Was ist eigentlich ein Dinosaurier? Und was nicht? Bevor wir uns das im Detail angucken, hier erst mal ein kleines Quiz.
Ich zeige euch immer Paare von ausgestorbenen Tieren, Ihr dürft raten, welches davon ein Dinosaurier ist und welches nicht:
A
By Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Own work, CC BY 2.5, Link
oder B
By Emily Willoughby (e.deinonychus@gmail.com, https://emilywilloughby.com) – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
C
By Matthew P. Martyniuk – Own work, CC BY-SA 4.0, Link
oder D
By Nobu Tamura (https://spinops.blogspot.com) – Own work, CC BY 3.0, Link
E
By DiBgd at English Wikipedia, CC BY 2.5, Link
oder F
By Petrified Forest from Petrified Forest, USA – Postosuchus kirkpatricki
Uploaded by FunkMonk, Public Domain, Link
G
Von ДиБгд – File:Спинозавр – новая реконструкция.jpg, CC-BY-SA 4.0, Link
oder H
Von DiBgd in der Wikipedia auf Englisch, CC BY 2.5, Link
Die richtige Antwort lautet B, D, E und G.
Verwirrend? Vermutlich schon.
Schauen wir also mal, was es mit dem Begriff “Dinosaurier” auf sich hat.“Nichts in der Biologie macht Sinn, außer im Licht der Evolution.”
Dieses bekannte Zitat (von Theodosius Dobzhansky, mehr darüber bei den Scilogs) liegt auch der Klassifikation von Lebewesen zu Grunde, wie sie heute in der Biologie angewandt wird. (Details dazu habe ich vor langer Zeit mal erklärt, hier Teil II) Wenn man Tiere gruppieren will, kann man das auf viele Arten tun: Alle Tiere, die im Wasser leben (oder genauer in der Nordsee oder der Elbe), alle Tiere, die fliegen können usw. Da Lebewesen sich aber evolutionär weiterentwickeln, schmeißen wir damit Tiere in dieselbe Schublade, die so verschieden sind wie Libellen und Falken.
Wenn man sich für die Evolution interessiert (und bei der Beschäftigung gerade mit ausgestorbenen Tieren tut man das ja zwangsläufig), dann ist es sinnvoll, eine Klassifikation zu verwenden, die Tiere nach ihrer evolutionären Abstammung eingruppiert. Natürlich kann man auch die anderen Gruppierungen manchmal nützlich finden – beispielsweise in der Ökologie -, aber wenn man eine global gültige Klassifikation von Tieren sucht, dann ist die Evolution der Schlüssel dazu.
Die Evolution verläuft ja so, dass sich Tiergruppen (ja, Pflanzen auch, aber um die geht es heute nicht) immer weiter aufteilen, aus Arten entstehen neue Arten. Insgesamt ergibt sich ein Busch wie in diesem Bild von Darwin:
By Charles Darwin – Darwin, Charles (1859), On the Origin of Species, pp. 116–117
(In the PDF file the diagram is on page 133.), Public Domain, Link
Deshalb ist es also sinnvoll, Tiergruppen zu bilden, die von einem gemeinsamen Punkt ausgehen, also einen gemeinsamen Vorfahren haben.
Natürlich werden wir selten bis nie das Glück haben, genau den gemeinsamen Vorfahren zweier heutiger Tiere als Fossil zu finden. Trotzdem können wir natürlich zwei heutige Tierarten anschauen und uns fragen, was ihr gemeinsamer Vorfahr war und welche anderen Arten alle von diesem Vorfahren abstammen. Nehmen wir als Beispiel Menschen und Orang-Utans, dann haben diese einen gemeinsamen Vorfahren, der auch ein Vorfahr der heutigen Gorillas und Schimpansen war:
Von Fred the Oyster – , CC-BY-SA 4.0, Link
Die resultierende Tiergruppe nennen wir dann “Hominidae” oder eingedeutscht “Hominiden”. (Auf die Klassifikation nach Familien, Gattungen etc. gehe ich hier nicht ein, die ist ohnehin recht willkürlich.)
Anmerkung, damit keine Missverständnisse aufkommen: Wenn ich von “dem Vorfahren” rede, dann meine ich eine Tierart, nicht ein einzelnes bestimmtes Tier. Evolution agiert ja typischerweise auf Populationen.
Generell definiert man also eine Tiergruppe so, dass man den gemeinsamen Vorfahren zweier (oder mehrerer) Tierarten sucht und dann alle Tiere, die von diesem abstammen, zu einer Gruppe zusammenfasst. (Expertinnenhinweis: So Feinheiten wie den Unterschied zwischen “crown-based” und “node-based” spare ich mir hier der Einfachheit halber.)
