Wieso bewegen sich eigentlich Objekte in der gekrümmten Raumzeit so, wie sie es nach der Newtonschen Physik in einem Schwerefeld tun? Wie kommen da dieselben Bahnen zustande, wenn in der ART Objekte kräftefrei in der Raumzeit unterwegs sind? Im ersten Teil der Serie haben wir gesehen, wie Objekte Schwerefelder erzeugen bzw. den Raum krümmen. Im zweiten Teil habe ich dann erklärt wie sich ein Teilchen in der Newtonschen Physik bewegt und wie eine Bewegung im gekrümmten Raum aussieht. Heute bringen wir dann alles zusammen und verfolgen den Weg eines Teilchens in der gekrümmten Raumzeit.

Nochmal die Krümmungen

Beim letzten Mal hatten wir gesehen, dass auf einer gekrümmten Fläche scheinbare Beschleunigungen auftreten, die schlicht daher kommen, dass sich das Koordinatensystem von Ort zu Ort ändert. Dieses Bild hier (aus einem alten Artikel) illustriert das noch einmal sehr schön:

Equirectangular-projectionCut

Ihr seht das übliche Koordinatennetz mit Längen- und Breitengraden. Der Abstand zwischen zwei Breitengraden ist immer gleich (111km – vom Äquator bis zum Nordpol sind es 10000km, zu teilen durch 90°). Der Abstand zwischen zwei Längengraden ist am Äquator auch 111km; aber je weiter man nach Norden kommt, desto kleiner wird er (und direkt am Nordpol ist er sogar Null). Beim letzten Mal haben wir gesehen, dass das dazu führt, dass der kürzeste Weg zwischen zwei Punkten in dieser Darstellung eben keine Gerade ist, sondern gekrümmt. Nehmen wir an, ich möchte von einem Punkt auf dem 45. Breitengrad nach Osten fliegen. Der kürzeste Weg ist dann etwas gekrümmt:

paralleltransportGeodaete

Ich mache einen Umweg in Nord-Süd-Richtung, dafür gewinne ich etwas, weil der Weg in Richtung Osten etwas kürzer wird.

In meinem Standard-Koordinatensystem (Nord-Süd – Ost-West) muss ich, wenn ich den Weg berechnen will, eine Beschleunigung berücksichtigen, aber das ist nur eine Scheinbeschleunigung. Ein Auto mit einer starren Achse ohne jede Lenkung, das auf einer vollkommen glatten Erde losrollt, würde genau der grünen Kurve folgen.

Generell sind also (auf der Nordhalbkugel) kürzeste Bahnen zwischen zwei Punkten etwas Nordwärts gekrümmt. Ein Auto, das anfangs genau in Richtung Osten losfährt, bewegt sich deshalb nach kurzer Zeit immer weiter Richtung Süden:

paralleltransportGeodaete2

Wie genau diese Bewegung aussieht, sagt mir die Gleichung für die Beschleunigung, die ich am Ende des letzten Teils erläutert habe und in die die aktuelle Geschwindigkeit und die Krümmung eingeht. Aber schauen wir ruhig noch ein wenig detaillierter hin. (Ihr könnt diesen Teil auch überfliegen, wenn euch die Details nicht so sehr interessieren.)

Wie genau geht die Krümmung ein? Das tut sie dadurch, dass sich die Abstände zwischen den Koordinatenlinien ändern, denn genau das verursacht ja die Abweichung von einer Geraden im Bild, bei der ein Weg, der anfangs nach Osten geht, immer weiter nach Süden “abknickt”. Es ist also relevant, wie sich die Abstände zwischen zwei Koordinatenlinien von Ort zu Ort ändern. (Hinweis für die Expertinnen: Deswegen geht in das Christoffelsymbol ja die Ableitung des metrischen Tensors ein.)

Wir haben hier unterschiedliche Möglichkeiten, welche Änderung wir betrachten wollen: Wir können die Abstände in Richtung West-Ost oder in Richtung Nord-Süd betrachten und schauen, wie die sich ändern, wenn wir in Nord-Süd- oder Ost-West-Richtung gehen. Die Abstände zwischen den Breitengraden ändern sich gar nicht, die zwischen den Längengraden ändern sich nur, wenn wir in Nord-Süd-Richtung gehen. (Allerdings Vorsicht am Äquator). Wenn wir wie im Bild oben genau nach Osten starten, dann sorgt die Änderung der Ost-West-Abstände in Nord-Süd-Richtung dafür, dass wir nach Süden abgelenkt werden. Im ersten Moment ändert sich dabei nur die Geschwindigkeitskomponente in Nord-Süd-Richtung, die in Ost-West-Richtung ändert sich im ersten Moment praktisch nicht. (Mathematisch liegt das natürlich an cos x\approx 1-x^2/2.) Wichtig für die ART ist dabei vor allem das folgende: Die Änderung der Geschwindigkeit geht dabei in die Richtung, in der sich die Maßstäbe ändern.

