Die größten heutigen Vögel sind ja bekanntlich die Strauße mit einer Masse von (laut Wikipedia) bis zu 145 kg. (Ja, in der Biologie ist es meist üblich, Größe mit Masse gleichzusetzen, unter anderem deshalb, weil Längenvergleiche zwischen Tieren mit ganz unterschiedlichem Körperbau ja wenig sinnvoll sind.) In der Vergangenheit gab es andere sehr große Vögel – weil das Bild so spektakulär ist, hier mal eine Darstellung von Argentavis, einem der größten (etwa 75kg) fliegenden Vögel, die es je gab:
By Wangyonglee – Own work, CC BY-SA 3.0, Link
Strauße und andere Großvögel (Emus, Kasuare oder die ausgestorbenen Moas) sind natürlich flugunfähig und können deshalb deutlich größer werden als fliegende Vögel. Jede, die als Kind mal Bücher über ausgestorbene Tiere gelesen hat, kennt vermutlich Gastornis (oder Diatryma), einen ausgestorbenen Vogel aus dem frühen Känozoikum, dem “Zeitalter der Säugetiere” (Der Name ist letztlich ein bisschen chauvinistisch: es gibt wesentlich mehr Vogel- als Säugetierarten auf der Welt, aber ohnehin viel mehr Fische, von Käfern wollen wir gar nicht anfangen…). Hier ein Bild von Gastornis:
Von Tim Bertelink – Eigenes Werk, CC BY-SA 4.0, Link
Gastornis erreichte eine Höhe von etwa 2 Metern und eine Gewicht von so etwa 150 kg. Dass er in den meisten Urzeitbücher auftaucht, liegt unter anderem daran, dass man früher annahm, er wäre Fleischfresser gewesen, und ein Bild eines Riesenvogels, der fuchsgroße Urpferdchen jagt, ist natürlich eindrucksvoll (zum Beispiel hier, aus Copyright-gründen gibt es nur den Link). Heute geht man aber davon aus, dass Gastornis (alias Diatryma) kein Fleischfresser war.
Es gab allerdings auch den Phorusrhacos und seine Verwandten in Südamerika, die tatsächlich Fleischfresser waren:
Von Charles R. Knight – https://www.biodiversitylibrary.org/item/62388#page/333/mode/1up, Gemeinfrei, Link
Die Phorsusrhacidae wurden bis zu 3 Meter groß (hoch) und bis zu 350 Kilogramm schwer.
Sie waren aber immer noch nicht die größten (schwersten) Vögel, die es je gab. Diese Ehre galt lange Zeit dem Dromornis aus Australien (auch als “Mihirung” bezeichnet):
By McBlackneck – Own work, CC BY-SA 4.0, Link
Eine andere Gruppe sehr großer ausgestorbenen Vögel lebte in Madagaskar und starb erst vor etwa 1000 Jahren aus: Die Elefantenvögel oder Aepyornithidae. Aus irgendeinem Grund kommen sie in den meisten Urzeitbüchern zu kurz. Anders als Dromornis, Gastornis oder Phorusrhacos hatten sie eher kleine Köpfe und Schnäbel und sahen eher Moas ähnlich, hier ein Skelett von Aepyornis maximus:
By Monnier – https://digimorph.org/specimens/Aepyornis_maximus/Aepyornis.phtml digimorph.org, Public Domain, Link
Hier eine dazu passende Rekonstruktion, in der Aepyornis aber ziemlich massiv und eher wie eine Riesengans aussieht:
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By Acrocynus – Acrocynus, CC BY-SA 3.0, Link
Elefantenvögel waren – das legt das Aussehen ja auch nahe – vermutlich Pflanzenfresser. Pflanzenfresser tendieren ja ohnehin dazu, groß zu werden, weil der Energiebedarf pro Kilogramm Körpermasse mit der Größe abnimmt – wer also Futter fressen will, das nicht all zu nährstoffreich ist, der muss groß und schwer werden. Hinzu kommt, dass man zum Aufschließen von Pflanzennahrung ein hinreichend großes Verdauungssystem braucht, das Platz für die Bakterien liefert, die die Nahrung aufschließen sollen.
Die Elefantenvögel kommen nicht nur in populärwissenschaftlichen Darstellungen oft zu kurz, sondern ein wenig auch in der Forschung. (Literarisch wurden sie übrigens in einer Geschichte von H.G. Wells verarbeitet, die ist aber zumindest für meinen Geschmack ein bisschen mau.) Aber gerade das hat sich aktuell geändert, mit gleich zwei neuen Untersuchungen.
