Zugegeben: Der Titel klingt reißerisch. Aber ein Experiment, dessen Bestandteile sich über einige Milliarden Lichtjahre erstrecken, verdient diesen Titel vermutlich schon. Zugegeben, niemand hat mit Überlichtgeschwindigkeit das Universum durchquert und irgendwo anders einen Detektor aufgebaut oder so, aber trotzdem ist das Experiment schon ziemlich abgefahren.
Geht’s auch weniger reißerisch und vielleicht mit mehr Informationen? Na klar, jetzt habt Ihr ja eh schon hier geklickt (muahahahaha $$$$), dann kann ich auch noch mal halbwegs in Ruhe erklären, worum es eigentlich geht. Hintergrund des Ganzen Experiments ist die Quantenmechanik, genauer gesagt die berühmte Verschränkung in der Quantenmechanik. Ausführlich habe ich die in dieser dreiteiligen Serie erklärt (Teil 1, Teil 2, Teil 3), deshalb gibt es heute nur eine Kurzfassung mit der Grundidee:
Ein Verschränkungsexperiment beginnt damit, dass man zwei Teilchen erzeugt (oder anderweitig verschränkt, aber heute nehmen wir Licht, also Photonen, die man erzeugen kann), und zwar so, dass ihre Eigenschaften gekoppelt sind. Gekoppelte Eigenschaften gibt es natürlich auch klassisch: Wenn ich zwei Bälle mit einer Feder verbinde, die Feder zusammendrücke und dann loslasse, fliegen die beiden Bälle genau in entgegengesetzte Richtung weg, wenn ich den einen beobachte, kann ich na klar vorhersagen, was der andere macht. Die Quantenverschränkung ist allerdings ein bisschen seltsamer als das.
Unsere beiden Photonen können polarisiert sein – stellt man sich ein Photon als eine kleine elektromagnetische Welle vor (was sehr vereinfacht ist, aber für unsere Zwecke heute ausreicht), dann schwingt bei einem polarisierten Photon das elektrische Feld in einer bestimmten Richtung auf und ab. Die Richtung des elektrischen feldes ist immer senkrecht zur Ausbreitungsrichtung, fliegt unser Photon von links nach rechts, kann die Polarisation senkrecht sein (auf und ab) oder waagerecht (vorn und hinten) oder irgendwas dazwischen.
Will man wissen, ob Licht polarisiert ist, schickt man es durch einen Polfilter:
(Eigenes Bild)
Oben seht ihr eine senkrecht und eine waagerecht polarisierte Welle. Treffen die auf einen senkrechten Polfilter, kommt die eine durch, die andere nicht, Die durchkommende Welle trifft dann auf einen waagerechten Polfilter und es bleibt nichts übrig.
Unten seht ihr, dass man das Bild ändern kann, wenn man einen dritten Polfilter hinzufügt, der um 45° gedreht ist. Jetzt kommt ein Teil des Lichts durch diesen Filter durch. Betrachtet man ein einzelnen Photon, das senkrecht polarisiert ist, dann zwingt dieser gedrehte Polfilter das Photon, sich zu “entscheiden”: Es hat eine 50%-Wahrscheinlichkeit, durchzukommen, und eine 50%-Wahrscheinlichkeit, absorbiert zu werden.
Bei einem Verschränkungsexperiment sendet man jetzt die beiden Photonen so aus, dass sie dieselbe Polarisation haben – ist das eine senkrecht, dann auch das andere, ist das eine waagerecht, dann auch das andere. Senden wir die beiden Photonen zu zwei unterschiedlichen Beobachterinnen (die traditionell Alice und Bob heißen), dann misst Alice ein waagerecht polarisiertes Photon, wenn Bob es misst, und umgekehrt. Misst Alice mit einem schrägonal gedrehten Polfilter unter 45°, dann zwingt sie ihr Photon, sich zu entscheiden, ob es durch den Polfilter geht oder nicht. Wenn Bob auch unter 45° misst, dann bekommen beide immer noch perfekt korrelierte Ergebnisse, nach wie vor sind beide Photonen immer perfekt korreliert. Es kann deshalb nicht so sein, dass die Photonen sich schon beim Aussenden entscheiden, wie sie polarisiert sein wollen, denn zum Aussendezeitpunkt steht ja noch nicht fest, wie Alice und Bob ihre Filter orientieren. (Eine detaillierte Analyse, die zeigt, wie die Korrelation zwischen Alice und Bob genau aussieht, findet ihr in der oben verlinkten Artikelserie. Und nein, man kann damit auch keine überlichtschnellen Signale übertragen, auch wenn das auf den ersten Blick so aussehen mag.)
