Soweit der Idealfall. Schwieriger ist es, wenn ihr eine Arbeit begutachten müsst, bei der es Teile gibt, die ihr nicht wirklich versteht (wie es dazu kommen kann, habe ich ja oben erklärt). Wahrscheinlich habt ihr nicht die Zeit, euch jetzt erstmal ein paar Tage in eine neue mathematische Methode einzuarbeiten oder 10 andere Arbeiten zu lesen, bis ihr die Details der vorliegenden Arbeit versteht. In so einem Fall konzentriert ihr euch am besten auf die Stellen der Arbeit, die ihr versteht und schaut, ob die in Ordnung sind, und ihr achtet auf innere Stimmigkeit. Ich habe mal noch zu Studienzeiten eine Diplomarbeit als Freundschaftsdienst gegengelesen, die total abgefahrenes mathematisches Zeugs enthielt – konnte aber die Diplomandin unglaublich beeindrucken, weil ich eine Inkonsistenz zwischen zwei Formeln gefunden habe, die etwa 10 Seiten auseinanderstanden (und die ich natürlich nicht verstand). Auch beim echten Begutachten habe ich sowas mal hinbekommen – da gab es eine Grafik mit einer seltsam verlaufenden Kurve mit einem Knick, und obwohl ich die Details nicht verstand, war mir aufgefallen, dass die Normierung der Kurve ein bisschen seltsam war. Ich habe das entsprechend angemerkt und siehe da – in der nächsten Version des Artikels war die Kurve dank neuer Normierung hübsch und glatt. Ist ja immer nett, wenn man zumindest schlau aussieht….
Euer Bericht geht jetzt an die “Editorin” der Zeitschrift – das ist die, die euch auch als Gutachterin ausgewählt hat. Typischerweise werden für einen Artikel zwei, manchmal auch drei, Gutachten eingeholt. Die Editorin schaut sich die Gutachten an und trifft dann auf Basis der Gutachten eine Entscheidung. Euer Gutachten ist letztlich nur eine Hilfestellung – theoretisch könnte eine Editorin ein paper akzeptieren, das lauter “rejects” von den Gutachterinnen bekommen hat; aber auf die Dauer ist das der Qualität und dem Ruf einer Zeitschrift nicht zuträglich. Die Editorin bekommt übrigens – genauso wie ihr als Gutachterin – kein Geld für die Tätigkeit, die ist typischerweise ehrenamtlich.
Die Autorinnen bekommen dann die (anonymisierten) Gutachten mit der Entscheidung zugeschickt. Nehmen wir mal an – das ist ja der häufigste Fall – das paper wurde von den Gutachterinnen mit “major revisions” bewertet und die Editorin schließt sich der Meinung an. (Wobei es inzwischen immer öfters vorkommt, dass ein paper von der Editorin abgelehnt wird, auch wenn die Guatchterinnen nur “major revisions” gefordetr haben, mit dem Hinweis, man könne die Arbeit nach Überarbeitung neu wieder einreichen. Dass machen Zeitschriften deshalb, damit die Zeit zwischen Einreichung und Veröffentlichung dann – zumindest auf dem Papier – kurz aussieht, denn das ist für Autorinnen natürlich schon ein Kriterium, nach dem man Zeitschriften auswählt. Schön ist das nicht, kommt aber leider immer öfter vor.)
Meist überarbeiten die Autorinnen das paper jetzt und reichen es dann erneut bei der Editorin ein. Im überarbeiteten paper werden die Änderungen meist farbig markiert, zusätzlich verfassen die Autorinnen noch eine Antwort an die Gutachterinnen, in der sie erklären, wie sie die kritisierten Punkte überarbeitet haben. (Das Verfassen dieser Antwort ist eine Kunst für sich – na klar muss man ausgesucht höflich sein und sollte die Gutachterinnen nicht kritisieren – wenn die aber irgendwelchen Blödsinn kritisiert haben oder das paper nicht gelesen haben, ist das nicht so einfach zu formulieren. )
Und so kommt das paper dann einige Wochen oder Monate später wieder zu euch zurück. Gut, dass ihr eure Datei mit eurer ersten Kritik aufbewahrt habt, dann könnt ihr im Zweifel nochmal nachgucken, was ihr geschrieben habt. (Bei guten Wieder-Einreichungen ist das nicht notwendig, weil schlaue Autorinnen in ihrer Antwort auf die Gutachterinnen die Originalkritik vollständig zitieren.) Jetzt wird es interessant: Wurden zentrale Kritikpunkte (wie etwa die falschen Randbedingungen) tatsächlich geändert (dazu müssen die Autorinnen dann tatsächlich nochmal neue Ergebnisse berechnen und auswerten) oder beschränkt sich die Antwort darauf, zu argumentieren, warum die gewählten Randbedingungen eigentlich doch total in Ordnung sind, auch wenn sie der Realität widersprechen? (Ratet mal, welcher Fall häufiger ist…)
Ihr schaut jetzt also Punkt für Punkt, ob eure Kritikpunkte entsprechend beantwortet wurden (vielleicht ließen sich einige ja tatsächlich durch ein oder zwei Sätze entkräften) und guckt, ob das paper entsprechend angepasst wurde. Dann schreibt ihr ein neues Gutachten, wo ihr die Punkte, die immer noch nicht zufriedenstellend sind, nochmal aufführt und erklärt, warum ihr nicht zufrieden seid. Je nachdem, wie viel Mühe sich die Autorinnen gegeben haben, ändert ihr jetzt möglicherweise von “major revision” auf “minor revision” (es ist nur noch Kleinkram) oder auf “accept”; wenn aber immer noch Probleme da sind, dann bleibt es bei “major revision” – und ihr könnt euch vermutlich darauf freuen, die Arbeit noch ein drittes (und irgendwann möglicherweise viertes) Mal zu bekommen, es sei denn, die Editorin lehnt sie jetzt im zweiten Durchlauf ab.