Wie groß ist die Änderung der Geschwindigkeit? Da der Großkreis, auf dem wir uns bewegen (die grüne Linie) immer derselbe ist, laufen wir die Linie schneller entlang, wenn wir eine höhere Geschwindigkeit haben. Zusätzlich müssen wir die Geschwindigkeit für jeden Meter, den wir die Linie entlang laufen, ja immer um denselben Winkel drehen, damit wir auf der Linie bleiben. Insgesamt geht die Geschwindigkeit also doppelt ein (wobei man sich im Detail über die jeweiligen Komponenten in den unterschiedlichen Richtungen machen müsste). Etwas vereinfacht können wir also folgende Formel aufstellen:

Änderung der Geschwindigkeit in Richtung x = Änderung des Maßstabs in Richtung x mal Geschwindigkeitskomponente mal Geschwindigkeitskomponente

(Dabei muss man auf der Rechten Seite eventuell mehrere Terme addieren, wenn sich unterschiedliche Richtungen im Maßstab in Richtung x ändern.)

Und in Formeln ist das genau die Formel, die ich letztes Mal in die mathematische Vertiefung verbannt hatte (mit dem richtigen Vorzeichen dank Hinweis in den Kommentaren):

\frac{\mathrm{d}^2 x^i}{\mathrm{d}t^2} = - \Gamma^i_{jk} v^jv^k

(Anmerkung: die Erklärung ist ein bisschen vereinfacht, aber die Essenz sollte eigentlich stimmen.)

Einstein

So, jetzt können wir endlich anschauen, wie das ganze in der ART aussieht. In der ART haben wir es nicht bloß mit dem Raum zu tun, sondern mit der Raumzeit. Eine Geodäte ist deswegen immer eine Linie in der Raumzeit – sie verbindet zwei Punkte in der Raumzeit miteinander durch eine Linie. Nehmen wir beispielsweise an, ich werfe einen Ball hoch und fange ihn dann wieder auf, dann ist seine Bewegung im Raum eine gerade Linie (ein Linienstück rauf, eins wieder runter). Die Geodäte ist aber parabelförmig, weil ich Ort und Zeit betrachten muss:

parabelGeodaete

Achtung, das hier ist keine herkömmliche Wurfparabel. Wenn ihr nen Ball wegwerft, folgt er einer Bahn im Raum, die auch so aussieht wie das Bild, aber hier ist die horizontale Achse die Zeitachse, der Ball wird senkrecht nach oben geworfen. Wenn ihr ihn wegwerft (nicht bloß nach oben), dann braucht ihr drei Achsen, um die Geodäte in der Raumzeit zu zeichnen – zwei für den Raum und die dritte für die Zeit.

In der Newtonschen Physik spielte diese Unterscheidung keine große Rolle, weil der Weg für ein kräftefreies Teilchen von A nach B immer der gerade Weg war, ungeachtet seiner Geschwindigkeit. In der ART mit ihrer gekrümmten Raumzeit hängt der Weg von A nach B aber von der Geschwindigkeit ab, und die Bahn in der Raumzeit ist eine andere, wenn ich mit einer anderen Geschwindigkeit starte. Beim Werfen zum Beispiel hängt von der Anfangsgeschwindigkeit ab, wie hoch der Ball fliegt:

parabelGeodaete3

Diese Parabeln könnt ihr mit der Bewegungsgleichung nach Newton aus dem letzten Teil berechnen, das ist nicht schrecklich schwer und Schulstoff in Klasse 9 oder so. Dort hatten wir eine Gleichung, wo links die Beschleunigung, also die Änderung der Änderung des Ortes stand, rechts ein Term für das Schwerefeld (die Schwerebeschleunigung).

