Die Hardware der Hardware
Wem das nicht einleuchtet, kann sich ein noch einfacheres Universum vorstellen, beispielsweise die simplen Regeln von Conways “Game of Life“. Hier besteht das Universum aus einem quadratischen Spielfeld. Jede Zelle des Felds ist entweder an- oder ausgeschaltet und die Zellen entwickeln sich nach bestimmten Regeln auseinander, je nachdem, wie viele der nächsten Nachbarn besetzt sind. (Überleben bei zwei oder drei der 8 Nachbarn, Geburt bei Drei Nachbarn, sonst ist die Zelle im nächsten Schritt leer.) Hier ein paar Beispiele, wie so eine Entwicklung aussieht:
Von Unbekannt – Unbekannt, Gemeinfrei, Link
Von AlterVista, CC BY-SA 3.0, Link
Stellt euch vor, ihr würdet in so einem Universum leben. Das ganze Universum lässt sich mit einem sehr simplen Regelsatz beschreiben – aber warum wird eine neue Zelle geboren, wenn sie genau drei besetzte Nachbarzellen hat? Was steckt dahinter?
Wenn ihr das Spiel auf eurem Computer laufen lasst, wisst ihr natürlich, was dahintersteckt: Die Regeln des Spiels sind in einem Programm eingebaut. Das Programm folgt diesen Regeln, weil es (je nachdem, wie genau es programmiert wurde) den Regelsatz in irgendeinen ausführbaren Code übersetzt, vielleicht in Assembler oder so, der wiederum heruntergebrochen wird in einen Satz von Anweisungen, die die einzelnen Bausteine eures Computerchips steuern. Und dass diese Steuerung wiederum funktioniert, liegt an der Hardware: Die Schaltkreise auf eurem Chip sind so verdrahtet, dass beispielsweise an einem Nicht-Gatter ein Bit umgekehrt wird. Das funktioniert, weil das Gatter aus einem Halbleiterbauteil besteht, und da werden je nach anliegender Spannung Verbindungen leitend oder nichtleitend, so dass das Gatter tut, was es soll. Aber wer in der Computer-Welt lebt, hat auf all diese Dinge keinen Zugriff und sieht nur, dass es Regeln gibt, die keine weitere Erklärung innerhalb der Welt haben.
So weit so gut. Wenn wir die Analogie auf unser Universum übertragen, dann sehen wir das Problem: Unsere Massenpunkte im Newton-Universum (oder die Elektronen im Halbleiterchip) verhalten sich nach gewissen Regeln. Mit Hilfe der Physik und anderer Naturwissenschaften können wir diese Regeln finden und damit das Verhalten der Objekte unseres Universums beschreiben. Aber welcher Mechanismus implementiert diese Regeln? Was sorgt dafür, dass sie eingehalten werden? Im Game of Life ist unmittelbar einsichtig, dass der Mechanismus, der dahinter steckt, selbst nicht durch die Regeln des Game of Life beschrieben werden kann. Ma könnte (so wie es einige Leute für die Quantenmechanik argumentieren) sagen, dass das Universum durch Information beschrieben wird. Das ist (für das Game of Life) ohne Frage auch richtig, aber wenn wir verstehen wollen, wie es tatsächlich funktioniert, dann gehen vom Regelsatz zum Computerprogramm zu den Maschinenspracheanweisungen, aber irgendwann kommt der Punkt, “where the buck stops”, der Punkt, wo die Regeln tatsächlich umgesetzt werden. Und das ist der Punkt, wo wir (beim Game of Life) von der Regelbeschreibung übergehen zur Hardware. Reine Information ohne Hardware, die sie implementiert, gibt es, soweit wir wissen, nicht.
Aber auch diese Hardware verhält sich wieder nach Regeln, und entsprechend können wir uns fragen, was denn diese Regeln umsetzt und dafür sorgt, dass sie eingehalten werden. Was ist die “Hardware der Hardware”?
Und natürlich können wir diese Frage neu stellen, sobald wir diese “Meta-Hardware” gefunden haben. Von der game-of-life-Welt landen wir in der “Hardware” unserer Welt und fragen uns, was dafür sorgt, dass deren Regeln immer gelten, und wenn wir dafür eine Erklärung finden sollten, die beispielsweise auf dem Verhalten von Phantastionen in einem 358-dimensionalen Hyperraum beruht, die dafür sorgen, dass die Naturgesetze in unserem Universum so gelten, wie sie das tun, dann können wir uns wieder fragen, warum die Phantastionen wissen, wie sie sich zu verhalten haben. Und so weiter, und so fort, schöne Grüße auch von Immanuel K und Hans Albert.
Der Ursprung des Universums
Ein weiteres Problem kommt hinzu, wenn wir uns fragen, wo unser Universum eigentlich herkommt. Am “einfachsten” ist es, schlicht anzunehmen, dass es schon immer existiert hat. Ein ewiges Universum braucht keine zusätzlichen Annahmen – die Naturgesetze gelten schlicht immer. Allerdings gibt es auch hier das kleine Problem, dass die Naturgesetze beschreiben, wie die Objekte unseres Universums sich verhalten – sie sagen aber zunächst wenig dazu, wo diese Objekte eigentlich herkommen. Was bestimmt in einem unendlichen Universum die “Anfangsbedingung” (mathematisch den Zustand, wenn man die Zeit gegen minus unendlich schickt)? Dazu kommt natürlich, dass ein zeitlich unendliches Universum für uns auch nicht leicht vorstellbar ist.