Das kann zu Definitionen führen, die nicht zu unserem Alltagsverständnis passen. Nehmen wir beispielsweise die “Fische”. Haie, Hechte und Guppies sind ja alles Fische. Definiere ich die Gruppe “Fische” über alle Tiere, die vom gemeinsamen Vorfahren dieser drei Gruppen abstammen, dann zählen dazu auch Lungenfische, Quastenflosser und alle heutigen Landwirbeltiere einschließlich des Menschen. Evolutionär gesehen sind wir also “Fische”.
Man könnte natürlich schlicht auf die Idee kommen, einfach einige Tiere aus der Gruppe der Fische auszuschließen, beispielsweise alle Landwirbeltiere. Solche (als “paraphyletisch”) bezeichneten Definitionen sind oft aus praktischen Gründen nützlich, sie sind aber auch problematisch. Denn irgendwo müssen wir die Grenze zwischen “Fisch” und “Nicht-mehr-Fisch” ziehen, und diese Grenze wird immer willkürlich sein. Wie gesagt, aus praktischen Gründen trotzdem sinnvoll, und wenn ich in ein Aquariengeschäft für “Fischbedarf” gehe, erwarte ich dort keine Wellensittiche und kein Hundefutter; biologisch gesehen sind solche Begriffe aber problematisch.
In die gleiche Kategorie fällt auch die Gruppe (“Klasse”) der “Reptilien”, zu denen ja Schildkröten, Schlangen und Eidechsen, Brückenechsen und Krokodile gehören. Der gemeinsame Vorfahr all dieser Tiere war auch ein Vorfahr der heutigen Vögel (und der Dinosaurier); demnach sind Vögel also auch “Reptilien” im evolutionären Sinn. Da sich heutige Reptilien von Vögeln deutlich unterscheiden, macht die Einteilung schon Sinn – aber wenn wir evolutionär zurückgehen, wird es schwer, die Grenze zwischen Vogel und Reptil zu ziehen. Genau deswegen war “Archaeopteryx” ja so eine Sensation, als er 1861 entdeckt wurde.
Aber nach dieser langen Vorrede jetzt – endlich – zu den Sauriern und Dinosauriern.
Der Begriff “Dinosaurier” hat eine lange (und komplizierte) Geschichte: Um 1840 herum hat Richard Owen ihn eingeführt, um die großen Land”reptilien” Megalosaurus, Hylaeosaurus und Iguanodon, die man in den Jahren zuvor gefunden hatte, in eine Gruppe einzugliedern. (Damals kannte man schon diverse Fisch- und Wassersaurier, die gehörten schon bei Owen nicht dazu). Später nahm man dann für eine Zeit an, dass “Dinosaurier” keine evolutionäre Gruppe ist, sondern in zwei Gruppen zerfällt, die Echsen- und die Vogelbecken-Dinosaurier, die nur wenig miteinander verwandt zu sein schienen. (Verwirrenderweise ist Archaeopteryx wie alle heutigen Vögel übrigens ein “Echsenbeckendinosaurier”.)
Erst in den 80er Jahren des 20. Jahrhunderts erkannte man, dass die Gruppen viele Gemeinsamkeiten hatten und doch eng miteinander verwandt waren. Man definierte dann die Gruppe der Dinosaurier als “Alles, was vom gemeinsamen Vorfahren von Iguanodon und Megalosaurus abstammt”. So sieht diese Gruppe aus:
Dinosaurier-Kladogramm von Tom Holtz (Danke auch für die Genehmigung, die Bilder hier zu nutzen)
Ihr seht, dass die klassischen Dinosaurier in diese Gruppe gehören. In die Gruppe der Theropoda gehören aber auch alle heutigen Vögel, die nämlich von kleinen Raubsauriern abstammen. Wenn man evolutionär über “Dinosaurier” redet, sind Vögel also mit gemeint. Oft will man natürlich Vögel ausschließen – ein Buch über “Dinosaurier” sollte sich nicht im wesentlichen mit Vögeln beschäftigen, dann spricht man gern von “Nicht-Vogel-Dinosauriern” (non avian dinosaurs). Aber ganz ohne Vögel ist eine Diskussion von Dinosauriern nie vollständig.
In dieses Diagramm (und damit zu den Dinosauriern) gehören die Ankylosaurier (Bild B aus unserem Rätsel oben, in die Gruppe der Thyreophora), der Raubsaurier “Ceratosaurus” (Bild F, Theropoda) und auch der ausgestorbene Vogel “Teratornis” (Bild D, Theropoda) sowie der Spinosaurus (Bild G, noch ein Theropode).
