selbst zu entscheiden ob sie sich jetzt in der Lage fühlen, sich mit dem jeweiligen Thema auseinanderzusetzen oder ob sie dies z.B. auf einen Moment verschieben wollen, wo sie sich stärker fühlen. Ein Beispiel für eine Triggerwarnung seht ihr über diesem Absatz: In diesem Blogartikel werde ich gleich kurz etwas zu Chemotherapien schreiben – wenn ihr eine solche hinter euch habt, mag euch das sehr unangenehme Erinnerungen bescheren.
Vielleicht denkt ihr einmal kurz darüber nach, was für euch bisher besonders belastende Erfahrungen in eurem Leben waren. Bei mir war es besagte Chemotherapie, die sich über 4 Monate hinzog. Während einer Chemo fühlt ihr euch beschissen (sonst verwende ich ja im Blog selten Kraftausdrücke, aber hier gibt es kein treffenderes Wort). Um es mal analog zu Douglas Adams zu sagen: “Du glaubst vielleicht , du hast dich beschissen gefühlt, als du mal ne Woche lang jede nacht nur 4 Stunden geschlafen hast und total im Stress warst, aber das ist ein Klacks, verglichen mit einer Chemo.” Permanente Müdigkeit, extreme Sensitivität (am Ende mochte ich nicht mal mehr Wasserflachen aufdrehen, weil die Reibung des Deckels an der Hand weh tat), wenn mal zumindest ein teil einer Mahlzeit nicht ausgekotzt wird, dann ist das ein Triumph (aber übel ist euch trotzdem die ganze Zeit) – ach ja, die Angst, dass die Chemo vielleicht doch nicht anschlägt und ihr aus dieser Hölle nicht mehr lebend rauskommt, kommt dann noch obendrauf. Trotzdem schleppt ihr euch in jedem Behandlungszyklus wieder ins Krankenhaus und lasst euch dort mit fiesen Giften vollspritzen in der Hoffnung, dass die Gifte die Krebszellen schneller umbringen als den Rest von euch. (Die Tatsache, dass ich das hier schreiben kann, zeigt euch, dass das auch geklappt hat.) Nachtrag: In den Kommentaren weist omnibus56 darauf hin, dass Chemos nicht immer so heftig ablaufen und dass möglicherweise jemand diesen text liest und sich davon abhalten lässt, sich behandeln zu lassen. Bitte tut das nicht. Ja, eine Chemo kann schlimm sein – aber wenn eure Ärztinnen euch sagen, dass das eure beste (oder wie bei mir einzige) Chance ist, dann ignoriert das nicht leichtfertig. Chemo ist doof, aber Sterben ist noch deutlich doofer.
Euer Körper und euer Gehirn sind aber ja auch nicht völlig doof. Die merken sehr schnell die Zusammenhänge: Sobald ihr im Krankenhaus seid, geht es euch nach kurzer Zeit schlecht, sobald man euch an die Infusion anschließt (so etwa 4 Liter werden da pro Tag in euch reingepumpt), geht’s euch richtig mies. Und wie beim Hund vom Herrn Pavlov wird da schnell im Gehirn eine verbindung gezogen: im Krankenhaus riecht es immer nach diesem bestimmten Reinigungsmittel. Folglich wird einem irgendwann schon schlecht, wenn man nur dieses Mittel riecht, selbst wenn das Jahre später in einem ganz anderen Gebäude ist. Wenn ihr abends entspannt vor dem Fernseher sitzt und einen Film guckt, in dem es eigentlich um etwas ganz anderes geht, und in dem dann plötzlich jemand mit Krebs im Krankenhaus landet und an einem Tropf hängt, dann wird euch schlecht, der puls geht hoch, und vielleicht ist das auch ein guter Zeitpunkt, mal gerade in die Küche zu gehen (sowas ist dann wohl ein “panic room”). Da wäre es schon schön gewesen, vorher zu wissen, dass in diesem Film so etwas passiert, dann hättet ihr ihn zu einer anderen Zeit oder gar nicht gucken können.
Solche Assoziationen, die dann entsprechende Reaktionen auslösen, sind eure Trigger. Einige sind offensichtlich (Infusionen, Spritzen, besagter Krankenhausgeruch), einige weniger (ich hatte neulich eine Art Flashback in einem Krankenzimmer der gleichen Klinik, als ich das Fenster sah), einige ziemlich unvorhersagbar (bei mir zum Beispiel lange Zeit Thunfischpizza – die brauchte ich nur zu sehen und mir wurde elend).
Und obwohl so eine Chemo wahrlich nicht lustig ist, hat sie gegenüber anderen traumatisierenden Erlebnissen einen großen Vorteil: Die Menschen um euch herum sind euch alle wohlgesonnen, Ärztinnen, Krankenschwestern, Familienmitglieder, Freundinnen, alle sind um euch besorgt und hoffen, dass es euch besser geht, alle wollen euch helfen. Wie viel traumatisierender es sein muss, wenn das, was jemand erlebt (z.B. Gewalt) von einem Mitmenschen ausgeht, kann ich mir vermutlich nicht mal ansatzweise vorstellen.
So oder so – wenn also jemand sagt “es gibt Themen, da brauche ich eine Triggerwarnung”, dann kann ich das gut nachvollziehen. Ganz vermeiden kann man Trigger ohnehin nicht (Thunfischpizza?), aber warum sollte man sich nicht die kleine Mühe machen, auf die Möglichkeit eines solchen Triggers hinzuweisen, da, wo er ziemlich offensichtlich ist? Wer selbst nie erlebt hat, was es bedeutet, in so einer Weise “getriggert” zu werden, kann sich ja glücklich schätzen – aber warum soll man es Menschen, die ein Trauma überstanden haben (und gegen das, was andere erlebt haben, war meine Chemo dann ja noch harmlos), nicht ein klein wenig leichter machen und ihnen die Möglichkeit geben, selbst zu entscheiden, wann und wie sie sich mit Inhalten auseinandersetzen wollen, die sie triggern könnten?
In meinem Leben an der Uni gibt es nicht viel, womit ich Menschen triggern könnte (wissen kann man es natürlich nie – siehe die Thunfischpizza), dazu sind meine Werkstoffthemen ein bisschen zu physikalisch. Aber wenn ich in meiner Vorlesung “Biologische Materialien” Bilder von Spinnen zeige, die gerade Vögel fressen, dann warne ich vorher, nur für den Fall, dass jemand eine Spinnenphobie hat. Und auch vor dem Bild einer Kniearthrose warne ich lieber. (Ebenso, wenn ich bunte schnell wechselnde Bilder von Simulationen mit zellulären Automaten zeige – die können nämlich sogar direkt epileptische Anfälle triggern, wie ich mal irgendwo gelesen habe.) Aber vergeben tue ich mir durch diese Warnungen nichts. (Ich gebe zu, dass ich bei den ersten Vorlesungen an so etwas noch nicht gedacht hatte, aber irgendwann ist der Groschen gefallen.)
Bevor ihr euch also über Triggerwarnungen lustig macht – denkt einfach daran, wie ihr euch fühlt, wenn ihr unverhofft an das traumatischste Ereignis eures Lebens erinnert werdet. Und wenn euch das nicht so schlimm vorkommt, dann habt ihr vielleicht bisher schlicht Glück gehabt. Ein bisschen Rücksicht für den Fall, dass andere weniger glücklich waren, schadet aber sicher nicht. Und auch dieser Text hat durch die Triggerwarnung vorn ja nicht besonders viel verloren, oder?
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