Nächstes Wochenende ist es wieder soweit: Das Finale der Snooker-WM beginnt am Sonntag (es endet am Montag, geht über 4 Sessions und insgesamt maximal 35 “Frames” – das Snookeräquivalent zu den Sätzen beim Tennis). Traditionellerweise laden deswegen am Wochenende die deutschen Billardvereine zum Tag der offenen Tür ein (inzwischen nehmen auch die Poolerinnen dran teil, obwohl das nun wirklich ein Sport ist, der keinen interessiert (hmm, jetzt darf ich mich vermutlich mal wieder im Verein auf ein paar böse Kommentare gefasst machen)). Ebenso traditionellerweise weise ich hier im Blog auf diese Veranstaltung hin und verbinde das mit ein paar Worten zu meinem Lieblingsspiel. Die Regeln habe ich schon erklärt, die Physik hinter verschiedenen Stößen auch schon, die Unterschiede zwischen Pool und Snooker habe ich auch schon erklärt, und letztes Jahr habe ich mir Gedanken über Statistiken und den “Fluch des Crucible” gemacht (der hat wieder gewirkt, denn Stuart Bingham ist bereits ausgeschieden). So langsam wird’s eng mit den Dingen, über die ich hier sinnvoll schreiben kann, aber nach etwas nachdenken fiel mir dann doch etwas ein, worüber ich noch nie im Detail nachgedacht habe.
Dass Snooker ein Präzisionssport ist, ist ja vermutlich allen, die sich damit beschäftigen, bekannt. Rolf Kalb weist ja gern auf die erforderliche Millimeter-Präzision hin, Mike Hallett (von der BBC) sagte mal den klugen Satz “that was a millimeter away from being inch-perfect” (merkte dann aber selbst, dass da was nicht passte).
Wie genau muss man denn nun sein beim Snooker?
Nehmen wir an, wir wollen eine Kugel lochen, die in der Mitte des Tisches auf dem blauen Spot liegt, und zwar in eine Ecktasche:
By Maciej Jaros (commons: Nux, wiki-pl: Nux) – Own work (based on Pumbaa’s version), CC BY 2.5, Link
Die Kugel hat einen Durchmesser von 52,5 Millimeter. Wäre die Taschenöffnung (der Einlauf) auch exakt so breit, dann müsste man ihn ohne jeden Fehler treffen; tatsächlich ist der Tascheneinlauf aber etwas breiter. Leider habe ich bei einer kurzen Google-Suche keine exakten Maße für die breite einer Tasche gefunden, aber bei yahoo steht “etwa 90mm”, das würde bedeuten, dass man auf jeder Seite der Kugel etwas weniger als einen halben Kugeldurchmesser an Spielraum zur Verfügung hat. Das passt zu diesem Bild hier, also nehme ich das mal als Zahl so hin.
Wenn wir die zu lochende Kugel genau auf die Mitte zielen (real würde man wohl eine Winzigkeit mehr auf die kurze Bande zielen, weil dann der Winkel etwas günstiger ist, falls man auf die Rundung der Tasche trifft, damit die Kugel trotzdem reingeht), dann haben wir einen Spielraum von (90-52,5)/2=18,75 Millimeter auf jeder Seite. Vom blauen Spot in der Tischmitte bis zur Ecke sind es 2 Meter (der Tisch ist 3569 mm x 1778 mm groß, mit dem Satz des Pythagoras ist die Diagonale über den Tisch also die Wurzel aus 3569²+1778², das ist ziemlich genau 4 Meter). Die erforderliche Präzision beträgt also plus-minus 1%.
Da wir die blaue Kugel mit der Weißen anspielen, treffen sich die beiden Kugeln in genau einem Punkt. Diese Skizze (nicht maßstabsgetreu) zeigt, wie genau wir die Blaue Kugel treffen müssen:
Man sieht, dass die Linien durch den Radius der Kugel durchgehen (dort ist der Schwerpunkt der Kugel) – wenn sie am langen Ende um maximal +/-1% der Entfernung auseinanderliegen dürfen, dann auch am kurzen Ende. Dort ist die maßgebliche Entfernung der Radius der Kugel, der ja 26.25 Millimeter beträgt. Die Abweichung beim Treffen der blauen Kugel darf also nach dieser Rechnung nur +/-0,26 Millimeter betragen, das ist schon ziemlich präzise – wir müssen auf einen halben Millimeter genau treffen. (Zumindest näherungsweise deckt sich das mit den Zahlen, die diese google-Suche zu Tage gefördert hat.)