Was ihr in dem Bild nicht seht, sind andere “Saurier”, wie etwa die verschiedenen Meeres- oder die Flugsaurier und die anderen Tiere aus meinem kleinen Rätsel. Wo gehören die evolutionär hin?
Fangen wir mit den Flugsauriern an. Heutzutage spricht sehr viel dafür, dass sie mit den Dinosauriern eng verwandt sind. Die gemeinsame Gruppe, in der Dinosaurier und Flugsaurier stecken (könnt ihr definieren als “alles, was vom gemeinsamen Vorfahren von Megalosaurus, Iguanodon und Pterodactylus abstammt) nennt man Ornithodira. Der Flugsaurier aus Bild C gehört also hierhin.
Eine größere Tiergruppe sind dann die “Archosaurier” – die umfassen den gemeinsamen Vorfahren aller Krokodile, Dinosaurier (und damit auch die Flugsaurier) und alles, was davon abstammt (rechts oben seht ihr die Ornithodira, links oben die Krokodile):
Kladogramm Archosauria, ebenfalls von Tom Holtz.
Zu dieser Gruppe gehören auch die Rauisuchier wie “Postosuchus” (Bild F von oben). Der sieht einem Raubsaurier sehr ähnlich, ist aber evolutionär deutlich dichter an den heutigen Krokodilen dran. Und auch unser Bild A (Aetosaurus) gehört hierher, in die Gruppe der Aetosauria.
Und dann gibt es natürlich auch noch diverse Meeressaurier (die ich oben im Quiz nicht eingebaut habe, weil es keine annähernd ähnlich aussehenden Dinosaurier gibt), wie beispielsweise diesen Pliosaurier (Pliosaurus)
By Dmitry Bogdanov – dmitrchel@mail.ru, CC BY-SA 3.0, Link
und diesen Ichtyosaurier (Omphalosaurus)
Von Creator: Dmitry Bogdanov – dmitrchel@mail.ru, CC BY 3.0, Link
Um zu sehen, wo die hingehören, müssen wir unseren “Stammbaum” noch weiter fassen und am besten gleich alle Amniota (Vierfüßer, die hartschalige Eier legen) mitnehmen:
Noch ein Kladogramm von Tom Holtz
Ganz rechts oben sitzen jetzt alle Archosauria – wir haben es jetzt also schon mit großen Gruppen zu tun, die Lepidosauria beispielsweise, die mitte rechts angeordnet sind, umfassen alle heutigen Schlangen und Eidechsen. Darüber sehen wir die Meeressaurier (Ichthyosauria, Plesiosauria), neben den heutigen Schildkröten (deren Position nach wie vor nicht vollkommen klar ist, dazu schreibe ich aber nichts, der Artikel ist eh schon sehr lang). Ziemlich auf der linken Seite, da wo es zu den Säugetieren (mammalia) geht, sitzt auch Dimetrodon, unser Rätselbild H. Dimetrodon steht in der Linie unserer Vorfahren und ist uns deswegen evolutionstechnisch gesehen näher als den Dinosauriern, auch wenn er nicht so aussieht.
Wie ihr seht, sind sehr viele ausgestorbene Tiere (auch wenn sie groß und reptilienartig waren) keine Dinosaurier. Wer einen Flugsaurier als Dinosaurier bezeichnet, könnte auch eine Maus als Affen einstufen (weil Nagetiere und Primaten relativ eng verwandt sind), wer einen Ichthyosaurus oder Plesiosaurus als Dinosaurier einstuft, könnte ein Känguru als Affen einstufen, und wenn “Dimetrodon” ein Dinosaurier ist, dann ist eine Schildkröte auch ein Säugetier.
Alle großen, ausgestorbenen reptilienartigen Tiere für Dinosaurier zu halten, ist ein natürlich weit verbreiteter Fehler – Brian Switek führt ihn als Nummer 2 der “10 Dinosaur Myths That Need To Go Extinct” auf, auf der “dinosaur mailing list” steht “pterosaurs are dinosaurs” in diesem Post auf Platz 1 der Liste der “most popular misconceptions”. In der weiteren Diskussion schreibt Jaime Headden sehr charmant ” Furthermore, to simply call something a dinosaur for the sake of making it familiar and lovely would seem rather childish. If a child sees a deer and calls it a horse, is he right?”
