Einsteins Herleitung
Um die Bedeutung der Gleichung E=mc² zu sehen, muss man physikalische Prozesse betrachten, bei denen Energien auch tatsächlich umgewandelt werden. Einstein hat die Gleichung (in ihrem1 Artikel “Ist die Trägheit eines Körpers von seinem Energieinhalt abhängig? ) zuerst für ein konkretes Experiment hergeleitet. Dabei stellt sie sich vor, ein Körper würde ein Photon (also ein Lichtquant) aussenden. Praktischerweise hatte Einstein gerade die Theorie der Photonen entwickelt und wusste deswegen, wie Energie und Frequenz eines Photons zusammenhängen.
1 Ja, nach wie vor bekommen alle Personen eine grammatikalisch weibliche Form – den Text, der erklärt, warum das so ist, findet ihr hier, und wenn ihr sagen wollt, wie doof ihr das findet, tut es bitte auch dort – ich behalte mir aber vor, nicht drauf zu antworten, weil ich so ziemlich alle Argumente schon gehört habe….
Der Körper, der das Photon aussendet, ändert dadurch seine kinetische Energie. Betrachtet man diese Energieänderung in zwei unterschiedlichen bezugssystemen, ergibt sich eine Diskrepanz, die nur aufgelöst werden kann, wenn man annimmt, dass sich die Trägheit (also die Masse m) beim Aussenden des Photons um einen Wert E/c² geändert hat, wobei E gerade die Energie des Photons ist. In Einsteins Worten (Einstein verwendet V für die Lichtgeschwindigkeit, nicht das heute übliche c):
„Gibt ein Körper die Energie L in Form von Strahlung ab, so verkleinert sich seine Masse um L / V 2 . Hierbei ist es offenbar unwesentlich, daß die dem Körper entzogene Energie gerade in Energie der Strahlung übergeht, so daß wir zu der allgemeineren Folgerung geführt werden: Die Masse eines Körpers ist ein Maß für dessen Energieinhalt;“
Ich habe die Herleitung hier nur grob skizziert – aus dem einfachen Grund, weil ich hier das perfekte Erklärvideo für euch habe (zwar auf Englisch, aber immerhin Deutsch untertitelt), wo die Sache sehr klar (und humorvoll) erklärt wird:
Dieses Argument unterscheidet sich deutlich von den “Herleitungen” oben: Es betrifft nur einen Spezialfall, eben die Aussendung eines Photons. Man kann natürlich argumentieren, dass man ja Energieformen ineinander umwandeln kann, dass also ein Objekt, dass Energie in einer anderen Form abgibt, ebenfalls seine Masse verringern muss, weil man die Energie ja anschließend in Lichtenergie umwandeln könnte, aber nichtsdestotrotz ist es eben keine vollkommen allgemeine Herleitung. Außerdem verwendet die Herleitung die Energieerhaltung, ohne die geht es nicht. Und das ist auch bei anderen Beweisen der Gleichung der Fall, wie wir gleich sehen werden.
Die Herleitung erfordert auch zusätzliche Informationen, nämlich über die Energie von Photonen. Das war auch ein Grund, warum Einstein mit dieser Herleitung allein nicht zufrieden war, denn obwohl die SRT aus der Elektrodynamik hervorgegangen ist, ist sie letztlich eine allgemeingültige Theorie – man kann sich beispielsweise ein Universum vorstellen, in dem es keine elektrischen Ladungen gibt. Dass wir die Lichtgeschwindigkeit als besondere Geschwindigkeit aus der Elektrodynamik kennen, ist zwar historisch richtig, aber auch andere masselose Elementarteilchen (oder auch zum Beispiel Gravtitatonswellen) bewegen sich mit Lichtgeschwindigkeit, aus deren Verhalten hätte man die SRT prinzipiell auch herleiten können.
Einstein hat im Laufe der Zeit immer wieder neue Herleitungen von E=mc² aufgestellt, unter anderem, um genau dieses Problem zu umgehen. Ich schaue hier auf eine, die den Vorteil hat, keine zusätzlichen Annahmen aus anderen Theorien wie der Elektrodynamik zu brauchen und die außerdem in sehr schöner Weise in einem Artikel von F. Flores (Literaturverweis s. unten) auseinandergedröselt wird. (Was nebenbei belegt, dass Wissenschaftsphilosophie nicht so nutzlos ist wie manche behaupten, gerade das saubere Trennen von Begriffen ist ja etwas, was Philosophinnen gut können. Flores nimmt sehr schön die einzelnen Aspekte der Gleichung E=mc² auseinander und zeigt, welcher Teil wie bewiesen werden kann.) Und der dritte Vorteil ist, dass ihr eine äquivalente Herleitung auch noch in den berühmten Feynman Lectures nachlesen könnt – Feynman hat es nämlich ganz ähnlich gemacht. Deswegen präsentiere ich hier den Beweis auch nicht in allen Einzelheiten, sondern skizziere nur, wie er funktioniert.
