Die Nachricht ging zwar bereits im Sommer durch die Wissenschaftspresse, aber jetzt gibt es auch die zugehörigen Veröffentlichungen zu lesen: Der häufigste Zerfall des Higgs-Bosons wurde jetzt endlich beobachtet. Das liest sich erst mal seltsam: haben wir nicht das Higgs-Boson seit 2012 bereits in den Beschleunigern gesehen? Wieso haben wir dabei den “häufigsten Zerfall” nicht beobachtet? Sind die Physikerinnen* alle doof?
*Ja, wie üblich benutze ich feminine Formen, das regt hoffentlich niemanden mehr auf.
Schauen wir also mal etwas genauer hin, was da gemacht wurde und warum. Dazu erstmal ein kurzer Blick auf das Higgs-teilchen und Higgs-Feld. (Dazu habe ich schon sehr oft geschrieben, hier findet ihr einen Überlick über die meisten Artikel, oder ihr tippt einfach “Higgs” in die Suchmaske oben ein..) Man liest ja gern, dass das Higgs-Teiclhen allen anderen Teiclhen “ihre Masse verleiht” – aber das ist ziemlich ungenau ausgedrückt.
Um etwas genauer zu sein, muss man zwischen dem Higgs-Teilchen und dem sogenannten Higgs-Feld unterscheiden. Das Higgsfeld ist ein Quantenfeld – es erfüllt den gesamten Raum und ist immer und überall präsent. Interessanterweise ist der Wert (genauer gesagt, der Erwartungswert) dieses Feldes im Vakuum nicht Null, sondern von Null verschieden. Das liegt daran, dass ein Wert von Null bei diesem Feld nicht stabil ist. Der Vakuumzustand hat sich deshalb kurz nach dem Urknall so verändert, dass das Higgs-Feld seinen aktuellen wert (246GeV in den üblichen Einheiten) bekommen hat. Das ist ein bisschen analog zu einem Bleistift, den ihr auf einem Tisch auf seine Spitze stellt: Wenn ihr ihn perfekt ausbalanciert, dann kann er stehen bleiben, aber die kleinste Störung führt dazu, dass der Bleistift zur Seite wegkippt. (Und da der Bleistift n eine Richtung kippt, ist im System aus Bleistift und Tisch nach dem Umkippen eine Richtung ausgezeichnet, nämlich die, in die der Bleistift zeigt. Sowas nennt man “spontane Symmetriebrechung”, aber das führt eigentlich ein bisschen vom Thema ab und ich schreibe es nur, weil ich ja fast immer irgendwelche unnötigen Extras in meine Artikel stopfe….)
In unserem heutigen Universum ist das Higgs-Feld also überall ungleich Null und hat überall denselben Wert. Andere Teilchen (wie Elektronen oder Quarks) können jetzt mit diesem Higgsfeld (ja, ich schreibe das mal mit, mal ohne Bindestrich, sorry, bin zu faul das einheitlich zu machen) wechselwirken. Diese Wechselwirkung äußert sich (durch einen Quantenprozess, den ich hier nicht im Detail erkläre, dazu gibt es ja die anderen Artikel) wie eine Masse – man kann sich ein bisschen vorstellen, dass das Higgsfeld die Ausbreitung der Teilchen beeinflusst. Wer’s genau wissen will, kann das in diesem Artikel nachlesen. Wichtig ist, dass ein Teilchen damit eine um so größere Masse hat, je stärker es mit dem Higgsfeld wechselwirkt – Elektronen merken vom Higgsfeld nicht so viel und sind deshalb leicht, ein Top-Quark wird vom Higgsfeld stark beeinflusst und ist sehr schwer. (Neutrinos haben auch eine Masse, die kommt aber vielleicht nicht vom Higgsfeld, sondern woanders her – woher genau, weiß keiner…)
Fazit: es ist also das (überall im Universum vorhandene ) Higgs-Feld, das den Teilchen ihre Masse verleiht. Das Higgs-Teilchen ist aber etwas anderes: es ist eine Anregung des Higgsfelds, sozusagen eine lokale Störung dieses Felds. (Genauso wie man ein Elektron als lokale Störung des Elektron-Feldes ansehen kann, nur dass das Elektron-Feld im Vakuum einen Wert von Null hat – im Vakuum sind keine Elektronen. (Mal abgesehen von Vakuumfluktuationen…)) Das Higgsfeld so zu stören, braucht ne Menge Energie – diese Energie ist die Masse des Higgsteilchens, die einen Wert von etwa 125GeV (wieder in den seltsamen Energieeinheiten der Physik) hat – das Higgs ist damit etwa 250000 mal schwerer als ein Elektron. (Das Higgs-Teilchen selbst bekommt seine Masse also nicht vom Higgsfeld.)
Am Teilchenbeschleuniger LHC am CERN werden Protonen aufeinander geballert, und zwar mit so viel Energie, dass dabei Higgs-teilchen entstehen können. Diese Higgs-Teilchen sind aber nicht stabil, sondern zerfallen nahezu sofort wieder (in etwa 0,000 000 000 000 000 000 000 1Sekunden) in irgendwelche anderen Teilchen, Diese anderen Teilchen (beispielsweise Quarks, Myonen oder sonst etwas) zerfallen dann ihrerseits auch wieder. Die ganzen Zerfallsprodukte landen in den vielen Detektoren und werden dort analysiert und daraus, was am Ende gemessen wir, rekonstruiert man dann, was im Prozess passiert ist. Das ist ziemlich kompliziert (naja, es ist eher hölle-kompliziert), weil bei so einem Prozess alles mögliche passieren kann. Es werden ja nicht nur Higgsteilchen erzeugt, wenn man Protonen aufeinanderballert, sondern es kann auch jede Menge anderer Kram entstehen. Die Analyse der Zerfälle ist deshalb eine Wissenschaft für sich, aber die Details erzähle ich hier nicht (zumal mein Wissen dazu zum Großteil aus den 90er Jahren stand, als ich seinerzeit am DESY in Hamburg im ZEUS-Detektor-Seminar saß, damals, als ein Gigabyte als große Datenmenge galt…).
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