So also funktioniert das berühmte “Peer Review”. Ihr seht, dass das Verfahren schon einige Vorteile hat:
- Gutachterinnen, die sich mit der Thematik auskennen, lesen die Arbeit durch und prüfen, ob sie methodische oder sonstige Fehler entdecken können.
- Im Gutachten werden – wenn alles gut läuft – klare Hinweise gegeben, wie man die Arbeit verbessern kann.
- Da es normalerweise mehrere Gutachten gibt, hängt nicht alles an einer Person.
- Am Ende entscheidet die Editorin, ob die Arbeit akzeptiert wird, nicht die Gutachterinnen – böswillige Gutachterinnen haben also nicht beliebig viel Macht.
Aber klar, das System hat auch Nachteile (Etwas ganz anderes ist natürlich die Kritik am System wissenschaftlicher Verlage (siehe zum Beispiel diesen Artikel). Darum geht es jetzt nicht.):
- Die Gutachterinnen werden von der Editorin ausgewählt (wobei die meisten Zeitschriften von den Autorinnen Vorschläge für Gutachterinnen verlangen); da ist also durchaus eine gewisse Willkür möglich, weil unterschiedliche Gutachterinnen unterschiedlich hart urteilen.
- Die Gutachterinnen bekommen nichts für ihre Tätigkeit; dadurch ist die Versuchung da, ein Gutachten möglichst schnell zu verfassen, weil man noch etwas anderes wichtiges zu tun hat.
- Die Gutachterinnen können natürlich relativ willkürlich agieren.
- Da Autorinnen Gutachterinnen vorschlagen, können/werden sie natürlich solche vorschlagen, von denen sie annehmen, dass sie ihnen wohlgesonnen sind.
- Zumindest theoretisch ist es denkbar, dass eine Gutachterin eine Arbeit zur Ablehnung empfiehlt, die Idee klaut und schnell selbst etwas entsprechendes veröffentlicht, Habe ich so noch nicht erlebt, soll aber vorkommen.
- Die Gutachterinnen werden in keiner Weise geschult oder ausgebildet.
- Die Gutachterinnen unterliegen möglicherweise Vorurteilen – berühmte Namen auf der Autorinnenliste oder der Name einer bekannten und renommierten Universität haben sicher einen Einfluss, egal wie sehr man sich davon lösen will. (Anonymisierte Gutachten, bei denen die Gutachterinnen die Autorinnennamen nicht erfahren, funktionieren nur bedingt, weil man meist an Hand des papers und der zitierten Literatur sieht, wer die Autorinnen sind, denn die verweisen natürlich auf ihre eigenen früheren Arbeiten zum Thema, auf denen sie aufbauen.)
Deswegen werden ja auch Alternativen diskutiert (Gutachtenverfahren im Netz, die für alle offen sind zum Beispiel). Die haben aber auch ihre Nachteile – wenn zum Beispiel alles erstmal öffentlich gemacht wird und erst dann durch die Gemeinschaft begutachtet wird, dann heißt das eben, dass ich beim Suchen nach Arbeiten zu einem Thema alles finde, auch den größten Blödsinn. Und dann muss ich die Arbeiten erst selbst anschauen, gucken, wie oft sie schon gelesen und wie sie kommentiert wurden und mir dann eine Meinung bilden, ob die Arbeit überhaupt etwas taugt. Gerade wenn man eine Literaturübersicht macht (so wie ich Anfang des Jahres, als ich einen Übersichtsartikel schreiben durfte), kommt es durchaus vor, dass man an einem Tag in 20 oder 30 Veröffentlichungen reinschaut – und da ist es gut, wenn man sich einigermaßen darauf verlassen kann, dass die Veröffentlichung vorher schon begutachtet wurde.
Insgesamt zeigt meine eigene Erfahrung (sowohl als Gutachterin als auch als Autorin) also schon, dass das System dazu beiträgt, wissenschaftliche Veröffentlichungen besser zu machen. Die Kritik der Gutachterinnen ist ja oft sinnvoll, man hat etwas übersehen, nicht sauber dargestellt oder so, und so etwas kann durch das System abgefangen werden. Und wirklich schlechte Veröffentlichungen (von denen ich schon eine ganze Reihe zur Begutachtung hatte), die methodisch vollkommen fehlerhaft sind oder gar keinen Erkenntnisgewinn liefern, werden durch das System meist (wenn auch nicht immer, wegen der Schwachstellen des Systems) gestoppt.
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