Betrachten wir zunächst einmal den elastischen Stoß zweier Teilchen, also einen Stoß, bei dem keine kinetische Energie umgewandelt wird (so wie zum Beispiel bei der Kollision von Billardkugeln, zumindest in guter Näherung, oder beim berühmten Newton-Pendel). Wir nehmen an, dass es bei diesem Prozess eine Energie- und eine Impulserhaltung gibt – Erhaltungssätze brauchen wir für diese Herleitung genauso wie eben bei dem Beweis mit dem Photon. (Mehr über Erhaltungssätze findet ihr im Artikel “Der schönste Satz der klassischen Physik”.)
Wir setzen uns in ein Bezugssystem, in dem die beiden Kugeln mit gleich großer, genau entgegengesetzter Geschwindigkeit aufeinander zufliegen. Aus den Erhaltungssetzen können wir dann folgern, dass die beiden Kugeln hinterher, nach dem Stoß, in entgegengesetzte Richtungen wieder wegfliegen (Impulserhaltung) und dass ihre Geschwindigkeit dabei denselben Betrag hat – sonst würde sich die kinetische Energie ja ändern. Jetzt setzen wir uns in ein anderes Bezugssystem und berechnen den Prozess in diesem System. Dazu können wir die berühmten Lorentz-Transformationen verwenden mit denen man ausrechnen kann, wie ein Prozess in unterschiedlichen Bezugssystemen aussieht (wie sich also die gemessenen Geschwindigkeiten, Zeiten und Strecken ändern).
Diese Rechnung (wie gesagt, ihr findet sie im Detail im paper oder in etwas anderer Form in den Feynman Lectures, mir geht es hier nur um die Idee) liefert uns einen Satz Gleichungen, aus denen wir entnehmen können, dass die kinetische Energie – wie ja oben schon von mir verwendet – durch die Gleichung
gegeben ist und der Impuls durch
Als nächstes betrachtet man einen inelastischen Stoß, also einen, bei dem kinetische Energie verloren geht (stellt euch einen Frontalzusammenstoß zweier Autos oder – wenn ihr keine Unfälle als Beispiele mögt – das Aufeinandertreffen zweier Kugeln aus Knetgummi vor, die hinterher zusammenkleben, so dass die Geschwindigkeit nach dem Stoß Null ist).
Auch jetzt kann man den Prozess wieder in zwei unterschiedlichen Bezugssystemen betrachten und die Gleichungen für die kinetische Energie und den Impuls sowie die Erhaltungssätze benutzen. Dann kommt heraus, dass die Erhaltungssätze nur gelten können, wenn sich die Masse des Objekts nach dem Stoß erhöht hat, und zwar genau um den Betrag, um den die kinetische Energie abgenommen hat – natürlich mit dem passenden Faktor c² versehen.
Damit ist also E=mc² hergeleitet, oder?
Ja, ist es, aber mit einem Vorbehalt: Was Einstein gezeigt hat ist zunächst mal, dass sich kinetische Energie in Masse umwandeln kann – die Masse des großen Knetklumpens nach dem Stoß ist größer als die Masse der beiden Anfangsknetklumpen. Umgekehrt kann man daraus (ähnlich wie oben beim Photon) auch folgern, dass sich die Masse eines Objekts, das in Ruhe ist, ändert, wenn es Energie abgibt. Wir können also nicht die Energie ändern, ohne auch die Masse zu ändern – ein Wasserstoffatom in einem angeregten Zustand (also mit einer höheren Energie) ist schwerer als eins im Grundzustand. Die Masse entspricht also tatsächlich einer Ruheenergie, man kann nicht den Energiegehalt eines Objekts ändern, ohne auch seine Masse zu ändern.
Die übliche Interpretation von E=mc² besagt aber ja auch, dass wir jede Materie in Energie umwandeln können, dass wir also zum Beispiel die gesamte Energie, die in der Masse eines Elektrons steckt, in eine andere Energieform (beispielsweise die eines Photons) überführen können. Die Gleichung E=mc² sagt uns zwar, dass das prinzipiell denkbar ist, aber nicht, dass es auch ein tatsächlich möglicher Prozess ist.