Mit Hilfe der ganzen Vorüberlegungen zu gekrümmten Räumen können wir jetzt direkt die selbe Logik wie oben anwenden (wobei ich für die Expertinnen gleich darauf hinweise, dass ich Dinge wie die Vorzeichen in der Metrik etc. nicht großartig diskutiere). Ich skizziere das Argument auch nur, weil es auf die Details nicht wirklich ankommt. Mir geht es ja darum zu zeigen, wie durch die Betrachtung der “Änderung des Maßstabs” am Ende das Newtonsche Gravitationsfeld wieder ins Spiel kommt.

Entscheidend in der Formel oben war ja die Frage nach der “Änderung des Maßstabs”. Im ersten Teil haben wir gesehen, dass sich mit der Höhe über dem Erdboden zum einen die Zeit ändert (also der Maßstab der Zeitkomponente), zum anderen ändert sich auch die Länge in dieser Richtung (der Weg zum Beispiel geradewegs durch die Sonne hindurch ist länger, als er es wäre, wenn die Sonne die Raumzeit nicht krümmen würde).

Es gibt eine Beschleunigung in der Richtung, in der sich die Maßstäbe ändern – da sich die Maßstäbe nur in der Richtung der Höhe ändern (aber nicht wenn wir nach Ost-West oder Nord-Süd gehen), gibt es nur eine Beschleunigung in dieser Richtung. (Weil die radial von der Masse in der Mitte wegzeigt, nennt man das auch die radiale Richtung.) Das passt schon mal gut zur Newtonschen Theorie – auch da zeigt die Beschleunigung ja immer hin zur Masse, die das Schwerefeld erzeugt.

In die Formel geht ja außerdem das Produkt der Geschwindigkeiten ein.Dabei spielen die Komponenten der Geschwindigkeit eine Rolle, die in die Richtung zeigen, in der wir die Maßstäbe anschauen. (Man kann sich hier leicht verwirren – wir können räumliche und zeitliche Maßstäbe betrachten und uns fragen wie die sich räumlich und zeitlich ändern.) Bei der Änderung des räumlichen Maßstabs ist also die Geschwindigkeit in radialer Richtung entscheidend . Bei der Änderung des zeitlichen Maßstabs geht dann entsprechend die Zeitkomponente der Geschwindigkeit ein. Seit wann hat eine Geschwindigkeit eine Zeitkomponente? Laut spezieller Relativitätstheorie muss sie die haben; für Teilchen, die sich sehr langsam bewegen (im Vergleich zur Lichtgeschwindigkeit), ist diese Komponente gleich der Lichtgeschwindigkeit. (Wikipedia hat dazu eine “anschauliche Interpretation”, die ist aber nicht ganz unproblematisch – ihr könnt auch auf der Diskussionsseite bei Wikipedia gucken, wenn ihr wissen wollt, wo da das Problem steckt. Das zu diskutieren, wäre wohl einen eigenen Blogtext wert, aber nicht heute. Für heute bitte ich euch, das einfach mal so zu akzeptieren.)

Wir haben jetzt also die Änderung des räumlichen Maßstabs, die zweimal mit der gewöhnlichen Geschwindigkeit in der radialen Richtung multipliziert wird, und die Änderung des zeitlichen Maßstabs, die zweimal mit der “Geschwindigkeit in Zeitrichtung” (der Lichtgeschwindigkeit) multipliziert wird. Weil die normale Geschwindigkeit hier (wir machen ja die Näherung nach Newton) klein ist gegen die Lichtgeschwindigkeit, ist der erste der beiden Terme sehr klein und kann ignoriert werden. Übrig bleibt also nur die Änderung des zeitlichen Maßstabs (die Zeitdilatation) als Funktion der Höhe, zweimal multipliziert mit der Lichtgeschwindigkeit. (Und das ist genau der Grund, warum ich im ersten teil gesagt habe, dass wir uns über die Änderung des räumlichen Maßstabs am Ende nicht kümmern müssen.)

Im ersten Teil habe ich gesagt, dass die Zeitdilatation gegeben ist durch \sqrt{1-2\phi/c^2}. Dabei ist \phi das Gravitationspotential. Der “zeitliche Maßstab” enthält allerdings das Quadrat dieses Ausdrucks, so dass die Wurzel wegfällt.

Wir müssen jetzt die räumliche Änderung dieses zeitlichen Maßstabs anschauen – und das ist gerade die räumliche Änderung des Gravitationspotentials, geteilt durch c². Das c² verschwindet, weil wir ja noch die Zeitkomponente der Geschwindigkeit zweimal dranmultiplizieren müssen, bleibt also die räumliche Änderung des Gravitationspotentials übrig. (Der Faktor 2 macht sich in der korrekten Rechnung an geeigneter Stelle auch noch vom Acker.)