Die erste der beiden analysiert die vorhandenen Fossilien und untersucht, wie sich die Elefantenvögel in Arten und Gattungen einteilen lassen. Das mit den Fossilien ist nicht so einfach: Zwar ist es geologisch gesehen erst kurze Zeit her, dass die Elefantenvögel ausgestorben sind, aber sie lebten in Madagasakar, wo es viel Regenwald gibt und wo Fossilien schlecht erhalten bleiben. Die meisten Elefantenvogelfossilien sind deshalb bloß die ziemlich robusten Beinknochen.
Bisher hatte man angenommen, dass es zwei Gattungen von Elefantenvögeln gibt: Aepyornis, der große Elefantenvogel mit bis zu 450 Kilogramm, und Mullerornis, die kleine Variante mit 100 kg. Von Aepyornis zählte man, je nach Untersuchung 4-11 Arten, von Mullerornis 3 oder 4.
Wenn aber die meisten Fossilien bloß Beinknochen sind, dann ist es natürlich nicht soo einfach, Arten und Gattungen genau zu unterscheiden. Die neue Untersuchung (von Hansford und Turvey) hat deshalb die verfügbaren Knochen sehr detailliert vermessen:
Aus Hansford und Turvey, s.u.
Bei a) seht ihr die Oberschenkelknochen, bei b den Unterschenkel (Tibiotarsus), bei c die Mittelfußknochen (Tarsometatarsus).
Es wurden also jeweils charakteristische Punkte auf den Knochen genommen, deren Abstände gemessen und dann wurde das gemacht, was Wissenschaftlerinnen heute immer machen: Man stopft alles in einen Computer und schaut, ob der eine Ordnung in den Zahlenwust bringen kann. Das mathematische Werkzeug dahinter ist die PCA=principal component analysis (zu Deutsch: Hauptkomponentenanalyse). Wie das funktioniert, habe ich an einem ganz simplen Beispiel mal in diesem Artikel erklärt..
Im wesentlichen bekommt man eine Gruppierung der Daten heraus, die entlang von (meist zwei) Achsen aufgetragen ist, die die Größen darstellen, bei denen die Unterschiede zwischen den einzelnen Knochen am größten sind. So sieht das beispielsweise für die Oberschenkelknochen aus (Details spare ich mir):
Aus Hansford und Turvey, s.u.
Die unterschiedlichen Datenpunkte stehen für unterschiedliche Cluster, die das Verfahren erkannt hat, in diesem Fall also vier. Die gefüllten Symbole sind die Datenpunkte, die zum Typexemplar einer Art (dem Fossil, das die Art offiziell “definiert”) gehören, das rote gefüllte Dreieck beispielsweise zu Aepyornis titan. Dass es um diesen Datenpunkt herum einen Cluster gibt, der sich deutlich von den anderen abgrenzt, sagt uns also, dass alle die Dreiecksdatenpunkte wohl in diese Art gehören. (Auch hier ist die tatsächliche Analyse deutlich komplizierter, da ich von PCA aber auch nicht soo viel Ahnung habe, versuche ich lieber nicht, das genauer zu erklären, da erzähle ich sonst vermutlich Unsinn.)
Anhand der Daten zerfallen die einzelnen Fossilien in Cluster und Sub-Cluster. Die ersten kann man als Gattungen identifizieren, die zweiten als Arten in den jeweiligen Gattungen. Man stellt aber fest, dass es Knochen gibt, die in der Größe nicht zu den anderen passen und deutlich größer sind. (Im paper heißt das Cluster 3.) Diese Datenpunkte sind von den anderen genau so deutlich getrennt wie die, die zum Beispiel Mullerornis von den meisten Aepyornis-Fossilien trennen. Entsprechend sollte dieser Cluster (oben im Bild die roten Deiecke) nicht auch zu Aepyornis gehören, sondern zu einer neuen Gattung, Vorombe. Da man eine neue Gattung einführt, es aber schon die Art Aepyornis titan gibt, bekommt sie nach den Spielregeln der biologischen Nomenklatur den alten Artnamen, heißt also Vorombe titan.
Das paper begint übrigens mit einem Zitat aus der Wells-Geschichte:
“When they found an Aepyornis with a thigh a yard long, they thought they had reached the top of the scale, and called him Aepyornis maximus. Then someone turned up another thigh-bone four feet six or more, and that they called Aepyornis titan . . . if they get any more Aepyornises, he reckons some scientific swell will go and burst a blood-vessel.”