Dass das möglich ist, folgt in unseren aktuellen physikalischen Theorien aus der Verbindung von Quantenmechanik und Relativitätstheorie (die resultierende Theorie – Quantenfeldtheorie – habe ich mal in einer langen Serie etwas erklärt, klickt rechts bei den Artikelserien). Im Rahmen dieser Theorien ergibt sich die Umwandlung von Masse und Energie ziemlich direkt (habe ich in der Serie allerdings nicht thematisiert) – aber hier fließen eben neben der Relativitätstheorie noch andere physikalische Konzepte ein.
Die tatsächliche, physikalische Bedeutung von E=mc² – man kann jede Masse in Energie umwandeln – haben wir also auch mit Einsteins zweiter Herleitung nicht wirklich gezeigt, dazu braucht man weitere physikalische Theorien. Das ist auch nicht wirklich verwunderlich – die SRT (und ihre Erweiterung in der Allgemeinen RT) setzt ja in gewisser Weise einen Rahmen für unsere physikalischen Theorien, weil diese Theorien etwas über die Struktur der Raumzeit aussagen. Welche Prozesse sich in der Raumzeit dann auch real abspielen können, dazu sagen diese Theorien erst einmal nichts. (Wobei die ART aber natürlich einiges darüber sagt, wie die Raumzeit die Bewegung von Objekten bestimmt und wie Massen bzw. Energien die Raumzeit beeinflussen.)
Zum Glück muss uns das kein Kopfzerbrechen machen – denn wir können E=mc² noch auf eine ganz andere Art “beweisen”. Immerhin betreiben wir Physik, und in der Physik wird gemessen. Wir können also beispielsweise die Masse eines Helium-Atomkerns messen und feststellen, dass er tatsächlich leichter ist als seine Bestandteile, weil beim Binden der zwei Protonen und zwei Neutronen Energie freigesetzt wurde. (Wir können das dann auch nutzen, um zu verstehen, wie die Sonne ihre Energie produziert und sehen, dass wir das Verhalten der Sonne auf dieser Basis gut verstehen können. Oder wir können – deutlich weniger erfreulich, aber als physikalisches Experiment trotzdem sehr überzeugend – eine Wasserstoffbombe zünden und sehen, ob die freigesetzte Energie zu dem Wert passt, den wir bekommen, wenn wir die Massendifferenz zwischen Wasserstoff und Helium ansetzen.)
Wir können auch in einen Teilchenbeschleuniger gehen und dort zum Beispiel Elektronen und Positronen aufeinanderschießen, so wie im ersten Teil des Artikels erklärt. Auch da sehen wir, dass die freigesetzte Energie genau den Wert hat, den wir erwarten.
Die Gleichung E=mc² ist also auch und vor allem deswegen korrekt, weil wir sie experimentell bestätigt finden. Theoretische herleitungen sind hilfreich, weil Experimente ja immer einen Messfehler haben und weil die Experimente nicht ausschließen können, dass die Gleichung nicht zum Beispiel E=1,0000000000000000000001 mc² lauten müsste. Da hilft uns dann die Theorie, um uns zu zeigen, dass die Gleichung, die wir messen, auch mit dem, was wir sonst wissen, zusammenpasst. Aber wenn wir etwas anderes messen würden, dann würden wir unsere Theorien entsprechend anpassen müssen. Auch wenn theoretische Physik eine unglaublich faszinierende Sache ist – am Ende zählt das, was in der Realität passiert. Oder, mit meinem Lieblingszitat von Feynman gesagt:
“It is the facts that matter, not the proofs. Physics can progress without the proofs, but we can’t go on without the facts … if the facts are right, then the proofs are a matter of playing around with the algebra correctly.”
[Es sind die Fakten, die wichtig sind, nicht die Beweise, Die Physik kann auch ohne Beweise Fortschritte machen, aber ohne Fakten kommen wir nicht weiter. … Wenn die Fakten stimmen, dann sind die Beweise eine Sache des richtigen Herumspielens mit der Algebra.]
Einsteins Originalartikel findet ihr hier:
Hier der Artikel von 1905
Und hier den von 1935: Einstein, A. (1935) ‘Elementary Derivation of the Equivalence of Mass and Energy’,
American Mathematical Society Bulletin 41, 223—230.
https://148.216.10.84/archivoshistoricosMQ/ModernaHist/Einstein_DerivationE=mc.pdf
Die Erklärungen zu Einsteins Herleitungen stammen aus diesem sehr schönen Artikel:
Flores, Francisco. “Einstein’s 1935 Derivation of E= mc 2.” Studies in History and Philosophy of Science Part B: Studies in History and Philosophy of Modern Physics 29.2 (1998): 223-243.
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