Das Gravitationspotential hatte ja die Formel

\phi= -G\frac{M}{R}

wenn ihr im Abstand R von der Masse M seid. Dessen räumliche Änderung bekommt man mathematisch durch ableiten; falls ihr die Regeln dafür noch könnt, könnt ihr es selbst nachrechnen, ansonsten dürft ihr mir das Ergebnis auch glauben. Es lautet:

\text{Aenderung von }\phi = G \frac{M}{R^2}.

Und das ist – voila – genau die Schwerebeschleunigung, die eine Masse M im Abstand R verursacht.

Nochmal die Gedankenkette im Schnelldurchlauf ohne die ganzen Details (denn nur um die Idee geht es ja hier): Die Beschleunigung in radialer Richtung ist bestimmt durch die Änderung der Zeit mit dem Abstand von der Masse (also mit der Höhe). In die geht aber genau das Newtonsche Gravitationspotential ein. Deshalb ist die kürzeste Linie zwischen zwei Raumzeitpunkten eine, auf der die Beschleunigung gerade der Schwerebeschleunigung nach Newton entspricht; nicht, weil da irgendwo eine “Kraft” eingeht, sondern weil das, was in der Newtonschen Physik das Gravitationspotential ist, sich in der ART als Term in der Zeitdilatation wiederfindet.

War euch das zu abgehoben und abstrakt? Dann schauen wir uns die Sache nochmal auf eine andere Weise an, damit es klarer wird.

Die maximale Eigenzeit

Wenn ihr euch nochmal an die Bewegung auf der Kugel erinnert, dann gab es dort zwei Möglichkeiten, um eine kräftefreie Bahn (also die Bewegung auf einem Großkreis) zu charakterisieren: Ihr könnt die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten betrachten, oder ihr könnt an einem Ort in einer bestimmten Richtung losmarschieren. Beide Möglichkeiten legen eine Geodäte auf der Kugel eindeutig fest. (Mathematisch liegt das daran, dass ihr es mit einer Differentialgleichung 2. Ordnung zu tun habt, die braucht zwei Randbedingungen.)

Bei einer Bewegung in der Raumzeit der ART gilt dasselbe Prinzip. Eben haben wir die Bewegungsgleichung verwendet – die beruht darauf, dass ihr wisst, wann und wo ihr startet und welche Geschwindigkeit ihr habt. Dann könnt ihr zu jedem Zeitpunkt die Beschleunigung ausrechnen und damit die Bahn verfolgen.

Alternativ könnt ihr euch aber auch fragen: “Welche Geodäte verbindet zwei unterschiedliche Raumzeitpunkte?” Also, in etwas alltäglicherer Sprache ausgedrückt: Welche Bahn muss ein Objekt nehmen, auf das nur die Schwerkraft wirkt, um vom Ort A in einer bestimmten zeit zum Ort B zu kommen. Wenn ihr nochmal oben auf das Bild der Parabeln schaut, seht ihr, dass die Bahn, die der nach oben geworfene Ball nimmt, eindeutig festliegt, wenn ihr wisst, wie lange der Abstand zwischen Hochwerfen und Auffangen sein soll.

Diese Geodäte lässt sich auf folgende Weise festlegen: Stellt euch vor, der Ball hätte eine kleine Uhr bei sich. Während er sich im “Schwerefeld” (also der gekrümmten Raumzeit) herumbewegt, wird der Gang dieser Uhr auf zwei Weisen beeinflusst: Zum einen dadurch, dass die Zeit ja in unterschiedlicher Höhe unterschiedlich schnell läuft, zum anderen dadurch, dass für ein schnell bewegtes Objekt die Zeit ja nach der speziellen Relativitätstheorie etwas langsamer läuft. Insgesamt ist die Geodäte diejenige Bahn in der Raumzeit, bei der die Zeit, die für den Ball vergeht, maximiert wird. (Und man kann mathematisch zeigen, dass das äquivalent zur Bewegungsgleichung ist, die wir oben aufgestellt haben, ähnlichwie die Geodäte auf der Kugel einerseits die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten ist und andererseits die Kurve, der ein Objekt folgt, dass an einem bestimmten Ort in eine bestimmte Richtung losrollt.) Das ist das “Prinzip der maximalen Eigenzeit”, das ich etwas ausführlicher auch hier erklärt habe.