Die Autorinnen haben also dank des neuen Gattungsnamens das Problem mit den geplatzen Blutgefäßen geschickt vermieden, gut das Cluster 3 hinreichend weit von den anderen entfernt war, so dass aus Aepyornis titan Vorombe titan wurde…
Basierend auf allen Fossilien und dem, was man über Elefantenvögel weiß, kann man die Größe von Vorombe titan abschätzen und kommt auf satte 650 Kilogramm im Mittel, mehr als für Dromornis (knapp unter 600 Kilogramm) und alle anderen bekannten Vögel. Vorombe titan ist also zumindest nach unserem momentanen Wissen der größte Vogel, den es je gab.
Die zweite Arbeit, um die es heute geht (Torres und Clarke), beschäftigt sich mit der Lebensweise der Elefantenvögel.
Dazu scannt man Schädel bzw. deren Fossilien im Computertomographen und rekonstruiert dann die Form des Gehirns. Man macht das nicht nur für die elefantenvögel, sondern auch für deren Verwandte, zu denen Kiwis, Kasuare und Emus, die Steißhühner (Tinamous) und auch Straußen gehören, alle klassifiziert als Palaeognathae.
Interessant an den Gehirnen (mehr über Vogelhirne übrigens hier) ist hier insbesondere die Größe der Hirnareale, die für das Sehen und Riechen zuständig sind (optic lobes bzw. olfactory bulbs). Hier mal zum Vergleich ein Scan vom Aepyornis und einem Steißhuhn, so skaliert, dass sie gleich groß aussehen:
(Aus Torres und Clarke, s.u.)
Die ganzen Kürzel kennzeichnen unterschiedliche Nerven (die römischen Ziffern) und Hirnareale. Die meisten können wir zum Glück ignorieren, schaut erst mal einfach auf den rot gestrichelten Bereich namens “ol”=”optic lobe”. Das ist wie gesagt das Areal, das für’s Sehen zuständig ist, und es ist deutlich zu sehen, dass der Bereich beim Aepyornis ziemlich klein, beim Steißhuhn deutlich größer ist. Umgekehrt hat Aepyornis einen großen Hirnbereich zum Riechen (“ob”, ganz oben), das Steißhuhn dagegen einen deutlich kleineren. Das spricht dafür, dass Aepyornis eher nicht so scharfsichtig war, dafür aber gut riechen konnte.
Man kann die entsprechenden Hirnareale jetzt für verschiedene Vögel vermessen. Besonders groß (im Vergleich zu dem Zustand, den man aus den Daten für den gemeinsamen Vorfahre rekonstruieren kann) sind die Sehbereiche bei den Steißhühnern, besonders klein bei den Elefantenvögeln, Kiwis, beim Kasuar und Emu und beim ausgestorbenen Moa. Unter den heutigen Vögeln sind die meisten von denen mit sehr kleinen Sehbereichen nachtaktiv. Umgekehrt zeigt sich beim Riechbereich, dass die mit einem guten Geruchssinn tendenziell im Wald leben, die mit einem weniger ausgeprägten Riecher im Freiland. Eine Ausnahme ist der Emu, der von seinen Hirnarealen her eigentlich im Wald leben sollte, tatsächlich aber im Freiland tagaktiv ist. Da der nächste Verwandte des Emus, der Kasuar, aber nachtaktiv und Waldbewohner ist, kann man annehmen, dass die Emus von Waldvögeln abstammen und gerade erst dabei sind, sich wieder perfekt ans Freilandleben anzupassen.
Bei den Elefantenvögeln ist die Datenlage ziemlich klar: sie haben sehr kleine Sehbereiche und sehr große Riechbereiche, genau wie die Kiwis. Es ist also sehr wahrscheinlich, dass sie nachtaktiv waren und im Wald lebten, so wie ihre neuseeländischen Vettern.
Die vermutlich größten Vögel aller Zeiten waren also nachtaktive Waldbewohner.
Hansford JP, Turvey ST. 2018
Unexpected diversity within the extinct elephant birds (Aves: Aepyornithidae) and a new identity for the world’s largest bird. R. Soc. open sci. 5:181295. https://dx.doi.org/10.1098/rsos.181295
Torres CR, Clarke JA. 2018
Nocturnal giants: evolution of the sensory ecology in elephant birds and other palaeognaths inferred from digital brain reconstructions. Proc. R. Soc. B 285: 20181540. https://dx.doi.org/10.1098/rspb.2018.1540
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