Ziemlich heftig, oder? (Wahrscheinlich werde ich in Zukunft nichts mehr treffen, seit ich diese Zahlen kenne…)
Aber wir müssen die Blaue Kugel ja auch noch mit der weißen Kugel treffen. Die weiße Kugel muss also auf weniger als einen Millimeter genau auf die blaue Kugel treffen. Man könnte jetzt versucht sein, dieselbe Rechnung zu wiederholen: Nehmen wir an, die weiße Kugel ist einen Meter entfernt, dann brauchen wir eine Präzision von weniger als einem Promille, das heißt wir müssen die weiße Kugel mit unserem Queue auf 0,026Millimeter genau treffen. Das ist aber natürlich Unsinn, so genau kann man nicht mal gucken.
Warum es Unsinn ist, merkt man, wenn man sich ein Queue (Das Bild zeigt Pool-Queues) mal anschaut. Die Spitze sieht so aus:
By SMcCandlish – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Mit so einer Spitze könnt ihr die Weiße nicht auf einen Zehntel oder Hunderstel Millimeter genau treffen, dafür ist sie zu groß (etwa 9-10 Millimeter). beim Stoß verformt sich die Spitze elastisch, so dass sie eine größere Kontaktfläche mit dem Ball hat. Dass der Ball trotzdem in die richtige Richtung rollt, liegt daran, dass die Richtung beim Stoß durch die Richtung des Queues vorgegeben ist – so wie sich das Queue bewegt, so bewegt sich auch der Ball. Wer schon mal Billard gespielt hat weiß, dass der Ball auch dann in die Stoßrichtung rollt, wenn man ihn nicht genau mittig, sondern etwas seitlich anspielt – es gibt eine leicht gekrümmte Bahn, sobald der Drall, den man dem Ball mitgegeben hat, greift, und nach dem Kontakt mit dem anzuspielenden Ball oder der Bande dreht die Kugel auf seltsame Weise ab, die Richtung stimmt aber schon.
Die Präzision braucht man also bei der Führung des Queues – das Queue muss die Weiße genau in die richtige Richtung losschicken, ob dabei ein leichter Drall dabei ist, ist nicht ganz so entscheidend (aber schon wichtig, falls man mal gut werden will und nicht wie ich nur in der “Weiß, wie ein Queue aussieht”-Klasse spielen will). Das ist auch der Grund, warum man beim Stoß selbst auf den Objektball, den man lochen will, gucken soll, nicht auf die Weiße – denn diese Richtung ist die entscheidende.
Die Präzision ist also die des Queues am Ende – und da ein Queue etwa 1,47Meter lang ist und man die Spitze so etwa 20-30Zentimeter vor der Handauflage (“Bockhand”) hat, machen sich hier leichte Abweichungen am hinteren Ende nicht ganz so bemerkbar – Hauptsache, man bewegt die Queuespitze in die richtige Richtung. Wenn wir einen Meter vom Objektball entfernt sind und den auf einen Millimeter genau treffen wollen, ist das eine Genauigkeit von 0,1%, das entspricht einer Winkelabweichung von weniger als einem Zehntel Grad. Kein Wunder, dass immer gepredigt wird, dass man den Arm gerade halten soll.
Das ist schon ziemlich wenig, aber durchaus vergleichbar mit der Präzision, die man in anderen Sportarten braucht – bei Wikipedia habe ich gerade gelernt, dass man beim Pistolenschießen auf eine Scheibe schießt, deren Zehnerring einen Durchmesser von 10 Millimeter bei 50 Meter Distanz hat, die Genauigkeit ist hier also 0.02%, wenn man die Zehn trifft.
Die Sache verkompliziert sich übrigens noch etwas weiter, wenn man den Objektball unter einem Winkel spielen muss – zum einen ist es dann ja auch noch notwendig, den anzuspielenden Punkt exakt zu bestimmen, zum anderen werden die zulässigen Abweichungen noch etwas kleiner. Und dann will man in einer realen Partie ja auch noch die Weiße so positionieren, dass man eine Fortsetzung für den nächsten Stoß hat – das erfordert dann den richtigen Drall oder Effet und das genau dosierte Tempo. (Und bei den Profis kommen dann noch andere Dinge hinzu: In “Successful Snooker” macht sich Steve Davis auch Gedanken dazu, wie die Richtung, in der das Tuch gewebt ist, den Stoß beeinflusst, aber darum habe zumindest ich mich bisher nicht gekümmert.)
So oder so – Snooker ist tatsächlich ein Präzisionssport, so viel steht fest.
PS: Ein Wort zur Warnung: Ich habe hier alles ziemlich schnell runtergeschrieben und übernehme keine Garantie, dass ich mich nicht irgendwo verrechnet habe. Die Größenordnungen sollten passen, zumal sie auch mit dem oben verlinkten Buch etwa übereinstimmen.
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