Vergleicht noch einmal die beiden Bilder der Geodäten auf der Kugel und in der Raumzeit:

paralleltransportGeodaeteparabelGeodaete

Die Bahn im Bild links ist nach oben gekrümmt, weil dort die Abstände in Ost-West-Richtung zwischen den Längegraden kleiner werden, dafür müssen wir einen kleinen Nord-Süd-Umweg in Kauf nehmen. Zu weit nach oben gekrümmt darf die Bahn deshalb nicht sein, sonst wird der Nord-Süd-Umweg zu groß. Die Bahn rechts ist gekrümmt, weil in größerer Höhe die Zeit etwas schneller verläuft (und der hochgeworfene Ball soll ja die maximale Eigenzeit bekommen). Zu weit nach oben kann der Ball aber nicht fliegen, dann wird seine Geschwindigkeit zu groß (er soll ja nach festgelegter Zeit wieder ankommen), und die Zeitdilatation der SRT schlägt zu. Die Logik ist also in beiden Fällen ziemlich ähnlich.

Objekte, auf die in der ART keine Kräfte wirken (die sich also in der gekrümmten Raumzeit bewegen) folgen also Bahnen, auf denen die Eigenzeit maximiert wird. So zumindest wird es gern formuliert, die Formulierung ist so aber etwas unsauber, wie man leicht merkt, wenn man sich folgende Frage stellt: “Warum fallen Objekte eigentlich nicht nach oben?”

Klingt verrückt? Objekte sollten doch wohl nach unten fallen. Aber wenn ihr euch vorstellt, das ein Objekt seine Geodäte so “sucht”, dass es seine Eigenzeit maximiert, dann wäre es doch sinnvoll, statt nach unten nach oben zu fallen, denn oben geht die Zeit schneller und ich bekomme “mehr” Eigenzeit. Wenn man so argumentiert, vergisst man aber, dass das Prinzip der maximalen Eigenzeit in dieser einfachen Form nur angewandt werden darf, wenn ich Anfangs- und Endpunkt festlege.

Gehen wir nochmal kurz zurück zur Kugeloberfläche: Wenn ihr zwei einigermaßen dicht benachbarte Punkte auf der Kugeloberfläche (wie immer auf der Nordhalbkugel) betrachtet und euch fragt “was ist der kürzeste Weg zwischen beiden”, dann ist dieser Weg immer leicht in Richtung Norden gekrümmt. Wenn ihr analog zwei benachbarte Raumzeitpunkte betrachtet und euch fragt “was ist der Weg maximaler Eigenzeit zwischen den beiden”, dann ist die Geodäte immer nach oben gekrümmt. Wenn ihr deshalb auf der Kugel genau in Richtung Osten startet, dann bewegt ihr euch entsprechend zwangsläufig nach einer Weile nach Süden, das Bild dazu gab’s oben schon:

paralleltransportGeodaete2

Um beim Weg nach Osten nach einer Weile wieder auf gleicher Höhe zu sein, müsst ihr am Anfang etwas nach Norden fliegen.

Und genauso gilt, wenn ihr in einem Schwerefeld in der gekrümmten Raumzeit im Raum-Zeit-Diagramm in horizontaler Richtung startet (ihr habt also keine Geschwindigkeit und seid anfänglich in Ruhe), dann bewegt ihr euch zwangsläufig nach unten:

parabelGeodaete4

Um nach kurzer Zeit wieder auf gleicher Höhe zu sein, müsst ihr am Anfang entsprechend nach oben fliegen.

Und genau deswegen fallen Dinge nach unten und nicht nach oben, auch wenn das Prinzip der maximalen Eigenzeit etwas anderes zu suggerieren scheint.

Fazit

Wie üblich ist der Artikel viiieeel länger geworden als gedacht – dass gleich drei Teile einer Serie draus werden, hatte ich am Anfang wirklich nicht erwartet. Am Ende zeigt sich aber, dass man in der ART tatsächlich (wenn man hinreichend viele Effekte vernachlässigt) die Bewegung genau so herausbekommt, wie sie auch bei Newton stand. Entscheidend dabei ist, dass die zeit in größerem Abstand von einer Masse etwas schneller verläuft. Das führt dazu, dass Geodäten “nach oben” gekrümmt sind. Die Bewegungsgleichung, die am Ende herauskommt, ist in beiden Fällen dieselbe. Bei Newton sind es Kräfte, die Beschleunigungen verursachen, in der ART ist es die Krümmung der Raumzeit (ganz analog zur Krümmung der Kugel, die unsere Geodäten auf der Landkarte krümmt). Die Verbindung zwischen beiden kommt dadurch zu Stande, dass in der Formel für die Zeitdilatation derselbe mathematische Ausdruck drinsteckt wie in der Newtonschen Formel für das Gravitationspotential.