Aber Moment: Wenn wir in einem Labor Polfilter drehen, dann dauert das eine Weile. Und wenn wir das Experiment mit Photonen machen, die ja ziemlich flott unterwegs sind (299792458m/s), dann ist es in den meisten Experimenten doch sicher so, dass die Polfilter schon eingestellt sind, bevor die Photonen erzeugt werden. Könnte es also nicht sein, dass die Drehung der Polfilter auf irgendeine seltsame Weise dafür sorgt, dass der Zustand der Photonen beeinflusst wird?
Um sicherzustellen, dass das nicht so ist, kann man ein Experiment aufbauen, das diese Schlupflöcher schließt, und so etwas hat man auch in der Tat bereits getan (habe ich hier erklärt, übrigens nochmal mit einer Erklärung der Verschränkung). Dabei wird sichergestellt, dass die Entscheidung bei Alice und Bob, wie die Polfilter orientiert sein sollen, erst getroffen wird, nachdem das Photon schon ausgesandt wurde. Ganz geschlossen ist das Schlupfloch damit aber immer noch nicht – wer sagt denn, dass die Entscheidung von Alice und Bob nicht durch den Aufbau des Experiments selbst irgendwie determiniert war? Es könnte ja auf irgendeine mysteriöse Weise so sein, dass beim Aufbau des Experiments irgendwelche Bedingungen geschaffen wurden, die determinieren, wie die Detektoren bei Alice und Bob genau eingestellt wurden und die immer für eine perfekte Korrelation zwischen der Photonenquelle und den beiden Detektoren sorgen. Zugegebenermaßen ist das schon ziemlich an den haaren herbeigezogen und es glaubt vermutlich kaum jemand (niemand sage ich lieber nicht, seit ich diesen Blog schreibe, habe ich gelernt, dass Menschen seeeehr seltsame Dinge glauben können), dass so etwas tatsächlich passiert, aber wer weiß?
Und genau da kommt jetzt das größte Experiment der Welt ins Spiel: Wir sorgen dafür, dass nicht Alice und Bob selbst entscheiden, was sie messen, sondern dass das von Außen entschieden wird. Und zwar von Photonen, die aus dem All kommen.
Quasare sind sehr helle Objekte im All, die so weit entfernt sind, dass das Licht von ihnen zu uns viele Milliarden Jahre braucht. (Die genaue Entfernung zu einem Quasar ist immer ein etwas kniffliges Konzept, weil sich das All bekanntlich ausdehnt und man immer gucken muss, welchen Entfernungsbegriff man meint. Details erklären Florian oder Alderamin.) So oder so sind Quasare Milliarden Lichtjahre entfernt. Wir können jetzt das Licht von einem Quasar nehmen, daraus ein Photon als “Steuerphoton” (mein Begriff) quasi isolieren und an Hand von dessen Eigenschaften bestimmen, wie wir unseren Polfilter einstellen wollen. Wir machen das bei Alice und Bob mit dem Licht von zwei Quasaren in ganz unterschiedlichen Himmelsgegenden. Zur Festlegung der Polarisation nimmt man die Wellenlänge des Steuerphotons, weil man davon ausgeht, dass die sich bei der Ausbreitung durchs All (abgesehen von der Rotverschiebung durch die Expansion) nicht ändert, während so etwas wie die Polarisation ja durch irgendwelche Moleküle im All, die als Polfilter wirken, beeinflusst werden könnte.
