Was folgt daraus?
Wenn alle Antworten falsch erscheinen, ist oft die Frage falsch gestellt. Möglicherweise ist das auch hier der Fall – wir wissen, dass wir bei jeder Erklärung immer noch weiterfragen können – warum, warum, warum? (Wieder mal schöne Grüße von Kant und den Antinomien der reinen Vernunft.) Vielleicht ist “warum?” keine gute Frage, wenn es darum geht, die letzten Ursachen in der Welt zu verstehen. Dass unser Verstand uns nahelegt, dass wir “warum?” fragen sollen, heißt ja nicht zwingend, dass die Welt tatsächlich in dieser Weise begreifbar ist – vielleicht reicht unser Verstand schlicht nicht aus, vielleicht sind wir auch einfach falsch verdrahtet. Im Roman “Sophies Welt” (den ich ansonsten nicht so toll fand) wird unser Drang, immer “warum?” zu fragen, mit dem Drang einer Katze, einem Objekt hinterherzujagen, verglichen: Wenn ein Ding plötzlich ins Zimmer rollt, rennt die Katze hinterher – Jagdinstinkt -, wir gucken, wo es herkam – Erklärinstinkt. Beide sind möglicherweise den fundamentalsten Fragen nicht angemessen.
Es sieht also tatsächlich so aus, als hätten wir keine Chance, die Welt schlussendlich zu verstehen.
Senke nieder
Adlergedanke dein Gefieder,
Kühne Seglerin Phantasie
wirf ein mutloses Anker hie
(Schiller)
Naturwissenschaft und Religion?
Falls das, was ich hier schreibe, richtig ist, hat die rationale Erklärbarkeit der Welt Grenzen. In diesem Sinne ist dann das naturwissenschaftliche Weltbild nicht rational, und man sollte es anderen Weltbildern nicht unbedingt vorhalten, wenn sie ebenfalls nicht rational sind.
Und daraus kann, wer will, den Schluss ziehen, dass das naturwissenschaftliche Weltbild eben doch nicht der Weisheit letzter Schluss ist. Und wenn das so ist, warum dann nicht sagen: “Gott” – als Antwort auf die fundamentalen Fragen, die Erklärung der Welt? Wenn ich sage “Unser Verstand reicht nicht aus, den Ursprung und die Wirkung der Naturgesetze zu erklären”, dann kann ich vielleicht auch sagen “Es gibt einen Gott, aber unser Verstand reicht nicht aus, um dessen Handeln zu erklären”. “Gott” mag einen Verstand besitzen, der unseren unendlich übersteigt und in dem die Probleme hier sich schlicht auflösen. Jedenfalls erscheint – wenn ich korrekt argumentiert habe – die Antwort “Gott” letztlich auch nicht besser oder schlechter als die Annahme, ein Naturgesetz könne für die Entstehung der Welt verantwortlich sein. Wer mag, kann die Antwort auf die letzten Fragen schlicht “Gott” nennen – wenn wir die Antwort ohnehin nicht verstehen können, dann spielt es vielleicht keine Rolle, wie wir sie nennen, ob “Weltformel”, “Mathematisches Universum” oder “Gott”.
Es gibt da allerdings einen gigantischen Haken: “Gott” ist ein Wort, das mit einer gigantischen Menge an Assoziationen verbunden ist – die meisten denken vermutlich an den christlichen Gott aus der Bibel. Und dieser greift – nach biblischer Vorstellung – tätig in unsere Welt ein, stellt Regeln auf, was wir tun und nicht tun dürfen und so weiter. Da beginnt dann das Problem: Gott werden Eigenschaften zugeschrieben, beispielsweise allwissend und allgütig zu sein. Das Problem, warum es Leid in der Welt gibt, stellt sich natürlich in allen Religionen, die einen gütigen Gott annehmen. Es widerlegt in meinen Augen die Existenz Gottes nicht, weil man sich auf den Standpunkt stellen kann “Wir können das schlicht nicht verstehen” – und wer das kritisiert, der muss natürlich zugeben, dass wir eine ähnliche Antwort anscheinend auch in der Naturwissenschaft geben müssen, wenn ich in diesem Text halbwegs sauber argumentiert habe.