Kommentare (17)

  1. #1 Ingo
    9. April 2016

    Leider fehlt mir immer noch das mathematische Verständnis wie eine gekrümmte Geometrie mathematisch beschrieben wird.
    Weg der maximalen Eigenzeit – ok
    Eigenzeit abhängig vom Gravitationspotenzial abhängig von der Entfernung zur Masse und der Masse – ok.

    Aber um zu verstehen wie genau Licht gekrümmt wird reicht es leider nicht.
    Maximale Eigenzeit und kleinster Weg.
    Von Eigenzeit kann man bei Licht nicht sprechen da null.
    “Kleinster Weg” macht Sinn, da die Strecke in der nähe der Masse länger ist – daher gekrümmt.
    Aber welche Faktoren in den Formeln da herumspielen, ist mir noch unklar.
    (Allerdings war das Thema Newton-artige Bewegung und nicht ART)

    Ist euch hierzu eine Seite bekannt wo man sich genauer in die Mathematik gekummter Geometrien einlesen kann?

  2. #2 michael
    9. April 2016

    Kleine (irrelevant) Korrektur: \cos x \approx 1 - \frac{x^2}{2}

  3. #3 MartinB
    10. April 2016

    @michael
    Danke, ist korrigiert.

    @Ingo
    “Aber um zu verstehen wie genau Licht gekrümmt wird reicht es leider nicht.”
    Nein, das hier ist ja die Newtonsche Näherung (man kann in der die Lichtablenkung berechnen, aber die ist dann um einen Faktor 2 falsch). Das Prinzip ist aber auch für Licht-Geodäten dasselbe – dort muss als “Eigenzeit” immer exakt Null herauskommen. Und wenn du einen Weg mit Eigenzeit Null in der Nähe einer Masse suchst, dann ist der automatisch gekrümmt.

    Artikel zum Thema Raumzeitkrümmung hab ich ja reichlich geschrieben (die tag-Wolke oder die Stichwortsuche sollte die meisten finden); an Büchern ist ne Frage, wie tief di einsteigen willst. Der Klassiker ist das Buch von Misner Thorne Wheeler, das ist auch meine erste Anlaufstelle, wenn ich was wissen will.

  4. #4 Artur57
    11. April 2016

    Also für mich war es echt lehrreich, auch ein Einblick in die “fiese Mathematik”. Nur eben, was Martin in seiner universitären Umgebung vielleicht entgeht: Misner Thorne Wheeler sind für den Privatmann nicht unter 304 Euro zu haben. Ist ja schon ein kleine Hindernis.

    Warum tut man sich so schwer, die Konstanz der Lichtgeschwindigkeit zu veranschaulichen? Wir haben in der Nähe der Sonne eine Lichtkrümmung und eine etwas langsamer gehende Zeit. Und wir haben den Shapiro-Effekt, wonach die Lichtgeschwindigkeit an diesem Punkt kleiner ist. Dafür wiederum ist für den dort befindlichen Beobachter eine Sekunde etwas länger. Sodass insgesamt c konstant bleibt.

    Kann man das so sagen?

  5. #5 MartinB
    11. April 2016

    @Artur57
    304 Euro? Wow. Aber auch als Privatmann kannst du dir z.B. ne Karte für die nächstbeste Uni-Bibliothek besorgen und das ding ausleihen. Solche seiten wie scribd bieten auch Zugriff.

    Ansonsten ist es zwar nicht der MTW, aber auch ziemlich gut (frei verfügbarer Download einer Buch-Vorversion):
    https://www.eftaylor.com/exploringblackholes/index.php

    Ob man das mit der Lichtgeschwindigkeit so sagen kann, bezweifle ich – der Shapiro-Effekt sagt ja, wie die Lichtgeschwindigkeit von außen betrachtet aussieht, aber Konstanz der Lichtgeschwindigkeit ist ja immer nur lokal.

  6. #6 Niels
    11. April 2016

    @Ingo @Artur57
    Der MTW ist für einen Einsteiger ein ziemlicher Overkill. Würde ich nicht empfehlen, selbst wenn man kostenlos drankommt.