Wenn wir dagegen annehmen, dass das Universum einen Anfang hat, dann ergibt sich das nächste Problem, denn natürlich stellt sich dann die Frage, wo es herkommt und was diesen Anfang bewirkt hat. Oft wird gesagt, dass auch Raum und Zeit mit dem Universum begonnen haben – aber dann wird es knifflig, deren Ursprung zu erklären. Wenn Raum und Zeit mit dem Universum entstanden sind, dann gab es sie vorher nicht – und ohne Raum und Zeit kann es auch keine Naturgesetze geben, jedenfalls nicht so, wie wir sie bisher verstehen: Denn der Ursprung des Universums sollte – in einem naturwissenschaftlichen Weltbild – ja schließlich durch ein Naturgesetz erklärbar sein. Aber ein Naturgesetz ist eine Regelmäßigkeit im Verhalten von Objekten, und wenn es weder Objekte, noch Raum und Zeit gibt, dann ist es nicht so ganz leicht, sich vorzustellen, was dann ein Naturgesetz sein soll, das das Universum erst verursacht. Wenn Raum und Zeit aber nicht mit dem Universum entstanden sind, dann sind sie ewig – und auch dann können wir natürlich fragen, wieso es sie überhaupt gibt und welche Gesetze oder Regeln dafür gesorgt haben, dass es sie gibt.
Eine Idee, das Dilemma zu lösen, ist die Tegmark-Hypothese: Danach existieren alle Universen, die mathematisch möglich sind. Zu jedem Satz mathematischer Naturgesetze gibt es auch ein passendes Universum. Mal davon abgesehen, dass man damit eine unglaubliche Vielzahl von Universen postuliert, löst auch das das Problem in meinen Augen nicht: Zunächst beruht Mathematik auf Axiomen – also muss ich mich fragen, wer oder was diese Axiome festlegt. Sind alle denkbaren Axiome zulässig, um ein Universum zu schaffen?
Ein zweites Problem steckt darin, dass es in der Mathematik bekanntlich in jedem hinreichend mächtigen Axiomensystem unbeweisbare oder unentscheidbare Aussagen gibt – welchen Einfluss hat das auf die Naturgesetze? (Das Problem stellt sich, zumindest in der theoretischen Physik, ja tatsächlich.) Was passiert in einem Universum, dessen Axiomensystem unvollständig ist und für eine bestimmte Situation keine Regeln hat, wenn diese Situation eintritt? (Dass so etwas theoretisch denkbar ist, zeigt der verlinkte Text.) Als drittes Problem kommt hinzu, dass die Naturgesetze uns sagen, wie sich Dinge verhalten, wenn eine bestimmte Ausgangssituation vorliegt. Aber was legt in diesem Mathe-Multiversum die Ausgangsbedingungen fest? Gibt es auch noch für jede denkbare Ausgangsbedingung ein eigenes Universum? Existiert zum Beispiel eine unendliche Anzahl von Game-of-Life-Universen, mit jeder denkbaren Anfangsbedingung, jeder denkbaren Größe des Gitters etc.? Darunter auch eine, in der die Elemente des Universums sich so verhalten, dass sie unser Universum simulieren? (Das Game of Life ist trotz seiner einfachen Regeln ein universeller Computer, wenn unser Universum berechenbar ist, lässt es sich prinzipiell mit dem Game of Life als Programm darstellen.)
Und schließlich stellt sich natürlich auch noch das Problem, wie und in welchem Sinne die mathematischen Sätze eines Axiomensystems existieren. Ein super-komplizierter mathematischer Beweis hat vielleicht Hundert oder mehr Seiten, wenn man alle Beweisschritte aufschreibt. Existiert der bewiesene Satz, ohne dass irgendjemand diese Schritte vollzieht? Wie setzt das mathematische Universum das um? Da stellt sich dann wieder die Frage nach dem Mechanismus: Wir postulieren, dass alle Axiome und alle Folgerungen daraus in irgendeiner Weise “existieren” – aber wie funktioniert das? Wenn man zum Beispiel ein Axiomensystem hat, bei dem sich nach einer endlos langen Rechnung schließlich herausstellt, dass es in sich widersprüchlich ist, was passiert dann? Entsteht erst ein Universum, sagt “Huch, ich bin ja gar nicht widerspruchsfrei” und löst sich in ein Logikwölkchen auf? Oder gibt es dahinter einen Mechanismus, der alle Axiomensysteme auf Widerspruchsfreiheit abprüft (egal wie lange es dauert, und obwohl ich den entsprechenden mathematischen Satz nicht kenne, mache ich jede Wette, dass das analog zum Turingschen Halteproblem ist)? Wie soll das funktionieren?
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