Wenn wir aber Gott schlicht nicht verstehen können, dann können wir ihm auch keine Eigenschaften zuschreiben und keine Schlussfolgerungen ziehen, wie unsere Welt funktioniert. Und genau das unterscheidet die Religion dann von der Naturwissenschaft: Denn in unserer Welt, in der wir leben, Phänomene beobachten und Schlussfolgerungen ziehen, da funktioniert die Naturwissenschaft bisher unglaublich gut. Solange sich religiöse Antworten auf die letzten Fragen beschränken, mögen sie ähnlich gut (oder schlecht, weil nicht verstehbar) sein wie die Antworten der Naturwissenschaft, aber für alles, was sich tatsächlich in unserer Welt abspielt, gilt das nicht. Innerhalb unseres Universums können wir verstehen, wie das Sonnensystem entstanden ist und wie sich der Mensch per Evolution entwickelt hat, ohne dass irgendwer da steuernd eingreifen musste. Bei solchen Fragen hat die Religion wenig zu melden, hier ist die Wissenschaft klar überlegen.
Und genau da liegt der entscheidende Unterschied: Das naturwissenschaftliche Weltbild ist nämlich mehr als nur das Wissen und die Annahmen, die wir über die Welt machen. Es ist eine Methode, um verlässliches Wissen zu generieren. Diese Methode hat – darum ging es ja in diesem Artikel – Grenzen, aber innerhalb dieser Grenzen bewegen wir uns, wenn wir die Phänomene untersuchen, mit denen wir es in unserer Welt tatsächlich zu tun haben. Anders als die Religion, die eine Antwort auf die “letzten Fragen” postuliert und daraus Schlussfolgerungen zieht, bewegt sich die Naturwissenschaft normalerweise innerhalb unserer Welt und gibt dort verlässliche und überprüfbare Antworten. Die Naturwissenschaft nimmt unsere Beobachtungen und Erfahrungen in dieser Welt zum Ausgangspunkt, um die Welt zu verstehen – auf diesem einigermaßen sicheren Grund ist das Gedankengebäude errichtet und auch wenn es schließlich seine Grenzen erreicht, sind diese Grenzen weit entfernt von unseren Beobachtungen und Erfahrungen in dieser Welt. Religiöse Gedankengebäude sind dagegen meist auf dem Sand einer hypothetischen Antwort auf die letzten Fragen gebaut.
Ein zweiter Punkt kommt hinzu: In der Naturwissenschaft wissen wir, dass wir bei den fundamentalen Fragen ein Problem haben – Religionen tendieren aber dazu, die Antwort “Gott” in der Form “Gott, und damit basta!” selbstgewiss vorzutragen, obwohl es für die Richtigkeit dieser Antwort keine Belege gibt. Auch das kann man tolerieren – solange, bis Leute beginnen, aus der Überzeugung der Richtigkeit ihrer Antwort gleich noch Regeln dafür abzuleiten, wie wir uns in dieser Welt verhalten, wen wir lieben dürfen und wen nicht, wessen Wort mehr gilt und so weiter. Das ist der Moment, wo es gilt, der Religion (wenn sie denn so auftritt) entgegenzutreten.
In meinen Augen ist der entscheidende Unterschied zwischen dem religiösen und dem naturwissenschaftlichen Weltbild damit nicht der, dass das eine zu 100% rational wäre – auch die Naturwissenschaft hat ihre Grenzen und auf der fundamentalen Ebene kann sie die Welt nicht erklären, sondern nur beschreiben. Aber das naturwissenschaftliche Weltbild beginnt nicht an dieser unsicheren Grenze, um von dort aus Schlüsse zu ziehen, sondern es beginnt bei den Beobachtungen und Erfahrungen des Alltags, wenn Dinge nach unten fallen oder Lichtpunkte sich seltsam rückläufig am Himmel bewegen.
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