    Ich würde mal Ulrich E. Schröder, Gravitation. Einführung in die Allgemeine Relativitätstheorie als Einstieg empfehlen.
    Da wird man nicht von der Mathematik erschlagen, man ist mit 19 Euro dabei, mit nur 160 Seiten bleibt die Sache erst einmal überschaubar und die Verwendung der deutschen Sprache ist bei der ersten Begegnung mit dem Thema bestimmt auch kein Nachteil.

    Danach dann, wenn Deutsch gewünscht wird:
    Ray d’Inverno, Einführung in die Relativitätstheorie
    oder
    Eckhard Rebhan, Theoretische Physik: Relativitätstheorie und Kosmologie
    beide für jeweils etwa 50 Euro.

    Oder auf Englisch die berühmten
    Lecture Notes on General Relativity von Sean M. Carroll.
    https://arxiv.org/abs/gr-qc/9712019
    Gibt es in erweiterter Fassung auch gebunden, Sean M. Carroll, Spacetime and Geometry:An Introduction to General Relativity
    Da würde ich mir die über 100 Euro für das Buch aber erst mal sparen und ins kostenlose Script schauen.
    Sehr gute Einführung, die viel fürs grundlegende Verständnis bringt, aber ohne die ganz fortgeschrittene Mathematik auskommt.

    Darüber hinaus gibt es natürlich zahllose sehr gute Vorlesungsscripte auf Englisch oder Deutsch.
    Wenn gewünscht, kann ich Empfehlungen liefern.

  7. #7 MartinB
    12. April 2016

    @Niels
    Danke für die Leseliste.

  8. #8 Artur57
    12. April 2016

    @Martin @Niels

    Ich glaube, das Problem ist damit behoben. Danke !!!

  9. #9 Niels
    14. April 2016

    @MartinB
    Na ja, dir würde ich andere Bücher empfehlen. Wenn du noch nie in den Carroll reingeschaut hast, lohnt sich das bei bestimmten Themen wahrscheinlich aber trotzdem.

    @Artur57
    Ich würde mich an deiner Stelle aber erst einmal gründlich mit der SRT beschäftigen, bevor ich bei der ART einsteige. Die wird in der ART-Literatur zwar häufig am Anfang kurz wiederholt, wenn man das vorher aber noch nie gesehen hat, reicht das aber höchstwahrscheinlich nicht aus.
    Reine SRT-Literatur kenne ich aber nicht, das habe ich im Laufe des Studiums mit in den Theorie-Vorlesungen gelernt, also über Kapitel in den bekannten Buchreihen zur theoretischen Physik.
    (Wobei ich gerade sehe: Den Nolting haben sie seit meinem Studium noch stärker aufgesplittet.
    Es gibt jetzt den
    Wolfgang Nolting, (Grundkurs Theoretische Physik 4/1: Spezielle Relativitätstheorie.
    Der Nolting ist für Einsteiger bestimmt am
    mit Geeignetsten und 15 Euro ist ein ziemlich guter Preis.

    Kostenlos und auf deutsch finde ich die Scripte von Hans-Jürgen Matschull zur Relativitätstheorie noch sehr gut.
    https://wwwthep.physik.uni-mainz.de/~matschul/
    Teil I sind 120 Seiten über die spezielle Relativitätstheorie. Allerdings wird hier Wert darauf gelegt, den mathematischen Brückenschlag zur ART vorzubereiten. Das ist zwar einerseits eine sehr gute Idee, andererseits für die erste Begegnung mit der SRT aber mathematisch schon ziemlich anspruchsvoll.

    Das gesamte Relativitätstheorie-Script von Matschull muss sich meiner Meinung nach vor den 60 Euro teuren deutschen ART-Büchern nicht verstecken, der Umfang dürfte sogar ein wenig größer sein.

  10. #10 Boombox
    21. April 2016

    Wie meistens ein sehr interessanter Artikel, aber ich habe ein Verständnisproblem.

    Dass die kürzeste Verbindung zwischen zwei Punkten auf der Nordhalbkugel bzw. in der gekrümmten Raumzeit etwas gekrümmt ist, leuchtet mir irgendwie ein.