Man könnte natürlich einwerfen, dass diese feinen Unterscheidungen für Laien doch egal sind. Das halte ich allerdings nicht für die richtige Einstellung: Zum einen tun wir das in anderen Bereichen auch nicht: wäre es nicht einfacher, wenn wir z.B. alle Regierungschefs anderer Länder als “Bundeskanzlerin” bezeichnen würden, statt dass wir uns merken müssen, welches Land nun einen Präsidenten oder Premierminister oder so hat? Müssen wir wirklich Monde und Planeten und Zwergplaneten unterscheiden – sind doch alles felsige Gesteinsbrocken oder Gasklumpen? Zum zweiten müssen wir auch Laien nicht für unfähig halten, solche Dinge zu verstehen, nur, weil man sie erklären muss – wesentlich komplizierter als die Frage, was ein Cousin 2. Grades ist, ist so ein Kladogramm auch nicht. Und zum dritten kann man diese Unterscheidung auch nutzen, um Wissenschaft zu vermitteln: Warum sind Flugsaurier keine Dinosaurier? Was ist überhaupt ein Dinosaurier? Was können wir daraus über Evolution lernen?
“Aber Moment mal, eine Sache hast du nicht erklärt – die Viecher sind doch alle ‘Saurier’ oder nicht?” könntet ihr jetzt einwerfen.
Richtig, das sind sie. Jedenfalls im üblichen Sprachgebrauch. Das liegt aber schlicht daran, dass “Saurier” kein evolutionär sinnvoll definierter Begriff ist. Laut Wikipedia steht der Begriff “Saurier” nämlich “für die größeren fossilen Amphibien (z. B. Stegocephalia) und Reptilien, im engeren Sinne für die teils riesigen Reptilien des Mesozoikums, insbesondere Dinosaurier, Ichthyosaurier, Sauropterygia und Flugsaurier.” Selbst große ausgestorbene Amphibien gehören dazu, beispielsweise der “Mastodonsaurus”. Den findet ihr im Kladogramm oben nicht, weil er kein Amniot ist, er würde ganz nach links gehören, da, wo Lissamphibia steht. Auf der Wiki-Seite zu den “Sauriern” seht ihr auch etwas ungewöhnliches: Es gibt links in der Sprachleiste keine Seite, die den Begriff in anderen Sprachen erklärt. Da gibt es ihn nämlich schlicht nicht. “Saurier” ist ein Wort, das in dieser Form nur im Deutschen verwendet wird, und auch da nur informell, nicht, wenn es um Evolution geht. Solche informellen Begriffe (wie “Fisch”) sind manchmal praktisch (und es ist schade, dass es ein entsprechendes Wort im Englischen nicht gibt), aber wissenschaftlich eher unbedeutend. Also: Einen Flugsaurier oder Plesiosaurier als “Saurier” zu bezeichnen, ist völlig in Ordnung. Nur “Dinosaurier” sind sie halt nicht.
Dass viele ausgestorbene Tiere gern in die Gruppe “Dinosaurier” gesteckt oder mit ihnen assoziiert werden, hat übrigens noch einen anderen Grund: Popularität. “Dinosaurier” (besonders im Englischen, wo es eben keine “Saurier” gibt) ist ein Wort, das sofort Aufmerksamkeit schafft. Selbst Filme (wie “Die Erben der Saurier”) oder Bücher über Ursäugetiere (wie Protheros “After the dinosaurs”) haben oft das Wort “Dinosaur” im Titel. (Hinweis: Wenn ihr ein gutes Buch über ausgestorbene Säugetiere sucht, lest nicht “After the dinosaurs” sondern Protheros neues Buch “Princeton Field Guide on Prehistoric Mammals”, das ist wesentlich besser und mehr auf Biologie als auf Geologie fokussiert). Wer etwas mit “Dinosauriern” in Verbindung bringen kann, schafft Aufmerksamkeit (und bei den Dinos muss dann immer T. rex irgendwie erwähnt werden); da leidet dann manchmal die Korrektheit zu Gunsten der PR.
Das Wort Dinosaurier bezeichnet aber eine genau definierte Tiergruppe, zu der neben T. rex (Augenzwinker…) und dem bekannten Triceratops auch alle heutigen Vögel gehören – ein großer Teil der Artenvielfalt aus dem Erdmittelalter hat aber in dieser Gruppe nichts verloren.
PS: Wer nach Bildern und Kladogrammen sucht, landet oft auf der schrecklichen Seite “ReptileEvolution” von David Peters (verlinke ich hier absichtlich nicht). Was ihr dort findet, ist absoluter Blödsinn, mehr dazu bei Darren Naish.
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