Neulich in einer Diskussion fand ich mich in einer für mich ungewöhnlichen Situation wieder: Als Verteidigerin von religiösen Ansichten. Grund dafür war, dass in dieser Diskussion gesagt wurde, Religion sei per se irrational. Das mag richtig sein – aber wenn die Tatsache, dass ein Weltbild nicht zu 100% rational verstehbar ist, ein Ausschlusskriterium darstellt, dann muss man natürlich schon mal kritisch fragen, wie es um die Rationalität des naturwissenschaftlichen Weltbilds bestellt ist. Hier ein paar Gedanken dazu – nicht fürchterlich tiefsinnig und wohl auch nichts, was nicht schon in der Philosophie diskutiert wurde (nein, Wissenschaftsphilosophie ist nicht nutzlos), aber vielleicht ja trotzdem eine Anregung zum Nachdenken. (Ähnliche Ideen habe ich in anderer Form schon vor langer Zeit aufgeschrieben.)
Naturgesetze
Um die Natur zu verstehen, stellen wir (gerade in der Physik) Naturgesetze auf. Laut Wikipedia beschreibt ein Naturgesetz eine “Regelmäßigkeit von Vorgängen in der Natur”. In der Physik fallen unter diese Kategorie so Dinge wie die Maxwell-Gleichungen oder die Schrödinger-Gleichung oder die Beschreibung des Newtonschen Gravitationsgesetzes und so weiter. (Nebenbemerkung: Ich diskutiere hier nicht die Frage nach dem Unterschied zwischen einem “Gesetz” und einer “Theorie” – das wäre ein anderes Thema, ist aber in der Physik auch manchmal müßig, weil die Nomenklatur etwas uneinheitlich ist. Heute mache ich es mir in dieser Hinsicht einfach und nenne alle diese Dinge einfach “Naturgesetze”.)
Wir beobachten also Dinge, die immer wieder passieren (die “Regelmäßigkeit” aus der Wiki-Definition) und schließen daraus (philosophisch als “Induktion” bezeichnet), dass diese Regelmäßigkeit immer so auftritt und formulieren das dann als Naturgesetz. Dabei abstrahieren wir eventuell und verwenden zum Erklären Begriffe, die in dem, was wir beobachten, nicht unbedingt eine direkte Entsprechung haben. Wir reden beispielsweise von “Gravitationsfeldern” oder “Wellenfunktionen”, obwohl wir diese Dinge nicht direkt wahrnehmen oder messen können. Dass es sie trotzdem gibt, schließen wir daraus, dass wir mit ihrer Hilfe das, was wir beobachten, gut beschreiben können. (Wobei man sich über die Frage, ob es die Wellenfunktion wirklich gibt, ziemlich streiten kann, aber das ist wieder ne andere Baustelle. So ziemlich alles, was ich hier schreibe, würde in einer rein klassischen Welt genauso gelten.)
Ich will hier gar nicht die Frage aufwerfen, in wie weit so ein induktiver Schluss sinnvoll oder zulässig ist – auch das ist knifflig genug (in der Philosophie wird das gern am Beispiel von Schwänen illustiert: erlaubt mir die Tatsache, dass ich 1000000 Schwäne gesehen habe, die alle weiß waren, zu schließen, dass Schwäne immer weiß sind?). Ich nehme hier und im folgenden einfach mal an, dass wir einen zulässigen Induktionsschluss gezogen und daraus erfolgreich ein Naturgesetz abgeleitet haben – sowas wie das Gravitationsgesetz, die Maxwellgleichungen oder etwas ähnliches. Und ich nehme weiter an, dass dieses Gesetz wirklich universell gültig ist – alle Beobachtungen, die wir machen, passen zum Gesetz, wir beobachten keine Ausnahmen oder ähnliches. So ging es ja seinerzeit Newton (auch wenn die Newtonsche Physik später als Grenzfall komplexerer Theorien erkannt wurde) mit dem Gravitationsgesetz: Die Bewegung der Planeten, der Monde und der Dinge, die auf der Erde so runterfallen ließen sich alle ohne Mühe mit dem Newtonschen Gravitationsgesetz erklären.
Nehmen wir also an, wir würden in so einer Newton-Welt leben: Wir haben ein universell gültiges Naturgesetz gefunden, mit dem wir das Verhalten von allen Dingen beschreiben können (jedenfalls was die Wirkung der Schwerkraft angeht). Stellen wir uns so ein Newton-Universum vor, das aus lauter kleinen Massenpunkten besteht, die alle herumsausen, nach den Newtonschen Gesetzen, und sich gegenseitig anziehen, “wie das Gesetz es befahl”. Was haben wir damit erreicht?
Wir können damit alles, was in diesem Universum passiert, in dem Sinne verstehen, dass wir es durch unser Naturgesetz “erklären” können: Dieser Massenpunkt fliegt nach links, weil er von der anderen Masse dort angezogen wird; der Massenpunkt dort läuft auf einer elliptischen Bahn um den anderen und so weiter. So weit, so gut.
Aber natürlich kann man hier weiterfragen: Gibt es einen Mechanismus, der diese Kräfte weiter erklärt? In unserem Universum hat das funktioniert, man hat die Allgemeine Relativitätstheorie entdeckt, die das Newtonsche Gravitationsgesetz beinhaltet. Notwendig wurde das allerdings nur dadurch, dass das Newtonsche Gesetz, bei dem sich die Schwerkraft unendlich schnell ausbreitet, nicht zur speziellen Relativitätstheorie passte. Nehmen wir, damit die Sachen überschaubar bleibt, an, unser Universum, mit dem wir es zu tun haben, wäre tatsächlich ein klassisches Newton-Universum. Es gibt keine Beobachtung, die nicht zu unseren Vorhersagen passt, alle Massen im Universum Verhaltens ich nach den Newtonschen Gesetzen, das war’s. Wir haben damit wohl das gefunden, was man heutzutage eine “Weltformel” nennt.
Vom Standpunkt der Physik aus ist damit eigentlich alles getan, was wir in diesem Universum tun können. Aber natürlich fragen wir uns “Wie funktioniert das”? Woher weiß der eine Massenpunkt, dass dahinten ein anderer ist? Wie schafft es der Massenpunkt, immer sauber den Abstand zu allen anderen zu ermitteln, diesen Abstand zu quadrieren (weil in die Kraft das Quadrat des Abstands eingeht) und daraus die Stärke der Kraft zu berechnen? (Hinweis: Dieses Problem kommt, auch wenn es auf den ersten Blick so aussehen mag, nicht dadurch zu Stande, dass das Gesetz eine Fernwirkung beinhaltet. Selbst wenn wir mit einem Feld argumentieren, können wir fragen “Warum weiß die Masse, dass das Feld diese oder jene Stärke hat, und wie wird daraus die Kraft berechnet?”)
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