    Warum allerdings ein Objekt, das sich auf der Nordhalbkugel genau nach Osten bewegt bzw. in der gekrümmten Raumzeit stillsteht, automatisch nach Süden bzw. unten abgelenkt wird, verstehe ich nicht. In beiden Fällen ändert sich ja nicht der jeweilige Maßstab auf dem Weg des Objekts. Auf einem Breitenkreis sind die Schnittpunkte mit den Längenkreisen immer gleich weit voneinander entfernt und die Zeit läuft auch nicht in horizontaler Richtung unterschiedlich schnell, sondern nur in vertikaler Richtung.

    Warum “merkt” das Objekt dann trotzdem was davon und wird abgelenkt, anstatt sich einfach weiter nach Osten zu bewegen bzw. stillzustehen?

  11. #11 MartinB
    22. April 2016

    @Boombox
    Der Weg genau nach Osten ist schlicht kein Großkreis und deswegen nicht “gerade”, das sah man ja im zweiten Teil. Wenn du den Weg immer weiter läufst, umrundest du ja die Erde auf einem kleineren Kreis. Du kannst zwei Punkt auf einem Globus, die auf gleichem Breitengrad liegen, mit einem Faden verbinden, dann siehst du, dass der kürzeste Weg nicht der entlang des Breitengrads ist.
    Du kannst die auch schlicht vorstellen, dass du dein Koordinatensystem so verschiebst, dass dein aktueller Punkt der Pol ist, dann siehst du auch, welche Bahnen Großkreise sind.

  12. #12 Boombox
    22. April 2016

    Ah, danke. Ich glaube, jetzt habe ich es verstanden.

    Aber zur Sicherheit werde ich noch einmal die ganze Artikelserie von vorne lesen, sobald ich Zeit genug habe. 🙂

  13. #13 MartinB
    22. April 2016

    @Boombox
    Ja, das schadet nie (Klicks! $$$$!!!!)

  14. #14 RolfM
    Berlin
    24. April 2016

    Frage:
    In der Newtonschen Sicht hat ein Objekt im Abstand r eine um Gm0M/r geringere Energie, also m=m0-Gm0M/(rc^2)=m0(1-rS/(2r)), wobei rS= 2GM/c^2 der Schwarzschildradius ist. Hätte man eine Masse M, an die man sich bis auf z.B. 2rS nähern könnte, so würde von außen eine Ruhmassenabnahme von 25% sichtbar. Vermutlich aber führt das hier verwendete Newtonsche Potential zu falschem Ergebnis. Wie muss man ein Potential (oder Grav.-Energie) in der ART richtig berechnen, z.B. in der Schwarzschildmetrik?

  15. #15 MartinB
    24. April 2016

    @RolfM
    Das ist eine ziemlich knifflige Frage, weil es ein echtes “Potential” nicht gibt. Es wird ausführlich im Buch “Exploring Black holes” vorgerechnet, aber eine kurze, intuitive Antwort habe ich leider nicht.

  16. #16 Selina
    21. Dezember 2018

    Woran kann ich einfach sehen, dass die Eigenzeit MAXIMIERT werden soll? Es heißt immer in der klassischen Physik, dass Größen minimiert werden wollen, wie beim Prinzip der kleinsten Wirkung.

    Die kürzeste Verbindung in Raumzeit muss die maximale Eigenzeit haben; das ist schon bisschen wirdersprüchlich auf den ersten Blick, wenn man vom Standpunkt der klassischen Physik ausgeht. Das ist aber die Eigenart der Raumzeit und Relativitätstheorie.

    “dass es seine Eigenzeit maximiert, dann wäre es doch sinnvoll, statt nach unten nach oben zu fallen, denn oben geht die Zeit schneller und ich bekomme “mehr” Eigenzeit. Wenn man so argumentiert, vergisst man aber, dass das Prinzip der maximalen Eigenzeit in dieser einfachen Form nur angewandt werden darf, wenn ich Anfangs- und Endpunkt festlege.”

    Kann ich einfach sagen, dass der Ball runterfällt, weil die Raumzeit Krümmung ihn dort führt?

  17. #17 Selina
    21. Dezember 2018

    “Wenn man so argumentiert, vergisst man aber, dass das Prinzip der maximalen Eigenzeit in dieser einfachen Form nur angewandt werden darf, wenn ich Anfangs- und Endpunkt festlege.”

    Wenn der Ball noch höher fliegen sollte, dann müsste er ja eine höhere Geschwindigkeit haben. Das bedeutet aber, dass die Eigenzeit wegen SRT langsamer werden muss, was nicht gut für die Maximierung der Eigenzeit ist. Das hat aus meiner Sicht nichts mit Anfangs- und Endpunkt zu tun.