Zusätzlich stellt man auch noch sicher, dass beide Steuerphotonen (eins bei Alice, eins bei Bob) erst detektiert werden, nachdem die verschränkten Photonen ausgesandt wurden, nicht dass jemand da noch ein Schlupfloch sieht. Dieses Diagramm zeigt den Ablauf schematisch:
(Aus Rauch et al., s.u., CC4.0-Lizenz)
Bei S wird das Photonenpaar erzeugt, ein Photon fliegt zu A, eins zu B, wo es detektiert wird. QA und QB sind die beiden Quasare, deren Licht als Steuerphotonen bei dem kleinen Galaxiensymbol aufgefangen wird und dann die Messeinstellung bei A und B steuert. Die blauen und roten Bänder geben die Breite der Messunsicherheit an – so gewählt, dass die Steuerphotonen weder S noch den jeweils anderen Detektor beeinflussen können, während umgekehrt S auch nicht die Auswahl der Polarisation (beim Galaxiensymbol) beeinflussen kann. Und weil Licht lichtschnell ist, kann auch nix anderes vom Quasar ausgesandt worden sein, nachdem das Steuerphoton losgeflogen ist, und hier bei uns irgendwie auf unseren versuch eingewirkt haben.
So sieht das ganze dann insgesamt aus:
(Aus Rauch et al., s.u., CC4.0-Lizenz)
Die beiden Teleskope stehen auf der Insel La Palma in den Kanaren und sind etwa einen Kilometer auseinander. Ungefähr in der Mitte zwischen ihnen wird die Quelle für die verschränkten Photonen aufgebaut, CRNG steht für “cosmic random number generator”, also das Gerät, dass aus dem Quasarlicht die Orientierung der Polfilter bestimmt.
Mit diesem Aufbau kann man jetzt ein ansonsten einigermaßen handelsübliches Verschränkungsexperiment steuern und prüfen, ob die Vorhersagen der Quantenmechanik sich erfüllen. Es wird euch nicht überraschen, dass sie das tun, ansonsten hättet ihr das vermutlich in den Nachrichten zu hören bekommen, denn alles andere wäre vermutlich die größe wissenschaftliche Sensation seit knapp 100 Jahren.
Wenn man also trotzdem noch annehmen will, dass der Zustand der Photonen, die bei S ausgesandt werden, irgendwie passend zu den Einstellungen der Detektoren determiniert war, dann müssten sich die beiden Quasare irgendwie “abgesprochen” haben, als sie ihr Licht ausgesandt haben. Der nähere der beiden Quasare hat sein Licht vor 7,78 Mrd. Jahren ausgesandt, der entferntere vor 12,21 Mrd. Jahren. Das Universum hätte damit also bereits vor knapp 8 Milliarden Jahren die Photonen der beiden Quasare passend so korrelieren müssen, dass wir heute die richtigen Quanteneffekte messen.
Fairerweise muss man zugeben, dass es einen philosophischen oder metaphysischen Ausweg gibt, der auch durch dieses Experiment nicht ausgeräumt werden kann: Betrachtet man die Zeit als Illusion und das Universum im Bild des Blockuniversums, dann ist das Universum schlicht ein vierdimensionales Raumzeit-Gebilde, in dem das Vergehen der Zeit eine Illusion ist. In so einem Universum wären alle Ereignisse vollständig determiniert und damit wäre es auch möglich, dass alle Quantenverschränkungen immer passend zu den jeweiligen Messungen entstehen. (Als einfaches Modell könnt ihr euch vorstellen, das Universum wäre ein Buch und ihr wärt die Autorin – natürlich wäre es für euch kein Problem, alle Elemente der Handlung so zu steuern, wie ihr es braucht, ohne dass innerhalb des Buches Widersprüche entstehen.) Dieser Ausweg macht aber natürlich auch ziemlich spezielle Annahmen und ist auch nicht mehr wirklich physikalisch, denn das Bild des Blockuniversums macht ja keine anderen physikalischen Aussagen als andere Ideen. (In gewisser Weise ist das Blockuniversum natürlich auch nicht-lokal, weil ja sozusagen alles “auf einmal” stattfindet.)
Auf jeden Fall zeigt die Quantenmechanik wieder einmal, dass sie einerseits ziemlich seltsam ist und andererseits unsere Welt anscheinend extrem gut beschreibt.
Cosmic Bell Test Using Random Measurement Settings from High-Redshift Quasars
Dominik Rauch et al., Phys. Rev. Lett. 121, 080403 (open access)
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